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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die „überlagerten“ Wahlen
Datum: 28. März 2011 um 8:01 Uhr
Rubrik: Atompolitik, Stuttgart 21, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Überlagert“, das war das am häufigsten gebrauchte Wort am gestrigen Wahlabend. Zumindest die Wahlverlierer Stefan Mappus, Kurt Beck und vor allem die FDP haben ihre Verluste auf die Überlagerung aller sonstigen Themen durch die japanische Atomkatastrophe abgeschoben. Die Grünen, als vom erdrutschartigen Stimmengewinn selbst überraschter Wahlsieger, konnten ernten, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Partei in der Atomenergiefrage am glaubwürdigsten hielten. Das „theoretische“ Restrisiko ist durch die havarierten Atommeiler in Fukushima für einen Moment lang zur politischen Realität geworden. Für die Bundesrepublik wird sich allerdings politisch nicht viel ändern: In Baden-Württemberg wird ein Grüner Ober-Realo mit einem „mittigen“ Sozialdemokraten die Regierung stellen und in Rheinland-Pfalz wird Kurt Beck auch die dort weitgehend unerfahrenen Grünen umgarnen können. Kanzlerin Merkel und die Bundesregierung werden weiter auf ihrem neoliberal, nationalen Kurs dahindümpeln wie bisher. Ein wirklicher Politikwechsel in der Finanz-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik sieht anders aus. Diese gleichfalls wichtigen innenpolitischen Themen wurden „überlagert“. Wolfgang Lieb
Albrecht Müller teilt die wesentlichen Teile der Analyse seines Herausgeberkollegen Wolfgang Lieb. Wo aus seiner Sicht Ergänzungen und Korrekturen sinnvoll, ist das im Text in Klammern (…) eingefügt.
Nun weiter zur Analyse von Wolfgang Lieb:
Das Wahlergebnis in Baden-Württemberg (nachfolgend BW) kann man aus zwei Gründen „historisch“ nennen:
Dass die SPD mit 23,1 % (Minus 2,1 %) der Stimmenanteilen auf ihr schlechtestes Ergebnis abgesunken ist und nur noch drittstärkste Partei ist, kann man kaum historisch nennen. Das entspricht mit Ausnahme der „Kommunalwahl“ in Hamburg dem Trend für die SPD in den letzten Jahren seit Schröders Aganda. Die SPD wollte das nur nie wahrhaben.
Die Enttäuschung darüber überspielen die Sprecher der SPD damit, dass die Sozialdemokraten dank eines sich schon länger abzeichnenden Gewinns an Stimmenanteilen der Grünen von 12,5 Prozent (also mehr als einer Verdoppelung) nach fünfzehn Jahren in Stuttgart endlich wieder einmal als Juniorpartner an einer Regierung beteiligt sind und dass die CDU-Herrschaft nach „20 997 Tagen“ endlich beendet ist. Dabei hat die SPD nichts dazu gewonnen, obwohl die CDU schwächelt.
Schaut man sich die politische Landkarte BW an, so ist sie, was die direkt gewonnen Wahlkreise anbetrifft, pechschwarz mit einigen ganz wenigen grünen Einsprengseln in Freiburg, Tübingen, Stuttgart, Heidelberg und (erstaunlicherweise) Mannheim. Im Wahlkreis Mannheim I hat die SPD ihr einziges (!) Direktmandat erobert.
Aufgrund des merkwürdigen Wahlsystems in BW drohte am Wahlabend noch über mehrere Stunden, dass CDU und FDP zusammen, obwohl sie nach den Prozentanteilen keine Mehrheit hatten, doch noch die Mehrheit der Parlamentssitze erlangen könnten. Die CDU hat auch diesmal wieder 43,5 % der Mandate bei einem Stimmenanteil von nur 39%. Fast hätte sich dann gerächt, dass die Linkspartei nicht in den Landtag gekommen ist und ihre Stimmen vor allem der nach wie vor größten Partei, der CDU, zugute gekommen wären.
Den einmalig hohen Wahlerfolg verdanken die Grünen vor allem bisherigen Nichtwählern. Nach ARD-Angaben sind 280.000 bisher abstinente Wählerinnen und Wähler wieder einmal an die Urne gegangen. 140.000 frühere SPD-Wähler sind zu den Grünen gewechselt und von CDU und FDP zusammen noch einmal so viel. Die Wahlbeteiligung lag mit 66,3 Prozent um mehr als 12 Prozent höher als 2006. (Ergänzung AM: Die Grünen haben nicht vor allem von den Nichtwählern profitiert. Auch von bisherigen CDU-, FDP- und SPD-Wählern. Vermutlich hat auch die Union von der Mobilisierung von Nichtwählern aus dem konservativen Milieu gewonnen. Außerdem bin ich auch nach langen Jahren immer noch skeptisch gegenüber dem Exaktheitsanspruch der Messung von Wählerwanderungen.)
