Die Bild-Zeitung hetzt Arbeitnehmer und Rentner gegen Hartz-IV-Empfänger auf
Was die Bild-Zeitung mit ihrer Kampagne gegen eine Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betreibt, hat kein anderes Ziel als Bevölkerungsgruppen gegen Bedürftige aufzuhetzen und mit dieser Hetze öffentlichen Druck auf die Senkung solcher Fürsorgeleistungen aufzubauen, auf die gerade diejenigen angewiesen sind, die aufgehetzt wurden. Mit dieser Kampagne wird gleichzeitig einer weiteren Senkung der Löhne und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors Vorschub geleistet.
Es ist bekannt, dass die Bild-Zeitung überwiegend von Menschen mit niedrigem Einkommen gelesen wird. Deshalb ist es geradezu zynisch, dass gerade diese Menschen den Kakao auch noch trinken sollen, durch den sie gezogen werden. Wolfgang Lieb
Periodisch immer wieder und vor allem dann, wenn die Hartz-IV-Regelsätze ins öffentliche Gespräch kommen startet die BILD-Zeitung eine Kampagne gegen die Hartz-IV-Empfänger.
„Wozu Arbeiten? Hartz IV reicht doch!“ lautete die Balkenüberschrift im Februar 2008 und es folgte eine ganze Serie von Artikeln mit Titeln wie “Viele Arbeitnehmer bekommen weniger Geld als Hartz IV-Empfänger“ oder „85% der Arbeitslosen würden für Job nicht umziehen!“.
Im Herbst 2008 gab es eine wochenlange Hetzkampagne: „So einfach ist es den Staat zu bescheißen“, „Hartz-IV-Abzocke“ oder „Hartz-IV-Betrüger“, da wurden ganzseitig Skandalgeschichten aufgetischt über angebliche Hartz-IV Betrüger, die im Luxus auf Teneriffa leben, die Villen mit 500 qm bewohnen.
Und natürlich stand die Bild-Zeitung auch Guido Westerwelle zur Seite als dieser nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Hartz-IV-Regelsätze seine unsägliche Debatte über die angebliche „spätrömische Dekadenz“ und über den Hereinbrechenden „Sozialismus“ lostrat. Oft bediente sich Bild dabei dubioser oder gar verfälschender Statistiken („In diesen Branchen lohnt sich Arbeit nicht mehr!“) oder spannte notorische Sozialstaatsgegner, wie den Freiburger „Sozialexperten“ Raffelhüschen, vor ihren Karren („Sieben bittere Wahrheiten über Hartz IV“)
Bild machte für den Arbeitszwang Stimmung.
Ich könnte noch zahlreiche weitere Belege für solche Hetzkampagnen anführen.
Wäre die Bild-Zeitung allein geblieben, könnte man sagen, na ja, typisch für dieses rechte Boulevard-Blatt, aber nur allzu häufig plapperten die sog. Qualitätsmedien einfach nach.
Kaum war dieser Tage bekannt geworden, dass im Sozialministerium der Auflage des Bundesverfassungsgerichts nachgegangen wird, die Hartz-IV-Regelsätze auf eine verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen, setzte eine neue Hatz ein. Mit „Kommt jetzt die große Hartz-IV-Reform?“ ging es am 31. Juli los. Mit dem Aufmacher und Riesenlettern „Mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger“ ging es weiter und einen Tag später sah sich Ministerin von der Leyen vor die Frage gestellt: „Ist das gerecht, Frau Ministerin“. Bild kann mit seinen Kampagnen jedes Kabinettmitglied einbestellen.
Wieder einmal wurde eine Tabelle angeführt, diesmal wurde als vertrauenswürdige Quelle die Bundesagentur für Arbeit genannt. In dieser Tabelle werden Leistungen für Alleinerziehende von 819 Euro bis zu Paaren mit vier oder mehr Kindern bis zu 1594 Euro aufgeführt. Um die Zahlen möglichst hoch zu setzen werden der Regelsatz plus Kosten für Unterkunft, Heizung sowie Einmalleistungen (z.B. bei der Geburt eines Kindes) und Sozialversicherungsbeiträge (Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung), also sämtliche theoretisch denkbare Leistungen addiert.
(Nicht erwähnt wurde natürlich, dass mit dem sog. „Sparpaket“ drastische Kürzungen beim Wohngeld (Heizungszuschuss), beim Elterngeldgesetz und bei den Zuschüssen für die Beiträgen zur Rentenversicherung vorgenommen wurden.
