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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Manager erobern die Unis
Datum: 20. Mai 2009 um 16:34 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Referat auf Einladung AStA an der Universität zu Köln, am 19. Mai 2009 über die „unternehmerische Hochschule“, über die Hintergründe für den Leitbildwechsel von der staatlich verantwortete, sich selbst verwaltenden Hochschule zur wettbewerbsgesteuerten Hochschule und über das jetzt schon erkennbare Scheitern der Wettbewerbsideologie bei der zukunftsfähigen Entwicklung der Bildungs- und Hochschullandschaft. Von Wolfgang Lieb
Manager erobern die Unis
Ich möchte das Thema meines Vortrags unter drei Aspekten behandeln,
Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, so rühmt der nordrhein-westfälische Innovationsminister Pinkwart in einer von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre unter dem Titel „Hochschule auf neuen Wegen“ das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz.
(Anmerkung: Wenn ich keine spezielle Quelle benenne, beziehe ich mich auf den Aufsatz in der genannten Broschüre „Hochschule auf neuen Wegen“, 1/2007 [PDF – 1,5 MB])
Nun ist es leider so, dass kaum ein anderer Begriff in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und auch so oft missbraucht wurde, wie der Begriff der Freiheit.
Man tut also gut daran, wenn von „Freiheit“ die Rede ist, immer auch nach der schon von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit zu fragen. Einfacher ausgedrückt: Man sollte immer auch fragen: „Freiheit zu was“ und „Freiheit von was oder Freiheit von wem“.
Stellt man die Kantsche Frage, gegenüber wem Freiheit gewonnen wurde, so wird man feststellen – so meine These – , dass die weit überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden in der „unternehmerischen Hochschule“ – gemessen an ihren früheren Lehr-, Forschungs- und Lernfreiheiten – wesentlich „unfreier“ sein wird und schon ist, als zuvor.
Das Grundgesetz garantiert den Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts eine institutionelle Freiheit in Forschung und Lehre gegenüber dem Staat und der Gesetzgeber hatte in Angelegenheit der Wissenschaft ihre Autonomie zu sichern. Der Staat hatte also eine Rechts- und Finanzaufsicht.
Die „unternehmerische Hochschule“ soll künftig vom Staat weitgehend befreit sein und dafür der „Freiheit des Wettbewerbs“ ausgesetzt werden. Nämlich der Freiheit des Wettbewerbs um die Einwerbung von Drittmitteln und von Studiengebühren. An Geld misst sich künftig also wissenschaftliche Qualität und gute Ausbildung. Man spricht deshalb an den Hochschulen inzwischen über einzelne Fächern als „Cash Cows“ und „Poor Dogs“.
Damit kein Missverständnis aufkommt, ich rede nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort, – pathetisch gesagt, auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.
Pinkwarts Bild vom Wettbewerb ist ein anderes: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsauftraggeber und Investoren, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden.
In der „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Urteil nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es soll von einem „modernen Mangagment“ – so Pinkwart – nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt entschieden werden.
Aber nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.
Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind ausgiebige und oft langwierige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien, wie Pinkwart sagt, nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ gilt.
Die Hochschule im Wettbewerb bedarf deshalb, so Pinkwart, „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder wie der Minister weiter meint „ein modernes Management“, das rasch Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Horizontale bzw. Bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen konsequenterweise von vertikalen, „Top-down“-Entscheidungsbefugnissen der Hochschulleitung abgelöst werden.
Während der Rektor einer Hochschule früher der „primus inter pares“ war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft.
Eine Hochschulleitung nämlich, die von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) durchentscheiden kann.
Man braucht dazu einen Präsidenten oder – wie es im baden-württembergischen Hochschulgesetz konsequenterweise heißt – einen „Vorstandsvorsitzenden“, gegen dessen Stimme keine Entscheidung an der Hochschule getroffen werden kann. (So sieht das § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG auch vor)
Die „Qualität“ einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community. Ein wissenschaftliches Studium bestimmt sich nicht mehr vor allem – wie das der Wissenschaftsrat [PDF – 380 KB] in seinen jüngsten Empfehlungen definiert hat – nach den „Prinzipien der Wissenschaftlichkeit (also einer fragenden, kritischen Haltung, einem Problem- und Methodenbewusstsein, der Strukturierungsfähigkeit, der Selbständigkeit) und des forschungsorientierten Lernens“, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich deren Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“ (Pinkwart).
