Intrige der SPD-Rechten gegen die NRW-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft
Wie damals Wolfgang Clement kurz vor der Landtagswahl in Hessen davor warnte für die SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti zu stimmen, so fällt die Rechte in der NRW-SPD ihrer Spitzenkandidatin auf der letzten Strecke vor der Landtagswahl im größten Bundesland in den Rücken. Diesmal auch noch anonym auf einem Internet-Blog namens „WIR IN NRW“ . In einem Beitrag wird der von Kraft als Wirschaftsexperte für ihr „Zukunftsteam“ vorgeschlagene Kölner Wirtschafts- und Finanzdezernent Norbert-Walter Borjans diffamiert. Die Rechte in der NRW-SPD schlägt dabei nur den Sack und meint den Esel. Die „Kohle-Beton-Chlor-Fraktion“ in der NRW-SPD sieht selbst in der bestenfalls in der Mitte der Sozialdemokratie anzusiedelnden Hannelore Kraft einen Unsicherheitsfaktor. Diese Wirtschaftslobbyisten liefern Munition für die CDU, weil sie eine panische Angst haben vor Rot-Rot-Grün und sogar Rot-Grün nicht wollen, sondern am liebsten eine große Koalition unter Führung von Jürgen Rüttgers. Wolfgang Lieb
Das Blog „WIR IN NRW“ wird vom ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur der WAZ und danach als Chefkorrespondent dieses Blattes nach Berlin weggelobten Alfons Pieper herausgegeben.
Bisher konnte man den Eindruck gewinnen, als sei es das Anliegen des unter dem von Johannes Rau geraubten Logos „Wir in NRW“ herausgegebenen Blogs, die CDU und Ministerpräsident Rüttgers durch meist unter einem Pseudonym schreibende Autoren zu attackieren. So wurden dort u.a. die nicht gezahlten Mitgliedsbeiträge der CDU-Landtagspräsidentin van Dinther oder das Sponsoring-System der NRW-CDU publik gemacht, was zum Rücktritt des NRW-CDU-Generalsekretärs Hendrik Wüst führte.
Rüttgers wurden durchaus mit Erfolg eine Vielzahl von Affären vorgehalten, die seinem Image als untadligem „Landesvater“ à la Johannes Rau ziemlichen Abbruch taten.
Über Politikinhalte konnte man relativ wenig lesen, weder über die Positionen von Rüttgers noch über die seiner Herausforderin von der SPD, Hannelore Kraft.
Nach dem TV-Spitzen-Duell Kraft/Rüttgers hat sich das offenbar geändert. Unter der Überschrift „Bei Rot-Rot-Grün setzt Rüttgers seiner Herausforderin den finalen Treffer“ konnte man über diese Diskussion folgendes nachlesen: „Jürgen Rüttgers drückt seine Herausforderin Hannelore Kraft so mit dem Rücken an die rote Backsteinwand der Kölner Vulkanhalle, dass er fast tänzelnd zum tödlichen Stoß ausholen kann. „Sie haben wieder nicht gesagt, dass Sie sich nicht von den Extremisten wählen lassen würden“, setzt er in dem Gemäuer die scharfe Klinge genau auf die Brust. Außer einem hilflosen Lächeln und einem tiefen Seufzer kommt nicht mehr viel. Rüttgers entwaffnet Kraft an ihrer verletztlichsten Stelle. Sie gibt auf. An der Koalitionsfrage, ob sie mit den Linken Politik machen würde, scheitert die SPD-Spitzenkandidatin in dieser TV-Runde zwei Wochen vor der Wahl im WDR-Fernsehen“, heißt es da.
