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Sozialstaat

Das „Pflege-Elend“ – eine zynische Instrumentalisierung von Pflegebedürftigen zu Propagandazwecken für die private Pflegeversicherung durch BILD

„In Deutschland bekommt jeder 3. Pflegefall nicht genug zu essen und nicht genug zu trinken!“ „Jeder 3. Patient wird nicht häufig genug umgebettet.“ Mit solchen Schlagzeilen macht BILD einen Prüfbericht der Medizinischen Dienste (MDK) über die teilweise schlimmen Zustände in deutschen Pflegeheimen auf. Wer jedoch geglaubt hatte, BILD würde ein soziales Anliegen zur Verbesserung der Pflegesituation verfolgen, sieht sich am 3.9.07 eines Schlechteren belehrt. BILD fragt: „Brauche ich eine private Pflegversicherung?“ und macht unverhohlen Propaganda dafür. Wolfgang Lieb

Bundesverfassungsgericht: Sozialstaat nach Kassenlage

Sowohl die am Preisindex ausgerichtete Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 als auch deren Unterbleiben zum 1. Juli 2004 seien gesetzliche Maßnahmen, die von dem gewichtigen öffentlichen Interesse bestimmt seien, einem Finanzierungsdefizit der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenzuwirken. Maßgebend für die Ausrichtung der Rentenanpassung am Ziel des Inflationsausgleichs zum 1. Juli 2000 sei der sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung gewesen.
Die Gründe für die Staatsverschuldung und die Frage, ob die jeweilige Finanzpolitik richtig oder falsch war, all das interessiert die Richter nicht. Das Bundesverfassungsgericht hält Rentenanpassungen je nach Kassenlage für verfassungsgemäß. Wolfgang Lieb

Deutsches Institut für Altersvorsorge: “Verloren im Dschungel der Möglichkeiten”

Informationsdefizite, Überforderungen durch Produkt- und Fördervielfalt sowie Geldmangel sind die größten Hemmnisse für eine effektive und passgenaue Altersvorsorge. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA). Für die Studie wurden 26 Bundesbürger im Alter von Ende 20 bis Mitte 40 vom Forschungsinstitut empirica (Berlin) im Auftrag des DIA jeweils bis zu zwei Stunden befragt. Das Ergebnis: Die Komplexität der Materie und die verwirrende Vielfalt der Förderwege sowie die Furcht vor einer falschen Anlageentscheidung und einer langfristigen Festlegung schrecken vom Abschluss eines Altersvorsorgevertrags ab.
Wieder einmal ein typisches PR-Machwerk als “Studie” getarnt. Wolfgang Lieb

Deutschlands größte Blase ist vermutlich die private Altersvorsorge – weil sie beim Platzen die breiteste Wirkung erzielt

Mit Befürwortern der Ausweitung der kapitalgedeckten Privatvorsorge zu Lasten der Gesetzlichen Rente und des Umlageverfahrens hatte ich schon viele heiße Diskussionen über die Frage, warum die Privatvorsorge eigentlich rentabler sein sollte als das Umlageverfahren – wo doch schon für Verwaltung, Vertrieb der Policen, Werbung, Provisionen und Anlagestrategien ein riesiger Aufwand betrieben wird und nach Abzug dieser Kosten gleich mal mindestens 10% weniger Geld zum Sparen (und Arbeiten) zur Verfügung steht. Wenn die Privatvorsorge-Befürworter nicht mehr weiter wissen, dann kommen sie bisher mit dem Hinweis, bei der Privatvorsorge könnten die Gelder im Ausland angelegt werden und dort würden höhere Renditen erzielt. Ich habe dieses Argument zwar nie kapiert, weil mir nicht schlüssig war, dass eine Anlage in Bangladesch oder Ägypten, GB oder in den USA nun grundsätzlich rentabler sein sollte als bei uns. Heute begreife ich: Die Privatvorsorgewerber meinen z.B. die „rentablen“ Anlagen in „Wertpapieren“, die faule US-Hypotheken und andere unsicheren Forderungen bündeln. – Das kann noch munter werden und viele betreffen, die den besseren Renditeversprechen geglaubt und „geriestert“ oder „gerürupt“ haben. Albrecht Müller.