Dabei sollen die einzelnen Hochschulen „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“. (Pinkwart))
Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft mit einigen wenigen Spitzenhochschulen mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der gesellschaftlichen „Elite“ und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.
Diese Trennung von „Spreu“ und „Weizen“ wird übrigens noch dadurch verschärft, dass die Masse der Studierenden in verschulte Bachelor-Studiengänge gedrängt wird und nur noch eine quotenmäßig festgelegte, kleine Gruppe zu einem Masterstudium mit wissenschaftlichem Anspruch zugelassen wird.
Damit die Gesetze des Wettbewerbs auch wirken können, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat, die Politik, die Selbstverwaltungsgremien oder sonstige nicht marktgängige gesellschaftliche Anforderungen aus dem Wettbewerbsgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
So soll denn auch das Parlament künftig allenfalls noch der Zahlmeister für die Grundfinanzierung der Hochschulen sein, der „Zuschüsse“(!) gewährt.
An Stelle des demokratisch legitimierten Ministeriums oder des Parlaments als rahmensteuernde Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, künftig eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ an die Seite gestellt.
Dieser sog. Hochschulrat, so regelt es das HFG, „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“
Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Diese Findungskommission entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen der Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das dann den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.
Pinkwart meint mit dem im Gesetz vorgesehenen Auswahlverfahren – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – sei (Zitat) „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.
Was Pinkwart allerdings verschweigt, ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die gesamte fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig ist.
Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler und über dessen Verteilung an den Hochschulen nach ihren persönlichen oder ihren gesellschaftspolitischen Interessen und Grundhaltungen.
Der Hochschulrat hat eine bisher bei körperschaftlich organisierten und selbstverwalteten Hochschulen nie gekannte weitgehende „Fachaufsicht“!
Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:
Am Wichtigsten sind dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat.
Detlef Müller-Böling, der ehemalige Chef des Bertelsmann Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet:
Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“
Pinkwarts Vorstellung ist: Der Hochschulrat „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.
Fragt man allerdings einmal danach, woher diese gesellschaftlichen „Impulse“ kommen, so zeigt die bisherige Praxis, dass fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, solche „Impulse“ vor allem von Repräsentanten aus der Wirtschaft, meist der Groß- und Finanzwirtschaft kommen.
Nienhüser/Jakob von der Universität Essen kommen in einer neueren Studie (Hochschul Management 3/2008) zum Ergebnis: „Es sind besonders diejenigen Personen in Hochschulräten vertreten, die für die Hochschule wichtige Ressourcen kontrollieren bzw. denen man eine entsprechende Ressourcenkontrolle zuschreibt“ und denen „Managementerfahrung“ zuerkannt wird.
Nach einer Studie der Ruhruniversität Bochum [PDF – 481 KB] werden die Mitglieder externer Hochschulräte mit jeweils einem runden Drittel aus der Wirtschaft und der Wissenschaft rekrutiert, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren.
Während an Universitäten die Großunternehmen eindeutig dominieren, werden insbesondere an Fachhochschulen, aber auch bei privaten und technischen Hochschulen die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen mit regionalem Bezug wichtiger. Bei den Fachhochschulen, technischen Universitäten und privaten Hochschulen sind die Anteile der Wirtschaftsvertreter deutlich höher.
Was aber noch signifikanter ist: Unter den Hochschulratsvorsitzenden liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter bei knapp der Hälfte, nämlich 47 Prozent. So auch Niehüser/Jakob . Vorsitzender des Hochschulrats der Universität zu Köln ist Dr. Richard Pott vom Vorstand der Bayer AG.
Kein Wunder, dass das Handelsblatt vom 12. Oktober 2007 titelte: „Manager erobern die Kontrolle an den Unis“.
Ein weiteres rundes Fünftel der externen Hochschulratsmitglieder kommt aus Politik, Verwaltung oder von anderen Interessengruppen. Nur rund ein Zehntel kommt aus sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens.
Vertreter aus anderen gesellschaftlichen Gruppen sind im Vergleich zur Arbeitgeberseite in den neu geschaffenen Steuerungsgremien der bundesdeutschen Hochschulen so etwa die Gewerkschaften mit 3% nur marginal vertreten.