Ein Autor, der sich Thomas Brackheim nennt, saß offenbar zusammen mit Sigmar Gabriel und dem Weißwein trinkenden Peer Steinbrück während des Duells in einem Kölner Gasthaus und transportiert offenbar vor allem auch deren Haltung zu Rot-Rot-Grün: „Das mache die SPD nicht mit. Wandelt seine Stellvertreterin da etwa allein auf ihrem Pfad, den die Partei nicht mitgehen wird, nicht mitgehen kann? Die Chance ist vertan, nun kann sie in den nächsten zwei Wochen machen was sie will – glauben tut`s ihr keiner.“
So macht sich „WIR IN NRW“ mit der „Rot-Socken-Kampagne“ von Rüttgers gemein. Weil es an vorzeigbaren politischen Erfolgen der bisher in NRW regierenden schwarz-gelben Koalition fehlt, wurde die Verunsicherungskampagne gegen „Rot-Rot-Grün“ von den Konservativen zum wichtigsten Wahlkampfthema erhoben.
Kraft wird in dem Blog geradezu in einen Wortbruch-Verdacht gedrängt: „Hat etwa Andrea Ypsilanti im roten Lager sekundiert?“
Ganz offen wird eine von Hannelore Kraft mit großer Mühe und mehr oder weniger geschickt über Monate durchgehaltene Linie torpediert, wonach man um eine rot-grüne Mehrheit kämpfe und dass es oberstes Ziel sei, die Linkspartei aus dem NRW-Landtag zu halten bzw. dass die Linke „weder koalitions- noch regierungsfähig“ sei.
Entgegen einem Beschluss der Bundespartei, wonach die Landesverbände in eigener Verantwortung und eigenständig über Koalitionen entscheiden, hat der Parteivorsitzende Gabriel zwar schon vor einiger Zeit sein Wort gegeben, dass jede Zusammenarbeit mit der Linken praktisch ausgeschlossen sei. Und hat damit seine Stellvertreterin und NRW-Landesvorsitzende in arge Argumentationsnöte gebracht. „WIR IN NRW“ attackiert nun Hannelore Kraft ganz direkt und verlangt, dass sie einer Zusammenarbeit mit der Linken auf offener Bühne abschwört.
Bei einem wahrscheinlichen Einzug der Linken in den Landtag, hieße das, dass für Kraft nur noch die Möglichkeit einer großen Koalition unter Rüttgers bleibt. Selbst wenn es für Rot-Grün zu einer knappen Mehrheit reichen sollte, hätten die Sozialdemokraten ihre eigenen Positionen geschwächt, weil die Grünen die Option hätten mit der CDU zusammenzugehen. Was Rüttgers im Übrigen – geschickter als die SPD gegenüber der Linken – durchaus nicht ausschließt.
Nicht zuletzt die Bundestagswahl, aber auch die Landtagswahlen in Hessen und Hamburg haben bewiesen, dass die SPD in einem Wahldesaster landet, wenn sie keine reale Regierungsoption anbieten kann. Hannelore Kraft und jedenfalls starke Kräfte der SPD im Ruhrgebiet hatten erkannt, dass sich das Wählerpotential erhöht und die Verhandlungsposition gestärkt wird, wenn man nach der Wahl mit Gesprächen mit der Linken sei es auch nur drohen könnte. Die Wahlen in Thüringen oder im Saarland haben das gezeigt. Doch wie bei den vorausgegangen Wahlen hat die SPD-Rechte nichts dazu gelernt. Im Gegenteil: Sie macht sich sogar noch zum Wahlkampfhelfer für Rüttgers.
Könnte man diese Einschätzung, dass es sich hier um eine hinterhältige Attacke der SPD-Rechten gegen Hannelore Kraft handle noch als Spekulation abtun, so liefert ein weiterer Artikel in „WIR IN NRW“ zusätzliche Indizien für meine These:
Kraft hatte am Wochenende den Kölner Wirtschafts- und Finanzdezernenten und früheren Sprecher von Johannes Rau, Norbert Walter-Borjans, als möglichen Wirtschaftsminister für ihr „Zukunftsteam“ vorgestellt. Dass die CDU diese Personalie als „Enttäuschung“ bewertet, gehört zum üblichen Ritual. Dass aber nun gerade ein der SPD nahestehendes Blog den weit über Köln hinaus anerkannten früheren Wirtschaftsstaatssekretär im Saarland und in NRW als „ewiges Talent“ heruntermacht, ist im Hinblick auf die SPD-internen Richtungskämpfe höchst interessant.
