Hinweise des Tages (2)
(WL)
Unter anderem zu folgenden Themen:
- Staatbürgerliche Lähmung
- Über Hartz IV
- Umfrage zur Altersvorsorge: Shoppen ist besser als sparen
- Die Schröder-Ära als Weg in Richtung neue Klassengesellschaft
- Soziologe Bude: „Schröder trägt keine Schuld“
- Die Wunde der SPD
- Thomas Fricke – Sozis aufs Sonnendeck
- Bsirske ruft zu Kampf gegen Schwarz-Gelb auf
- Leihweiser Missbrauch
- Atom von gestern
- UN akzeptieren Wahlfälschung
- Tony Blair als EU-Präsident?
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Staatbürgerliche Lähmung
Die Schwächung, beziehungsweise Zerstörung der Demokratie durch Teile der politischen Klasse im Wechselspiel mit Teilen der Wählerschaft hat also eine lange Tradition. Heute geschieht das eher unspektakulär, durch Wahlenthaltung. Wer nicht wählt, mag denken, dass er auf jeden Fall nichts falsch gemacht hat. Oder er ist gar stolz, keiner Manipulation auf den Leim gegangen zu sein.. Während bei der Bundestagswahl 2005 noch 77 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gingen, waren es jetzt nicht einmal mehr 71 Prozent. Fast ein Drittel verspricht sich derzeit nichts von der Möglichkeit, alle vier, demnächst vielleicht nur alle fünf Jahre seine Stimme einer politischen Partei zu geben – und das, obwohl freie Wahlen als eines der wichtigsten Ziele gelten, die weltweit durchzusetzen sind.
Einfacher, als das Phänomen der Nichtwähler zu analysieren, ist festzustellen, wer gewählt hat. Nicht zu Hause geblieben ist – wie eigentlich immer – der Bürgerblock, worin echtes Klassenbewusstsein zu erkennen ist. Der Bürgerblock umfasst nicht nur Unternehmertum und Bankmanager, sondern auch große Teile des Beamtentums und viele Selbstständige, die sich das Leben nur noch als rücksichtslosen Kampf um die Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen vorstellen können. Um die Schäden, die die Krise seinen großen und weniger großen Besitzständen unweigerlich zufügt, möglichst klein zu halten, muss der Bürgerblock das Zepter gerade jetzt fest in der eigenen Hand halten. Dem Wahlvolk erzählt er die alte Legende, dass es ihm erst dann einigermaßen gut gehen kann, wenn die Reichen reich und zufrieden genug sind, um Investitionslust zu entwickeln. Dies ist auch eine sozialdemokratische Legende, denn die SPD von Schröder und Steinmeier hat ebenfalls ihre oberste Pflicht darin gesehen, dem Unternehmertum Steuergeschenke zuzuschanzen und die dem Staat dabei verloren gehenden Milliarden durch eine erhöhte Mehrwertsteuer zurückzugewinnen. Dem Volk zu sagen, dass der ersehnte Wohlstand nicht heute und morgen, sondern durch eigene Opfer erst übermorgen möglich gemacht werden kann, gehörte auch zum offiziellen Diskurs des Realsozialismus.
Die Linkspartei hat jetzt einen Wahlerfolg zu verbuchen, wie ihn kaum jemand vorausgesehen hat. Aber wenn man davon ausgeht, dass sie eigentlich auch die Interessen der Ausgegrenzten im Auge hat, gelingt es ihr bislang recht wenig, hier Stimmen zu gewinnen. Man hat sogar den Eindruck, dass sie das nicht mit viel Entschlossenheit versucht hat. Nur wenige Linkspolitiker verlegen ihren Wahlkampf auch mal in prekäre Wohnviertel. Wichtig wäre, dort dauerhafte Netzwerke aus sozialen Stützpunkten und Beratungsstellen aufzubauen.
