Quo vadis Frankfurter Rundschau?
Die Gesellschafterversammlung der Druck- und Verlagsgesellschaft hat den bisherigen Chefredakteur der FR, Wolfgang Storz, am 16. Mai 2006 fristlos entlassen. Spätestens zum 1. Juli soll ihm Uwe Vorkötter, der bisherige Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, nachfolgen. Gründe für den Wechsel wurden nicht genannt. Die Redaktion der FR hat erklärt, dass sie die Entlassung „nicht billigt“ und dass sie den Weg einer linksliberalen, überregionalen Qualitätszeitung „gern weiter“ mit Storz gegangen „wäre“. Der Konjunktiv in dieser Formulierung, also die Möglichkeitsform, die dabei gewählt wurde, wirft die Frage auf, soll der bisherige Weg durch den Wechsel in der Chefredaktion verlassen werden?
Auch wir von den NachDenkSeiten können über diese Frage nur spekulieren, Antworten wird man erst erhalten, wenn man die „Handschrift“ von Vorkötter im Blatt nachlesen kann.
Durchgesickert ist bisher jedoch, dass es zwischen der SPD-eigenen Medienholding DDVG und Storz kein „Vertrauensverhältnis“ mehr gegeben habe. Die FR war 2003 in derartige finanzielle Schwierigkeiten geraten, dass die CDU-regierte Landesregierung mit einer Landesbürgschaft einspringen musste. Das war für eine linksliberale Zeitung schon ein ziemlicher Tabubruch. Im Mai 2004 übernahm dann die DDVG 90% der Anteile am Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main (DUV) als Herausgeberin der FR. Wie heute üblich wurde ein Kostenersparnis-Berater, die hanseatischen Unternehmensberatergruppe Schickler & Partner, eingeschaltet, um einen drastischen Sparkurs durchzusetzen. Durch Entlassungen und Outsourcing wurde die Zahl der Beschäftigten von 1700 auf 750 abgebaut. Für den Chefredakteur sicher eine schwierige Zeit vieler Konflikte mit den Mehrheitseignern. Schon seit Herbst vergangen Jahres, so hieß es, hing seine Zukunft bei der FR nur noch an „einem seidenen Faden“. Wie immer bei einem derart drastischen Personalabbau gab es natürlich auch Ärger mit der eigenen Redaktion. Storz war nicht mehr unumstritten. Im März 2006 wurde bekannt, dass die DDVG ihren Anteil reduzieren oder gar komplett weiterverkaufen wolle. Die WAZ-Gruppe, das Kölner Verlagshaus DuMont und die gleichfalls wieder zu 23% im Besitz der DDVG befindliche hannoversche Verlagsgesellschaft Madsack sollen Kaufangebote gemacht haben.
Mit dem Nachfolger Vorkötter wurde auch die Verlagsgruppe Holtzbrinck als Aspirant ins Gespräch gebracht. Vorkötter war Chefredakteur der “Berliner Zeitung”. Der Stuttgarter Verlag hatte 2002 die „Berliner Zeitung“ vom Verlag Gruner + Jahr abgekauft. Das Bundeskartellamt hatte jedoch diese Übernahme untersagt, weil Holtzbrinck in Berlin schon der „Tagesspiegel“ gehörte und mit der Übernahme der „Berliner Zeitung“ bei den Abonnementszeitungen einen Marktanteil von über 60% erobert hätte. Nachdem mehrere Rochaden mit den Besitzverhältnissen beim „Tagesspiegel“ vor Gericht scheiterten, verlor Holtzbrinck sein Interesse und trotz einer heftigen öffentlichen Debatte übernahm ein britischer Finanzinvestor, David Montgomery, die „Berliner Zeitung“. Vor allem Vorkötter als Chefredakteur des Blattes setzte sich dagegen zur Wehr und erntete den Ruf eines „Heuschrecken“- Bekämpfers. Holtzbrinck hat jedoch durch den Verkauf das „Spielgeld“, um bei der FR einzusteigen.
Für die Spekulation einer Übernahme durch Holtzbrinck spricht ferner, dass ein Anteilseigner, der seine Anteile verkaufen will, normalerweise „einem künftigen Mehrheitseigner nicht einen neuen Chefredakteur vor die Nase (setzt), mit hohem Gehalt und langer Restlaufzeit seines Vertrages“ (SZ vom 17.03.06). Mit Vorkötter hat Holtzbrinck schon gute Geschäftserfahrungen gemacht, er hat dem Verlag der „Berliner Zeitung“, der auch den „Berliner Kurier“ herausgibt, immerhin eine Rendite von 12% gebracht – und das ist in einer Zeit, wo gerade Tageszeitungen eher finanzielle Schwierigkeiten haben, ein stolzer Gewinn.
Vielleicht mag diese „Geschäftstüchtigkeit“ ein wichtiges Motiv gewesen sein, Vorkötter in die FR zu holen.
