NRW-SPD: Kalter Kaffee
Da sinken die Umfragewerte der CDU in Nordrhein-Westfalen auf 38% (- 3) und das Ansehen von Ministerpräsident Rüttgers – auch ausgelöst durch den Käuflichkeitsvorwurf im Zusammenhang mit Sponsorenaffären – sackt um 5 Punkte auf 46%, da schrumpft die FDP durch Westerwelles Sozialstaatsattacken auf den harten Kern der Sozialstaatsgegner von 6%, und plötzlich wird bekannt, dass der stellvertretende SPD-Landeschef am Aschermittwoch mit der Landesvorsitzenden der NRW-Linken sich auf eine Tasse Kaffee getroffen hat. Eigentlich hätte die NRW-Landesvorsitzende Hannelore Kraft den Kaffeeplausch mit einem schlichten „Na und“ quittieren können, aber nein, sie tappte – offenbar lernunfähig – in die „Ypsilanti-Falle“ und hat nun eine „Kontaktsperre“ mit der Linkspartei verhängt. Prompt reagiert die CDU mit ihrer altbewährten „Rote-Socken“-Kampagne und posaunt die Vorbereitung eines „Wahlbetrugs“ hinaus. So wird selbst kalter Kaffee zum politischen Schachmatt für die SPD. Wolfgang Lieb
„So haben es die Union und die FDP gerne: die SPD kann auf Jahre hinaus keinen Regierungschef mehr stellen, und ihre schönen Wahlprogramme sind politisch blockiert. Überall dort, wo es in den Parlamenten künftig fünf Parteien gibt, kann kein Herausforderer der SPD mehr gegen einen Kandidaten der CDU antreten, denn er könnte ja von einer „linken“ Parlamentsmehrheit gewählt werden.“ Das habe ich vor zwei Jahren geschrieben, als der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck eine vage Andeutung machte, dass die SPD nicht bloß zusehen könne, wie Roland Koch trotz einer fehlende Mehrheit im hessischen Landtag einfach nur weiterregiert.
Jochen Ott wird nun zum „Kurt Beck“ der NRW-SPD erklärt.
Dass sich Andrea Nahles mit dem FDP-Generalsekretär Christian Linnder, also dem Sprachrohr von Gabriels derzeitigem Hauptgegner Westerwelle zu „Geheimgesprächen“ getroffen hat, darüber empört sich in der SPD und auch sonstwo natürlich niemand.
Die Folgen einer politischen Ausgrenzung der Linken durch die SPD sind bekannt: In Hessen regiert Roland Koch mit der FDP, in Hamburg Ole van Beust mit Grün und im Bund regiert Schwarz-Gelb. Die SPD hat aus diesem Scheitern nichts gelernt.
Und so dürfte auch in NRW nach den Neuwahlen im Mai Jürgen Rüttgers weiterregieren – wenn es mit der FDP nicht zur Mehrheit reicht, dann eben mit den Grünen.
Die SPD muss ja keinen „Koalitionswahlkampf“ zusammen mit der Linken betreiben, aber sie nimmt sich jede realistische Regierungsoption, wenn sie einen „Anti-Koalitionswahlkampf“ führt und von vorneherein mögliche Optionen zur Bildung von parlamentarischen Mehrheiten ausschließt. Die Bundestagswahl hat bewiesen: wenn die SPD keine Hoffnung auf eine Regierungsalternative wecken kann, dann gehen viele ihrer Wähler gerade ihres Wählerpotentials gar nicht erst zur Wahlurne.
Es hatte bisher den Anschein, also wolle Hannelore Kraft der „Ypsilanti-Falle“ entgehen. Anders als Andrea Ypsilanti blockte sie Koalitionsspekulationen mit der Formel ab: “Wir suchen die Auseinandersetzung und nicht die Zusammenarbeit” mit der Linkspartei. Sie attackierte mit dem Vorwurf, die Linke sei „weder regierungswillig noch regierungsfähig“. Wobei sie im Hinblick auf die Regierungswilligkeit jedenfalls für einen starken Flügel innerhalb der Linkspartei sogar Recht hat. Mit dieser Linie hatte sie sogar relativen Erfolg, denn in jüngsten Umfragen legte die SPD auf 34% zu und lag nur noch 4% hinter der Union.
