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Titel: Wahlen in Baden-Württemberg: Die Krokodilstränen des Stefan Mappus
Datum: 25. März 2011 um 9:31 Uhr
Rubrik: Atompolitik, Erosion der Demokratie, Stuttgart 21
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Stefan Mappus ist die Verkörperung der Redensart von den Krokodilstränen, wonach diese räuberische Wesen wie Kinder weinen, um Menschen anzulocken, um sie verschlingen zu können. Mappus hat in seiner erst einjährigen Regierungszeit bewiesen, dass er zu jedem opportunistischen Manöver und zu jeder Täuschung bereit ist, um an der Macht zu bleiben. Das gilt keineswegs nur für seine (angebliche) 180-Grad-Wende in der Atompolitik. Wolfgang Lieb
Zur Erinnerung:
Mappus gehörte zu den treibenden Kräften, den ziemlich erfolglosen Günther Oettinger als EU-Kommissar nach Brüssel wegzuloben. Zwischen ihm und seinem Vorgänger schwelte eine oft hinterhältige Rivalität. Und als Merkel die Felle der CDU in Baden-Württemberg davonschwimmen sah und deshalb Oettinger als Kommissar nach Brüssel entsorgte, schnappte Mappus ganz rasch zu. Genauso wie er schon in der Zeit davor in einer Kampabstimmung Peter Hauk als Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion wegbiss.
Mappus schielte, um seiner Machterhaltung willen, mehrfach auf den politisch „rechten Rand“. So machte er z.B. Druck, dass eine geplante Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“ in seinem Wahlkreis Pforzheim zunächst abgesagt werden musste. In der Ausstellung sollten auch die Todesurteile des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten als „furchtbarer Juristen“ (Rolf Hochhuth) noch am Ende der Nazi-Herrschaft aufgezeigt werden. Solche Ausschläge nach „Rechts“ waren jedoch kein Einzelfall. So verteidigte Mappus Oettinger, der sich in einer Trauerrede dazu verstiegen hatte, Filbinger als „Gegner des NS-Regimes“ zu „würdigen“.
Mappus hofierte zur Sicherung seiner Wählerbasis die Vertriebenenverbände. Auch die konservativen katholischen Wählerschichten im Süden und Westen Baden-Württembergs waren ihm eine Messe wert: Obwohl Lutheraner reiste er kurz nach Amtsantritt zum Papst.
Mappus zog in populistischer Manier über Homosexuelle her.
Mappus entschied auf Drängen der FDP, dass dem Land angebotene Steuerhinterziehungs-CDs weder angekauft noch an das Bundeszentralamt für Steuern weitergeleitet wurden, weil er im Steuer(-hinterziehungs)-Wettbewerb zwischen den Ländern wohl einen Wettbewerbsnachteil für sein Ländle sah.
Mappus verurteilte die demokratischen Protesten gegen das ausgekungelte Immobilienprojekt Stuttgart 21 als einen „Fehdehandschuh“ von „Berufsdemonstranten“. Diesen „Fehdehandschuh“ griff er dann auch trotzig auf, indem er am 30. September 2010, am sog. „schwarzen Donnerstag“ seine Polizei einen „Bürgerkrieg“ gegen den Bürgerprotest führen ließ. Und wäre ihm nicht sein Parteifreund Heiner Geißler mit seiner „Schlichtung“ zur Seite gesprungen, so wäre der konservative Rammbock nach dem Einsatz von Wasserwerfern und Hunderter teilweise schwer verletzter Demonstranten im Spätherbst letzten Jahres politisch am Ende gewesen. In Umfragen sackte die CDU auf für diese Partei im Süden Deutschlands historisch einmalige Dreißigprozentwerte.
Obwohl er mit seiner rabaukenhaften Tonlage den Gewalteinsatz der Polizeikräfte systematisch anheizte, ist er – typischerweise – anschließend vor allem auch im Untersuchungsausschuss in die Rolle des Unschuldlamms geschlüpft und hat jede Einflussnahme auf die Polizeiübergriffe auf friedliche Demonstranten scheinheilig von sich gewiesen.
Gerade jetzt, wenige Tage vor der Wahl, bringt ihn allerdings ein „Sprechzettel“ aus seinem Staatsministerium erneut in die Bredouille. Wie in autoritären Staaten wurde offenbar aus der Regierungszentrale unmittelbar nach dem Polizeieinsatz eine „Sprachregelung“ herausgegeben, die erstens dem Untersuchungsausschuss vorenthalten wurde und die zweitens belegt, dass es tatsächlich vor der Gewaltorgie im Schlosspark Besprechungen mit der Polizei gegeben hatte. Laut Sprachregelung soll es dabei aber nur um die „geplanten Baumaßnahmen“ und nicht um die „polizeiliche Einsatztaktik“ gegangen sein. Wenn man tatsächlich ein so reines Gewissen hatte, warum bedurfte es dann überhaupt einer solchen Argumentationshilfe und warum hat man diesen Sprechzettel bisher versteckt?