„Wir sind in der Zwickmühle. Sollen wir schon wieder Hannelore Kraft kritisieren? Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden“, heißt es in „WIR IN NRW“ und warnt die Spitzenkandidatin vor dem „gefährlichen Terrain“ auf das sie sich mit dieser Entscheidung begeben habe.
Unter dem offenbar witzig gemeinten Pseudonym „Leo Loewe“ schreibt für Eingeweihte leicht erahnbar, der frühere Focus-Landeskorrespondent Karl-Heinz Steinkühler über „ein so verdammtes Verlierer-Image“, das Walter-Borjans an den Fingern klebe.
Steinkühler hat offenbar bis heute nicht verwunden, dass ihm Walter-Borjans vor Jahren als Sprecher von Rau eine Sensationsmeldung über eine angebliche „Notoperation“ Raus wegen dessen Aorta-Erweiterung vermasselte. Er sei über Raus Erkrankung „gestolpert“, schreibt er, um Walter-Borjans „vermeintliche Mittelklasse“ zu attestieren, die der Nachfolger Raus, Wolfgang Clement, in seinem Umfeld angeblich nicht ertragen konnte. Dass der „erste erzwungene Abschied von der politischen Bühne“ jedoch vielmehr damit zusammenhing, dass Clement seinen „Büchsenspanner“ im Intrigenspiel um die Rau-Nachfolge als Regierungssprecher holte, bleibt in diesem Beitrag natürlich unerwähnt; auch dass dieser nach kurzer Zeit wieder gefeuert wurde, wird unterschlagen.
Frei erfunden ist auch die Legende, dass Rau seinen „treuen Gefährten“ als Wirtschaftsstaatssekretär im Saarland untergebracht habe. Und dass der damalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt 1999 die Wahl gegen den CDU-Kandidaten Peter Müller verloren hat, hatte gewiss am wenigsten mit einem Wirtschaftsstaatssekretär zu tun.
Auch dass Anke Brunn nicht Oberbürgermeisterin von Köln geworden ist, wird ihrem kurzzeitigen Wahlkampfmanager Walter-Borjans angelastet. Die überraschend knappe Wahlniederlage von Anke Brunn hatte jedoch viel mehr damit zu tun, dass vor allem die in der Domstadt dominierenden rechtsgewirkten Spitzenleute der SPD, wie Klaus Heugel und Norbert Rüther, mit Insidergeschäften und Parteispendenaffären im Zusammenhang mit dem Kölner Müllskandal das Vertrauen in die Kölner Sozialdemokraten zerstört hatten, als mit einem schlechten Wahlkampfmanagement. Dass Walter-Borjans, wie in dem Artikel behauptet wird, das „grandiose Wahlplakat“ „Von OB verstehen Frauen mehr“ erfunden haben soll, ist schlicht falsch; ganz im Gegenteil, er hatte das Plakat gestoppt.
Dass Walter-Borjans von 2004 noch einmal Wirtschaftsstaatssekretär wurde und zwar in NRW unter dem – wie es in dem Artikel heißt – „grandiosen Superminister Harald Schartau“, das geschah sicher nicht ohne Zustimmung des am Abend des Fernsehduells vom oben erwähnten Autor in der Kölner Kneipe beobachteten Peer Steinbrück, der zu diesem Zeitpunkt NRW-Ministerpräsident war. Über die Gründe, warum Rüttgers ein Jahr später die Wahl gewann und Walter-Borjans ein weiteres Mal in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, hätte man an diesem Abend ja mit Steinbrück reden können, statt die epochale Wahlniederlage dem jetzt von Kraft ins Kompetenzteam Gerufenen in die Schuhe zu schieben. Steinbrück hält vermutlich seine Hauptparole, nämlich „Kurs halten“ in Sachen Hartz noch heute für richtig und hat bis jetzt nicht verstanden, dass ihm deshalb die potentiellen SPD-Wähler davon liefen.