IMK: Die Arbeitsmarktreformen spielen beim Abbau der Arbeitslosigkeit keine große Rolle

Die Ökonomen des IMK, Gustav Horn, Camille Logeay, Diego Stapff verglichen in einer Studie [PDF – 276 KB] die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung im aktuellen Konjunkturverlauf mit der im Aufschwung zuvor. „Zwar ist der jüngste Aufschwung – wie gewünscht – zuletzt beschäftigungsintensiver geworden als der vorherige“, stellt das IMK fest: Es werde mehr gearbeitet. Allerdings schlage sich dies nicht in der Zahl der Beschäftigten nieder. Stattdessen arbeiten diejenigen mehr und länger, die bereits Arbeit haben. Die Unternehmen nutzen eher längere Arbeitszeiten, bevor sie neue Beschäftigte einstellten.

Staat zahlt 2,1 Milliarden Subventionen für die private „Riester-Rente“

Hinzu kommen noch Steuermindereinnahmen durch die Möglichkeit von Steuerersparnissen für den Aufbau der Riester-Rente von derzeit jährlich maximal 1.575 Euro. Mit Riesensummen subventionieren also die Steuerzahler damit gleichzeitig auch das Zusatzgeschäft der Versicherungswirtschaft. Sozialminister Müntefering feiert die Abschlusszahlen für die Riester-Rente als Riesenerfolg. Dabei sind es gerade mal ein Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die einen solchen Vertrag abgeschlossen haben – nämlich 9 von 27 Millionen. Dieses Drittel gehört jedoch gewiss nicht gerade zu denjenigen Erwerbstätigen, die das größte Armutsrisiko im Alter tragen. Wolfgang Lieb.

Ideologische und herrschaftliche Hintergründe der „Ein-Euro-Jobs“

Die Ein-Euro-Job-Ökonomie ist ein gigantisches Wohlfahrtsprogramm für die Beschäftigungsträger, privaten Arbeitsvermittler und für die finanziell ausgebluteten Kommunen, aber vor allem für die sozialen wie kulturellen Träger und Wohlfahrtskonzerne darstellt. Diese eignen sich die Arbeitsleistungen der Erwerbslosen kostenlos sowie die bundesstaatlich mitgesponserten „Verwaltungspauschalen“ für die Beschäftigung der Erwerbslosen gewinnbringend an.
Die Hartz-Reformen bedeuten letztlich:

  • die herrschaftlich inspirierte Zurichtung der Erwerbslosen als sich selbst verwertende und von jeglichen eigenen Ansprüchen befreite Selbstunternehmer – insbesondere für den Niedriglohnbereich;
  • die generelle politische Disziplinierung, Erpressung und Einschüchterung der regulär Beschäftigten, um Löhne zu senken, die Arbeitszeit zu verlängern, Schutzrechte abzuschaffen etc.;
  • die radikale Senkung der Lebensunterhaltungskosten für die erwerbslosen Menschen.

Lesen Sie dazu einen Beitrag von Christian Girschner.

Lizenz zur Grausamkeit

Bei Telepolis erschien schon im Juli ein interessantes Interview mit dem Hamburger Kriminologen Fritz Sack über die „neue Straflust der Gesellschaft“. Lesenswert. Es geht um den Zusammenhang zwischen neoliberaler Ideologie und der Neigung, Menschen weg zu sperren und sie grausam zu behandeln statt ihre Wiedereingliederung zu fördern. Albrecht Müller.