Wes Geistes Kind Mappus ist, belegt auch seine Bewunderung gegenüber dem – nach der arabischen Revolution auch bei uns inzwischen als despotisch eingestuften – saudi-arabischen Regime. “Wir bewundern, mit welcher Schnelligkeit sie Projekte angehen und realisieren”, wiederholte er dort ständig in Anspielung auf die lange Vorgeschichte von Stuttgart 21.
Seine Krokodilstränen bei der Atompolitik müssten eigentlich jedermann erkennbar sein. Noch im Sommer letzten Jahres erklärte er den Verzicht auf Kohle- und Gasenergie für wichtiger als den Ausstieg aus der Atomenergie. Er forderte eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten um „15 plus x Jahre“. Der „Schreihals“ wollte sogar seinen Parteifreund und Bundesumweltminister Röttgen „feuern“ lassen, weil dieser dafür eintrat, dass die Atommeiler nach 12 Jahren vom Netz genommen werden sollten. Der Ausstieg aus dem Ausstieg der Bundesregierung war ihm viel zu schlaff. Eine Abschaltung von Neckarwestheim I sei „völlig indiskutabel“ und wäre „das schiere Gegenteil von dem, was man unter Redlichkeit in der Politik versteht“, erklärte er noch einen Monat vor der Atomkatastrophe in Japan.
Dass Mappus der härteste Atomlobbyist war, erklärt sich aus schierem Eigeninteresse, hatte er hinter dem Rücken von Öffentlichkeit und Parlament in einem 4,67-Milliarden-Deal eine 45-Prozent-Beteiligung an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) vom französischen Atomriesen EDF abgekauft. Und EnBW macht eben 75% seiner Gewinne aus der Stromsparte aus den Atommeilern. Mit der vorübergehenden Abschaltung von Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 ist dieser Deal gleichfalls vorübergehend ziemlich unattraktiv geworden. Der Steuerzahler dürfte nach der Wahl die Rechnung dafür ausgestellt bekommen.
Doch auch Mappus hat wohl erkannt, dass die Energiepolitik gerade auch im Baden-Württembergischen sozusagen über Nacht für die Bürgerinnen und Bürger zum „wichtigsten Problem“ geworden ist und deshalb machte er plötzlich den Wendehals. Deshalb muss es für Mappus eine ganz eigene Atom-Katastrophe sein, dass nun gerade ein Aushängeschild seines Koalitionspartners, Wirtschaftsminister Brüderle, vor den versammelten Industriellen die Katze aus dem Sack gelassen hat. Zum von der Bundesregierung ausgerufenen dreimonatigen Moratorium erklärte er laut Protokoll, „dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien“. (Siehe die umstrittenen Passagen im Original) Natürlich ließ der BDI seinen Handlanger in der Bundesregierung nicht hängen und sprach von einem „Protokollfehler“. Was Brüderle tatsächlich gesagt hat, will aber auch keiner der Atomlobbyisten wiederholen.
Damit, dass der rheinland-pfälzische FDP-Vorsitzende Brüderle ausgeplaudert hat, was eigentlich hinter dem Moratorium steckt, bringt er Mappus nicht nur in atompolitische Kalamitäten sondern die CDU verliert damit vielleicht sogar ihren zum Machterhalt dringend notwendigen Koalitionspartner. Die FDP dümpelte selbst im ehemaligen Stammland der Liberalen nämlich schon vor Brüderles geschwätzigem und gegenüber seiner Klientel anbiedernden Eingeständnis um die 5 Prozent und droht aus dem Landtag gewählt zu werden. Selbst unverbesserliche Atomkraftanhänger müssten eigentlich der FDP wegen der Tölpelhaftigkeit ihrer Parteispitzen nicht nur in der Atompolitik sondern auch wegen deren widersprüchlichen Verhalten in der Außenpolitik gegenüber Libyen einen Denkzettel verpassen.
Rationalität, die Brüderle hinter dem Moratorium nicht sehen kann, ist auch für Mappus ein Kernbegriff bei seiner nach wie vor aufrecht erhaltenen Befürwortung der Atomenergie: er habe sich bisher rational zur Atomkraft bekannt und aus wirtschaftlichen Gründen die Verlängerung der Laufzeiten der Meiler befürwortet, ließ Mappus noch nach der Atomkatastrophe in Japan aus dem Staatsministerium verlauten. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich Mappus Rationalität auch nach drei Monaten nicht verändert haben wird. Mappus und Brüderle sind eben Brüder in ihrer energiepolitischen Rationalität und für sie gilt, dass nach den drei Monaten diese Rationalität in auch in Berlin wieder politisch einkehren wird.
