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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Bundespräsident Köhler stützt die Propaganda der Regierenden, statt dem Volk mit einem ehrlichen Wort beizuspringen
Datum: 29. Dezember 2008 um 13:51 Uhr
Rubrik: Bundespräsident, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Albrecht Müller
Der Kabarettist Georg Schramm hat einen Antrag auf Amtsenthebung von Bundespräsident Köhler wegen arglistiger Täuschung des deutschen Volkes vorgeschlagen. „Köhler lügt“, so Schramm. Das ist hart. Zu hart, so könnte man meinen. Tut mir leid, ich sehe es genau so. In der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten folgt ein Täuschungsversuch dem andern. In den Worten von Georg Schramm: „Wir werden systematisch getäuscht und hinters Licht geführt.“ Systematisch arbeiten die führenden Kreise daran, jenseits der Realität und oft in vollem Gegensatz zur Wirklichkeit mit abgesprochenen Formeln eine Scheinwelt aufzubauen. Meinungsmache prägt den öffentlichen Dialog. Ein markantes Beispiel dafür ist Köhlers Behauptung, die Politik habe „entschlossen“, „klug und besonnen“ auf die Finanzkrise reagiert. Albrecht Müller
Darauf komme ich gleich. Köhlers Ansprache enthält trotz aller Kürze noch eine Reihe weiterer Propagandaelemente, die die Wirklichkeit vertuschen sollen:
Bei diesem Thema kennt sich der Bundespräsident und frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds, Finanzstaatssekretär in der Regierung Kohl und Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes a.D. bestens aus. Es ist keine böswillige Unterstellung, wenn man annimmt, dass er auch heute wie in den letzten 20 Jahren insgesamt über viele Kanäle bestens informiert ist: über Gefahren, über Schachzüge, über Hintergründe – mehr als die große Mehrheit der Abgeordneten und sonstigen Regierungsmitglieder.
Und dennoch behauptet Horst Köhler, der Staat habe entschlossen gehandelt, um die Betriebe zu schützen und um Arbeit und Einkommen der Menschen zu sichern, die Politik habe klug und besonnen reagiert.
Das ist in vieler Hinsicht falsch und es ist, weil der Bundespräsident die Sachverhalte kennen muss, eine schlimme systematische Täuschung seiner „lieben Landsleute“ am Weihnachtsabend:
Erstens: Der Staat, die Bundesregierung, hat sehr wohl entschlossen gehandelt, um verschiedene Banken und ihre Eigentümer vor Verlusten zu bewahren. Der Staat hat die Banken geschützt und eben nicht die Betriebe – von einigen Großbetrieben vielleicht abgesehen. Der Staat hat alleine bei der Hypo Real Estate (HRE) – zusammen mit ein bisschen Beteiligung durch andere Banken – einen „Rettungsschirm“ über 50 Milliarden aufgespannt. Nach Meinung von Fachleuten können bis zu 100 Milliarden € fällig werden, für eine einzelne private Bank, bezahlt von uns Steuerzahlern. Zum Vergleich: Die gesamten Ausgaben des Bundes für 2009 sollen rund 290 Milliarden betragen; die gesamten Kosten für die Hartz IV-Empfänger betragen 2008 rund 21,7 Milliarden. Und dann 50 oder 100 Mrd. für eine einzige Bank???
Für eine andere private Bank, die Industriekreditbank (IKB) hat der Staat, das sind wieder wir Steuerzahler, 10 Milliarden bereitgestellt und sie dann für 150 Millionen € an die Private Equity Gruppe Lonestar verkauft. Wie man hört, sollen jetzt wieder circa 5 Milliarden als Hilfe für die Lonestar-IKB fällig werden.
Das waren lauter „entschlossen“ eingegangene Zahlungsverpflichtungen zu Gunsten privater Banken.
Zur „Sicherung von Arbeit und Einkommen der Menschen“ hat die Bundesregierung weder besonnen noch entschlossen gehandelt. Nach langer Diskussion wurde ein erstes Konjunkturpaket verabschiedet. Vorher hat der Bundesfinanzminister gegen das Wort „Konjunkturprogramm“ auf dümmliche Weise polemisiert. Tief ideologisch geprägt und keinesfalls sachlich und besonnen und schon gar nicht entschlossen.
Wir haben in den NachDenkSeiten auf diese ideologische Verbohrtheit in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder hingewiesen. Es scheint mir dennoch an dieser Stelle notwendig zu wiederholen: Im Frühjahr 2007 spätestens kannte man den Einbruch des Konsums. Schon in meinem im März 2006 erschienenen Buch „Machtwahn“ habe ich beschrieben, welche große Gefahr in der Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Punkte zum 1.1.2007 liegt. Schon damals war auch zu erkennen, welche Gefahr aus den hohen Leistungsbilanzüberschüssen bei uns und einigen anderen Ländern wie z.B. China einerseits und den hohen Leistungsbilanzdefiziten in den USA für die Finanzwirtschaft folgen könnte.
