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Titel: „Hochschulfreiheitsgesetz“ NRW – Elitehochschulen – Der Einfluss von Lobbyorganisationen auf den Staat.

Datum: 20. Oktober 2006 um 10:34 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Markt und Staat
Verantwortlich:

Ein Diskussionspapier für die Hörfunkreihe Funkhausgespräche von WDR 5, am 19. Oktober 2006 unter dem Thema „Hochschulfreiheitsgesetz: Chance oder Ausverkauf der Wissenschaft?“

Meine Kritik am sog. „Hochschulfreiheitsgesetz“ setzt an zwei grundlegenden Stellen an:

  1. Statt mehr Autonomie der Hochschule wird es künftig mehr Fremdbestimmung durch eine Art Aufsichtsrat geben und das wichtigste Steuerungsinstrument wird künftig der Wettbewerb um zusätzliches Geld sein.

    Das sog. Hochschulfreiheitsgesetz ist bestimmt vom liberalen Glaubenssatz, wonach alles was der Staat macht schlecht oder schlechter ist, als es der Markt und der Wettbewerb können.

    Deshalb soll der Einfluss des Staates möglichst weit zurückgedrängt und die Hochschule wie ein privates Unternehmen, mit einem Vorstandsvorsitzenden und einem Aufsichtsrat viel unternehmerische Freiheit bekommen, um sich im Wettbewerb gegenüber den Konkurrenten durchzusetzen.

    An die Stelle demokratischer Rahmengestaltung und akademischer Selbstverwaltung tritt eine Steuerung der Hochschule durch den Wettbewerb um Geld (Studiengebühren, Forschungsdrittmittel). Staat und Parlament werden auf die Rolle des Zahlmeisters für die Grundfinanzierung verwiesen. Das Wissenschaftsministerium könnte eigentlich aufgelöst und in eine Zahlstelle umgewandelt werden.

    Der gesellschaftliche Bildungs- und Forschungsauftrag der Hochschule und die wissenschaftliche Qualität bleiben auf der Strecke.

    Mit der beschönigenden Formel „Verselbständigung“ wird von einer jahrzehntelangen staatlichen Unterfinanzierung der Hochschulen abgelenkt.

    Die Verteilungskonflikte werden von der politischen Ebene auf die Hochschulen verlagert. Zusätzliches Geld soll vor allem auch von privater Seite (über Studiengebühren und Drittmittel für die Forschung) eingeworben werden.

  2. Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ NRW ist nicht das Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses oder der politischen Debatte und schon gar nicht ein Vorschlag, der aus der Mitte der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden stammt.
    Es ist das Produkt einer ideologisch ausgerichteten Lobbyorganisation.

    Die Grundprinzipien dieses Gesetzes wurden von einer demokratisch nicht legitimierten, steuerlich privilegierten und eine ideologische Mission verfolgenden privaten Stiftung, der Bertelsmann Stiftung und ihrem hochschulpolitischen Think-Tank, dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) teilweise sogar Wort für Wort übernommen. Man könnte es auch härter formulieren: Eine politische Lobbyorganisation hat die Rolle eines Schattenministeriums übernommen.

I.

Hochschule in demokratischer Verantwortung versus Wettbewerbs- und Geldsteuerung

Innovationsminister Pinkwart selbst spricht von einem Paradigmenwechsel:

Die Hochschulen sollen von einer sich selbst verwaltenden Körperschaft mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Freiheit der Lehre, des Studiums und der Forschung zu – so wörtlich – „verselbständigten“ „Unternehmen“ umgewandelt werden, die sich den „Herausforderungen“ des „internationalen Wettbewerbs“ und des „Wettbewerbs zwischen Hochschulen“ stellen sollen.

Um diesen Paradigmenwechsel den Hochschulen schmackhaft zu machen, muss der Staat erst einmal zum Buhmann hochstilisiert werden gepaart mit dem Versprechen von größerer Freiheit und dem Anreiz von mehr Geld von Dritten.