Nochmals zum Mythos: Die Sozialausgaben sind zu hoch

Karl Mai hat in seinem Beitrag vom 17.08.07 die Aussage von Professor Fuest in der FTD, der Anteil der „Sozialausgaben“ läge in Deutschland höher als in allen anderen OECD Ländern mit den gängigen Statistiken konfrontiert und sie als fragwürdig und neben der Faktenlage liegend kritisiert. Von einem unserer Leser darauf hingewiesen, erwidert Fuest, dass er sich nicht auf „Sozialschutzausgaben“ sondern auf die „Sozialtransferquote“ [PDF – 28 KB] beziehe.
Karl Mai repliziert nun seinerseits und weist darauf hin, dass diese statistische Abgrenzung unüblich sei und Fuest in seinem FTD-Artikel diese Besonderheit nicht erwähnt habe, sondern allgemein die hohen „Sozialausgaben“ in Deutschland kritisierte.
Es gehe dabei allerdings nicht um einen Streit über Statistik, sondern darum, dass in der neoliberalen ökonomischen Lehre der Abbau von Sozialleistungen zum Credo gehöre.

Die Reformen greifen: Die Zufriedenheit mit der Gesundheitsvorsorge sinkt

In den meisten Ländern der EU-15 ist die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem jeweiligen Gesundheitssystem seit Mitte der 90er Jahre drastisch gesunken. In Deutschland schrumpfte der Anteil der Zufriedenen überdurchschnittlich stark von knapp 64 auf 31 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Claus Wendt vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der WSI-Mitteilungen.

Mythos: Sozialausgaben sind zu hoch

In der FTD vom 4.7.2007 repetiert Clemens Fuest, seines Zeichens Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Köln, die gängige These, dass „die Ausdehnung der Sozialbudgets in Deutschland die Finanzierungsspielräume bei anderen wichtigen öffentlichen Ausgaben – vor allem Investitionen – verdrängt. Es ist höchste Zeit, dass diese Fehlentwicklung korrigiert wird. Dazu ist es erforderlich, die sozialen Sicherungssysteme weiter zu reformieren, um den mittelfristigen Bedarf an steuerfinanzierten Zuschüssen in möglichst engen Grenzen zu halten.“ Er behauptet weiter: „Der Anteil der Sozialausgaben lag in Deutschland … höher als in allen anderen OECD-Ländern.“
Karl Mai hat diese Behauptungen nachgeprüft. Ergebnis: Die ideologische Brille des Herrn Professors verfälscht die Faktenlage. Aber der Mythos über die zu hohen Sozialabgaben passt ja auch zu schön in die „Reform“-Rethorik zur Haushaltskonsolidierung und zum Umbau des Sozialstaats.

PR statt FR

Vor wenigen Tagen ließ sich der in der Mediengruppe DuMont Schauberg (MDS) erscheinende Kölner Stadtanzeiger als Retter der Pressefreiheit feiern, weil diese Zeitung den Versuch einer vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten PR-Agentur abgewiesen hat, eine positive Berichterstattung für den CSU-Minister zu erkaufen. Jetzt macht sich die zu 51 Prozent dem gleichen Verleger gehörende FR zur PR-Agentur für die Versicherungswirtschaft: „Im Auftrag der FR-Wirtschaftsredaktion“ beantworten in einer Telefonaktion am 20. August vier Experten des „Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft“ Fragen rund um die Altersvorsorge. Propaganda für ein Ministerium: Nein. Propaganda für die Versicherungswirtschaft: Ja. Wo liegt da eigentlich journalistisch ein Unterschied? Die Gegenfinanzierung durch das Schalten von Anzeigen der Versicherungswirtschaft dürfte für die FR gesichert sein – selbst wenn es darüber keine schriftliche Vereinbarung geben sollte. Wolfgang Lieb.

Die Propaganda für Privatvorsorge wird immer dreister – und Politik und Wissenschaft immer schamloser.

Heute zu besichtigen erstens auf einer Doppelseite der Super Illu Nr. 33/2007 [PDF – 668 KB] mit Walter Riester, Bert Rürup und Carsten Maschmeyer (AWD) bei einer Super Illu-Aktion in Zusammenarbeit mit AWD und Focus Money sowie zweitens in der Frankfurter Rundschau mit der Ankündigung einer FR-Telefon-Aktion mit vier „Experten“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Albrecht Müller.