Das konzeptionelle Vorbild vieler Hochschulräte in der Bundesrepublik werde – so die Studie – anhand der Terminologie des Baden-Württembergischen Hochschulgesetzes (2002) besonders deutlich: Seit 2005 heißen die Hochschulräte dort konsequenterweise „Aufsichtsräte“ – und der Hochschulpräsident bzw. der Rektor wird als „Vorstandsvorsitzender“ der Hochschule bezeichnet.
Es zeige sich – so die Studie – eine Erosion der klassischen Verbändebeteiligung. Vor allem Unternehmer oder auch Medienvertreter würden in vielen Politikfeldern als neue strategische Ressourcen für gesellschaftliche Impulse betrachtet.
Die Kompetenzen der Hochschulräte – so die Studie weiter – gingen zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch die Landesparlamente und durch die Landesregierungen sowie (vor allem) zu Ungunsten der Selbstverwaltung der jeweiligen Hochschule.
Studierende, akademischer Mittelbau und nichtwissenschaftliche Angestellte sind nur zu jeweils zwischen 9 und 14 % (als interne Mitglieder) in Hochschulräten vertreten. An der hiesigen Uni z.B. sind diese Gruppen gar nicht vertreten.
Dieser Trend wird in der Politikwissenschaft mit den Stichworten „Personalisierung“ und „Zerfaserung“ der Staatlichkeit diskutiert: „Man könnte auch von einer „Privatisierung“ der Organisationsverantwortung sprechen“, so fasst die Studie zusammen.
Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte eine funktionelle Privatisierung der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen.
Ich bin seit fünf Jahren Mitglied in einem Hochschulrat und habe dabei eigene Erfahrungen sammeln können, die mir auch von Mitgliedern in anderen Hochschulräten bestätigt wurden:
In der Regel ist es so, dass die Hochschulräte die ohnehin per Gesetz massiv gestärkte Durchgriffsgewalt der Hochschulleitungen noch verstärken. D.h. die Präsidenten oder Vorstandsvorsitzenden können mit ihrem Hochschulrat im Rücken jeden Widerstand der Hochschulmitglieder gegen ihre Top-down-Entscheidungen brechen.
Von daher versteht sich auch die grundsätzlich positive Einstellung der Hochschulleitungen zu den Hochschulräten von selbst.
Bei Hochschulräten, die – wie die schon zitierte Studie festgestellt hat und wie es auch meiner Erfahrung entspricht – in der großen Zahl der Hochschulen im besten Fall einmal vierteljährlich zusammentreten, um dann durchschnittlich allenfalls rund vier Stunden tagen, hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedenfalls die externen Mitglieder des Hochschulrates.
Hinzu kommt: Laut der Studie der Uni Bochum bieten in 63% der Fälle ausschließlich die Rektorate die „Unterstützungsstrukturen“ für die Hochschulräte und nur ein Drittel verfügt über einen Apparat – der allerdings sehr klein sein dürfte. In meiner Hochschule haben wir noch nicht einmal einen Sachbearbeiter.
Im wirklichen Leben sieht das dann so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen der Präsident versucht, den Vorsitzenden des Hochschulrats in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird anschließend im Hochschulrat „durchgewinkt“. So kann der Präsident in aller Regel jeden Widerstand der hochschulinternen Gremien aushebeln.
Die Eingangsfrage, für wen das „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt, lässt sich also ziemlich eindeutig beantworten:
Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit nur durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter äußere Wettbewerbszwänge und unter der Kommandogewalt eines CEO wahrnehmen.
Mir fällt dazu der Satz von Jean-Jacques Rousseau ein: „Keine Unterwerfung ist so vollkommen wie die, die den Anschein der Freiheit wahrt. Damit lässt sich selbst der Wille gefangen nehmen.”
Exkurs: Zielvereinbarungen
Und sollte sich eine Hochschule immer noch die Freiheit nehmen, sich den Zwängen des Hochschulfreiheitsgesetzes mit seiner wettbewerblichen Steuerung zu entziehen, hängt über ihr das Damoklesschwert der „Zielvereinbarung“.
Das sind Vereinbarungen (mit einem früher unvorstellbaren Detaillierungsgrad) zwischen der Hochschulleitung und dem Ministerium (d.h. wiederum ohne parlamentarische Einflussmöglichkeit) „für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“. (So § 6 Abs. 2 HFG).
Danach kann der Minister mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. (Zitat) „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.
