NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Erstes „TV-Duell“ Rüttgers vs. Steinbrück: Hohle Sprüche vs. die Verteidigung einer erfolglosen Politik

Datum: 6. Mai 2005 um 14:12 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
Verantwortlich:

Gestern gab es das groß angekündigte „TV-Duell“ auf RTL. Die Debatte hat das bestätigt, was jeder einigermaßen Informierte schon vorher wusste: Ministerpräsident Steinbrück verteidigte faktenreich und in hanseatisch unterkühlter Präzision die Agenda-Politik sowie deren negative Auswirkungen und er musste daran scheitern, das als erfolgreiche Politik darzustellen zu können.
Rüttgers bot keinen argumentativen Konterpart, wich aus, wo er noch weitere Zumutungen zu Lasten der Arbeitnehmer vor hat, und setzte auf menschelnde Gefühlsduselei.
NRW steht so vor einer Richtungswahl zwischen einem von der Mehrheit abgelehnten Agenda-Kurs und einer Politik des verschärften Sozialabbaus, die mit hohlen Sprüchen zugekleistert wird.

„Informiert“ ist Peer Steinbrück schon besser als Jürgen Rüttgers. Steinbrück weiß z.B. anders als sein Kontrahent genau, dass das Energieeinspeisungsgesetz, mit dem die Windenergie gefördert wird, ein Bundesgesetz ist, das nichts mit dem Landeshaushalt zu tun hat. Er weiß, im Gegensatz zu Rüttgers, dass schon jetzt jedes Unternehmen Arbeitnehmer für zwei Jahre, Existenzgründer gar für 4 Jahre ohne Kündigungsschutz einstellen und feuern dürfen. Steinbrück kann 450 betriebliche Bündnisse aufzählen, mit denen die Tarifverträge durchlöchert worden sind, und er weiß, dass zwei Drittel solcher Betriebsvereinbarungen mit mittelständischen Unternehmen getroffen worden sind. Er kann Rüttgers vor laufender Kamera nachweisen, dass die CDU veraltete Horrorzahlen über den Unterrichtsausfall plakatiert. Steinbrück kennt sich in den Verrechnungsmethoden zwischen Einkommenssteuer und Körperschaftssteuer für mittelständische Unternehmen genau aus und er kann den „Schraubstock“ zwischen Steuermindereinnahmen durch die Unternehmenssteuerreformen und fehlendem Wachstum beschreiben, in den sein Haushalt eingeklemmt ist.

Nur, das Entscheidende begreift Steinbrück offensichtlich nicht, nämlich dass alle Fakten, mit denen er seine Losung „Kurs halten“ verteidigt, ihm keine Sympathien einbringen bei den Wählerinnen und Wählern, die gerade diesen Kurs zu Recht für falsch halten oder zumindest auf diesem Kurs keine Erfolge für sich erkennen.

Wenn er aus der laufenden Kapitalismuskritik ausschließlich eine „Wertedebatte“ machen möchte, dann spürt jeder, dass dahinter keine konkrete Politik zur Verhinderung seiner von ihm beklagten kapitalistischen Auswüchse steht. Genauso im Vagen bleibt dementsprechend sein politisches Hauptziel, den „Zusammenhalt im Lande“ sichern zu wollen.

Zugegeben, Steinbrück hat die Einführung von Studiengebühren abgelehnt, er hat die Tarifautonomie, die Mitbestimmung und den Kündigungsschutz verteidigt. Aber er verteidigt etwa den Kündigungsschutz eben damit, dass er durch die Agenda 2010 schon weitestgehend durchlöchert worden ist und das nicht genug, er ist darauf auch noch stolz: „Das haben wir durchgesetzt“. Darüber werden die von der SPD enttäuschten und in großer Zahl wahlabstinenten Arbeitnehmer so richtig begeistert sein, und sie voller Stolz auf ihre Partei an die Wahlurne treiben – muss Steinbrück wohl glauben. Er muss wohl auch der Meinung sein, dass die Lehrerinnen und Lehrer richtig begeistert sind dass ihnen eine Stunde draufgebrummt wurde, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst so richtig glücklich darüber sind, dass er ihnen so standhaft eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 41 Stunden zumutet. Kein positives Signal zu den gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst oder in der Stahlindustrie. Keine Aussage darüber, dass den Arbeitnehmern in Zukunft nicht noch mehr abverlangt werden kann.