CDU und Grüne in NRW machen es vor: Es ist das gute Recht jeder Partei, sich Koalitionsspekulationen zu entziehen, und das ginge auch mit dem schlichten Hinweis, dass man möglichst viele Wähler für sich gewinnen will. Damit hat z.B. Johannes Rau in NRW fast 20 Jahre erfolgreiche Wahlkämpfe für die SPD bestritten, auch wenn er schließlich 1995 mit den ungeliebten Grünen koalieren musste.
Aber so viel Souveränität und Kraft besitzt Hannelore Kraft offenbar nicht. Schon vor einiger Zeit ließ sie sich aufs Glatteis führen und ist ausgerutscht. Sie wurde gefragt: “Also Gespräche mit der Spitze der Linken gibt es nicht?”, und Kraft antwortete: “Nein.” Sie braucht sich also nicht zu wundern, dass nun ein Kaffeeplausch ihres Stellvertreters mit einer Linken von den Konservativen zu einer „Wortbruch“-Kampagne hochstilisiert wird.
Aber nicht nur die SPD-Landesvorsitzende, sondern auch der neue Hoffnungsträger der Bundespartei, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel scheint nichts dazu gelernt zu haben. Er schloss jede Zusammenarbeit mit der Linken in NRW praktisch aus: Wenn sich die Linke so verhalte wie in NRW, „dann dürfen und können wir aus inhaltlichen Gründen nicht mit ihr regieren“. Dabei hielt er sich nicht einmal mehr an den Beschluss seiner Partei, dass die Landesverbände in eigener Verantwortung und eigenständig über Koalitionen entscheiden.
Die SPD hat damit in NRW nur noch eine Chance, an die Regierung zu kommen, wenn die Linke den Einzug ins Landesparlament verpasst und die CDU sowie die FDP weiter schwächeln.
Doch selbst wenn es für die SPD zusammen mit den Grünen für eine Mehrheit reichen sollte, dann haben die Sozialdemokraten ihre Position geschwächt, denn die Grünen hätten ja immer noch den Ausweg, sich mit der CDU zu verbandeln. Die Grünen können als umworbene Braut eine schöne Mitgift fordern. Schon jetzt erreichen sie in NRW nie gekannte Umfragewerte von 11% in NRW.
Dadurch dass sich die NRW-SPD – selbstverschuldet – die Rot-Rot-Debatte hat aufdrängen lassen, hat sie nun Rüttgers aus der Patsche geholfen, in die er als Ministerpräsident wegen seines Angebots von bezahlten „Schäferstündchen“ mit Sponsoren geraten war. Und selbstverständlich nutzen die CDU und der Medienchor (von Welt über Kölner Stadtanzeiger bis Neue Westfälische) es aus, dass nun die SPD in die von ihr selbst aufgestellte „Glaubwürdigkeits“-Falle getappt ist. Dabei helfen der SPD, die ganzen „Kontaktsperren“ und die „Außschließeritis“ gegen die Linke gar nichts. Denn wie sich die SPD gegenüber der Linken auch immer verhalten mag, die Kampagne gegen eine „rot-rote Mehrheit“ wird von der CDU so oder so gefahren. Schon längst vor dem Bekanntwerden des Kaffeeklatsches von Jochen Ott mit der Landessprecherin der Linken, Katharina Schwabedissen, war das Rotbuch [PDF – 232 KB] der CDU gedruckt.
Der Nebeneffekt dieses Propagandapamphlets der CDU, das durch das tölpelhafte Taktieren der SPD erst richtig bekannt wurde, ist, dass die Linke, die sich selbst in der öffentlichen Wahrnehmung in letzter Zeit ins Abseits manöveriert hatte, erst wieder zu einem breit diskutierten Thema wurde. Ob als Schwächung der SPD oder als Stärkung der Linkspartei, der CDU kann es nur Recht sein, wenn die Linke ins Parlament kommt, dann hätte sie auf alle Fälle wieder alle Optionen offen, sei es mit der FDP, sei es mit den Grünen oder vielleicht sogar mit der SPD als kleiner Juniorpartner. Jedenfalls hat sie der SPD das „Schach“ angesagt und die SPD hat sich wieder einmal selbst ins Matt gesetzt.
Und das alles wegen „kalten Kaffees“.
p.s.: Wenn Sie das Rotbuch der CDU lesen, dann schauen Sie doch auch einmal in das rot gebundene Landeswahlprogramm der LINKEN [PDF – 429 KB].