Und wenn der Geldanreiz dann immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann gilt sozusagen der alte Mafiabrauch, entweder wir einigen uns oder der Minister erzwingt das von ihm vorgegebenen Verhalten:
In § 6 Abs. 3 HFG heißt es: „Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.“
Das erinnert mich an den Ausspruch des legendären Mafia-Chefs Al Capone: „Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole in der Hand erreicht man mehr als mit einem freundlichen Wort allein.“
Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit
Unsere Hochschulen waren im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert wahrlich nicht im besten Zustand. Es gab erheblichen Reformbedarf. Dazu könnte ich Ihnen als damaliger Staatssekretär ein langes Klagelied vorsingen.
Ganz so schlecht konnten die staatlichen Hochschulen aber nicht sein, wenn die „als Stachel im Fleisch“ gegründeten privaten Hochschulen in Deutschland, jedenfalls in der Breite nie zu einer echten Konkurrenz aufsteigen konnten. Gerade mal 100.000 der knapp 2 Millionen Studierenden hierzulande sind an privaten Universitäten eingeschrieben – und dabei rechne ich etwa die zahlreichen kirchlichen Hochschulen schon mit. Da gab es offenbar keine große „Marktlücke“, dazu war das Studienangebot der staatlichen Universitäten und Fachhochschulen einfach zu gut.
Trotz der Überfüllung unserer Hochschulen führte ein Studienabschluss jedenfalls in aller Regel zur Befähigung zur selbständigen Bearbeitung von neuen Problemen mit wissenschaftlichen Methoden.
Wenigstens dem Anspruch nach galt das alte Prinzip „Bildung durch Wissenschaft“.
Wie konnte es geschehen, dass der aufklärerische Kern der deutschen Hochschultradition durch ökonomische oder – besser gesagt – durch pseudoökonomische Wahrheits- oder Geltungsansprüche ersetzt werden konnte?
Wie kam es zum Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung auch in der Wissenschaft?
Wie kam es also zum „größten Umbruch“ seit den preußischen Hochschulreformen?
Dieser Paradigmenwechsel kam nicht über Nacht, sondern ihm ging ein Wandel des gesellschaftspolitischen Leitbildes über mehr als ein viertel Jahrhundert voraus.
Ausgehend von den USA – stark beeinflusst von der sog. Chicagoer Schule um Milton Friedman – ging der Ruf nach der „Befreiung“ der Märkte rund um den Globus. Vom Washingtoner Konsens, über die Welthandelsorganisation IWF oder der Weltbank setzte sich in Abgrenzung zum seit der ersten Weltwirtschaftskrise vorherrschenden Keynesianismus, der dem Staat eine aktive Rolle im wirtschaftspolitischen Geschen zuschrieb, ein neues liberales Denken durch, das mit Schlagworten Privatisierung, Deregulierung, Wettbewerb und drastischen Einschränkungen bei den Staatsausgaben und damit Zurückdrängung des Staates zusammengefasst werden kann.
In der praktischen Politik standen dafür die Begriffe Reaganomics bzw. in England der sog. Thatcherismus. In Deutschland könnte man die Wende mit dem Scheidebrief an die sozial-liberale Koalition, dem sog. Lambsdorff-Papier im Jahre 1982 festmachen.
Der Kampfparole der Reagonomics „starve the beast“ folgend kam es auch in Deutschland nach Kohls „geistig moralischer Wende“ zu einer gezielten Verarmung des Staates.
Der damit notwendig einhergehenden Verschlechterung der öffentlichen Leistungen auf vielen gesellschaftlichen Feldern folgten Kampagnen der Miesmache des staatlichen Angebots verbunden mit dem Versprechen der Markt und der Wettbewerb könnten alles besser als der Staat.
So wurde etwa auf dem Feld der Hochschulpolitik die Phase des Hochschulausbaus durch eine zunehmende Sparpolitik gestoppt. Bund und Länder fassten damals den sog. „Öffnungsbeschluss“.
Die Hochschulen sollten etwa ein Jahrzehnt lang eine „Überlast“ an Studierenden bei etwa gleich bleibendem Budget und stagnierendem Lehrpersonal akzeptieren.
Diese sog. „Untertunnelungsstrategie“ gehörte zu den größten Lebenslügen in der Hochschulpolitik der Nachkriegszeit.
Sie können die Fakten in den jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium [PDF – 380 KB] oder auch im Bildungsbericht 2008 von KMK und BMBF [PDF – 5,0 MB] nachlesen:
Über die ganze Spanne von 1972 bis 2005 betrachtet (Basisjahr 1972)
ist die Studierendenzahl um fast das 3-fache, die Professorenzahl dagegen nur um das 1,8-fache angestiegen.