Dass die Tabelle eine suggestive Scheinrechnung darstellt, ergibt sich schon daraus, dass der Staat angeblich heute schon durchschnittlich 851 Euro pro Hartz-IV-Haushalt (also im Schnitt für ein Ehepaar und mit einer durchschnittlichen Zahl an Kindern) bezahle. Schon aus diesem Durchschnittswert wird erkennbar, dass die in der Tabelle genannten Höchstbeträge allenfalls im theoretischen Ausnahmefall anfallen. Dass sich solche Höchstsätze im Promillebereich der Hartz-IV-Empfänger bewegen, hat Helga Spindler „Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch?“ auf den NachDenkSeiten dargestellt.
Nur ganz selten hat die Bild-Zeitung einmal nach dem Bedarf von Hartz-IV-Empfängern gefragt und schon gar nicht – wie es etwa das Bundesverfassungsgericht als vom Grundgesetz gefordert festgestellt hat – nach dem sozio-kulturellen Existenzminimum: „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind…“ (Bundesverfassungsgericht).
Nein, die Methode der Bild-Zeitung ist eine andere: Sie schürt systematisch den Neid anderer gesellschaftlicher Gruppen, die selbst auch ein geringes Einkommen haben, auf das arbeitslose Einkommen von Hartz-IV-Empfängern. Sei es, dass behauptet wird, Hartz-IV-Empfänger hätten mehr Geld als Arbeitnehmer, die einer harten Arbeit nachgingen oder – wie zuletzt – werden die Rentner damit aufgestachelt, dass diese Nullrunden hinnehmen müssten, „während Arbeitslose regelmäßig Erhöhungen bekommen“. Und schließlich sollen alle Steuerzahler gegen die Empfänger staatlicher Transferleistungen aufgebracht werden, indem Hartz-IV-Empfänger als „Abzocker“ oder gar „Betrüger“ abgestempelt werden.
Bild schürt also Neid und die Wut von Menschen, indem man ihnen vorgaukelt, sie würden von Hartz-IV-Empfängern ausgenommen.
§ 130 Strafgesetzbuch versteht unter „Volksverhetzung“:
Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
- zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
- die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
In vielen Artikeln der Bild-Zeitung sind die meisten Tatbestandsmerkmale dieses Paragrafen objektiv erfüllt, es werden aber – beraten von Juristen – ganz bewusst immer Formulierungen gewählt, die eine Anzeige haarscharf ins Leere laufen lassen würden.
Die am häufigsten benutzte Polemik gegen die Hartz-IV-Leistungen ist, dass jemand der hart arbeitet mehr haben muss, als jemand der Sozialleistungen in Anspruch nimmt. Oft wird dabei
das sog. „Lohnabstandsgebot“ in den Mund genommen. Dabei werden jedoch die Zusammenhänge bewusst auf den Kopf gestellt: Nicht die niedrigen Erwerbseinkommen werden als zu gering erachtet, sondern die staatlichen Fürsorgeleistungen als zu hoch.
Wenn sich aber jemand vom Lohnabstandsgebot verabschiedet hat, dann sind es die Arbeitgeber mit nachdrücklicher Hilfe durch die Politik. Es war das ausgesprochene Ziel der Hartz-Gesetze, den Niedriglohnsektor zu vergrößern. Dieses Ziel wurde erreicht, denn mittlerweile sind rund 6,5 Millionen Beschäftigte Geringverdiener. Davon sind 1,3 Millionen sog. „Aufstocker“, deren Verdienst unterhalb des Existenzminimums liegt und die zusätzlich Leistungen nach Hartz IV beziehen müssen um zu überleben.
Es ist also gerade umgekehrt: Nicht etwa die „Aufstocker“ nutzen den Staat aus, sondern die Aufkündigung des Lohnabstandsgebots vom Existenzminimum von Seiten der Arbeitgeber hat zu massivem Missbrauch des Sozialsystems geführt. Die Subvention von niedrigen Löhnen kostet den Staat rund 9,3 Milliarden Euro. Von dieser „Abzocke“ liest man in der Bild-Zeitung bestenfalls mal irgendwo am Rande. Zu einer der berüchtigten Balkenschrift-Schlagzeilen hat es dieser Skandal jedenfalls nie geschafft.
