Nachtwächter über den Nachtwächterstaat
Mit einem „Zwar-Aber“-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Vertrag von Lissabon passieren lassen, die Selbstentmachtung von Bundestag und Bundesrat durch das Begleitgesetz zur Zustimmung jedoch kassiert. Das Gericht entzog sich weitgehend einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Reformvertrag und stellte vor allem darauf ab, ob dieser die staatliche Souveränität tangiere. Das Gericht ließ den Lissabon-Vertrag passieren und schränkte nur die Reichweite dieses Vertrages etwa im Justizwesen und beim Militär ein. Nur für zukünftige Entscheidungen einer fortschreitenden europäischen Integration verlangte es „Einzelermächtigungen“ die dem „Demokratieprinzip“ (also vor allem der Zustimmung der Gesetzgebungsorgane) entsprechen. Der Sozialstaat sei durch die Vertragswerke der europäischen Union nicht tangiert. Das Bundesverfassungsgericht reduzierte seine Existenzberechtigung auf eine „Reservekomptenz“ über die „unverfügbare Verfassungsidentität“, also letztlich auf den Kernbestand der Staatlichkeit. Dem Gericht bleibt künftig die Rolle des Nachtwächters über den Nachtwächterstaat. Wolfgang Lieb