Wessen Interessen vertritt der Bund der Steuerzahler?
In der Öffentlichkeit hat der 1949 gegründete Bund der Steuerzahler das Image als Schutzpatron aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Jeweils im Herbst veröffentlicht er sein „Schwarzbuch“ zur öffentlichen Verschwendung. Es enthält Beispiele für die tatsächliche oder angebliche Verschwendung von Steuergeldern bei Bund, Ländern oder Kommunen. Einen hohen Bekanntheitsgrad hat auch die so genannte „Schuldenuhr“: Diese „Uhr“ schreibt laufend die Entwicklung der Staatsverschuldung fort. Sie wurde zum Symbol für eine angeblich immer weiter um sich greifende Verschuldung, der Einhalt geboten werden müsse. Besonders medienwirksam ist auch der so genannte Steuerzahlergedenktag: Ab diesem Tag arbeiten die Steuerzahler nach den Berechnungen des Steuerzahlerbunds nicht mehr für den Fiskus, sondern für sich selbst.
Durch eine erfolgreiche Medienarbeit und vermeintlich wissenschaftlich untermauerte Positionen wird der Steuerzahlerbund in Politik und Öffentlichkeit als neutraler und seriöser finanzpolitischer Akteur wahrgenommen. Hierdurch gelingt es ihm, seine letztlich neoliberalen und unsozialen Politikvorstellungen bis weit in linke und linksliberale Organisationen und Parteien hinein zu streuen. Von Kai Eicker-Wolf / Patrick Schreiner
Aktuell ist der Bund der Steuerzahler in der öffentlichen Debatte um die Verankerung der Schuldenbremse in der hessischen Verfassung präsent: Er spricht sich, genau wie die Vereinigung hessischer Unternehmer(VhU), ohne Wenn und Aber für eine solchen Beschluss aus. Auch in diesem Fall ist es dem Steuerzahlerbund aufgrund sehr guter Kontakte zu den Medien gelungen, seine Position wirksam zu platzieren – so ist er aktuell ein in hessischen Zeitungen stark präsenter Akteur. In Niedersachsen fand die Kritik des Steuerzahlerbunds, dem die im Sommer 2010 angekündigten massiven Haushaltskürzungen der Landesregierung nicht umfangreich genug waren, mediales Gehör. Grund genug, sich etwas genauer mit dem Bund der Steuerzahler auseinanderzusetzen: Wer hat ihn gegründet, welche politischen Ziele verfolgt er, und wie setzt sich seine Mitgliedschaft zusammen?
Der Gründer
Gegründet wurde der Steuerzahlerbund von Karl Bräuer (1881-1964). Bräuer gilt dem Steuerzahlerbund noch heute als Person, deren Andenken wach zu halten ist: Das kleine, 1965 gegründete finanzwissenschaftliche Institut des Steuerzahlerbunds trägt seinen Namen. Alle drei Jahre wird der mit 10.000 Euro dotierte, so genannte Karl-Bräuer-Preis verliehen, und zwar – so schreibt es Steuerzahlerbund in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2002 – für publizistische und wissenschaftliche Arbeiten, „die sich in sachlich einwandfreier und eindrucksvoller Weise mit der Finanzwirtschaft der öffentlichen Hand befasst haben.“ Die wirtschaftspolitische Orientierung der seit 1957 geehrten Personen hat eine starke wirtschaftsliberale Schlagseite. Zu den Preisträgern gehören Journalisten der FAZ, Präsidenten der Bundesbank und neoliberale Hardliner unter den deutschen Ökonomen wie die beiden Professoren Horst Siebert (Kiel) und Bernd Raffelhüschen (Freiburg).
Wer näheres über Person und Gesinnung des Steuerzahlerbund-Gründers erfahren will, der wird im Internet bei Wikipedia fündig: Karl Bräuer übernahm 1935 einen Lehrstuhl an der Universität Leipzig, den vorher Bruno Molls inne hatte, und den dieser aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1934 hatte räumen müssen. Ein weiterer Karriereschritt war Bräuers Wahl zum Präsidenten der Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft im Jahr 1936. Die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft war die von den Nazis gegründete Standesorganisation für Wirtschaftswissenschaftler. Im Zuge der Entnazifizierung wurde Bräuer 1946 – als NSDAP-Mitglied, Untersturmführer der SS und Schulungsleiter für Rasse- und Siedlungsfragen – emeritiert und aus allen Ämtern entlassen. 1949 gründete er schließlich den Bund der Steuerzahler, aus dessen Vorstand er sich 1960 zurückzog.