Dabei wird übersehen, dass es nach Einführung des Gesetzes weniger Freiheit der Wissenschaft geben wird als je unter dem alten Gesetz. Die Hochschulleitung mit einer „genialischen Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze hat Durchgriffsrechte wie nie zuvor und der Hochschulrat hat eine Fachaufsicht, die es in diesem Umfang über die Hochschulen durch den Staat nie gab.

Die bisherige bloße Rechts- und Finanzaufsicht des demokratisch legitimierten Staates über die ansonsten sich selbst verwaltenden, autonomen Körperschaften Hochschule soll durch die (wörtlich) „Fachaufsicht“ eines eher ständestaatlichen „Hochschulrates“ abgelöst werden. In diesem Aufsichtsrat haben „frei schwebende“ Aufsichtsratsmitglieder – nach aller Erfahrung überwiegend Vertreter der Wirtschaft – das Sagen. „Freischwebend“ nenne ich diesen Hochschulrat auch deshalb, weil anders als bei einem Unternehmensaufsichtsrat im Hochschulrat noch nicht einmal wie in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen die Shareholder, also die Geldgeber sitzen, die dort ihre Einlageinteressen vertreten. Der größte Zahlmeister bleibt schließlich der Staat.

Dieser überwiegend extern besetzter „Hochschulrat“ soll bisher nie gekannte fachliche Aufsichts- und inhaltliche Steuerungsrechte erhalten.
Dieser Hochschulrat entscheidet etwa über

  • die „strategische Ausrichtung der Hochschule“
  • den Hochschulentwicklungsplan und
  • über die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelten Zielvereinbarungen“.

Noch mehr: Den Hochschulen wird ihr ureigenes Recht auf Wahl ihrer Hochschulleitung abgesprochen: Der Rektor oder der Präsident und der Kanzler werden vom Hochschulrat gewählt und durch den Senat nur noch bestätigt.

Die Aufklärung hat Jahrhunderte um die Freiheit der Wissenschaft gegenüber Kirche und Staat gekämpft. Nun wird diese Freiheit einer obskuren Loge wie dem Hochschulrat ausgeliefert.
Wie man an fast allen schon bestehenden Hochschulräten sieht, sitzen in dieser Loge, überwiegend Vertreter der Wirtschaft.

II.

Statt Bildung durch Wissenschaft und Forschung im Dienste der Gesellschaft Steuerung der Hochschulen über Konkurrenz um geldwerte Nachfrage

Eine Hochschule ist kein Unternehmen, das Produkte wie Kartoffeln oder Autos auf den Markt bringt und sich mit diesen Produkten im Wettbewerb um Kunden durchsetzen muss oder kann.

Das gilt für die Lehre wie für die Forschung.

Lehre:

Die Hochschule ist kein Software-Unternehmen, bei dem Studierende ihre Wissensdownloads kaufen können. Die Hochschulen vermitteln den Stand des Wissens und die Methoden, mit denen neues Wissen erarbeitet werden kann. Studieren ist eine aktive Teilhabe an der Pflege und an der Schaffung von neuen Erkenntnissen.

Eine Studierender ist eben kein „Kunde“, genauso wenige wie etwa ein Auszubildender oder ein Leistungssportler ein Kunde ist. Ihnen werden Fähigkeiten vermittelt, die sie zur höchst möglichen individuellen Eigenleistung befähigen und anspornen sollen.

Bei einem Studium sollte es vor allem auch um Bildung durch Wissenschaft und nicht um die Steigerung des „Humankapitals“ gehen. Ein Studium soll eine wertgesteuerte Organisation des Wissens, an ein wertbezogenes erkenntnisleitendes Interesse gebunden sein, an Orientierungswissen eben.

Es geht eben nicht nur um die Vermittlung von zusammenhanglosem Wissen, um das Schwimmenlernen in einem endlosen Datenozean.

Wir sind dabei jegliche Bildungsidee durch Wettbewerb zu ersetzen: Gut ist das Wissen, das nützt, um in der Konkurrenz mit anderen zu bestehen. Man lernt von allem den Preis, aber weiß von nichts mehr den Wert, wie der verstorbene Bundespräsident Rau einmal sagte.