Quelle: FreitagAnmerkung Orlando Pascheit: Dass die Ausgegrenzten dieser Gesellschaft auch nicht von der Linkspartei angesprochen werden konnten, mag zutreffen, wenn die Millionen Menschen gemeint sind, die “schon so lange ohne reale Entwicklungschancen” in einer Art Parallelgesellschaft leben. Allerdings hat die Linke sehr wohl die Arbeitlosen erreicht, die bisher traditionell zur SPD-Klientel zählten.
- Über Hartz IV
Seit 2005 hat sich in Deutschland die Armut, die Kinderarmut und die Anzahl der Tafeln verdoppelt. Der Niedriglohnsektor hat sich innerhalb der letzten zwanzig Jahre gleichfalls dupliziert. Während Einkommen aus Gewinnen und Vermögen um 36 Prozent zugenommen haben, bleibt die Lohnquote mit 66,2 Prozent auf einem historischen Tiefstand: Neun Prozentpunkte unter dem Spitzenniveau von 1974.
Maßgeblicher Türöffner für diese Entwicklung sind die unter dem Begriff Hartz IV subsumierten Reformen des Arbeitsmarkts aus dem Jahr 2005. Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung einer Grundsicherung unterhalb des ehemaligen Sozialhilfeniveaus, indem staatliche Einmalleistungen der Sozialämter durch unzureichende Pauschalen ersetzt wurden und der (teilweisen) Verringerung des Schonvermögens wurde bei Langzeitarbeitslosen eine verheerende Armutsspirale in Gang gesetzt. Doch damit hören die Zumutungen für Bezieher des Arbeitslosengelds II nicht auf, denn mit der ökonomischen Entmachtung geht eine gravierende Entrechtung einher. De facto nähert man sich durch die exponentielle Ausweitung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeit hart der Grenze zur Zwangsarbeit. Die ALG-II-Bezieher bewegen sich nicht mehr als Rechtssubjekte, als Staatsbürger in der Gesellschaft, sondern werden zu reinen Pflichterfüllern degradiert und werden – von Politikern wie Wolfgang Clement als »Parasiten« beschimpft – für die öffentliche Hetzjagd freigegeben.
Zusätzlich zu dieser allgemeinen Machtlosigkeit und Erniedrigung sind Langzeitarbeitslose noch der Willkür der Behörden ausgesetzt. Denn die Job-Center und ARGEn haben das Recht, die Zahlungen an Hartz-IV-Empfänger bis zum Wegfall der Leistung einzuschränken, falls diese ihren Anweisungen nicht Folge leisten. Letzteres ist für die Arbeitslosen durchaus schwieriger, als sich das anhört: Schließlich sind die ALG-II-Regelungen etwa so kompliziert wie das deutsche Steuerrecht, allerdings mit dem feinen Unterschied, dass Wohlbetuchte mit Hilfe juristischer Spezialisten Ausnahmeregelungen und Steuerschlupflöcher für sich ausfindig und zu ihrem Vorteil nutzen können, während man den ALG-II-Bezieher in einem Dschungel voller Fußangel-Paragraphen und unklarer Regelungen, die sich mitunter gegenseitig widersprechen, allein stehen läßt.
Ein Großteil davon ist rechtswidrig, wie die Anzahl der gewonnenen Prozesse gegen die Maßnahmen beweist. Diese Anordnungen sind keine Bagatellmaßregeln, sondern gehen an die Existenz: In der Broschüre »Wer nicht spurt, kriegt kein Geld – Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende – Erfahrungen, Analysen, Schlußfolgerungen«, welche von der Berliner Kampagne gegen Hartz IV herausgegeben wurde, ist zum Beispiel von einem Fall zu lesen, in dem ein Diabetiker sich aufgrund der Sanktionen kein Insulin und auch kein Essen mehr leisten konnte. Auch sind die Umstände der darin beschriebenen Sanktionen oftmals grotesk: Ein Epileptiker sollte auf einem Baugerüst arbeiten, eine Hartz-IV-Bezieherin wurde vom Job-Center dazu angehalten, die »Nebentätigkeit« Prostitution gegen ihren Willen fortzusetzen. Wieder einmal darf ein bestimmtes Segment der Bevölkerung von Staats wegen feststellen, dass Arbeit frei macht.
