Die Handschrift des neuen Chefredakteurs der FR
Vermutlich zusammen mit vielen Nutzern der NachDenkSeiten war ich gespannt, wie sich der neue Chefredakteur Uwe Vorkötter in der Frankfurter Rundschau einführen wird. Am 27.6. erschien ein erster Kommentar zum Schwerpunkt Gesundheitsreform mit dem Titel „Die halbe Reform“.
Wenn dieser Kommentar des neuen Chefredakteurs die künftige Linie sein soll, auf die er die Redaktion bringen möchte, dann muss man sich Sorgen um den „linksliberalen Kurs“ der FR machen.
Ich zitiere dazu zunächst einen Absatz:
Es wäre fatal, die Beiträge zu den Sozialversicherungen noch weiter zu erhöhen. Diese Art der Finanzierung hat funktioniert, solange die Beschäftigung ebenso stieg wie Löhne und Gehälter, also in der alten Bundesrepublik, schön war die Zeit. Wer die Beitragszahler heute noch weiter fordert, überfordert sie. Deshalb ist es richtig, den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen.
Schon daran und am Titel „Die halbe Reform“ kann man viel erkennen:
- Der Chefredakteur folgt ziemlich unreflektiert dem allgemeinen „Reform“-Gerede.
- Er glaubt an die gängige Behauptung, die Lohnnebenkosten, seien eines der Hauptprobleme. „Es wäre fatal“, sie zu erhöhen, meint Vorkötter. Er wird, geht man nach diesem Text, zum Vertreter der Privatvorsorge werden. Denn die von ihm unterstützte Steuerfinanzierung ist – volkswirtschaftlich betrachtet – auch keine Lösung und keine Entlastung. Steuerzahler und Beitragszahler sind ziemlich identisch. Auch die Steuern müssen getragen werden, im konkreten Fall der Bundesrepublik in der Regel von der Lohnsteuer- und Mehrwertsteuerzahlern. Die Verschiebung auf Steuern wird zudem in der bundesrepublikanischen Praxis häufig bedeuten, dass die Verantwortlichen unter dem Druck der Steuerzahler dann immer wieder auf die Idee kommen, Leistungen zu kappen. Wir kennen das ja schon: Mit der im Dezember 2003 verabschiedeten Gesundheitsreform wurde das Tagegeld und der Zahnersatz aus der gesetzlichen Krankenkasse gestrichen und der Privatvorsorge überantwortet. Jetzt soll das nach dem Wunsch einiger Politiker der Union mit den Kosten von Unfällen geschehen. – Siehe zum Thema Steuerfinanzierung auch den Eintrag im kritischen Tagebuch vom 23.6.
- Vorkötter folgt der gängigen These, wir lebten eben „nicht in der alten Bundesrepublik“. Zu behaupten, wir lebten in einer ganz neuen Zeit, das ist der gängige Trick der Systemveränderer./li>
- Und ganz wichtig: dass früher die Beschäftigung und die Löhne und Gehälter stiegen war für Vorkötter quasi gottgegeben, dass sie das heute nicht mehr tun, offenbar auch. Er gehört also zu denjenigen, die das Ziel von Vollbeschäftigung und Wachstum auch durch steigende Löhne längst abgeschrieben haben. Den Gestaltungsspielraum des Staates betrachtet der neue Chefredakteur offenbar nicht als hoch.
Wie anders liest sich da ein Kommentar des Chefredakteurs des Berliner Tagesspiegel vom 1.7.. Auch dazu ein paar Hinweise.
„Der Rumpelpräsident
Zwei Jahre ist Bundespräsident Köhler im Amt. Eine Rückblick und ein Ausblick von Stephan-Andreas Casdorff“
Ich zitiere auch daraus eine Passage:
25 Jahre angebotsorientierter Politik, an denen Köhler seinen Anteil hat, und Jahrzehnte erfolgloser Arbeitsmarktpolitik, Verschärfungen in diesem Sektor, die zur Verschärfung der Lage führten – minus mal minus mal minus ergibt hier kein Plus.
Beim Tagesspiegel ist immerhin schon angekommen, dass die Angebotsökonomie und die darauf gründende Reformpolitik nicht sehr erfolgreich waren sind.
Auch wenn ich den Vergleich zweier Kommentare nicht überbewerten will: Wenn sich die Frankfurter Rundschau von einem im Kern eher konservativen Blatt bei der kritischen Begleitung des Geschehens in Deutschland abhängen lässt, dann ist das nicht gut für sie. Für die demokratische Meinungsbildung in Deutschland sowieso nicht.