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Titel: Die Bild-Zeitung macht für Steuersenkungen und die FDP mobil

Datum: 24. Juni 2011 um 9:18 Uhr
Rubrik: FDP, Steuern und Abgaben, Strategien der Meinungsmache
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„Bis zu 1150 Euro mehr im Jahr sind drin!“, so titelte gestern die Printausgabe der Bild-Zeitung auf Seite 2. „Millionen Arbeitnehmer erhalten endlich mehr Netto!“ „Bis spätestens 2013 sollen vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. Das hat Angela Merkel dem neuen FDP-Chef Philipp Rösler in einem vertraulichen Gespräch Anfang Juni zugesagt“, jubelt das Kampagnen-Blatt.
In bild.de wird „die große Netto-Tabelle“ veröffentlicht. Schaut man sich die vom „Bund der Steuerzahler“ erstellte Tabelle genauer an, wird allerdings die ganze Bauerfängerei deutlich: Familien mit einem hohen Bruttoeinkommen von 6.000 Euro werden pro Jahr in absoluten Zahlen fast hundert Mal mehr entlastet als solche mit einem Bruttolohn von 2.000 Euro. Je höher das Einkommen, desto höher auch die prozentuale Entlastung. Die Partei der Besserverdienenden hat sich in der schwarz-gelben Koalition mal wieder durchgesetzt. Von Wolfgang Lieb

Lassen wir einmal den Irrsinn beiseite, dass bei einer nach wie vor notwendigen Netto-Neuverschuldung der Öffentlichen Hände Steuersenkungen über (teure) Kredite finanziert werden müssen. Deren Zinsen wiederum die kassieren, die das nötige Gesparte unmittelbar oder mittelbar über Pensionsfonds in Staatsanleihen anlegen können. Die Zinsen dafür müssen mit ihren Steuern (z.B. Mehrwertsteuer) natürlich auch diejenigen bezahlen, die keine Steuerentlastung bekommen und nichts auf der hohen Kante haben.

Eine glatte Irreführung

Wer die Tabelle mit den Nettoentlastungen der jeweiligen Einkommensstufen genauer ansieht, wird sofort erkennen, wie hier die Mehrheit der Menschen hinters Licht geführt wird.

Steuersenkung?

Quelle: bild.de

Unterstellen wir, die vom Bund der Steuerzahler – einer Lobbyorganisation im Interesse von Mittelständlern und besser Verdienenden – erstellte Tabelle, stimme mal ausnahmsweise. Danach würde ein verheiratetes Ehepaar mit 2 Kindern (Steuerklasse III) mit einem Bruttoeinkommen von 2.000 Euro pro Monat im Jahr um 12 Euro (!) entlastet, hätte diese Familie aber 6.000 Euro pro Monat, so würde sie um 1.152 Euro im Jahr entlastet – also um fast das einhundertfache. Die Familie mit dem kleinen Einkommen würde bezogen auf den Bruttolohn um 0,05% entlastet, die mit dem größeren um 1,62%. Der Prozentsatz der Entlastung bezogen auf das Bruttoeinkommen steigt mit den dort ausgewiesenen Einkommensstufen von den unteren Bruttolöhnen bis zu den oberen deutlich an. (2.000 Euro: Entlastung = 0,05%; 2.500 Euro: Entlastung = 0,28; 3.000 Euro: Entlastung = 0,73%; 3.500 Euro: Entlastung = 1,06%; 4.000 Euro: Entlastung = 1,33% bis auf 1,62% bei 6.000 Euro)

Schauen wir uns dazu die Bruttomonatsverdienste von Vollzeitbeschäftigten aus dem 4. Quartal 2010 einmal an (die Prozentwerte weisen die Veränderungen gegenüber dem 4. Quartal 2009 aus):

Reallohnverluste

Quelle: Statistisches Bundesamt

Aus dieser Tabelle des Statistischen Bundesamtes ist unschwer erkennbar, dass in keinem einzigen Wirtschaftszweig der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst auch nur annähernd die Höhe von 6.000 Euro erreicht. Die Schlagzeile in der Bild-Zeitung: „Bis zu 1150 Euro Mehr im Jahr sind drin!“ und die Behauptung „vor allem kleine und mittlere Einkommen“ würden entlastet ist also eine Irreführung. Da die Bild-Zeitung und der selbst ernannte Steuerzahlerbund diese Fakten kennen müssten, muss man von einer glatten Lüge sprechen.

Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen im Gastgewerbe oder Arbeitnehmer würden überhaupt nicht entlastet. Arbeitnehmer, die sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen erbringen, erhielten eine Entlastung von gerade einmal um 12 Euro pro Jahr, Bauarbeiter durchschnittlich vielleicht 160 Euro pro Jahr (13 Euro im Monat). Im gesamten produzierenden Gewerbe und im gesamten Dienstleistungsbereich wäre die Entlastung rund 348 Euro im Jahr. Glauben Frau Merkel und Herr Rösler, dass diese Durchschnittsverdiener mit diesen 29 Euro „mehr Netto“ im Monat große Sprünge machen könnten?

Millionen von arbeitenden Menschen werden überhaupt nicht entlastet:

Nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg verdienten 2009 gut 22 Prozent (also fast jeder Fünfte) der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) monatlich weniger als 1784 Euro brutto und arbeiteten damit unterhalb der Niedriglohnschwelle. (OECD-Standard = 2/3 des Medianlohns). Im Osten Deutschlands sind es sogar etwa 40 Prozent der Beschäftigten [PDF – 252 KB].

Ende September 2010 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) über 7 Millionen geringfügig entlohnte Beschäftigte, jedes vierte der knapp 30 Millionen Arbeitsverhältnisse ist ein geringfügig entlohntes.

Geringfügig Beschätigte in Deutschland

Quelle: Statista

Knapp fünf Millionen arbeiten ausschließlich als Minijobber. Auch die überwiegende Zahl der fast eine Million Leiharbeiter, die oft 30, ja sogar 50% weniger Entgelt erhalten als Stammbeschäftigte [PDF – 119 KB] dürfte unterhalb der Entlastungsgrenze liegen und schon gar nicht dürften die 1,3 Millionen Menschen, die aufstockendes Alg II beziehen, von der Wohltat dieser Steuersenkungen profitieren.

In der Steuerklasse I, also der Alleinstehenden Verdiener sieht es nicht viel anders aus als in der Steuerklasse III:

Bei einem Bruttomonatseinkommen eines/r Ledigen von 1.500 Euro liegt die Entlastung bei 120 Euro im Jahr (10 Euro im Monat), also bei 0,67 % bezogen auf das Brutto. Weil der Grenzsteuersatz bei niedrigen Löhnen besonders rasant steigt, zahlt der/die Alleinstehende mit 2.000 Euro Bruttolohn im Monat schon mehr als doppelt soviel Steuer, seine/ihre Entlastung liegt bei 300 Euro im Jahr (25 Euro im Monat) oder bei 1,25% des Bruttolohns. Die höchste prozentuale Entlastung liegt bei einem Einkommen von 3.000 Euro monatlich, nämlich bei 1,53%, das sind monatlich 46 Euro.
Doch selbst in diesen „Genuss“ dürften nur die Wenigsten kommen, denn das durchschnittliche Monatsbrutto eines ledigen Arbeitnehmers liegt bei 2.310 Euro im Monat.

Netto-Brutto-Relationen

Quelle: Sozialpolitik aktuell in Deutschland [PDF – 81.3 KB]

Ab 3.000 Euro aufwärts sinkt übrigens die prozentuale Entlastung bei Alleinstehenden wieder leicht und liegt bei 6.000 Euro bei nur noch 1,08%.
Der Verlauf dieser prozentualen Entlastungskurve dürfte dem sog. „Mittelstandsbauch“ geschuldet sein.

