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Titel: Die Koalitionsvereinbarung in NRW: Eine konservative Fortschreibung der Modernisierungspolitik
Datum: 21. Juni 2005 um 8:55 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Markt und Staat, Privatisierung, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP wurde auf den jeweiligen Parteitagen ohne weitere Debatten nahezu einstimmig angenommen. Kein Wunder: Was da auf 65 Seiten aufgeschrieben wurde, ist das Papier nicht wert, auf dem der Text gedruckt wurde, denn alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter einem Haushaltsvorbehalt. Ansonsten finden wir nahezu alle Tarnwörter, die im Augenblick im konservativen Falschwörterbuch aufgeführt sind.
Die hinter der euphemistischen Neusprache stehenden wirklichen Ziele sind noch älter, als die in der Vereinbarung benutztet alte Rechtschreibung. Sie führen zurück in den Manchester-Liberalismus, wo die Wirtschaft das Sagen hat, und zurück in den Nachwächterstaat, wo sich der Staat aus seiner Verantwortung für soziale Gerechtigkeit und für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt zurückzieht. Das Programm von CDU und FDP in NRW lautet in Kurzform: „Freiheit vor Gleichheit. Privat vor Staat, Erarbeiten vor Verteilen, Verlässlichkeit statt Beliebigkeit“.
„Mut zur Selbstbestimmung“, lautet die Überschrift. Die „Herausforderungen der Globalisierung, der Wissensgesellschaft und der demographischen Entwicklung annehmen“ heißt es weiter. Die „Staatsquote muss gesenkt werden“ oder „Vieles, was der Staat früher gemacht hat, muss künftig mit Hilfe Privater getan werden“ oder „Wirtschaft wird von Menschen gemacht“ und “Wachstum braucht Freiheit“, eine „neue Kultur der Selbständigkeit“ auch „für Arbeitnehmer“ so könnte man noch seitenlang mit dem Wortgeklingele fortfahren. Und natürlich darf der Euphemismus nicht fehlen, der alles soziale Denken aus den Gehirnen waschen soll: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“
Die Koalitionsvereinbarung ist eine Fundgrube für eine die eigentlich gemeinten Ziele kaschierenden Sprache. Ziehen wir doch einmal die Tarnung beispielhaft an einigen Stellen weg und übersetzen die schönen Worte in die Sprache derjenigen, bei denen diese Art der Politik im Alltag ankommt:
„Mut zur Selbstbestimmung“ bedeutet dann etwa, wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht, oder jeder ist seines Glückes Schmied. Die globalen Herausforderungen annehmen, heißt dann, sich den wettbewerblichen Zwängen des Steuer-, Umwelt- und Sozialdumpings zu unterwerfen. Die Staatsquote senken, spricht sich dann wie Rückzug des gestaltenden Staates und Privatisierung staatlicher Leistungen von der Verkehrsinfrastruktur, über den sozialen Wohnungsbau, über das öffentliche Bankenwesen oder die sozialen Sicherungssysteme bis hin zur Bildung. Die Freiheit für Wachstum übersetzt sich dann als Unternehmerfreiheit oder als die Befreiung von Regeln für die Kräfte des Marktes, nämlich befreit vor allem von Regeln zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen oder zum Schutz der Umwelt. Und die „neue Kultur der Selbständigkeit“ verlangt von jedem, dass er sich als der selbständige Unternehmer seiner Arbeitskraft begreift und auch so behandelt wird. Sozial ist, was Arbeit schafft – und das zu jedem Preis, müsste man allerdings der Ehrlichkeit halber hinzufügen.
Um die Tarnsprache zu entlarven muss man ins Kleingedruckte des Koalitionsvertrages schauen. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ liest sich dort: „Arbeitskosten absenken durch Mehrarbeit für dasselbe Geld. Wir sind der Auffassung, dass durch Mehrarbeit mehr Beschäftigung entsteht.“ Oder: „Teilweise Abkoppelung der Kosten der Sozialversicherung vom Faktor Arbeit“, will sagen, die Arbeitnehmer zahlen die Kosten für die soziale Sicherung künftig vermehrt alleine, statt dass sie wie bisher wenigstens teilweise von den Arbeitgebern mitfinanziert werden. Sozial ist also im Klartext, eine Mehrbelastung der Arbeitnehmer und eine Entlastung der Arbeitgeber.
Gehen wir exemplarisch nur einige Politikfelder durch, so zeigt sich hinter dem schönen Schein immer das selbe wirtschaftsliberale Strickmuster:
Eine Auseinandersetzung mit der Schul- und Hochschulpolitik wäre ein besonderes Kapitel wert. Dazu nur so viel: Das sozial selektive dreigliedrige Schulsystem wird zementiert. Die Gesamtschulen werden zwar nicht geschlossen, aber finanziell ausgeblutet – in der Tarnsprache heißt das, sie „müssen sich im Wettbewerb bewähren“.
Die Qualitätssicherung macht in Zukunft vermutlich die Bertelsmann-Stiftung. Wozu braucht man dazu noch Pädagogen. Durch Abschaffung der Schuleinzugsbezirke, werden sich die bürgerlichen Kinder in den Grundschulen der Stadtbezirke der Wohlhabenden und die Kinder mit Migrationshintergrund und der sozial Schwächeren in Ghettoschulen treffen.