Quelle 1: junge Welt
Quelle 2: Wer nicht spurt, kriegt kein Geld. Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehend [PDF – 1.35 MB] - Umfrage zur Altersvorsorge: Shoppen ist besser als sparen
So groß ist die Sorge vor einem bescheidenen Rentnerdasein dann doch nicht: Fast zwei Drittel der Deutschen würden laut einer Umfrage zusätzliches Einkommen eher ausgeben als fürs Alter zu sparen. Die Wirtschaftskrise hat die Konsumfreude sogar noch erhöht.
Die meisten Deutschen sind trotz der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten noch immer sehr konsumfreudig: Fast zwei Drittel von ihnen würden zusätzliche 100 Euro im Monat ausgeben statt für das Alter zurückzulegen. Das ergab eine am Donnerstag veröffentlichte repräsentative Umfrage im Auftrag der Dresdner Bank. Das Forsa-Institut hatte dazu mehr als 800 Bürger im Erwerbsalter befragt …
“Die Deutschen sind in Sachen Altersvorsorge insgesamt etwas auf die Bremse getreten”, sagte der Experte der Dresdner Bank, Ernst Schiestl …
Grundsätzlich halten die Bürger laut der Studie an der eigenen Altersvorsorge zwar fest, allerdings in geringerem Umfang als früher. 71 Prozent sparen privat Geld für die Rente, doch gut die Hälfte legt nur einen kleinen Betrag von bis zu 100 Euro monatlich an. Unterversorgt seien vor allem Kleinverdiener mit weniger als 1500 Euro Haushalts-Monatseinkommen.
Quelle: SPIEGELAnmerkung J.A.: Dieser völlig absurde Artikel erschien am selben Tag wie der Bericht über den weiteren Einbruch im Einzelhandel. Dass “Kleinverdiener mit weniger als 1500 Euro Haushalts-Monatseinkommen” einfach nicht genug Geld zum Sparen für die private Altersvorsorge haben und mehr Geld nicht ausgeben wollen, sondern „müssen“, scheint dem SPIEGEL nicht in den Sinn zu kommen. Auch die “Journalisten” haben vollkommen den Bezug zur Realität verloren.
Dass die Finanzkrise und die zunehmende Erkenntnis, dass auch das „Riestern“ vor allem eine Abzocke der Finanzdienstleister ist, das Vertrauen in die private Altersvorsorge nicht gerade gestärkt, kommt dieser Studie im Auftrag der Dresdner Bank gleichfalls nicht in den Sinn. - Die Schröder-Ära als Weg in Richtung neue Klassengesellschaft
Die SPD unter Schröder hatte ebenso wie Blair keine andere Antwort auf die Zumutungen des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, als die Ratschläge aus dem Wahngebilde des Neoliberalismus aufzunehmen: Dass man den Standort Deutschland mit Deregulierung und Privatisierung so fit für den Weltmarkt machen müsse, dass alle Konkurrenz niedergebügelt werden könne. Dies schaffe dann Arbeitsplätze. Soziale Gerechtigkeit hat in diesem Turbokapitalismus keinen Platz mehr und wurde zur sozialen Restkategorie “Chancengleichheit” umbenannt: Für den großen Lebenslauf sollte jeder zumindest mit den gleichen Turnschuhen starten können, was er dann daraus mache, bleibe jedem selbst überlassen. Das war nur noch ein erbärmlicher Schatten bisheriger sozialdemokratischer Gerechtigkeitsvorstellungen.