Nebenbei:
Da macht man jetzt schon seit Jahren einen Riesenwirbel um die Elite-Förderung. Seit Jahren weiß man aber auch, dass die Zahl der Studierenden in den nächsten Jahren von 1,9 Millionen auf etwa 2,7 Millionen, also um rund 40 % steigen wird, welche Innovation plant da der Innovationsminister, damit sich die Qualität des Studiums nicht weiter rapide verschlechtert.

Außer den Bachelor-Studiengängen, mit denen die Masse der Studierenden möglichst in einem Durchlauferhitzer durchs Studium geschleust werden sollen, ist unseren Wissenschaftspolitikern nicht viel eingefallen. Und der jetzt diskutierte Hochschulpakt 2020 ist nur ein Trostpflaster.

Forschung:

  1. Nichts gegen Wettbewerb, er ist sicher ein Mittel begrenzte Ressourcen möglichst effizient einzusetzen, also nichts gegen eine betriebswirtschaftlich effiziente Ressourcenverteilung auch an unseren Hochschulen, aber Wettbewerb und Effizienz sind wertblind und eignen sich deshalb nicht als Steuerungsinstrumente für die Forschungsinhalte und für die Forschungsentwicklung.
    Ein Hochschulforschungsinstitut ist kein Ingenieur- oder Beratungsbüro, das vorhandenes Wissen in marktgängige Leistungen umsetzt (sonst brauchte Hochschulforschung ja auch nicht von der Gesellschaft finanziert zu werden).

    Bei Forschung geht es eben gerade nicht darum, ein fertiges Produkt zu verkaufen und es geht auch nicht um Marketing, um dadurch möglichst viele Geldmittel einzuwerben, sondern es geht um Schritte ins Ungewisse. Jede gescheiterte Hypothese ist genauso wichtig wie jede verifizierte.

    Wissenschaftlicher Wettbewerb geschieht über Verifizierung oder über die Falsifizierung von wissenschaftlichen Hypothesen. Es ist ein diskursiver ein offener Prozess, der davon lebt, dass von der Wissenschaftlergemeinde die wissenschaftlichen Hypothesen durchdacht und der Kritik ausgesetzt. Daran misst sich wissenschaftliche Leistung und Exzellenz.

    Spitzenforschung ist herausragendes Arbeiten einzelner Wissenschaftler in einem weltweiten Verbund. Deshalb ist es auch Unsinn, ganze Universitäten mit der Plakette “Elite” zu versehen. Das ist schon deshalb absurd, weil wir es in den modernen Wissenschaften mit einer zunehmenden Spezialisierung und Ausdifferenzierung selbst innerhalb der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen zu tun haben. Keine Hochschule der Welt ist in ihrem gesamten Fächerangebot exzellent. Es sind immer nur einzelne Forschungseinheiten in einzelnen oft recht schmalen Forschungsdisziplinen.

    Nichts gegen einen wissenschaftlichen Wettbewerb unter Forschern, aber wenn selbst an den Stätten, wo höchste Rationalität gefordert ist, der Wettbewerb ums Geld entscheidet, dann hat die Vernunft gegen die Wettbewerbsideologie verloren. Es ist das Ende der Universität, als eine Stätte der Selbstreflexion der Gesellschaft. Kein Wunder auch, dass die Geisteswissenschaften in ein Orchideendasein verdrängt werden. Wir haben es gegenwärtig mit einer immer absurder werdenden Konkurrenzspirale zu tun.
    Die Konkurrenz geht darum:
    Wer wirbt mehr Drittmittel im Verhältnis zum Hochschulbudget ein? Wer publiziert mehr? Wer hat mehr Forschungsprojekte laufen? Wer ist öfter im Ausland? Wer hat mehr Auszeichnungen? (All das waren etwa Ausschreibungskriterien für die sog. „Exzellenz-Initiative“). Wer kann mehr Professoren von der Lehre freistellen, damit sie exzellente Anträge für die Zukunft stellen können.

    Es werden eher Wissenschaftsmanager und Marketingspezialisten als Forscher honoriert. Kasting oder Schaulaufen nicht Forschungsleistungen werden zum Qualitätskriterium.