Tarnwort: Abflachung des „Mittelstandsbauchs“

Doch gerade dieser „Mittelstandsbauch“ – also eine Wölbung im Steuertarif – der ja mit der jetzt geplanten Steuersenkung angeblich „abgeflacht“ werden soll, war schon immer das Tarnwort für die PR-Kampagnen für Steuererleichterungen für Besserverdienende.
Wie in den Tabellen der Bild-Zeitung leicht erkennbar, steigen die Grenzsteuersätze gerade bei den niedrigeren Löhnen besonders steil an. Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 8.004 Euro werden 14 Prozent fällig, bei 13.469 Euro jährlich sind es schon 24 Prozent. Danach flacht die Progression stark ab, um dann schon bei 52.882 Euro zu versteuerndem Einkommen im Jahr den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zu erreichen.

Grenzsteuersätze

Quelle: Wikipedia

Ulrike Herrmann hat in der taz zu Recht darauf hingewiesen, dass Werbestrategen für die Steuererleichterung von Besserverdienenden den „Mittelstandsbauch“ hätten erfinden müssten, wenn es ihn nicht schon gäbe. Denn es gehöre zur Systematik der deutschen Einkommensteuer, dass auch die Reichen automatisch profitieren, wenn die unteren Tarife reformiert werden. Solange die Mittelschicht auf diese „Wampe“ starre, werde sie auch die Interessen der Eliten bedienen. Die Mittelschicht sollte lieber darauf achten, dass der Spitzensteuersatz wieder erhöht wird und vielleicht noch darauf, dass das Einkommen ab dem die „Spitzensteuer“ erhoben wird angehoben wird.

Doppelgewinner sind mal wieder die Besserverdienenden

Die jetzt neu entfachte Steuersenkungsdebatte soll natürlich zunächst einmal einen Ablenkungseffekt von den Ängsten der Menschen vor Belastungen durch die Euro-Krise bewirken.
Im Übrigen folgt diese Kampagne dem seit Jahren verfolgten Grundsatz:
Man tue bei den niedrigsten Einkommen gar nichts, entlaste die niedrigen Einkommen ein klein wenig, damit sie nicht merken, dass die Hauptgewinner die Best- und Besserverdiener sind. Wer hat schon 6.000 Euro im Monat?

Nach aller Wahrscheinlichkeit, sind es gerade diese Besserverdienenden mit 6.000 Euro Bruttoeinkommen, für die „bis zu 1150 Euro mehr im Jahr drin sind“, die wiederum diese Steuerentlastung unmittelbar oder mittelbar über Pensionsfonds in Staatsanleihen anlegen können. Die Besserverdienenden sind also die doppelten Gewinner: Sie werden steuerlich am stärksten entlastet und verdienen noch an den Zinsen, die sie für Kredite an den (um diese Steuersenkungen in Höhe von 9 bis 10 Milliarden) sich zusätzliche verschuldenden Staat kassieren können.

Und wenn dann die Steuereinnahmen konjunkturell wieder einbrechen sollten, dann kann man ja wieder ein „Sparpaket“ auflegen, mit denen man gerade diejenigen schröpft, die von der vorausgegangen Steuersenkung überhaupt nichts hatten, nämlich die Arbeitslosen und die Meisten unter den Rentnern.

Wiederbeatmung der FDP durch BILD

Die Bild-Zeitung hat mit ihren früheren (bis an die politische Erpressung reichenden) Steuersenkungskampagnen schon einmal der FDP zu ihrem Rekordwahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl verholfen. Jetzt wo die FDP als „Steuersenkungspartei“ darniederliegt, versucht BILD deren Wiederbeatmung.

Man darf gespannt sein, ob diese erneute Kampagne bei den Menschen ankommt, denn diese sind offenbar realistischer als die die schwarz-gelbe Koalition. Nach der jüngsten Umfrage vom Januar 2011 lehnten noch 60% der Befragten Steuersenkungen ab und hielten diese vor dem Hintergrund der anstehenden Aufgaben für indiskutabel. Aber der FDP reichen ja ein paar Prozent Wähler mehr, um wieder an die Macht zu kommen.

Außerdem kann sich das Meinungsbild schnell wieder ändern, wenn BILD wieder einmal monatelang für Steuersenkungen trommelt – und die anderen sog. Leitmedien – wie so oft – dieser Trommel folgen.

Harm Bengen

Quelle: Harm Bengen


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