Die Arbeitnehmer und die von Hartz IV-Betroffenen fanden diese Politik der Schröder- und Müntefering-SPD immer mehr gegen ihre Interessen gerichtet und stimmten mit ihren Füßen ab, als sie die Partei verließen und den Wahlurnen fernblieben. 1998 erreichte die SPD 40,9 Prozent der Stimmen, zusammen mit den Grünen eine Mehrheit von 47,6 Prozent. Am Ende der Periode Schröder, zu der auch die Amtszeit Franz-Walter Steinmeiers in der Großen Koalition gehört, war die SPD auf das historische Tief von 23 Prozent gesunken.
Die Partei der Agenda 2010 hatte innerlich vor dem Neoliberalismus kapituliert und es versäumt, Konzepte für eine soziale Politik im 21. Jahrhundert zu entwickeln. Schröder steht damit für den Übergang von der alten Bundesrepublik der sozialen Sicherheit und des Klassenkompromisses zur Bundesrepublik der sozialen Spaltung und prekärer Lebensverhältnisse. Mit dem “Dritten Weg” ging die SPD ebenso wie die Labour Party einen Weg fort von den Interessen ihrer traditionellen Klientel und der arbeitnehmerischen Mitte. Es war ein Weg, der in die soziale Kälte und in Richtung einer neuen Klassengesellschaft führte – und an dem die Partei nun schließlich fast zerbrochen ist.
Quelle: TelepolisSiehe dazu allerdings:
- Soziologe Bude: „Schröder trägt keine Schuld“
sueddeutsche.de: Schröders Ära gilt denkbar wenigen Genossen als Erfolgsgeschichte. Für sie hat der Altkanzler die SPD-Misere verursacht.
Bude: Diese Einschätzung teile ich ganz und gar nicht. Schröder trägt keine Schuld. Seine Fehler lagen vielleicht in seiner manchmal rüden Basta-Art und der mangelhaften Kommunikation. Aber es ist doch so: Die SPD vor Schröder war die schlimmste sozialdemokratische Partei Europas. Da wollte kein Mensch mehr hingehen. Wenn sich die Sozialdemokratie den individualistischen Tendenzen der achtziger und neunziger Jahre vollends verschlossen hätte, wäre sie schon wesentlich früher eine Unter-25-Prozent-Partei geworden.
Quelle: SZAnmerkung WL: So sind sie unsere Soziologen, sie haben ihre Vorurteile, die sie sich auch von Fakten nicht nehmen lassen. Der SPD vor Schröder als schlimmste sozialdemokratische Partei Europas hatte gelang es 1998 zum ersten Mal nach 1972 mit 40,9% stärkste Partei zu werden und mit den Grünen eine linke Mehrheit zu bilden. Aber Herr Budes „Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft“ kennen wir ja schon.
- Die Wunde der SPD
Vorerst ist die SPD nur noch eine ausgebrannte Hülle. Es waren nicht nur der Unmut über Hartz IV und die Rente mit 67, der die Wähler in Scharen zur politischen Konkurrenz getrieben hat. Es war auch die erdrückende Dominanz der rechten Regierungs-Pragmatiker, durch die die SPD ihren Charakter als Volkspartei verspielt hat. 1998 symbolisierten Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine noch das Spannungsfeld einer sozialdemokratischen Volkspartei. Heute ist davon nichts mehr übrig, und das liegt nicht nur daran, dass Lafontaine die Partei verlassen hat. Die SPD-Linke durfte in den vergangenen elf Regierungsjahren nur halblaut herumnörgeln. Ihr Einfluss wurde immer geringer, sie war eine Placebo-Linke. Den Kurs gaben Schröder und seine Nachlassverwalter Steinmeier, Steinbrück und Müntefering vor. Diese Zeiten sind nun vorbei. Der SPD bleibt gar nichts anderes übrig, als nach links zu rücken und das nachzuholen, was sie in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt hat. Das größte Desaster für die Partei ist, dass sie ihre Glaubwürdigkeit beim Thema soziale Gerechtigkeit verloren hat. Sie hat damit ihre Identität aufs Spiel gesetzt. Es wird einige Zeit dauern, bis sich die SPD vom Ballast ihrer Regierungsjahre befreit haben wird. Sie muss sich einen neuen Platz links von der Mitte suchen.
