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Titel: Jürgen Rüttgers, der Taschenspieler aus Nordrhein-Westfalen
Datum: 3. Dezember 2006 um 11:34 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, PR, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Tricks von Taschenspielern beruhen auf einer Täuschung ihrer Zuschauer. Ihr Zauberkunststück besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums mit Reden und Gesten auf Nebensächlichkeiten lenken, damit es nicht bemerkt, wie ihm etwas vorgegaukelt wird. Mit solchen Gaukeleien macht Rüttgers Politik: Er mimt auf der Bühne der Bundespolitik den sozial Gerechten und lenkt die Wählerinnen und Wähler seines Landes von der Politik seiner Landesregierung ab. Hinter dem Ablenkungsmanöver verbirgt sich aber eine Politik, wie sie unsozialer von kaum einer anderen konservativen Regierung vorangetrieben wird. Wolfgang Lieb.
Weil er auf dem CDU-Parteitag einen Antrag gestellt hat, die Höchstbezugsdauer von früher einmal 32 Monate und derzeit noch 18 Monate bei 40 (!) Beitragsjahren auf gerade mal 24 Monate wieder anzuheben, stilisiert sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zum „sozialen Gewissen“ der Republik hoch.
Er weiß natürlich genau, dass seine Parteivorsitzende als Kanzlerin gar nicht daran denkt, diesen Vorschlag aufzugreifen. Rüttgers spekuliert aber darauf, dass er damit seine Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen von der von seiner Landesregierung zu verantwortenden tatsächlichen Politik ablenken kann.
Er schlüpft in die Rolle des Gauklers, weil er weiß, dass er in seinem Land nur dann eine Chance hat, wenn er dem in Nordrhein-Westfalen ausgeprägten Gespür für soziale Gerechtigkeit Rechnung trägt. Nicht ohne Grund nannte Willy Brandt das Ruhrgebiet die „Herzkammer der Sozialdemokratie“ und einer der großen Vorgänger von Jürgen Rüttgers im Amt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, sein Parteifreund und christliche Gewerkschafter Karl Arnold, hat pathetisch von Nordrhein-Westfalen als dem „sozialen Gewissen der Republik“ gesprochen. Johannes Rau sicherte sich mit dem Grundmotiv der sozialen Gerechtigkeit über zwanzig Jahren seine Mehrheit in diesem größten Bundesland. Seine Nachfolger Clement und Steinbrück setzten sich von dieser Tradition ab, mit dem Ergebnis, dass die SPD nach 39 Jahren Regierungsmacht in der Versenkung verschwunden ist.
Rüttgers hat daraus gelernt, er imitiert Johannes Rau wo es nur geht. Während sich jedoch Rau dem Grundsatz verpflichtet sah, dass Reden und Handeln für eine glaubwürdige Politik übereinstimmen müssen, macht Rüttgers das Gegenteil zum Prinzip: Er setzt den Blinker links und lenkt nach rechts.
Er blendet damit, dass sein Vorschlag zur zeitlichen Ausdehnung des Bezugs von Alg I für Ältere bei über 80 Prozent der Bundesbürger Zustimmung findet und ein Großteil der Wählerinnen und Wähler scheint von dieser Gaukelei beeindruckt. Die NRW-CDU liegt in den Umfragen mit 41% um mehr als zehn Prozent über den Bundeswerten der Union. (Quelle: Presseportal)
Für seine Taschenspielertricks war Rüttgers schon als Zukunftsminister im Kabinett Kohl bekannt: Er predigte öffentlich über Bildung und Innovation und ließ eine historisch einmalige Senkung des Bildungshaushalts zu.
Rüttgers fand immer zünftige Themen, mit denen er den Stammtisch beeindrucken konnte, selbst für eine Parole „Kinder statt Inder“ war er sich nicht zu schade. Und wenn sich die Sympathiewerte für seine Gaukeleien immer noch nicht verbessern wollen, dann werden sogar in der Presseschau der Landesregierung die Umfragetrends „korrigiert“.
Rüttgers redet auf Bundesebene von den „Lebenslügen“ der „neoliberalen“ Politik, um in seinem Verantwortungsbereich in NRW eben solche Lebenslügen zum Programm zu erheben.
Schon seinen epochalen Wahlsieg im Mai 2005 verdankt er hohlen Sprüchen.
Danach unterschrieb er einen Koalitionsvertrag mit der FDP der eine Fundgrube für kaschierende Tarnwörter für eine sozial ungerechte, wirtschaftsliberale Politik ist.
Lässt man sich von den Gaukeleien nicht ablenken, erkennt man eine ziemlich traurige und bittere Realität. Dazu nur einige unverstellte Einblicke:
Man könnte noch viele andere Beispiele der von Rüttgers zu verantwortenden Landespolitik anführen, aber kein einziges davon würde das wohltönende Gerede über eine sozial gerechte Politik tragen.
Rüttgers greift bei seiner Landespolitik zu dem Taschenspielertrick, dass er über diese von ihm zu vertretende Politik am liebsten gar nicht erst redet, sondern sich seine Schlagzeilen dort verschafft, wo er nichts zu sagen hat oder wo er sich keine Sorgen machen muss, dass aus Worten jemals Taten folgen könnten.
Das Publikum mag sich eine Zeit lang von einem Gaukler beeindrucken lassen. Nach dessen Auftritt auf dem Kirmesplatz geht es wieder nach Hause und erlebt den Alltag und da ist dann von dem Zauber einer sozial gerechten Politik nicht mehr viel zu spüren.
Kein Wunder deshalb, dass dann nur noch 30 Prozent der Wahlberechtigten Rüttgers reale Politik alles in allem für sozial ausgewogen halten und dagegen 57 Prozent urteilen, dass die Arbeit der CDU-geführten Landesregierung nicht ausgewogen sei.
Taschenspieler und Gaukler gelten eben bei den meisten immer noch als unseriös – zumal wenn sie im Kostüm des Politikers auftreten.
Der Volksmund weiß, dass Lügen kurze Beine haben. Ob das Jürgen Rüttgers auch weiß?
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