    Als exzellenter Wissenschaftler gilt heute derjenige, der in der Lage ist viel Geld aufzutreiben. Das hat unmittelbar damit etwas zu tun, dass der Staat sich seit Jahrzehnten nicht in der Lage sieht, die Unterfinanzierung der Hochschulen mit öffentlichen Mitteln auszugleichen. Im Gegenteil: Die öffentlichen Zuwendungen sind in den letzten 10 Jahren eher zurückgefahren worden – siehe Hochschulpakt in NRW: 1000 Stellen gekürzt.

    Ein Wissenschaftler wie Immanuel Kant, der 10 Jahre nach seiner Berufung nur nachgedacht und 10 Jahre nichts publiziert hat, der nie aus Königsberg herausgekommen ist, hätte unter solchen Bedingungen keine Chance mehr.

  2. In einem unternehmerischen Wettbewerb der Hochschulen, wird es wenige Gewinner und viele Verlierer geben. Das gibt der spiritus rector dieses Gesetzes und Leiter des Bertelsmann CHE Detelef Müller-Böling auch ganz offen zu.

    Wir verlieren damit eines der weltweit anerkannten Qualitätssiegel unserer Hochschullandschaft: eine zwar nicht gleichartige, aber eine qualitativ relativ hochwertige und gleichwertige Breite.

    Deutschland liegt zwar im – übrigens durchaus anzweifelbaren – Vergleich der Spitzenhochschulen nicht unter den ersten 50, aber in der Zahl der qualitativ hochstehenden Hochschulen auf Platz 2 – unsere Stärke ist international anerkannt die Breite.

    Mit dem um sich greifenden Wettbewerbsdenken, werden wir angesichts völlig ungleicher Wettbewerbsbedingungen eine zwei-, drei- oder noch mehr geteilte Hochschullandschaft bekommen. Mit einigen wenigen sog. Elitehochschulen mit starkem Forschungsbezug und eine großen Masse von Ausbildungshochschulen in denen Studierende durch verschulte Bachelor-Studiengänge gejagt werden, die mit einem wissenschaftlichen Studium nichts mehr zu tun haben.

    Das lässt sich auch an der jüngst erfolgten Auswahl der sog. Eliteuniversitäten belegen: Die LMU München – eine der drei „Auserwählten“ – hat etwa von 2002 – 2004 mit 131 Millionen Euro mit Abstand die meisten Drittmittel von der DFG eingeworben – die private Auftragsforschung noch nicht eingerechnet.
    Und bei der gleichfalls „auserwählten“ TU Karlsruhe liegen die einzelnen Lehrstuhlinhaber mit über 400.000 Euro pro Professor mit weitem Abstand an der Spitze.
    Und die dritte „Auserwählte“, die TU München hat im CHE-Ranking mit Abstand am besten abgeschnitten. Zufall?

    Wir bekommen sozusagen einen „Bayern-München-Effekt“ unter den Hochschulen: Die „Bayern“ kaufen etwa dem armen FC Cottbus oder dem nicht so finanzkräftigen 1. FC Köln die hoffnungsvollen Spieler ab, sie bauen damit ihre Spitzenposition in der Tabelle aus und Cottbus und Köln steigen eben ab. Was man beim Fußball noch hinnehmen könnte, weil da nur private Vereine oder die Hoffnungen von Fußball-Fans betroffen sind, führt auf der Ebene Hochschulen zu einem weiteren Verlust an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland, zu einem Verlust an allgemeiner Studienqualität und das zu Lasten von hunderttausenden von Studierenden, die aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht an einer Eliteuniversität studieren können.

    Die übrigen Hochschulen geraten in eine Abwärtsspirale von geringerer Reputation und sinkenden Fördermitteln.

    Wie abwegig diese „Tonnenideologie“ ist mag man schon daran erkennen, dass stark ingenieur- oder materialwissenschaftlich ausgerichtete Hochschulen, wegen der relativ teuren Forschung in diesen Fächern, schnell auf große Summen kommen, während geistes-, sozial- oder verhaltenswissenschaftlich geprägte Hochschulen mit den sog. Buch- oder Billigwissenschaften bei solchen Rankings naturgemäß schlecht abschneiden.
    Ein Beispiel: Die Uni Mannheim liegt bei der im Vergleich preiswerteren Forschung in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften bundesweit auf Platz zwei, schaffte es aber im Gesamt-Ranking nicht einmal unter die ersten 40.
    D.h. kleine Unis oder Hochschulen mit Buchwissenschaften schneiden notwendigerweise schlechter ab, obwohl das nichts über ihre Forschungsleistung aussagt.