Quelle: der FreitagAnmerkung Orlando Pascheit: Die von Philip Grassmann angestellten Überlegungen sind dem NDS-Leser wohl vertraut, dennoch müssen wir für jede Beschreibung der verhängnisvollen Entwicklung der SPD dankbar sein. Noch besser wäre es allerdings, ganz konkret die angeblichen Verdienste der Schröderschen Wirtschaftspolitik zu demontieren. Bei den vielen Talkrunden nach der Wahl wurde z.B. erschreckend klar, wie stark doch die Mär, präziser die Lüge vom Anstieg der Beschäftigung durch die Agenda 2010 verankert ist und noch weiterhin propagiert wird. Man möchte am liebsten jedes Mal in den Fernseher springen, um die Gesprächsrunden mit der einfachen Frage zu konfrontieren: Wie hoch ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten oder der Vollzeitbeschäftigten heute gegenüber dem Durchschnitt der 90er? Häufig werden einfach nur irgendwelche Meinungen oder Meldungen nachgeplappert oder bei den so genannte Experten unredliche Bezugszeiträume (letzter Monat oder ähnlich) verwendet oder die statistischen Tricksereien schlicht ausgeblendet.
- Thomas Fricke – Sozis aufs Sonnendeck
Die SPD sollte aufhören, immer nur Entschlossenheit im Ersetzen ihrer Chefs zu zeigen. Besser wäre: Kollektiv ein halbes Jahr Auszeit nehmen und mit einem Top-Programm für die Zeit nach der Krise zurückkehren. Warum sollten Sozialdemokraten nicht künftig dafür stehen, eine Art deutsches Export-plus-Modell entwickelt zu haben, bei dem Wachstum und Jobs nicht mehr nur von steigenden Überschüssen zulasten anderer Länder abhängen – und künftige Regierungen jede Maßnahme darauf checken müssten, ob auch die Binnenkonjunktur mitzieht? Dann käme ein Finanzminister nicht mehr auf die Idee, die Mehrwertsteuer um drei Punkte anzuheben.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie wichtig neben schönsten Reformen die gute Konjunktur ist. Und dass Arbeitsmarktkatastrophen nur zu verhindern sind, wenn hin und wieder konjunkturpolitisch nachgeholfen wird. Darauf waren Agenda-fixierte Sozialdemokraten 2008 kaum vorbereitet. Es dauerte Monate, bis die Rezession erkannt, dann ad hoc Abwrackprämien beschlossen und noch später Investitionen umgesetzt wurden. Die SPD könnte die erste Partei sein, die einen Mechanismus entwickelt, wie ihn der IWF angeregt hat und bei dem Konjunkturhilfen präventiv beschlossen würden, um sie im Notfall ohne Bürokratie und monatelanges Gezerre abzurufen. Der nächste Schritt könnte sein, all das systematischer mit Klimazielen zu verbinden – ebenfalls etwas fürs Profil. Es wäre schon 2009 sinnvoller gewesen, statt der Abwrackprämie Klimaschecks zu verschicken. Die hätten alle bekommen und per Definition nur zum Kauf CO2-mindernder Dinge verwandt werden können. Damit wären sie auch nicht einseitig einer Branche zugute gekommen.
Quelle: FTDAnmerkung WL: Wo findet Thomas Fricke Ansatzpunkte für seine Hoffnungen?