Vor allem die Atompolitik hat nach den Befunden der Wahlforscher offenbar alle anderen Themen überlagert – sie galt mit weitem Abstand auch vor Stuttgart 21, Wirtschaft, Arbeitsplätzen und Bildung als wichtigstes Wahlkampfthema. Die Grünen sind zur Beamtenpartei (Lehrer) und zur Partei der Selbstständigen in Dienstleistungsberufen (Rechtsanwälte, Mediendienstleister) geworden.
Jenseits der „Überlagerung“ der Wahlen durch die Atomkatastrophe in Japan haben es offenbar die Grünen geschafft, eher als eine Alternative zu Schwarz-Gelb zu gelten als die SPD.
Für Stuttgart 21 gibt es inzwischen sogar wieder eine Mehrheit in BW. „Oben bleiben“ ist trotz einer rot-grünen Regierung keineswegs angesagt. Denn Nils Schmid (der ohnehin für den Tiefbahnhof eintritt) hat sich eher aus taktischen Gründen für eine Volksbefragung ausgesprochen. Die Grünenanhänger wurden nach der „Schlichtung“ Heiner Geißlers gespalten. Der vermutlich neue Ministerpräsident in BW, der Gymnasiallehrer Winfried Kretschmann, der sich selbst als „wertkonservativ“ einstuft und sich sogar eine schwarz-grüne Regierung vorstellen konnte, hat schon am Wahlabend die Messlatte für einen wirklichen Politikwechsel ziemlich tief gehängt. Er wolle einen „Politikwechsel einleiten“ bzw. den „Weg in die Bürgergesellschaft einleiten“, er wolle „versuchen“ die „Menschen zusammenzuführen“ in eine „grüne Richtung“. Das mag man als sympathieheischende Bescheidenheit vor dem neuen Amt betrachten, nimmt man allerdings hinzu, dass auch sein künftiger Regierungspartner Nils Schmid ankündigte, dass man „nicht alles anders, aber Vieles besser machen“ wolle, so sind die Untergangsängste die von CDU und FDP am Wahlabend geschürt wurden, eher Nachwehen von Wahlkämpfern, die ihre Niederlage noch nicht akzeptieren wollten.
Die FDP hat im sog. „Stammland der Liberalen“, wo sie früher schon zweistellige Werte eingefahren hat, die Hälfte ihrer Stimmenanteile (minus 5,4 %) eingebüßt und ist nach einer Zitterpartie mit gerade noch 5,3% in den Landtag gerutscht. Sie ist auf den harten Kern ihrer Klientel geschrumpft.
Der SPD ist ihr Wackelkurs bei Stuttgart 21 oder auch bei dem EnBW-Deal der Landesregierung mit ihrem schlechtesten Ergebnis heimgezahlt worden. Sie hat nicht nur in BW keine Kontur mehr und „Volkspartei“ kann sie sich als drittstärkste Partei wohl auch nicht mehr nennen. Bei den 30- bis 44-Jährigen erhielt sie nur noch beängstigende 19 %; die Grünen lagen in dieser Altersgruppe dagegen bei 32%. Nur noch 26% der Arbeiter wählten die ehemalige Arbeitnehmerpartei. Nils Schmids Sprüche von der „wirtschaftlichen Vernunft mit sozialer Verantwortung“ blieben hohl. Die Kompetenzwerte auf beiden Politikfeldern blieben im Keller – mit welchem Thema der SPD hätte er sie da unten auch herausholen können sollen. Verzweifelt reklamierten die Sprecher der Sozialdemokraten die „Augenhöhe“ mit den Grünen. Soweit ist es mit der SPD gekommen.
