Wieder ein Bertelsmann Standort-Ranking. Die Botschaft: Es geht Deutschland dank der „Reformanstrengungen“ nicht mehr ganz so schlecht, aber die „Reform“- Dosis muss noch erhöht werden.
Das neue Standort-Ranking [PDF – 1 MB] ist nur eine neue Variante der früheren: Man nimmt vor allem solche Messgrößen, bei denen Deutschland schlecht da steht, und logischerweise landet man dann im Ländervergleich ziemlich weit hinten. Angesichts der Vielzahl der „Reformen“, die inzwischen durchgesetzt worden sind, durfte Deutschland jetzt natürlich nicht mehr das Schlusslicht abgeben, sonst müsste Bertelsmann ja eingestehen, dass der bisherige „Reform“-Kurs nichts gebracht hat. Also lässt man unser Land in der Tabelle leicht aufrücken, als Ansporn und Hebel für weitergehende „Reformen“. Wolfgang Lieb.
“Ursächlich für diesen Aufwärtstrend ist vor allem, dass die Erwerbsbeteiligung im Zuge der jüngsten Arbeitsmarktreformen inzwischen auf international beachtliche 78 Prozent gestiegen ist“ sagte Stiftungs-Vorstandsmitglied Dr. Johannes Meier bei der Vorstellung der Studie.
Schon die aktuelle – für viele Betroffene sicherlich erfreuliche – Arbeitsmarktstatistik macht deutlich, wie tendenziös dieses von dem Bertelsmann-Fellow und marktradikalen Münsteraner Ökonomen Ulrich von Suntum methodisch erarbeitete Ranking ist: Dass z.B. der Anstieg der Erwerbstätigen gegenüber dem Vorjahr um 338.000 laut Statistischem Bundesamt zum größeren Teil von „Arbeitnehmerüberlassungen“ getragen wird, und knapp 180.000 – also mehr als 50% – in sog. prekären Beschäftigungsverhältnissen (nämlich in Alg II-Arbeitsgelegenheiten, geringfügig entlohnten Jobs oder in solchen soziaversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, die zum Überleben einen geringfügig entlohnten Nebenjob erzwingen) gelandet ist, kann für die Bertelsmänner die Bilanz der „Arbeitsmarktreformen“ nicht trüben. Auch nicht, dass nach wie vor an über 5 Millionen Menschen Alg II nach SGB II und an weit über 6 Millionen erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen nach SGB III ausgezahlt worden sind, und auch nicht, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen und der älteren Arbeitslosen zugenommen hat.
Oder ein weiteres Beispiel für das neoliberale Paradigma, das diesem Ranking zugrunde liegt: Internationale Studien zeigten – so Vorstandsmitglied Meier –, dass die Mehrheit der vor Deutschland liegenden Staaten „vor allem auf eine Senkung der staatlichen Ausgaben gesetzt“ hätten. Komisch nur, dass die skandinavischen Länder mit den weitaus höchsten Staatsausgaben sämtliche weit vor Deutschland landen und Norwegen gar den ersten Platz einnimmt.
Und weil die von diesem Ranking selbst gelieferte Steilvorlage einfach so offensichtlich die Widersinnigkeit der Messkriterien deutlich macht, noch ein Beispiel: Das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland mit 30.140 Dollar pro Kopf – das seien neun Prozent weniger als im Länderdurchschnitt – sei „mittlerweile in 15 der 21 Staaten höher als hierzulande“.
Wen kann das eigentlich verwundern, wenn Deutschland im Gegensatz zu den anderen Ländern seit den 90er Jahren real keine Lohnsteigerung mehr zu verzeichnen und nach wie vor mit die höchste Arbeitslosigkeit hat, dazu knapp 300.000 Alg-II- Empfänger in 1-Euro-Jobs beschäftigt werden, knapp 5 Millionen geringfügig Beschäftigte aufweist und es knapp 2 Millionen „normale“ Beschäftigte mit so niedrigen Löhnen gibt, denen es ohne einen zusätzlichen, geringfügig bezahlten Nebenjob nicht zum Überleben reicht.