Der Lohnabstand zum Existenzminimum ist in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage nur mit Mindestlöhnen und gleicher Bezahlung für Leiharbeitnehmer herzustellen. Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe hat deshalb konsequenterweise, die gesetzliche Einführung eines „Lohnanstandsgebots“ in § 121 SGB III und § 10 SGB II gefordert [PDF – 90 KB].
Aber auch die Behauptung, dass hart arbeitende Bürger letztlich weniger oder nur so viel wie Hartz-IV-Empfänger in der Tasche hätten, ist falsch. Selbst die schon genannten „Aufstocker“, also Menschen mit „Löhnen“ unterhalb des Existenzminimums, stehen besser da als die Leute, die mit Hartz-IV auskommen müssen. „Aufstocker“ bekommen nämlich durch „Freibeträge als Anreiz für Erwerbstätigkeit“ einen deutlich höheren Betrag. Bildblog hat ausgerechnet, dass das selbst im Extremfall immerhin noch zusätzlich 286,20 Euro sind. „Austocker“ müssen anders als Hartz-IV-Empfänger auch nicht ihr Vermögen aufzehren und in „Bedürftigkeit“ fallen, bevor sie Wohngeld beantragen können.
Wer – wie etwa auch Westerwelle – mit der Parole durchs Land zieht, Arbeit müsse sich lohnen, zielt angesichts des auswuchernden Niedriglohnsektors nicht etwa auf höhere Löhne, sondern auf die Absenkung der an der Bedürftigkeit orientierten Sozialtransfers. Es ist schon eine perverse Logik, die mit dem Schlachtruf „Arbeit muss sich lohnen“ verknüpft ist: Da wurde politisch der Niedrigsektor massiv vorangetrieben und jetzt, da die Löhne immer weiter absinken, wird politisch gegen die Höhe der Fürsorgesätze polemisiert.
Aber auch dieser bösartigen Agitation muss man die Tatsache entgegenhalten, dass wer arbeitet immer ein höheres Einkommen hat, als derjenige, der nicht arbeitet und zwar durch das „Aufstocken“ und durch den anrechnungsfreien Hinzuverdienst [PDF – 178 KB]. Auch solche Haushalte mit Niedrigsteinkommen können Wohngeld oder einen Kinderzuschlag beantragen.
Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist selbst bei niedrigsten Stundenlöhnen von unter sechs Euro ein Abstand zu Hartz IV gegeben – je nach Haushaltstyp zwischen 260 und 900 Euro.
Ähnlich infam ist die jüngste Aufstachelung der Rentner gegen die Hartz-IV-Empfänger durch die Bild-Zeitung. Gerade dieses Blatt, das vereint mit der Allianz-Versicherung und der übrigen Versicherungswirtschaft in massivster Weise für den Rentenabbau und die private Vorsorge getrommelt hat, hetzt nun die Menschen, die nur noch eine niedrige Rente bekommen gegen die Hartz-IV-Empfänger auf.
Die Rente ist leistungsbezogen und bemisst sich an früherem Einkommen. Wenn für viele Menschen die Beitragsleistungen durch Arbeitslosigkeit oder durch Niedriglöhne diese Beiträge gesunken sind und damit deren Rentenleistungen auf dem Niveau der Grundsicherung landen, so ist wiederum die Lohnsenkungspolitik und die Arbeitslosigkeit der Skandal, aber nicht die Anpassung der Regelleistungen für Hartz-IV an das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Existenzminimum. Im Übrigen steht auch kein Rentner schlechter da als ein Hartz-IV-Empfänger, denn wenn seine Rente unter der Armutsgrenze liegt, dann steht im als Minimum auch diese Grundsicherung zu.
Fazit: Was die Bild-Zeitung mit ihrer Kampagne gegen eine Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betreibt, hat kein anderes Ziel als Bevölkerungsgruppen gegen Bedürftige aufzuhetzen und mit dieser Hetze öffentlichen Druck auf die Senkung solcher Fürsorgeleistungen aufzubauen, auf die gerade diejenigen angewiesen sind, die aufgehetzt wurden. Mit dieser Kampagne wird gleichzeitig einer weiteren Senkung der Löhne und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors Vorschub geleistet. Es ist bekannt, dass die Bild-Zeitung überwiegend von Menschen mit niedrigem Einkommen gelesen wird. Deshalb ist es geradezu zynisch, dass gerade sie den Kakao auch noch trinken sollen, durch den sie gezogen werden.