Keine Rede mehr von den 8000 neuen Lehrerstellen aus dem Portefeuille der FDP und den 4000 neuen Lehrerstellen der CDU. Ihr steht der Bruch eines der am häufigsten plakatierten Wahlkampversprechens auf die Stirn geschrieben.
Wie will man eine „Unterrichtsgarantie“ geben, wenn 4000 Lehrer „bedarfsgerecht“ auf 7000 Schulen verteilt werden. Das ist noch nicht einmal ein Lehrer pro Schule. Braucht man eigentlich neues Personal nicht schon allein dafür, dass schon im fünften Lebensjahr eingeschult oder dass ab dem ersten Schuljahr bereits zu ersten Fremdsprache hingeführt werden soll. (Nun gut, jeder Grundschullehrer kann ein bisschen Englisch.)
Wie heiß die Nadel war, mit der da gestrickt worden ist, zeigt sich aber am deutlichsten an dem Vorschlag, wie die 4000 neuen Stellen erwirtschaftet werden sollen: „Sie werden aus dem jährlichen Abbau von 1,5 Prozent der Stellen in der inneren Landesverwaltung sowie über eine konsequente Umsetzung alter und neuer kw-Vermerke finanziert.“ Da haperte es offenbar schon am Grundschul-Einmal-Eins. Da die personalintensiven Haushalte wie Hochschule, Polizei oder Justiz ausgeklammert wurden, bleiben als „innere Landesverwaltung“ nur die Ministerien selbst und ein paar nachgeordnete Behörden mit – äußerst großzügig gerechnet – kaum mehr als 25.000 Stellen. Nimmt man davon 1,5 Prozent so kommt man bestenfalls auf 400 Stellen pro Jahr, um auf 4000 Stellen zu kommen, müsste die Legislaturperiode der schwarz-gelben Koalition auf 10 Jahre verlängert werden. Schon die bisherige Regierung hat seit Anfang der neunziger Jahren mit sog. Organisationsuntersuchungen durch die einschlägigen Beratergesellschaften einen massiven Stellenabbau begonnen. Dennoch sind inzwischen 10.000 nicht realisierte kw-Stellen aufgelaufen. Wenn die neue Landesregierung also den Rest der versprochenen Lehrerstellen daraus gewinnen wollte, müsste sie ein rasch wirksames Programm für das Frühableben der unkündbaren Bediensteten auflegen oder sie müsste sich an den von vorneherein zum Scheitern verurteilten Versuch betriebsbedingter Kündigungen wagen.
Für jeden, der sich nur ein wenig mit dem Personalwesen im Öffentlichen Dienst befasst hat, ist offensichtlich, dass die Verhandlungen über diese Fragen eher einem Blindenkongress zum Thema Farbenlehre vergleichbar waren, als einem Gespräch unter ernsthaften Personalwirtschaftlern.
Der neue Innovationsminister darf als erste Innovation Studiengebühren einführen um innovativen Köpfen eine zusätzliche finanzielle Barriere vor einem Studium aufzustellen. Wenn es sozialverträglich sein soll, wenn die Studierenden für die Studienentgelte einen Kredit aufnehmen können dürfen, dann ist jedes Darlehen von einer Bank gleichfalls ein sozialer Akt. Auf die Angebote der Kreditinstitute darf man übrigens gespannt sein.
Das wird ein schöner Wettbewerb zwischen den Hochschulen, wenn die großen auf Grund der um ein Mehrfaches höheren Studierendenzahl ein Vielfaches an Gebühren gegenüber ihren kleinen Konkurrenten kassieren können. Auf Dauer dürften Köln, Münster, Bonn, Aachen ihre kleine Schwestern in Siegen, Paderborn oder Wuppertal an die Wand konkurrieren.
Die Kapazitätsverordnungen sind gerichtlich ausgeprägte Garantien zur maximalen Ausschöpfung des Studienangebots. Sollte die neue Koalition ihre Ankündigung wahr machen und diese Garantien abschaffen, dann kann man jedem Studierenden nur raten, sich seinen Studienplatz wie früher wieder einzuklagen. Dagegen hilft auch nicht, dass die Hochschulen ihre Studierenden selber aussuchen können sollen. Wer meint, dass mit Steuergeldern finanzierte Hochschulen – ob als Körperschaft oder als private Stiftung – selber entscheiden könnten, wie viele Studierende sie aufnehmen wollen, der irrt gewaltig.
Es ist durchaus nicht alles schlimm, was CDU und FDP künftig machen wollen, so sind die Korrekturen an Hartz IV durchaus sinnvoll, auch dass es beim Übergang vom Bachelor zum Masterabschluss keine Quotierung geben sollte, ist nur vernünftig. Man könnte aber auch noch eine Vielzahl von Beispielen nennen, wie in der Koalitionsvereinbarung mit verharmlosenden Formulierung nicht mehr und nicht weniger als eine konservative „Modernisierungs“-Politik fortgeschrieben wird.
In Abwandlung der Kurzformel im Koalitionsvertrag von CDU und FDP hieße ein Gegenentwurf:
Freiheit und Gleichheit, Privat und Staat, Erarbeiten und Verteilen, Verlässlichkeit und Mitentscheidung. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob die der Opposition entwöhnten und den Schröder-Kurs bis zur bitteren Wahlniederlage durchhaltenden Sozialdemokraten und die Grünen einen solchen Gegenentwurf entwickeln können.
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