Die Betreuungsrelationen haben sich dementsprechend an beiden Hochschultypen über die Zeit hinweg dramatisch verschlechtert:
Kamen 1972/73 40 Studierende an den Universitäten und weit unter 20 Studierende an den FHS auf einen hauptberuflichen Professor, so waren es 2005/2006 über 60 an den Unis und knapp 40 an den FHS. In den Wirtschaftswissenschaften sind es derzeit 93 Studierende, in den Sozialwissenschaften gar 104 Studierenden pro hauptberuflichem Professor. Die Betreuungsrelationen lagen jedenfalls weit unter dem internationalen Standard.
Die Länder haben angesichts einer oftmals schwierigen Haushaltslage zu verschiedenen Zeitpunkten mit einer Erhöhung des regelmäßigen Lehrdeputats der Professoren reagiert. Lag dieses im Jahr 1970 an den Universitäten noch bei 6 SWS, liegt es heute bei 8, in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen bei 9 SWS.
Diese Sparpolitik dauert bis heute an:
Laut „Bildungsbericht 2008“ ging der Anteil der Bildungsausgaben gemessen am BIP ging von 6,9% im Jahr 1995 auf 6,3% im Jahr 2005 und auf 6,2% im Jahr 2006 zurück.
Insofern könnte man es als ein erfreuliches Signal aufnehmen, dass auf dem Bildungsgipfel in Dresden eine Anhebung der Bildungsausgaben bis 2015 auf 10% des BIP zum Ziel erklärt wurde. Leider gab es keinerlei Beschlüsse wie viel der Bund, die Länder, die Kommunen und nicht zu vergessen wie viel die Wirtschaft beitragen sollen und wollen. Der Bund hat jedenfalls keinerlei konkrete Zusagen gemacht.
Die Parole von der „Priorität für Bildung“ hören wir nun seit Jahren auf jeder Sonntagsrede, da das Gegenteil geschehen ist, fehlt allmählich der Glaube.
10% gegenüber dem heutigen Ist von 6,2% (2006) des BIP das wären – so hat man berechnet – zwischen 25 bis 50 Milliarden Euro mehr. Allerdings erst in 7 Jahren.
Das hört sich zwar gut an, ein Zahlenvergleich aus dem Bildungsbericht lässt aber ernüchtern:
Wären etwa im Jahr 2005 nur wie 1995 6,9% des BIP für Bildung aufgewendet worden, hätten dem Bildungsbereich zufolge schon damals rund 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden.
Auf ein Vielfaches dieses Betrages hat man zwischenzeitlich durch die Senkungen von Unternehmensteuern verzichtet – allein im letzten Jahr auf weitere 5 Milliarden. Von den Kapitalbeteiligungen an der Commerzbank oder der Kreditgarantie für Hypo Real Estate in Höhe von inzwischen über 100 Milliarden und von dem Rettungspakt zur Stabilisierung des Finanzsystems in Höhe von fast 500 Milliarden Euro wollen wir gar nicht erst reden.
Wenn man das Rettungspaket für die Banken mit den Ergebnissen des Bildungsgipfels vergleicht, ist man geneigt, den alten Slogan etwa so abzuwandeln: Bei den Banken sind sie fix, für die Bildung tun sie nix! Vom „systemischen“ Risiko kaputt gesparter Hochschulen spricht jedenfalls niemand.
Der herrschenden angebotsorientierten ökonomischen Lehre entsprechend, wird vor allem die Investitionsseite gefördert, obwohl inzwischen kaum mehr bestreitbar ist, dass Humanressourcen in hoch entwickelten Volkswirtschaften für die Wirtschaftsdynamik wichtiger sind als das Sachkapital.
An den real existierenden, jedoch politisch herbeigeführten Problemen der Hochschulen setzten die selbsternannten „Reformer“ an und verkauften ihre Reformangebote als alternativlose Wege aus der Misere.
Nicht mehr aus den Hochschulen heraus oder wenigstens mit den Hochschulen zusammen wurden die Reformvorstellungen entwickelt, sie wurden von außen an sie herangetragen.
Zermürbt von Überlast, systematischer Unterfinanzierung und einer allgemeinen Professorenschelte hatten die Hochschulen der feindlichen Übernahme durch die „Reformer“ nichts mehr entgegenzusetzen. Wie bei der Begründung für den Abbau des Sozialstaats wird das bewusst und vorsätzlich vernachlässigte staatliche Hochschulsystem zum Sündenbock erklärt.