    Wenn zwei der vier Auswahlkriterien für die drei Elitehochschulen die „internationalen Sichtbarkeit“ und das Kriterium „Zusammenführung regionaler Forschungskapazitäten“ waren, nimmt es auch nicht Wunder, dass die drei „auserwählten“, also die „elitées“ für die Förderlinie “Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung” aus dem Süden der Republik kommen: Dort sind eben die Länder mit Bayern und Baden-Württemberg nicht nur mit der größten Finanzkraft, sondern auch mit dem finanzstärksten und forschungsintensivsten wirtschaftlichen Umfeld. Außerdem haben diese Hochschulen eben eine um ein Vielfaches längere Tradition und entsprechenden Ruf, als etwa die Uni Greifswald oder die Uni Siegen.
    Wer hat, dem wird gegeben. Die Wettbewerbsbedingungen sind schlicht unfair und ungleich.

    Als Vorbild für dieses Wettbewerbsdenken gelten die USA, wo die meisten Ivy-League-Hochschulen private Einrichtungen sind und in weit größerem Umfang private Mittel einwerben müssen.
    Wer aber so tut als wäre es der Wettbewerb, der Harvard oder Stanford in eine Spitzenstellung gebracht hat, täuscht sich und andere. Es ist schlicht der Reichtum bzw. das Geld.
    Der „Hauptgewinn“ für die drei Eliteuniversitäten beträgt gerade mal 21 Millionen Euro.
    Das sind sprichwörtlich Peanuts, wenn man das etwa daran misst, dass allein die Harvard Uni ein Vermögen von 22 Milliarden Dollar besitzt und allein das jährliche Budget im Milliardenbereich liegt.
    Oder nehmen wir ein näher liegendes Beispiel: Der ETH Zürich, die in einem höchst zweifelhaften weltweiten Vergleich, Rang 27 einnimmt, stehen jährlich etwa 700 Millionen Euro zur Verfügung, während etwa die Uni Darmstadt rd. 200 Millionen hat, obwohl Darmstadt 50% mehr Studierende hat.

    Das Zweite was amerikanische Forschungseinheiten gegenüber deutschen auszeichnet – das bestätigen alle jungen Wissenschaftler, die in die USA ausgewandert sind – das ist gerade nicht der Wettbewerb und der Ellbogen, sondern das ist das teamförmige und gleichberechtigte Forschen.

III.

Die Politik verabschiedet sich – eine private Lobbyorganisation wird zum Schattenkabinett.

Die Entstehungsgeschichte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus seiner Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurück zieht und dem Druck und von privaten Lobbyorganisationen nachgibt und sich zur verlängerten Werkbank von ideologischen Think-Tanks degradieren lässt.

Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher dieses Konzept vom Rückzug des Staates, der unternehmerischen Hochschule mit einem CEO (Chief Exekutive Officer) und einem aufsichtsratsähnlichen Hochschulrat stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und dem hochschulpolitischen Arm der Wirtschaft, dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ seit geraumer Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.

Das lässt sich beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ sogar schwarz auf weiß belegen.
Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“.
Dort finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen, die der Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte.

Die Identität beider Papiere ließe sich an vielen Stellen belegen (hier nur zwei Beispiele):

  • In den CHE-Anforderungen heißt es: „Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung“.

    Bei Pinkwart heißt es: Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.“

  • Oder zum Hochschulrat:

    Wortlaut CHE: „In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem die Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektorats und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder sollten extern bestellt werden.“

    Wortlaut Pinkwart: Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule…Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht war. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelten Zielvereinbarung“.

Damit aber noch nicht genug:

Zwei Tage nach Pinkwarts Pressekonferenz meldet sich der Leiter des CHE Detlef Müller-Böling zu Wort und erteilt dem Minister Zensuren:
CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotentiale, heißt es in den CHE-News vom 27. Januar.