Vor allem Stefan Mappus selbst, aber auch die Berliner CDU möchten die Wahlniederlage ausschließlich als stimmungsbedingten Ausrutscher aufgrund der Betroffenheit der Bevölkerung über die Atomkatastrophe in Japan herunterspielen. Mappus schien gar nicht fassen können, dass ihm eine Abfuhr erteilt wurde, wo doch „sein“ Land „so hervorragend dasteht“. Er habe eben nur immer neue Rückschläge mit Stuttgart 21, dem Energiemoratorium, mit dem Rücktritt zu Guttenbergs und schließlich und vor allem mit „Japan“ einstecken müssen. Vor zwei Wochen hätte seine Regierung noch eine deutliche Mehrheit gehabt, aber die neuerliche Energiewende könne man halt in so kurzer Zeit nicht wieder gut machen, bedauerte er. Die Töpfer-„Schlichtungs“-Kommission kam diesmal zu spät. Mappus stiehlt sich aus der Verantwortung für seine Wahlniederlage, die „schrecklichen Bilder aus Japan“ und manche Irritation, die von Berlin ausging, seien „auch nicht hilfreich“ gewesen. Dieser Vorwurf gegen die Bundesregierung war ausschließlich auf die FDP gemünzt, denn – offenbar abgesprochen – lobte er die Kanzlerin und dankte ihr ehrerbietig. Den naheliegenden Gedanken, dass vor allem er selbst mit seinem Politikstil und seinem brutalen Vorgehen gegen Demonstranten gegen Stuttgart 21 und bei seinen Volten in der Atompolitik sogar bei konservativen Wählerinnen und Wählern an Seriosität und Vertrauen verloren hat, wollte er in für ihn typischer Manier gleich wieder abbiegen. Ein Verlust von 5,2 Prozent erscheint angesichts der Fehlleistungen, die sich Mappus in seiner kaum einjährigen Amtszeit geleistet hat zwar noch ziemlich glimpflich, betrachtet man die ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung insgesamt, so ist sie weit über 10 % abgesackt.
Das Verdrängen eines weitgehenden Vertrauensverlustes wegen einer völlig unglaubwürdigen Energiewende, wegen einer auf allen Ebenen widersprüchlichen Außen- und Militärpolitik in der Libyenfrage und wegen einem totalen Versagen in der Euro-Rettungspolitik dürfte auch die Taktik der CDU-Spitze um Kanzlerin Merkel sein. Generalsekretär Hermann Gröhe brüstete sich schon am Abend damit, dass die CDU in BW stärkste Partei geblieben ist und fast alle Wahlkreise geholt und in Rheinland-Pfalz (nachfolgend RP) sogar dazu gewonnen habe.
Und wenn man auf allen Kanälen den FDP-Generalsekretär den „starken Max“ spielen sah, so konnte sich jedermann ein Bild darüber machen, dass die FDP, trotz der Halbierung ihres Stimmergebnisses in BW und obwohl sie in RP sogar aus dem Landtag flog, noch immer nicht begreifen will, dass sie selbst bei ihren Anhängern als Klientelpartei abgestempelt ist und dass man wirklich nichts mehr glaubt, was ihre Sprücheklopfer verkünden. Dass Brüderle vor seinen Industriellenfreunden ausnahmsweise einmal die Wahrheit über die energiepolitische Haltung der FDP durchblicken ließ, war da nur noch das „Tüpfelchen auf dem i“.
Das schlechte Abschneiden der Linkspartei in beiden Ländern hat vor allem damit zu tun, dass soziale Themen oder die Banken- und Finanzkrise in den dortigen Wahlkämpfen überhaupt keine Rolle mehr spielten. Hinzu kommt, dass Klaus Ernst, sozusagen der „Westvertreter“ in den westlichen Bundesländern alles andere als ein Politiker ist, der Themen setzen und Menschen anzusprechen vermag, die von der Dämonisierung dieser Partei durch CDU, FDP und auch durch die SPD sowie durch die Medien verängstigt sind. (AM: Ob das an der Person Klaus Ernst liegt, kann man bezweifeln. Bei der laufenden, von allen anderen Parteien betriebenen Kampagne gegen die Linke würde das auch anderen Personen passieren. Es passierte auch Lafontaine. Selbst wenn man sich in der Politik Personen backen könnte, wäre kaum eine Lösung denkbar, die der immer wieder laufenden Kampagne paroli bieten könnte. Wichtiger als der Personalwechsel scheint mir die Thematisierung des im Folgenden von Andrea Nahles beschriebenen „Wahlziels“ der SPD und der erkennbaren Kampagne und Medienbarriere.) Andrea Nahles verkündete in der Generalsekretärsrunde im Fernsehen mangels anderer vorzeigbaren Erfolgen, dass die SPD immerhin ihr „Wahlziel“ erreicht habe, die LINKE aus den Landtagen zu halten. In BW, wo viele Arbeitnehmer nach wie vor dem Glauben anhängen, dass es ihnen besser ginge als anderswo und wo selbst Arbeiter überdurchschnittlich, mit 41 % CDU wählten, hat es eine Partei, die vor allem auch für die Interessen der prekär Beschäftigten und der Arbeitslosen eintritt ohnehin schwer. Und in RP hat es Kurt Beck geschafft, dass die Gewerkschaften großteils an seiner Seite standen.