Der wirkungsmächtigste Motor für die Hochschulreformgesetze war die Bertelsmann Stiftung und das 1994 gegründete überwiegend von Bertelsmann finanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).
Das lässt sich gerade beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ besonders gut belegen.
Dieses Gesetz wurde am Schreibtisch des CHE entworfen und bis zu seiner Umsetzung in die Hochschulen hinein begleitet. Sie können das selbst von den „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“ [PDF – 93,6 KB] vom 15. Dezember 2005 über die „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 87 KB] von Innovationsminister Pinkwart vom 25. Januar 2006, bis hin zur Beauftragung des CHE durch das Ministerium, die Hochschulen bei der Umsetzung des Gesetzes zu begleiten, durch die entsprechenden Dokumente im Internet selbst überprüfen. (Siehe auch die oberlehrerhafte Bewertung von Pinkwarts „Eckpunkten“ durch das CHE [PDF – 143 KB] .
Hochschulpolitik ist der „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“, das erkannte der Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn schon Ende der 70er Jahre. Die 1977 gegründete Bertelsmann Stiftung sollte deshalb vor allem auch helfen, die „verkrusteten Strukturen“ auch an den Hochschulen aufzubrechen.
Die Mission der Stiftung gründet auf der Bertelsmannschen „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Und immer ging es bei Bertelsmann auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der Steuerlast.
Mohn gab sein ursprüngliches Engagement, die Private Universität Witten-Herdecke als „Stachel ins Fleisch“ der staatlichen Hochschulen zu setzen, auf.
Der Strategiewechsel folgte wohl der Einsicht, dass es viel effizienter ist, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen zu organisieren und in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um ergänzende Drittmittel für die Forschung und über die Einwerbung von Studiengebühren die Lehre steuern zu lassen. 1994 gründete die Bertelsmann Stiftung das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Dessen langjähriger Leiter Detlef Müller-Böling äußerte sich anlässlich der Krise um die Private Universität Witten Herdecke in einem Interview Anfang Januar äußerst freimütig: “Die Unternehmen brauchen heute nicht mehr eigene Hochschulen zu gründen, um sinnvoll zu investieren, sie können das an den staatlichen Hochschulen tun. Die sind nach der Entfesselung qualitativ genauso gut, wenn nicht besser.”
Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber um so standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot und so veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulrefomerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.
Natürlich steht das CHE nicht allein. Wie der Privatisierungsreport 6 der GEW [PDF – 339 KB] darstellt, gehören dazu etwa auch er Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), München, das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.(IW), Köln, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH, Köln (INSM) oder die McKinsey & Company Inc., Düsseldorf und viele andere mehr.
Und natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese meist von der Exekutive eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke und seine Medienmacht wird der Bertelsmannsche „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Bertelsmann-Konzern schafft.
Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-Tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zog sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück. und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.
Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen geschehen ist.
So hat sich inzwischen in unserem Lande eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die – wie bei Bertelsmann streng hierarchisch organisiert – ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die demokratisch legitimierte Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten, Selbstverwaltungsgremien und Exekutive unterwandert und dazuhin gleichzeitig mit ihrer Medienmacht die öffentliche Meinung prägt.
Demokratisch legitimierte Verantwortung über wichtige gesellschaftliche Bereiche wird so mehr und mehr durch private Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar schon ersetzt.
Dieser schleichende Systemwechsel vom demokratischen Wohlfahrtsstaat zu einer Art Timokratie, also der Herrschaft des Geldes, wird mit dem Pathos von „mehr Freiheit“ vorangetrieben.
In der internationalen ökonomischen Theorie, war das nach dem Scheitern der Reagonomics schon längst ein Thema. Paul Krugman, einer der Kritiker des Fetischs der „invisible hand“, hat für seine Aufdeckung von Marktunvollkommenheiten jüngst noch den Nobelpreis erhalten.
In Deutschland wurden die Verheißung über die Weisheit der Märkte und die Überflüssigkeit des Staates zur absolut herrschenden Lehre und zum politischen Leitbild, das sämtliche Reformen der letzten Jahre prägte: Immer lautete die Botschaft Wettbewerb, Deregulierung, Privatisierung, Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, der Mitbestimmung und der Selbstverwaltungsrechte und weniger Staat.