Allein die journalistischen Erfolge können wohl kaum im Vordergrund gestanden haben. Die „Berliner Zeitung“ war angetreten, dem Westberliner bürgerlich-liberalen Stammblatt „Tagesspiegel“ den Kampf anzusagen. Man wollte aus dem Ostberliner Getto ausbrechen und in die westlichen Stadtteile vordringen. Dieses Projekt ist weitgehend gescheitert und dem „Tagespiegel“ als „der“ Hauptstadtzeitung konnte man seinen Platz auch nicht streitig machen. Überregional drang die „Berliner Zeitung“ gleichfalls nicht durch.
Was könnte nun der Wechsel in der Chefredakteurs-Etage für die künftige Linie der FR bedeuten?
Sieht man einmal von den beiden Wirtschaftszeitungen „Financial Times Deutschland“ und „Handelsblatt“ ab, ist die FR mit einer Auflage von rund 170.000 Exemplaren, die zweitkleinste unter den fünf überregionalen sog. „Qualitätszeitungen“. „Die Welt“ mit 250.000 Exemplaren gilt als bekennend konservativ, proisraelisch und der transatlantischen Freundschaft verpflichtet. Die FAZ mit einer Auflage von 375.000 ist schwarz-rot-gold: Schwarz für die konservative Politikredaktion, rot für das gelegentlich einmal kritische Feuilleton und gold für den äußerst wirtschaftsliberalen Wirtschaftsteil. Die mit 440.000 Exemplaren auflagenstärkste Tageszeitung in diesem Quartet, die Süddeutsche, fährt innen- und rechtspolitisch einen links-liberalen Kurs, im Wirtschaftsteil ist sie jedoch stramm wirtschaftsliberal. Die kleine ständig in Finanznöten steckende taz mit einer verkauften Auflage von 60.000 Exemplaren dümpelt zwischen dem breiten politischen Spektrum der Grünen, manchmal Öko-FDP, manchmal eher nach links.
Die Redaktion der FR versteht ihren Weg als linksliberal.
Der jetzt entlassene Wolfgang Storz kam von der IG Metall, er war dort verantwortlich für die Printmedien und für Medienberatung. Unter Storz kamen in der FR, mehr als bei allen anderen Tageszeitungen, auch gewerkschaftliche Meinungen zu Wort, nicht selten wurden jedoch IG Metall-Chef Peters und der ver.di-Vorsitzende Bsirske als „Traditionalisten“ oder gar als „Betonköpfe“ abgestempelt. In der FR konnte man doch immer wieder auch Kritisches zum Agenda-Kurs der Kanzlerschaft Schröders lesen und bei Hartz hatte sie von Anfang an auch Zweifel angemeldet.
Das hat ihr wohl von den Kollegen der SZ das Verdikt „traditionell, links-orthodox“ eingetragen. (SZ v. 17.05.06) (Was allerdings eher Rückschlüsse auf die politische Verortung der Kollegen der SZ im modernistischen Lager der politischen Beliebigkeit zulässt.)
Nach der Übernahme durch die SPD-eigene DDVG gab es Spekulationen, ob die FR zum SPD-Parteiblatt gemacht werden sollte. Bis heute ist es nicht geklärt, ob es eine politische Demonstration von Mitarbeitern der FR war, oder ob es ein technisches Versehen war, als nach der Übernahme auf dem Titelkopf eines Tages statt „Unabhängige“ einmal „Abhängige Tageszeitung“ gedruckt stand.
Beim letzten Bundestagswahlkampf hat sich die FR – im Gegensatz zu allen anderen – den Holzhammermethoden gegen die Linkspartei weitgehend enthalten und sie hat nicht wie andere den politischen Wechsel herbeigeschrieben. Andererseits hat sie sich bei den politischen Hasard-Spielchen Schröders oftmals auffallend zurückgehalten. Immerhin konnte man aber auf den Dokumentationsseiten manchen Text lesen, der ohne die FR nur noch eine verschwindende Minderheit erreicht hätte und im Wirtschaftsteil kamen eben nicht nur die wirtschaftsliberalen sondern auch gewerkschaftsnähere Wirtschaftsinstitute zu Wort.
Nicht nur für das „Sozialkundelehrer- und Gewerkschaftsmilieu“, wie wiederum die SZ lästerte, sondern für die gesamte Bandbreite der veröffentlichten Meinung wäre es jedenfalls ein Verlust, um nicht zu sagen ein Ruck nach rechts, wenn – und sei es unter dem Vorwand der Steigerung der Auflage – nun auch noch die FR auf den Meinungsmainstream getrimmt werden würde. Der kommissarische Interims-Chefredakteur Richard Meng fühlte sich auf eine kritische Leseranfrage hin schon bemüßigt, solche Befürchtungen zu zerstreuen: „Die Redaktion steht dafür, dass die FR in ihrem journalistischen Selbstverständnis, ihrem publizistischen Anspruch und ihrer Entschiedenheit das bleibt, was sie ist.“
Richard Meng wollen wir dieses Bekenntnis gerne abnehmen, die Frage ist allerdings, was sein künftiger Chefredakteur Vorkötter davon hält. Sein bisheriger „Kurs“ lässt da doch Zweifel aufkommen.
Vorkötter ist studierter Volkswirt. Er startete 1980 als Wirtschaftsredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, war dort später u.a. Leiter der Wirtschaftsredaktion und von 1995 bis 2001 Chefredakteur, danach wechselte er als Chefredakteur zur „Berliner Zeitung“.
Sein Widerstand gegen die Übernahme der Zeitung durch den britischen Investor gab ihm zuletzt das Image eines „Barrikaden“-Kämpfers gegen die „Heuschrecken“, schaut man jedoch auf manche seiner Kommentare, so ist dieses Image wohl eher seinem Einsatz in der Abwehrschlacht gegen einen in Fachkreisen wegen seiner rüden Methoden „Rommel“ genannten Renditenhai zu verdanken. Schließlich will Montgomery ohne jegliches verlegerische Konzept aus dem übernommenen Berliner Verlag schon bis 2008 einen Gewinn von 21 Prozent herauspressen.
Gewerkschaftlichen Forderungen stand jedoch Vorkötter schon eh und je ziemlich kritisch gegenüber, ob es nun um Arbeitszeitverkürzung oder um Lohnerhöhungen ging. Er lobte die Hartz-Reformen und die Agenda-Politik, ja Schröders „Reformen“ gingen ihm sogar bei weitem nicht weit genug. Vor der Bundestagswahl im September 2002 konnte man von ihm lesen: „Der Eindruck, die Koalition habe sich gedrückt, den Besen überhaupt in die Hand zu nehmen, ist schwer zu widerlegen.“
Kurt Becks Antrittsrede als SPD-Vorsitzender kommentierte er am 25.4.06 so:
„Der Staat als große und verlässliche Sozialversicherung gegen die Risiken des Lebens und der Globalisierung: diesen Staat gibt es nicht mehr, egal ob die Steuern erhöht werden oder nicht…Dieser Sozialstaat ist mit der Nachsorge beschäftigt und überfordert…Kurt Beck hat diese Probleme…nicht wirklich benannt…Inhaltlich lässt der designierte Vorsitzende vorerst fast alles offen. Das ist womöglich klug, denn die Programmpartei SPD will ihr Programm erarbeiten und es sich nicht vorsetzen lassen…Als linke Volkspartei muss sie (die SPD) verhindern, dass sich auch im Westen links von ihr dauerhaft eine Konkurrenz etabliert. Die soziale Mitte ist gegen eine Kanzlerin zu behaupten, die ihre neoliberalen Reformpläne längst ad acta gelegt hat.“
Kann man daraus einen linksliberalen Standpunkt ableiten? Ist da nicht fast alles beschrieben, was den aktuellen Mainstream ausmacht: Die Globalisierung bedeutet das Ende des Sozialstaats, er ist überfordert. Die SPD als „Soziale Mitte“? Eine Kanzlerin, die ihre „neoliberalen Reformpläne“ ad acta gelegt habe? Wo muss man politisch stehen, um zu solchen Urteilen zu kommen? Und wo bleibt da die für einen kritischen Journalisten angemessene Distanz zu den gängigen Parolen? Ulrike Simon sieht es im „Tagesspiegel“ so:
„Branchenkenner sehen in Vorkötters Berufung zur traditionell gewerkschaftlich orientierten FR das Signal für einen publizistischen Kurswechsel, zumal sich seine Ansichten zu Wirtschafts- und Sozialpolitik deutlich von Storz unterscheiden.“
Wir von den NachDenkSeiten wollen mit unserem Urteil erst einmal abwarten, ob der derzeitige kommissarische Chefredakteur Richard Meng mit seinem Versprechen Recht behält:
„Als linksliberales, überregionales Qualitätsblatt haben wir unter den deutschen Zeitungen eine Rolle, die täglich neu ausgefüllt und ausgebaut sein will. Dem gerecht zu werden ist und bleibt unser Anspruch – und Personalwechsel an der Redaktionsspitze stellen diesen Anspruch in keiner Weise in Frage.“
Wir würden einen Kurwechsel in die „Mitte“ als einen weiteren Verlust der Meinungsvielfalt bedauern. Wir wüssten auch gar nicht, wo auf dem „Meinungsmarkt“ eine wirtschaftsliberale, in die Mitte rückende FR, neben den anderen überregionalen Zeitungen noch ein Plätzchen finden könnte. Mittiger als die anderen kann die FR doch gar nicht werden.
Ganz schlimm fänden wir es für die deutsche Zeitungslandschaft, wenn sich die FR, die ihr Kernverbreitungsgebiet in Frankfurt (55%) und in Hessen (mit über 70%) durch den weiteren Abbau von Redaktionsmitgliedern in Berlin, von Landeskorrespondenten in anderen Landeshauptstädten oder im Ausland sich als Regionalzeitung auf den Heimatmarkt zurückziehen, also eine Provinzzeitung würde.