Die Linke tröstet sich über diesen Rückschlag hinweg, dass sie als Nachfolgepartei der WASG zum ersten Mal in diesen Ländern angetreten und immerhin noch in 13 Landtagen vertreten sei.
Die SPD hat ihr Wahlziel „40 plus x“ in RP bei weitem nicht erreicht, sondern sie konnte sich mit 35,7% nur noch mit 0,4% Prozentpunkten vor der CDU als stärkste Partei ins Ziel retten, verliert aber fast 10 Prozent Stimmenanteile. Kurt Beck muss nach 16 Jahren Regierungszeit bei seiner fünften Regierungsbildung – wie Johannes Rau 1995 in NRW – in den „grünen Apfel“ beißen. Die Grünen, die bisher gar nicht im Mainzer Landtag vertreten waren, haben mit 15,4% mit über 10% Stimmenanteilen genauso viel dazu gewonnen, wie die SPD verloren hat. Man darf hier einen erheblichen Stimmenaustausch zwischen Rot und Grün unterstellen. Auch die um über
4 % gestiegene Wahlbeteiligung auf 62,3 % dürfte den Grünen zu gute gekommen sein. (AM: Und der CDU.) Genauso wie die mit 4,2% aus dem Landtag abgewählte FDP des rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Brüderle Stimmen an die CDU abgegeben haben dürfte. Die ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner hat als Herausforderin von Kurt Beck offenbar viele Sympathien auf sich gezogen und hat der skandalgebeutelten CDU in RP ein überraschend gutes Ergebnis beschert. (AM: Gemessen an der früheren Vormachtstellung der CDU mit Altmaier, Kohl und Bernhard Vogel ist das CDU-Ergebnis sooo überraschend wiederum nicht. Außerdem haben die Medien mehrheitlich die Skandale der SPD immer wieder und bis zum Schluss thematisiert und jene der Union viel weniger. An einem der „großen“ Skandale der SPD gehe ich jeden Tag vorbei: 7 Mio für das Schloßhotel in Bad Bergzabern. Kein einziges Mal hat die SPD diesen „Riesenskandal“ in Relation zu Angela Merkels Milliarden für ihre Banken-Freunde gesetzt. Die SPD hat sträflich versäumt, diese Asymetrie zum Thema zu machen.) Trotz eines kleinen Zugewinns der CDU von 2,4 % konnten damit aber die Verluste der FDP von minus 3,8% innerhalb des „bürgerlichen Lagers“ nicht ausgeglichen werden.
Wenn der FDP-Vorsitzende Westerwelle erklärte, das „Ergebnis geht an keinem in der FDP spurlos vorüber“, dann dürfte er – schon um sich selbst zu schützen – zuallererst an den tölpelhaften Bundeswirtschaftsminister Brüderle oder an die stets lächerlich lächelnde FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzende Birgit Homburger gedacht haben. Aber welche personellen Alternativen hätte die FDP?
Der erdrutschartige Verlust der SPD muss Kurt Beck schmerzen. Obwohl 72% aller Rheinland-Pfälzer der Meinung waren, Kurt Beck mache seine Sache eher gut und obwohl er im Kandidatenvergleich mit 52 zu 35 % gegenüber seiner Herausforderin Klöckner sehr positiv bewertet wurde, konnte er seine Partei nicht über 35,7 % – das zweitschlechteste Ergebnis – hochziehen. Trost mag Kurt Beck nur noch darin finden, dass RP eben immer noch ein traditionell konservatives Land ist und dass die SPD in RP immerhin noch ein Ergebnis zwischen 7 und 10% über den aktuellen SPD-Werten der Sonntagsfragen auf Bundesebene erreicht hat. Während die SPD in BW sogar noch deutlich darunter lag.