Der Wettbewerb wurde zur Lebensform, schrieb Susanne Gaschke vor unlängst in der ZEIT:
Effizienz. Rendite. Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Wer anders dachte, geriet schnell in die Defensive.
Die Finanzmarktkrise sollte allen die Augen geöffnet haben, dass Wettbewerb und freier Markt keineswegs Garanten für Effizienz und optimale Ergebnisse sind, sondern dass Deregulierung und Entstaatlichung auch geradewegs in eine Katastrophe führen können.
Ende Oktober 2008 fand in Dresden der sog. Bildungsgipfel statt. Neben dem wichtigen Thema einer erhöhten „gemeinsamen Bildungsfinanzierung“ standen „gemeinsame Leitlinien“ von Bund und Ländern im Bereich der Bildung an erster Stelle der Agenda. Also etwa die Forderung nach nationalen Bildungsstandards, nach vergleichbaren Zugangsregeln zu den Hochschulen, nach einem bundesweiten Stipendiensystem, nach der Fortentwicklung des nationalen Hochschulpakts.
Kurz: Es hat sich offenbar ein dringender Bedarf nach Gemeinsamkeit und länderübergreifenden staatlichen Rahmensetzungen herausgestellt.
Sie erinnern sich sicherlich noch gut daran: Erst vor drei Jahren, Ende 2005, wurde die „Mutter aller Reformen“, die Föderalismusreform, verabschiedet. Ein wichtiger Bestandteil dieser Reform, war, dass die Rahmengesetzgebungs-Kompetenz des Bundes im Hochschulwesen noch weiter aufgeweicht und zugunsten der Länderzuständigkeit weitgehend abgeschafft wurde. Es war der Systemwechsel vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus.
Als Begründung für die Vermehrung der Länderzuständigkeiten hörte man landauf landab, dass mehr Deregulierung und mehr Wettbewerb zwischen den Ländern ermögliche und dass dies unser gesamtes Land – endlich – voranbrächte.
Schon vier Jahre später muss man aber nun erkennen, dass der Wettbewerb zu Partikularismus, z.B. zu einem Verlust der Vergleichbarkeit der Abschlüsse, zu einem Chaos bei den Zugangsbedingungen führte und dass nationale Standards und Rahmensetzungen unumgänglich sind.
Es ist doch geradezu ein Schildbürgerstreich: Zuerst mauern die Länder die Tür zum Bund zu und jetzt will der Bund z.B. im Rahmen des Konjunkturprogramms Geld auch in Bildung investieren. Aber das darf er eigentlich gar nicht. Also muss man die so dringend notwendigen Investitionsmittel in Schulen und Hochschulen, als „energetische“ Sanierung umdefinieren. Das hilft zwar auch, aber die Hochschulen brauchen mehr und anderes als Fassadendämmung und wärmeisolierte Fenster.
Es ist schon ziemlich grotesk: Da bietet der Bund auf dem Bildungsgipfel im letzten Herbst für die Fortführung des Hochschulpakts Milliarden für den Ausbau der Hochschulen um 275. 000 Studienplätze an, damit der demografisch bedingte Anstieg der Studienbewerber und die doppelten Abiturjahrgänge aufgefangen werden können.
Doch die im Wettbewerb stehenden Länder brauchen Monate um ein Konzept zustande zu bringen, wie sie die Mittel verteilen wollen. Und nach wie vor steht die Finanzierung auf wackeligen Beinen.
Wir erleben mittlerweile im Wochentakt, wie sich Bund und Länder in Bildungsfragen nicht einigen können und am Ende mit einer schlichten Vertagung der kritischen Punkte verbleiben.
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern hat Anfang April auch die Einführung eines Stipendiensystems beerdigt.
Oder ein Beispiel aus der Schulpolitik: Früher gab es bundesweit eine weitgehend einheitliche Besoldung. Dann wurde beschlossen, dass die Länder das Gehalt jeweils selber festlegen sollen. Reiche Bundesländer können aber mehr zahlen als arme Länder. Deshalb werden die Lehrerinnen und Lehrer jetzt mit Geld aus den armen Ländern weggelockt.
Jetzt gibt es in den armen Ländern zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Das ist Wettbewerb auf dem Rücken der Schulkinder.
Geradezu ein bildungspolitischer Skandal ist das Chaos bei der Hochschulzulassung.