- Bsirske ruft zu Kampf gegen Schwarz-Gelb auf
Ver.di-Chef Bsirske fürchtet nach dem schwarz-gelben Wahlsieg den sozialen Kahlschlag. Noch bevor die Koalition geschmiedet ist, mahnt der Gewerkschafter: „Es ist Zeit, aufzustehen!“
“Wir müssen damit rechnen, dass soziale Auseinandersetzungen sich zuspitzen“, schrieb Frank Bsirske in der „taz“ vom Freitag. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di wandte sich vor allem gegen die Vorstellungen der FDP. Nach seiner Ansicht bedeutet das Programm der FDP: „Steuern runter, den Sozialstaat aushöhlen, mehr Industrieförderung, weniger Arbeitnehmerrechte, weniger Umweltschutz und vor allem: kein wirksames Rezept gegen Lohndumping.“ Er fürchte, dass sich die Probleme nicht lösten, sondern verschärften, schrieb Bsirske.
Quelle: FocusAnmerkung WL: Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Dr. Christean Wagner, ist entsetzt über den Protestaufruf des verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske gegen ein demokratisches Wahlergebnis. „Der Aufruf zu Protesten durch den Gewerkschaftschef gegen die künftige schwarz-gelbe Koalition in Berlin ist ein unglaublicher Vorgang. Die neue Bundesregierung ist die Folge einer demokratischen Wahl. Das sollte auch der Verbandsfunktionär akzeptieren“, sagte der CDU-Fraktionschef.
„Herr Bsirske stellt mit seinen Äußerungen das Prinzip der Einheitsgewerkschaft infrage. Er setzt sich über die Interessen zahlreicher verdi-Mitglieder hinweg.
Solche Äußerungen sind ganz typisch für das Demokratieverständnis für die Konservativen. Sie meinen einmal in vier Jahren seine Stimme abzugeben genüge. Dass zu einer lebendige Demokratie auch der Druck von unten gehört, ist ihnen fremd. Die Arbeitgeberverbände dürfen aber Druck machen. - Leihweiser Missbrauch
Die Leiharbeit in Deutschland treibt bizarre Blüten – selbst Auszubildende werden jetzt schon als Leiharbeitnehmer/innen beschäftigt. Gewerkschafter und Betriebsräte fordern die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ein Report aus der Praxis.
Quelle: ver.di publik [PDF – 1.15 MB] - Atom von gestern
Die neue Koalition setzt auf eine überholte Technologie, was ein großer Fehler ist. Denn die neue Atomdebatte bremst den chancenreichen Wandel bei der Energieversorgung.
Seit klar ist, dass Ökoenergie viel mehr leisten kann, als gedacht, wächst in deutschen Stromnetzen ein ernster Konflikt heran. Sonne, Wind und Wasser liefern bereits 15 Prozent des deutschen Stroms- doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Mit dem technischen Fortschritt grüner Branchen wird sich ihr Ausbau beschleunigen.
Damit prallen zwei unvereinbare Welten aufeinander: stark schwankender Ökostrom und die unflexible Atomenergie. Immer mehr Großkraftwerke wie Krümmel oder Biblis werden in den nächsten Jahren überflüssig.
Stattdessen müssten kleine dezentrale Kraftwerke her, die die Versorgung sichern, wenn kein Wind bläst.
Quelle: SZ - UN akzeptieren Wahlfälschung
Der stellvertretende UN-Gesandte für Afghanistan, Peter Galbraith, ist von Generalsekretär Ban Ki Moon entlassen worden. Galbraith wollte, dass die mehrheitlich vom Lager des Präsidenten Hamid Karsai verübten Manipulationen grundlegend untersucht werden. Damit akzeptieren UN und USA Wahlfälschungen am Hindukusch, die Washington im benachbarten Iran für inakzeptabel hält. Schlimmer noch: Künftig schützen Nato und Isaf-Truppen einschließlich der Bundeswehr in Kabul eine illegitime Regierung. Dies untergräbt die Glaubwürdigkeit des internationalen Militäreinsatzes sowohl in Afghanistan als auch in den Truppenentsendestaaten.
