Buchkritik – Neuer Reformbrei aus alten Zutaten
Seit Ende des vorigen Jahres verläuft die ökonomische Reformdebatte in Deutschland etwas ruhiger. In der Großen Koalition haben beide Parteien offenbar kaum noch Interesse an Schwarzmalerei zur Rechtfertigung marktradikaler Reformen. Unter vielen wirtschaftspolitischen Akteuren mehren sich angesichts der Erfolglosigkeit der praktizierten Reformpolitik zudem die Zweifel, ob Deregulierung, Sparpolitik und Abbau des Sozialstaats wirklich der Königsweg zu mehr Wachstum und Beschäftigung sind.
Von Achim Truger
Allerdings gibt es eine Gruppe in Deutschland, die jetzt erst so richtig Blut geleckt hat: Der Mainstream der deutschen Ökonomen. Obwohl die Politik in den vergangenen Jahren den Empfehlungen der marktradikalen Professoren in einem Maße gefolgt ist, von dem diese zuvor nicht zu träumen gewagt hätten, schreien sie nach immer mehr. Ein besonders bemerkenswertes Exemplar unter ihnen ist Ulrich van Suntum. Der Münsteraner Ökonomie-Professor hat mit “Masterplan Deutschland” sein Nachzüglerwerk zur Reformdebatte vorgelegt. Wie seit Jahren von vielen seiner Kollegen vorgebetet, fordert auch er radikale Reformen, die bei Strafe des Untergangs mutig durchgesetzt werden müssten. Durch Befolgung seiner Ratschläge könne Deutschland wieder die wettbewerbsfähigste Wirtschaft der Welt werden.
Prinzip Einfachheit
Im Groben rührt van Suntum hinsichtlich Diagnose und Therapievorschlägen denn auch den üblichen langweiligen Brei an: Die Deutschen und ihr Staat haben Jahrzehnte lang über ihre Verhältnisse gelebt. Der ausufernde Sozialstaat und die Überregulierung haben die Wachstumskräfte gefesselt. Umgeben von zahlreichen westlichen Reformländern und aufstrebenden, fleißigeren und schlankeren Marktwirtschaften in Osteuropa und Asien, bleibt Deutschland nur der Ausweg der radikalen Anpassung: Lohnsenkung, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Entmachtung der Gewerkschaften – die sowieso an der Misere Schuld sind – Bürokratieabbau, Steuersenkungen für Unternehmen, Privatisierung der sozialen Sicherung, Begrenzung der Staatsverschuldung…
Gibt es auch Unterschiede zur üblichen Reformlitanei? Im Detail schon. So sind einige Vorschläge van Suntums zum Bürokratieabbau durchaus nachdenkenswert. Dasselbe gilt teilweise auch für seine Ideen zur Föderalismusreform, die immerhin ohne den allenthalben gepriesenen Steuerwettbewerb auskommen. Van Suntum selbst setzt vor allem auf das “Prinzip Einfachheit”. Von Einzelaspekten abgesehen erweist sich dieses jedoch als Mogelpackung: So richtig einfach sind die meisten Vorschläge nicht, wie er stellenweise selbst eingestehen muss. Und dort, wo sie es sind, würden sie sich angesichts einer komplexen Realität wohl schnell als untauglich erweisen.
Die Besonderheit des Buches besteht im Auseinanderklaffen von Anspruch und tatsächlicher Leistung des Autors: Van Suntum sieht sich als seriöser, unabhängiger Ökonom, der die Bürger aufklären und die “falschen Propheten” einer unverantwortlichen Ökonomie in die Schranken weisen will.
Wird man diesem Anspruch aber gerecht, indem man auf Stammtischniveau durch Politiker- und Bürokratenschelte Politikverdruss befördert? Ist es Teil demokratischer Diskussionskultur, zu wettern, diejenigen, die sich den “Wahnwitz der Bürgerversicherung” ausgedacht hätten, “gehörten eigentlich eingesperrt”? Zeugt es von wissenschaftlicher Unabhängigkeit, sich in weiten Teilen wesentlich auf Quellen wirtschaftsnaher Institutionen oder Interessenvertreter zu stützen? Wäre die internationale makroökonomische Fachliteratur nicht ebenso zitierenswert wie Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Institut der deutschen Wirtschaft, Bertelsmann Stiftung, Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer oder Industrie- und Handelskammer?
Van Suntums Werk stellt einen traurigen Rückschritt in der Reformdebatte dar.