Kann es verwundern, wenn durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik die Produktionskapazitäten aufgrund fehlender Binnennachfrage nur zu rd. 82% ausgelastet sind? Kann es deshalb verwundern, dass die Deutschen unter ihren Verhältnissen produzieren und leben müssen? Und kann es da verwundern, dass Deutschland im Bertelsmann-Ranking auch beim Pro-Kopf-Einkommen schlecht abschneidet.
Die Standortrankings der Bertelsmänner haben wir auf den NachDenkSeiten schon mehrfach analysiert. Bertelsmann stellt bei seinen Rankings vor allem solche Kriterien zusammen, die immer nur das vergleichen, was nach den Bertelsmannschen Wirtschafts-„Reform“- Vorstellungen für richtig gehalten wird. Das nennt sich dann z.B. „Aktivitätsindex“.
Dazu zählt etwa in Deutschland die Hartz-Gesetzgebung. Und die wird natürlich positiv bewertet, weil sie „zur Aktivierung (!) Arbeitsloser beigetragen“ habe. Das wird dann einfach so mit „wissenschaftlichem Pathos“ in die Welt gesetzt werden, obwohl wir Monat für Monat von der Bundesagentur in Nürnberg mitgeteilt bekommen, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen – trotz oder gerade wegen Hartz – kaum steigt. Bertelsmann kann also im Umkehrschluss eigentlich damit nur positiv bewerten, dass die Zahl der 1-Euro-, der sozialversicherungsfreien Mini- und Midi-Jobs dramatisch gestiegen ist. Allein daran lässt sich ablesen, welche Ideologie hinter solchen Benchmarks steckt.
An Vorschlägen, gibt es dementsprechend nichts Neues, nur noch mehr vom Alten:
„Weitere Anstrengungen bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen“, „Senkung der staatlichen Ausgaben“, „Restrukturierung staatlicher Aufgaben – entschlossener als bisher zu nutzen“, sprich weiterer Sozialabbau.
Nur die politische Botschaft hat sich seit dem letzten Ranking etwas verändert: Nachdem man früher durch Miesmache „strukturelle Reformen“ herbeireden wollte,
musste man nun – weil mehr als die Große Koalition nicht zu haben war – die Tonart ändern: „Die Reformanstrengungen der vergangenen Jahre tragen erste Früchte“, heißt es nun. Es geht zwar immer noch schlecht, aber schon ein Stückchen besser, deshalb dürfe man jetzt bloß mit den „Reformanstrengungen“ (wie sie van Suntum in seinem „Masterplan“ und die Bertelsmann-Stiftung für richtig halten) nicht nachlassen.
Nichts darüber, dass die Binnenkonjunktur nach wie vor schwach ist. Nichts darüber, dass das vor allem daran liegt, dass die Löhne seit 20 Jahren stagnieren, dass der Staat prozyklisch gespart hat, dass vor allem die Unternehmensteuern massiv gesenkt wurden und etwa Bund, Länder und vor allem auch die Gemeinden angesichts immer klammer werdenden öffentlichen Kassen kaum mehr investieren können.
Wo das Ifo-Institut [PDF – 328 KB] Recht hat, da hat es Recht: Solche „Studien“ sagen kaum etwas darüber aus, wie gut oder schlecht es tatsächlich um die Wachstumsaussichten in den bewerteten Staaten steht.
Aber das kümmert die Bertelsmann-Stiftung nicht. Hauptsache man schafft wieder einen „Event“, für die „Reform“-Botschaften der Stiftung. Und die Mainstream-Medien wie Spiegel, FAZ oder Wirtschaftswoche und zahllose andere plappern die Botschaften einmal mehr wie Papageien nach.
So beeinflusst man die öffentliche Meinung in Deutschland.
Dass das gelingt, ist ein Beweis dafür, dass es in den Medien, in der Politik, in der Wissenschaft oder bei den Verbänden kein ausreichend kritisches Potential mehr gibt, das sich mit solchen „wissenschaftlichen“ Studien und mit der damit angestrebten Prägung der öffentlichen Meinung und der Beeinflussung des politischen Klimas auseinandersetzt und solche Rankings als das entlarvt, was sie sind, nämlich Manipulationsversuche der öffentlichen und politischen Meinungsbildung.