Und hätte der Autor nur einmal kurz in Wikipedia geschaut, so hätte er dort lesen können, dass Walter-Borjans dem Rat der Stadt Köln von der Hamburger Headhunter-Agentur Russell Reynolds und nicht von der SPD, die angeblich „ihre Guten“ (also doch kein Verlierer?) nicht hängen lasse, vorgeschlagen wurde.
Ich bitte alle Leserinnen und Leser, die nicht aus NRW kommen um Nachsicht, dass ich bei diesem Beitrag von „WIR IN NRW“ so ins Detail gegangen bin. Ich wollte aber sauber belegen, dass dieser Beitrag von vorne bis hinten falsch ist und dass es dem Autor und den verantwortlichen Herausgebern dieses Blogs offenbar nur um eine bösartige Diffamierung von Walter-Borjans als Mitglied des „Zukunftsteams“ ging und damit gleichzeitig um eine hinterhältige Attacke gegen die SPD-Herausforderin Hannelore Kraft.
Mir geht es nicht darum, Hannelore Kraft oder Walter-Borjans zu verteidigen, sondern an diesem Vorgang wird erkennbar, welche politische Richtung innerhalb der SPD hinter dem Blog „WIR IN NRW“ steht. Das „gefährliche Terrain“, auf das sich Kraft mit dieser Personalie begeben habe, kann nur von denjenigen in der SPD als „gefährlich“ betrachtet werden, die sich selbst Hoffnungen auf eine Berufung gemacht haben – und das ist der nach wie vor Wirtschaftsflügel unter den NRW-Sozialdemokraten. Und dazu gehört auch „Weißweintrinker“ Peer Steinbrück, seit Anfang des Jahres Aufsichtsratsmitglied bei ThyssenKrupp. Dazu gehören auch noch diejenigen, die nach wie vor in Wolfgang Clement ihren Supermann sehen. Clement hat sich in einem Interview mit dem Kölner Sonntagsexpress übrigens massiv gegen eine rot-grüne Koalition an Rhein und Ruhr ausgesprochen. Über seine Zeit als Ministerpräsident, in der er mit den Grünen regieren musste, sagte er: „Es war eine Qual. Es gab kein Verkehrsprojekt, kein Infrastrukturprojekt, kein Energieprojekt, über das wir nicht gestritten haben.”
Tatsächlich hat Clement als damaliger Regierungschef keine Gelegenheit ausgelassen, um seinen damaligen Koalitionspartner zu demütigen, damit dieser die Koalition möglichst aufkündigen sollte und er mit der FDP oder gar mit der CDU ins Koalitionsbett hätte steigen können.
Mit der der Diffamierung des von der SPD-Spitzenkandidatin in ihr Team berufenen Wirtschaftsexperten, schlug der vermeintliche SPD-Unterstützer-Blog den Sack und meinte den Esel. Die „Kohle-Beton-Chlor-Fraktion“ in der NRW-SPD sieht sogar in der bestenfalls in der politischen Mitte der Sozialdemokratie anzusiedelnden Hannelore Kraft noch einen Unsicherheitsfaktor. Wie der DGB bis hinein in seine Spitze und wie einige Industriegewerkschaften hat die SPD-Rechte noch nicht einmal ein Interesse an einem Sieg von Rot-Grün. Sie sieht ihre Interessen am besten in einer großen Koalition unter der Führung der CDU gesichert. Wieder einmal kann man beobachten, dass die Rechten in der SPD (früher die Kanalarbeiter, dann die Seeheimer und heute bis hin zu den sog. Netzwerkern) nur dann ein wirkliches Interesse an der Regierungsmacht ihrer Partei haben, wenn sie das ausschließliche Sagen haben. Wie schon Clement gegen Ypsilanti oder wie schon Müntefering und Steinmeier gegen Beck, die Rechten in der SPD haben noch nie Rücksicht gekannt und schon gar keine Solidarität mit an die Spitze gewählten Personen ihrer Partei geübt, deren Richtung ihnen nicht passte. Die Rechte zieht ihren Kurs gegen die Mitte und die Linke in der SPD unerbittlich durch und sei es um den Preis, dass sie die ganze Partei weiter zerlegen.
Insofern kann einem Hannelore Kraft nur Leid tun.