Politische Ziele
Aufschlussreich sind die eigentlichen politischen Ziele des Steuerzahlerbunds, die in einer Studie des Berliner Politikwissenschaftler Rudolf Speth zu finden sind. So sieht der Steuerzahlerbund eine Staatsquote von gut 30 Prozent als erstrebenswert an – einen so geringen Wert weist kein entwickeltes Industrieland auf. Im Jahr 2008 lag die tatsächliche Staatsquote in Deutschland bei 43,5 Prozent, und schon dieser Wert war sehr niedrig und konnte nur durch massive Ausgabenkürzungen in den öffentlichen Haushalten erzielt werden. Auf der neoliberalen Agenda steht des Weiteren die Privatisierung von Kranken- und Pflegeversicherung. Auf diese Weise sollen die Sozialabgaben radikal gesenkt werden, die Arbeitgeber für ihre Beschäftigten zu leisten haben. Und aktuell fordert der Steuerzahlerbund weitere Steuersenkungen zu Gunsten von Unternehmen, Gutverdienenden und Reichen – begründet wird dies mit den laut der neuesten Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums nicht ganz so massiv ausfallenden Einbrüchen bei den Steuereinnahmen. Von mehr Personal in der Steuerfahndung hält der Steuerzahlerbund hingegen nichts.
Um seine politischen Ziele und Forderungen zu untermauern, agiert der Bund der Steuerzahler gerne auch mit falschen oder manipulierten Zahlen. Ein Beispiel, über das die „Berliner Umschau“ im April 2010 berichtet hat: Immer wieder behauptet der Steuerzahlerbund, Deutschland habe mit die höchsten Steuer- und Abgabelasten, verglichen mit anderen Staaten. Diese Rechnung funktioniert nur, weil der Steuerzahlerbund Kosten für Gesundheits- und Rentenversicherung als Abgaben an den Staat wertet. Vor diesem Hintergrund erscheint die Steuer- und Abgabenlast in Staaten, deren Gesundheits- und Rentenversicherung privat finanziert werden muss, niedriger – obwohl die tatsächlichen Kosten oftmals höher sind.
Entwicklung und Zusammensetzung der Mitglieder des Bunds der Steuerzahler
Wer sich die Zusammensetzung der Mitgliedschaft des Bunds der Steuerzahler anschaut, erkennt sofort, wie die einseitige programmatische Ausrichtung – Steuer- und Abgabensenkungen sowie Magerstaat – zu erklären ist. 60 Prozent der Mitglieder sind Unternehmen oder gewerbliche Mittelständler, 15 Prozent sind Freiberufliche. Die restlichen Mitglieder des Steuerzahlerbunds sind überwiegend leitende Angestellte. Hier wird deutlich, dass die neoliberale Programmatik des Steuerzahlerbunds und die Zusammensetzung seiner Mitglieder miteinander korrespondieren: Vertreten werden die Interessen der mittelständischen Wirtschaft und der Gutverdienerinnen und Gutverdiener. Von Neutralität und Seriosität kann hier nicht gesprochen werden.
Dafür spricht auch, dass der Steuerzahlerbund übermäßig eng mit der ERGO-Versicherungsgruppe verbunden zu sein scheint. Schon in der Vergangenheit war in der Presse kritisch über eine fragwürdige Zusammenarbeit herausragender Vertreter des Bundes der Steuerzahler mit der ERGO-Vorgängergesellschaft Hamburg-Mannheimer geschrieben worden. Aktuell berichtet der niedersächsische Landtagsabgeordnete Heinrich Aller (SPD) in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung von folgendem Sachverhalt (Drucksache 16/3055): In Stellenanzeigen niedersächsischer Tageszeitungen und Stellenangeboten im Internet werbe der Bund der Steuerzahler mit dem Angebot, Verbandsbeauftragte/r zu werden. Bewerbungen seien an die Regionalbeauftragte des Bundes der Steuerzahler in Hannover zu richten. Sowohl die angegebene Postadresse als auch eine – telefonisch erfragte – Telefonnummer seien aber der ERGO-Versicherungsgruppe zuzuordnen.
Erfreulich ist vor dem geschilderten Hintergrund die Entwicklung der Mitgliederzahlen. Nachdem im Jahr 2001 mit rund 426.000 Mitgliedern ein Höhepunkt erreicht war, ging es steil bergab. Der Mitgliederstand dürfte im laufenden Jahr bei 310.000 Mitgliedern liegen.
Fazit
Es gibt wohl kaum eine Institution, die so schamlos – aber leider auch so erfolgreich – mit ihrem Namen Etikettenschwindel betreibt. Der Bund der Steuerzahler ist im Grunde eine Tarnorganisation, die knallharte neoliberale Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit im Interesse von mittelständischen Unternehmen und besser Verdienenden betreibt. Auch scheint der Steuerzahlerbund – um es vorsichtig ausdrücken – ein ziemlich unreflektiertes Verhältnis zur braunen Vergangenheit ihres Gründers zu haben. Viele gute Gründe, um den Bund der Steuerzahler und seine politischen Motive bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins wahre Licht zu rücken.
Zum Weiterlesen:
Rudolf Speth, Steuern, Schulden und Skandale. Für wen spricht der Bund der Steuerzahler? Arbeitspapier 161 der Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf 2008 (der Text steht auf der Homepage der Hans Böckler Stiftung unter als kostenloser Download [PDF – 575 KB] zur Verfügung).
Anmerkung: Der Beitrag ist auch erschienen in WISO 1/2011, herausgegeben vom Arbeitskreis Wirtschafts- und Strukturpolitik bei den DGB-Bezirken Hessen-Thüringen und Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt