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Titel: Innovationsminister Pinkwart aus NRW macht den Bock zum Gärtner: Das Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) soll die Umsetzung des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ begleiten.

Datum: 16. November 2006 um 8:56 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyismus und politische Korruption, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft
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Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde nicht nur am Schreibtisch des CHE formuliert, nach seiner Verabschiedung soll es nun auch noch bei seiner Umsetzung von den gleichen „unabhängigen Experten“ begleitet werden, um damit eine „möglichst hohe Qualität bei der Umsetzung zu sichern“.
Nachdem sich also schon der Staat dem Einfluss dieser privaten Lobbyorganisation preisgegeben hat, sollen sich nun auch noch die Hochschulen selbst dem Regime des CHE unterordnen. Wolfgang Lieb.

Die Entstehungsgeschichte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus seiner Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurück zieht und dem Druck und von privaten Lobbyorganisationen nachgibt und sich zur verlängerten Werkbank von ideologischen Think-Tanks degradieren lässt.

Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher dieses Konzept vom Rückzug des Staates, der unternehmerischen Hochschule mit einem CEO (Chief Exekutive Officer) und einem aufsichtsratsähnlichen Hochschulrat stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom Bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und dem hochschulpolitischen Arm der Wirtschaft, dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ seit geraumer Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.

Das lässt sich beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ sogar schwarz auf weiß belegen.
Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“ [PDF – 96 KB].

Dort finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen, die der Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte [PDF – 112 KB].

Die Identität beider Papiere ließe sich an vielen Stellen belegen (hier nur zwei Beispiele):

  • In den CHE-Anforderungen heißt es: „Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung“.
    Bei Pinkwart heißt es: Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.“
  • Oder zum Hochschulrat:
    Wortlaut CHE: „In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem die Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektorats und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder sollten extern bestellt werden.“
    Wortlaut Pinkwart: Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule…Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht war. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelten Zielvereinbarung“.

Damit aber noch nicht genug:
Zwei Tage nach Pinkwarts Pressekonferenz meldet sich der Leiter des CHE Detlef Müller-Böling zu Wort und erteilt dem Minister Zensuren:
CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotentiale, heißt es in den CHE-News vom 27. Januar [PDF – 144 KB].

Das CHE bewerte Pinkwarts Eckpunkte „überwiegend positiv“. „In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden.“

In dieser Tonlage fährt das Zeugnis des CHE, das sich jeder aus dem Internet holen kann fort: Pinkwart „trägt Rechnung“, „richtig ist“, Pinkwart „sollte“ usw. usf. Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung eines durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung und dem Parlament aus, die nach demokratischen Maßstäben nicht mehr hinnehmbar ist.

Nachdem sich nun schon das Ministerium und das Parlament zu Befehlsempfängern von Bertelsmann degradiert haben, dekretiert nunmehr Pinkwart den nun in die „Freiheit“ entlassenen Hochschulen, dass sie über einen Zeitraum von 18 Monaten bei der Umsetzung des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ vom geistigen Urheber dieses Gesetzes, dem CHE „begleitet“ werden sollen. Dazu der im CHE zuständige Prof. Ziegele: „Unsere intensive und beständige Begleitung der Hochschulen bei der Umstellung wird einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der nordrhein-westfälischen Hochschulreform leisten.”
Das CHE wird also die Hochschulen zum Erfolg der von Bertelsmann selbst vorangetriebenen „Reform“ führen.
Der Bock wird so auch noch zum Gärtner gemacht.

Das hätte sich früher einmal der Staat erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.
Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich hingenommen zu werden.

Die nordrhein-westfälischen Hochschulen nehmen ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit wahrnehmen.
Im Mittelalter beherrschten die Kirche und die Monarchen die Wissenschaft die Universitäten, im 21. Jahrhundert ist es Bertelsmann. Eine neue Epoche der Aufklärung ist leider nicht in Sicht.


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