Das CHE bewerte Pinkwarts Eckpunkte „überwiegend positiv“. „In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden.“

In dieser Tonlage fährt das Zeugnis des CHE, das sich jeder aus dem Internet holen kann fort: Pinkwart „trägt Rechnung“, „richtig ist“, Pinkwart „sollte“ usw. usf. Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung eines durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung und dem Parlament aus, die nach demokratischen Maßstäben nicht mehr hinnehmbar ist. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.

Wer nun meint Düsseldorf sei eben nicht so weit weg von Gütersloh und es sei ja ganz schön, dass sich ein nordrhein-westfälischer Think-Tank um Landesangelegenheiten kümmert, der verharmlost die Situation.
Das CHE bewertet in gleicher Weise das neue Hochschulgesetz in Sachsen. Das CHE ist quasi in das Kompetenzvakuum eines fehlenden Bundeshochschulministeriums gestoßen und füllt die in unserer Verfassung nicht vorgesehene Rolle eines Bundeshochschulministeriums aus – das allerdings nicht dem Parlament sondern nur der Bertelsmann Stiftung rechenschaftspflichtig ist.

Die Bertelsmann Stiftung ist aber – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – keine neutrale Einrichtung zu gemeinnützigen Zwecken: Sie ist – wie der Tagesspiegel unlängst schrieb – eine „Macht ohne Mandat“.
Kaum ein Unternehmen in Deutschland ist so mächtig wie Bertelsmann.

Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (so der Patriarch des Konzerns Reinhard Mohn) ist sie mit einem Aktienanteil von knapp 60% am Bertelsmann-Konzern die reichste Stiftung in Deutschland und ein höchst einflussreicher Machtfaktur geworden.
Allein im Jahre 2002 wendete die Stiftung rund 70 Millionen Euro auf. Es gibt kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Stiftung mit ihren 250 Akademikern nicht ihre Lösungsangebote macht, von der so genannten Reformpolitik (also etwa der Agenda 2010), über die demografische Entwicklung, die Kommunalpolitik, die Gesundheitspolitik, die Schulpolitik, die Außen- und Verteidigungspolitik bis hin zur Altersvorsorge und zum Bibliothekswesen und dem Wissensportal www.wissen.de oder bis zum jüngsten Familiengipfel, vom Bundespräsidenten, über den Bundeskanzler und die Ministerien, bis hin zur Kommunal- oder Finanzverwaltung überall bietet die Stiftung ihre Konzepte an.

Und natürlich über das zur 75 % von der Stiftung finanzierte CHE vor allem auch auf dem Bereich der Hochschulpolitik, die Reinhard Mohn als Schlüssel zur Gesellschaftsreform sieht.
Man muss sich dazu nur einmal allein die im Internet abrufbare Liste der Projekte und Publikationen ansehen, vom Hochschulmarketing, über die Qualitätssicherung, dem Personalmanagement, vergleichenden Studien über Hochschulabschlüsse, Hochschulrankings, Länderrankings, Benchmarks usw.
Besonders aktiv hat sich das CHE für die Einführung von Studiengebühren eingesetzt, selbst vor manipulativen Meinungsumfragen schreckte man nicht zurück.

Wenn Bertelsmann lädt, kann sich kaum noch einer widersetzen, dem CHE ist es gelungen für nahezu allen Parteien ein unersetzlicher Gesprächs- und Vortragspartner zu werden, es hat sich in die Rolle eines spiritus rectors nahe zu aller Wissenschaftsministerien und aller Parlamente aufzuschwingen. Die Hochschulrektorenkonferenz und das CHE firmieren sogar unter einem gemeinsamen Briefkopf. Nicht zuletzt werden die Botschaften über die konzerneigenen meinungsprägenden Medien verkündet.

Bertelsmann versteht sich als „Motor der Reformen“.
Zitat: „In ihrer Projektarbeit folgt die Bertelsmann Stiftung der Überzeugung des Stifters Reinhard Mohn, dass die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können.“
Überall wo sich Bertelsmann einmischt geht es um die Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb, unternehmerisches Leitungsstrukturen und mehr Effizienz.

Die Sendung ist im Internet nachhörbar [MP3].


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