Quelle: tazAnmerkung Orlando Pascheit: Was sich sonst noch in der Welt abspielt und womit sich ein zukünftiger Außenminister Guido Westerwelle auseinandersetzen muß. Wie meinte er in der jüngsten Afghanistandebatte im Bundestag, es ginge in Afghanistan „in Wahrheit um unsere Freiheit und unsere Sicherheit und unseren Frieden.“. Dass die Sicherheit von den 42 Nationen der ISAF von Singapur über den amerikanischen Kontinent bis zum Baltikum am Hindukusch verteidigt wird, ist die allgemein anerkannte Formel der westlichen Regierungen. Soweit so gut bzw. so schlecht, was es aber mit der Bedrohung unserer Freiheit und unseres Friedens auf sich hat, würde man doch gerne etwas konkreter erfahren – auch gerne auf deutsch. Aber wahrscheinlich hat sich Westerwelle nur in wohlfeiler Rhetorik ergangen. Wenn man bedenkt, wie sehr die Realisierung dieser Wahlen als hauptrangiges Ziel der Nato propagiert wurde, muß sich durch die aktuelle Entwicklung verhöhnt vorkommen, vor allem die Bürger Afghanistans. Die Stimmabgabe in Afghanistan ist wahrlich Ausdruck für den Wunsch nach Freiheit und Frieden, eine Absage an Gewalt und Willkürherrschaft gewesen. Guido Westerwelle hat bei seiner ersten Pressekonferenz nach den Wahlen eine gute Gelegenheit versäumt, der Außenpolitik der FDP etwas Kontur zu geben, lautete doch die übersetzte Frage des englischen Journalisten, wie sich die deutsche Außenpolitik unter einem möglichen Außenminister Westerwelle ändern werde. Ein auch nur andeutender Hinweis darauf, dass die Freiheit und der Friede in Afghanistan nicht nur durch die Taliban, sondern auch durch die Machenschaften von Karsai und seiner Verbündeten und die Ignoranz des Westens bedroht seien, wäre eines echten Liberalen würdig gewesen.
- Tony Blair als EU-Präsident?
Die EU gleicht der SPD. Sie ist nicht lernfähig, sondern verkrustet.
Sollten die Iren sich tatsächlich für das Lissabon-Abkommen entscheiden, könnte ausgerechnet der Pudel von Bush, der frühere britische Regierungschef Tony Blair, also der, mit dem grandios gescheiterten “Dritten Weg”, zum Präsidenten der EU werden – sofern die Polen und die Tschechen mitziehen.
Angeblich, so will es die Times[1] erfahren haben, setzt sich Sarkozy für den religiös motivierten Blair ein, der zum Katholizismus konvertiert ist und den Irak-Krieg entscheidend mit getragen hat.
Offenbar schwindet auch der Widerstand von Angela Merkel, die dafür keinen Vertreter eines Nicht-Euro-Landes sehen mochte, wenn – ach, das Geschacher – Deutschland und Frankreich stärker in der Kommission berücksichtigt werden. Allerdings soll Merkel ihre Einstellung gar nicht geändert haben, während Sarkozy nur deswegen auf Blair setzen soll, weil er des deutschen Widerstands gewiss ist.
Merkel hat sich bislang für den Luxemburger Juncker stark gemacht, während Sarkozy eher für den spanischen Sozialisten Gonzalez werben soll, was Merkel aber nicht gefällt.
Politik ist schwierig. Diplomatie nennt man den Handel. Aber den rundum gescheiterten Blair als EU-Präsident zu etablieren, würde bedeuten, die EU noch weiter als Hafen für gescheiterte Politiker darzustellen.
Wenn Blair Präsident der EU werden sollte, dann ist das vergleichbar damit, dass Steinmeier weiter eine Spitzenposition in der SPD einnehmen soll. Man kann nur hoffen, dass in beiden Fällen die Vernunft zur Geltung kommt und ein Neuanfang auch personell gewünscht wird.
Quelle: Telepolis