Das zeigt, dass die Euphorie in der SPD nach der Hamburg-Wahl völlig unberechtigt war. Die gestrigen Ergebnisse sind aber vor allem ein deutliches Zeichen, dass die damalige Interpretation, dass die SPD nur in der „Mitte“ gewinnen könne, völlig neben der politischen Stimmung im Lande liegt. Hamburg war eben eine Art „Kommunalwahl“ bei der Olaf Scholz gegen einen äußerst schwachen CDU-Kandidaten siegen konnte. Zwar standen Libyen oder die Europapolitik bei dieser Wahl nicht im Vordergrund des Wählerinteresses, aber eine größere Glaubwürdigkeit hat die SPD insgesamt mit ihrer „Sowohl-als-auch“-Politik in den letzten Monaten sicherlich nicht gewinnen können.
Die Stimmenverluste sowohl in BW als auch in RP versuchten der SPD-Bundestagsfraktionschef Steinmeier und der SPD-Vorsitzende Gabriel damit zu übertönen, dass sie diese Wahlen nicht zu einer Abstimmung über die SPD, sondern zu einem Votum über die Atomenergie in Deutschland umzumünzen versuchten. Sie haben sich ansonsten über die Abwahl der CDU in BW als „Sensation“ (Steinmeier) ergötzt und sich noch den ganzen Wahlabend geradezu peinlich der Hoffnung hingegeben, dass die SPD vielleicht doch noch die Nase vor den Grünen haben könnte.
Als 2005 die SPD in NRW nach 39-jähriger Regierungszeit mit Peer Steinbrück den Ministerpräsidentenposten verlor hat Gerhard Schröder in einem Coup Neuwahlen ausgerufen. So unklug wird Merkel nicht sein, obwohl sie allen Grund dazu hätte, wie damals der Basta-Kanzler Druck auf ihre Partei auszuüben. Der Widerstand gegen das von ihr verkündete Moratorium bei den AKW-Laufzeiten, angeführt von Alt-Kanzler Helmut Kohl droht gefährliche Ausmaße für sie anzunehmen und in der Außen- und Militärpolitik aber auch in der Europapolitik ist die CDU völlig in sich zerstritten.
Im Bundesrat haben die sechs schwarz-gelb regierten Länder nach der Niederlage in BW nur noch 25 Stimmen, die den Oppositionsparteien im Bundestag zugehörigen sieben Länderregierungen haben nun 30 Stimmen. Die als “neutral” geltenden Regierungen in Sachsen-Anhalt und Thüringen (CDU/SPD), Mecklenburg-Vorpommern (SPD/CDU) und das Saarland (CDU/FDP/Grüne) kommen zusmammen auf 14 Stimmen. Eine gestaltende Mehrheit von 35 der 69 Stimmen im Bundesrat erreichen die rot-grünen Regierungen nach diesem Wahlsonntag somit nicht.
Die CDU selbst steht auf Bundesebene mit derzeit zwischen 33% und 36% Prozent bei den Umfragen nicht gerade gut da. Es war erkennbar, dass alle, die gestern Abend aus der CDU zu Wort kamen, Merkel aus der Schusslinie nehmen wollten. Die Sprachregelung aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus klang geradezu penetrant durch. Mappus meinte z.B.: Der Kurs der Kanzlerin sei „alternativlos“. Insofern ist die Interpretation von Andrea Nahles, BW sei eine „Schicksalswahl“ für Merkel, ziemliches Wunschdenken – zumal wenn sie auf das „Schicksal“ ihrer eigenen Partei blickt.
In Baden-Württembergs CDU dürfte noch spannend sein, ob Mappus dem bisherigen Fraktionschef Peter Hauk, den Posten des Oppositionsführers noch einmal abjagen kann oder ob ihn die dortige CDU-Fraktion abstraft. Jedenfalls ist mit Mappus, nach Friedrich Merz und Roland Koch ein weiterer rechtskonservativer Hardliner der CDU abhanden gekommen.
Im Gesamtergebnis wird sich in Deutschland nicht viel ändern: In BW wird ein Grüner Ober-Realo mit einem „mittigen“, nach allen Seiten offenen Sozialdemokraten die Regierung stellen und in RP wird Kurt Beck es wohl schaffen, auch die dort weitgehend unerfahrenen Grünen zu umgarnen. (AM: Das halte ich für eine Spekulation. Und was soll „umgarnen“ konkret heißen? Dass die Grünen beim Straßenbau einknicken? Ich glaube auch nicht, dass ihre Position falsch ist – weder zum 4-spurigen B10-Ausbau noch zur Bienwaldautobahn und zum Moselübergang)
Nachtrag: Ein Leser der NachDenkSeiten weist darauf hin, dass die SPD in der Vergangenheit nicht nur einmal mitregiert hat.
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