Rüttgers hat – wohl wissend, dass Steinbrück seine Zahlen im Kopf hat – nur Sprüche geklopft: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, „Millionen werden in die Windenergie gesteckt, damit verschandeln wir die Landschaft“, „Mehreinnahmen über mehr Wachstum“, „Wachstum schafft Beschäftigung“ „die Arbeitskosten und nicht die Löhne sind zu hoch“, „soziale Partnerschaft statt Klassenkampf“, natürlich darf der Kampfbegriff der „Einheitsschule“ nicht fehlen oder im Schlusswort: Ich will, „dass es besser wird“, wie es besser werden soll, dazu sagt er nichts.

Rüttgers vermied es tunlichst, irgendwo anzuecken oder er weiß eben nichts Genaues. Er verlangte zwar „mehr Arbeit fürs selbe Geld“, aber eben nur als „flexible Wochenstunden“, Angestellte im Öffentlichen Dienst müssten eben so viel arbeiten, wie Beamte, natürlich keine Abschaffung der Tarifautonomie, sondern eben nur weniger „Bürokratieaufwand für Mittelständler“, sie dürften künftig eben „nicht erst die Gewerkschaften fragen müssen“.

Um Steinbrücks etwas oberlehrerhafte Attitüde zu unterlaufen, setzte er bis zur Peinlichkeit aufs „Menschelnde“, wenn er z.B. Einsparungen im Landeshaushalt bei Behinderten beklagt: „Wenn ich mir vorstelle, ein armer Behinderter muss damit auskommen.“ Er fordert Studiengebühren, obwohl er „längere Zeit“ dagegen war, „mein Vater war Elektriker. Ich komme aus einfachen Verhältnissen“. Herzerweichend zitiert er die viel zitierte „Putzfrau“, die für die Reichen das Studium bezahle. Er schwärmt vom „wunderbaren Land“ mit seinen „ungeheuren Möglichkeiten“. Er bittet um Vertrauen „aus Liebe zu Nordrhein-Westfalen.“ Das einzige, was einen erstaunte, war, wie er bei so viel Beliebigkeit und Konzeptionslosigkeit so „ruhig“ (so das CDU-Flugblatt nach der Sendung) bleiben konnte.

Was Rüttgers bot, war nichts Neues: Sprüche, nirgendwo anecken und menscheln. Das reicht offenbar aus, um in NRW 45% Zustimmung zu erhalten.

Da mögen nach einer Forsa-Blitzumfrage 48% der Zuschauer Steinbrück als Sieger des TV-Duells gesehen haben, er dürfte, wenn er den sozialdemokratischen Stammwählern nicht mehr anbieten kann als in diesem TV-Duell, nach aller Voraussicht am 22. Mai dennoch zur tragischen Figur werden, weil er einen „Kurs“ hält, dem ein Motiv fehlt, was für Wählerinnen und Wähler bei ihrer Stimmabgabe das Entscheidende ist, nämlich dass dieser Kurs bei einer Mehrheit der Bevölkerung Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht.
Ein Hochwasser am Rhein oder eine neuer Krieg der Amerikaner sind als Rettung nicht in Sicht.

p.s.: Dass es der Ministerpräsident zuließ, dass das erste TV-Duell im Privatsender RTL lief, dürfte das von Seiten der Staatskanzlei mit unsinnigen Vorwürfen belastete Verhältnis zum wdr nicht gerade entspannt haben. Aber auch solche Ungeschicklichkeiten muss man wohl dem Fehlglauben der Berater im Umfeld zuschreiben, dass man durch Zumutungen Sympathien gewinnen kann. Es herrscht da wohl der Irrglaube, das nordrhein-westfälische Wahlvolk sei ein Volk von masochistisch veranlagten Menschen.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=554