Obwohl fast zwei Drittel der neuen BA/MA-Studiengänge zulassungsbeschränkt sind, blieb jeder fünfte dieser Studienplätze frei, weil sich die Hochschulrektoren einem angeblichen „Zulassungszentralismus“ verweigern. Nach einer Umfrage des Handelsblatts vom 3. März dieses Jahres blieben z.B. an der Goethe-Universität Frankfurt im Wintersemester 807 Plätze in zulassungsbeschränkten Fächern unbesetzt – das waren rund 19 Prozent ihrer Kapazität. Sogar mehr als 30 Prozent blieben z.B. in den Fächern Wirtschaftspädagogik oder Biologie unbesetzt.
An der TU Dresden sind die Erstsemesterplätze lediglich zu 82 Prozent ausgelastet.
An der Elite-Uni FU Berlin und an der Universität Duisburg-Essen blieben im Winter fünf Prozent der an beiden Universitäten zusammen insgesamt fast 8 000 Erstsemester-Studienplätze unausgelastet, weil zu viele Bewerber letztlich doch anderswo hin gingen und die Zulassungsbeschränkungen offensichtlich zu hoch angesetzt waren, berichtet das Handelsblatt.
Durch unausgeschöpften Kapazitäten werden nicht nur Steuergelder vergeudet, sondern es werden tausende von studierwilligen jungen Menschen, die keinen Studienplatz bekommen, enttäuscht und entmutigt.
Doch der Kleinstaaterei in der Hochschulpolitik war die „Zentral“-Stelle für die Studienplatzvergabe ein Dorn im Auge. Hinzu kam noch, dass die nunmehr für die Hochschulen weitgehend allein zuständigen Länder die vorherrschende Wettbewerbsideologie auch noch auf die Hochschulen ausdehnten. Im „Wettbewerb um die besten Köpfe“ drängten die Hochschulen darauf, ihre Studierenden selbst auswählen zu dürfen.
Viele Hochschulrektoren spielen sich seither auf wie Duodezfürsten und verteidigen, wie das Chaos bei der Hochschulzulassung beweist, mit aller Macht ihre winzigen „Fürstentümer“ gegen alle Vernunft und gegen staatliche Regelungen für ein einheitliches Hochschulzulassungsverfahren.
Der Start eines bundesweiten Bewerbungssystems ist gerade erst auf Herbst 2011 verschoben worden – ob es dann auch funktioniert, weiß keiner. Mit der Einrichtung einer Internet-Tauschbörse à la eBay lässt sich vermutlich das Studienplatz-Chaos nicht auflösen.
Dabei stünde bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) ein funktionsfähiges Portal auch für (wohlgemerkt) dezentrale Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zur Verfügung.
Ich könnte Ihnen noch an vielen Beispielen wie etwa auch am Beispiel der Studiengebühren belegen, dass Markt und Wettbewerb als Steuerungsinstrument für die Hochschulen, für die Lehre und die Forschung zu Fehlsteuerungen, wenn nicht gar ins Chaos führen. Leider habe ich das mir zugestandene Zeitbudget jetzt schon überschritten.
Was wir an den Hochschulen in Deutschland nicht brauchen, ist Ellbogenmentalität und die Wertblindheit der „invisible hand“, was Forschung und Lehre dagegen brauchen ist Vernunft und Sachverstand und eine der Wissenschaft angemessene Organisationsform, zu der am besten diejenigen beitragen können, die Forschung und Lehre betreiben.
Zum Glück wächst der Widerstand allmählich. So schrieb etwa selbst die FAZ vor kurzem:
Wann endlich wird die Phrase von der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems“, die stets herhalten muss, um sinnwidrige Belastungen eines durchaus funktionierenden Systems zu begründen, an dem gemessen, was das deutsche Hochschulsystem ja bereits ist: nämlich international wettbewerbsfähig.
Ich komme zu meinem Fazit:
Bildung als „Ware“ führt nicht zu „wahrer Bildung“. Die Wettbewerbs- und Marktparadigmen zur Steuerung der Hochschule sind ein Irrweg.
Hochschulpolitik tut Not.
Die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ist aufgefordert,
wieder eigenständig und orientiert an bildungs- und wissenschaftspolitischen Prinzipien nach alternativen Wegen für eine Re-Reform der Hochschulen zu suchen.
Download: Referat auf Einladung AStA an der Universität zu Köln – “Manager erobern die Unis” [PDF – 128 KB]
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