Eine kluge und besonnene Politik, wie sie Horst Köhler reklamiert, hätte spätestens im Jahr 2006 etwas zur Stärkung der Binnennachfrage tun müssen. Das Gegenteil ist mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Punkte geschehen.
Auch jetzt haben die Verantwortlichen noch nicht erkannt, welches hohe Risiko für unsere Volkswirtschaft und für die Beschäftigung aus dem Zusammenbruch der Finanzmärkte folgen kann. Sie streiten über Art und Dimension des Zweiten Konjunkturpakets. Von Besonnenheit und Entschlossenheit zu Gunsten der Mehrheit der arbeitenden Menschen kann keine Rede sein. Köhler nutzt das Fest der Liebe zur Täuschung seiner Zuhörer und Zuschauer zu Gunsten des Ansehens der mit ihm politisch verbundenen Bundesregierung.
Zweitens: Mit dem Qualitätszeugnis, die Bundesregierung habe besonnen und entschlossen auf die Finanzkrise reagiert, deckt der Bundespräsident die Tatsache zu, dass die politisch Verantwortlichen eng mit den Interessen der Finanzindustrie verflochten sind und die drohende Finanzkrise, insbesondere die Folgen abenteuerlicher Spekulationen und maßloser Renditevorstellungen, schon sehr viel früher kennen konnten und auch kannten. Insbesondere Horst Köhler muss wegen seiner engen Verflechtung mit diesem Milieu gewusst haben, dass sich die Hauptverantwortlichen der Bundesregierung, nämlich Bundeskanzler Schröder, Bundeswirtschaftsminister Clement und der damalige Bundesfinanzminister Eichel zu Beginn des Jahres 2003 mit den Spitzenvertretern der Finanzwirtschaft trafen. Das „Handelsblatt“ hatte am 24.2.2003 über dieses Treffen berichtet. In den NachDenkSeiten finden Sie am 19. November 2008 eine Kurzanalyse zu diesem Vorgang mit dem entsprechenden Link zum „Handelsblatt“.
Schon damals, zu Beginn des Jahres 2003 hatten die Verantwortlichen in der Bundesregierung mit den Spitzen der Banken und der Versicherungswirtschaft darüber beraten, wie man die Kredite notleidender Banken auf eine Auffanggesellschaft, eine so genannte „Bad Bank“ auslagern, bündeln und als Wertpapiere verpacken und weiterverkaufen könnte. Damals wurde beraten, der Staat solle als Entlastung für die Risiken einstehen und eine Garantie abgeben.
Schon damals war also erkennbar, dass es riesige Risiken gibt und schon damals gab es das unverschämte Begehren, solche von privaten Wirtschaftssubjekten erzeugten Risiken auf uns Steuerzahler abzuladen.
Ein in Finanzfragen bewanderter und eng mit der Finanzwirtschaft verflochtener Bundespräsident musste auch diesen Vorgang kennen.
Wahrscheinlich weiß er vieles mehr, auch solches, was ich nur vermuten kann. Ich vermute zum Beispiel, dass die Personen, die sich damals getroffen haben, nach Bekanntwerden dieses heiklen Vorgangs, beschlossen haben, die Entlastung der Finanzwirtschaft von faulen Krediten zulasten der Steuerzahler auf andere Weise weiterzuverfolgen. Einer der beschrittenen Wege war die Einbindung der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in die Spekulationswelt und die entsprechenden Bankinstitute. Auf Betreiben des damaligen Bundesfinanzministers Eichel hatte schon im Jahr 2001 die KfW den 38 %-Anteil der Allianz AG an der privaten Bank IKB, der so genannten Mittelstandsbank, übernommen. Wir hatten in den NachDenkSeiten am 19.2.2008 davon berichtet. Wahrscheinlich hat die IKB auch weitere kritische Wertpapier-Pakete von notleidenden Banken übernommen. Sie spielte die Rolle einer Bad Bank und wurde dann ja im Jahr 2007/2008 im wesentlichen vom Bund gerettet.
Das sind Vermutungen, meines Erachtens aber schlüssige Vermutungen. Wenn der Bundespräsident gewollt hätte, dann hätte er uns über die wirklichen Zusammenhänge aufklären können, statt uns an Weihnachten wieder einmal systematisch zu täuschen, wie Georg Schramm sagt.
Dies alles ist kein Grund zur Freude. Eigentlich bräuchten wir einen Bundespräsidenten, der uns vor Plünderern schützt. Stattdessen haben wir einen, der die Plünderer vor der Offenlegung ihrer Machenschaften und der Überantwortung an die Justiz schützt. Wirklich ein Grund zur Amtsenthebung.
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