Brüderle hat wohl in der Erwartung der Verschwiegenheit seiner „Freunde“ im Industrieklub nur ausgeplappert, was nach einer Emnid-Umfrage ohnehin 69 Prozent der Befragten denken: nämlich dass das Moratorium ein Wahlkampftrick ist. Nur 26 Prozent meinen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung ernsthaft den Ausstieg aus der Atomenergie prüft. Wie sollten also Wählerinnen und Wähler Parteien wie die CDU und die FDP wählen, von denen sie von vorneherein annehmen, dass sie von diesen ausgetrickst werden?
Wenn also mehr als ein gutes Viertel der Menschen am Sonntag Mappus und der FDP immer noch ihre Stimme geben, dann müssen sie – um mit Erich Kästner zu sprechen – so tief gesunken sein, dass sie den Kakao, durch den man sie zieht, auch noch trinken.
Es steht aber aufgrund der massiven Kampagne des Großen Geldes zu befürchten, dass mehr Badener und die Württemberger am kommenden Sonntag statt ihren guten Wein den Kakao trinken werden, durch den man sie zieht. Die Umfrageergebnisse sind für die CDU nach dem Stimmungseinbruch durch Stuttgart 21 im letzten Herbst wieder angestiegen und liegen bei 40 Prozent. Der Koalitionspartner FDP pendelt in den letzten Umfragen zwischen 5 und 7 Prozent. Die SPD und die Grünen schwanken je nach Umfrageinstitut um die 23 bis 25 Prozent. Die Wahlprognostiker sprechen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen.
Doch man sollte sich von solchen Umfragen nicht auf eine falsche Fährte locken lassen. Das Einstimmenwahlrecht in Baden-Württemberg bevorzugt die relativ stärkste Partei. So hat die CDU bei der Wahl 2006 zwar „nur“ 44,2 Prozent der Stimmen erhalten, aber fast die Hälfte der Sitze (69 von 139) im Landtag zugesprochen bekommen. Wenn also die FDP wieder in den Landtag kommt, so könnte schwarz-gelb dennoch wieder eine – wenn auch knappe – Mehrheit der Sitze im Landtag schaffen.
Auch nach dem seit 2006 veränderten Wahlrecht, das früher die kleinen Parteien doch zu sehr benachteiligte, bevorzugt immer noch diejenige Partei mit den meisten Überhangmandaten (mit mehr direkten Mandaten als ihrem prozentualen Stimmenanteil):
„Gewinnt eine Partei in den Wahlkreisen eines Regierungsbezirkes mehr Mandate als ihr nach dort dem Verhältnisausgleich zustehen, verbleiben diese Sitze der Partei. Die übrigen Parteien erhalten gegebenenfalls Ausgleichsmandate.
Dazu wird die Gesamtzahl der Abgeordneten im Regierungsbezirk so lange erhöht, bis unter Einbeziehung der Überhangmandate ein Sainte-Laguë-konformes Verhältnis auf Regierungsbezirksebene erreicht ist. Die Gesamtzahl der Abgeordneten landesweit erhöht sich über 120 hinaus entsprechend.
Im Falle von Überhangmandaten wird also der an sich gewährleistete landesweite Parteienproporz aufgegeben zugunsten eines nach Regierungsbezirken getrennten Verhältnisausgleichs. Da hierbei die überhängende Partei stets das letzte zu verteilende Mandat erhält, summieren sich auf Landesebene die Rundungsfehler zugunsten dieser Partei.
Hinzu kommt noch, dass sämtliche Ausgleichsmandate an jene Regierungsbezirke fallen, die durch die Überhangmandate eh schon überproportional im Landtag vertreten werden.
Es gibt – bis auf die offenbar gewollte Bevorzugung der überhängenden Partei – keinen sachlichen Grund, die Berechnung der Ausgleichsmandate nicht auf Landesebene durchzuführen oder alternativ die Überhangmandate mit den Zweitmandaten derselben Partei in anderen Regierungsbezirken zu verrechnen.“
Quelle: Wahlsystem Baden-Württemberg
Ein Verlust der Regierungsmacht der CDU in Baden-Württemberg nach 58 Jahren ist demnach am Wahrscheinlichsten, wenn die Prozentanteile der Linkspartei nicht umverteilt werden, sondern wenn die Linke in den Landtag einzöge. Wie man auch immer zur Partei der LINKEN stehen mag, so wäre dies ein taktischer Grund, sie in den Landtag zu wählen.
Das könnte geradezu zu einer politischen Epochenwende in Baden-Württemberg führen und wäre ein politisches Erdbeben für die gesamte Bundesrepublik.
Aber: Dann wäre zwar praktisch eine „linke“ Mehrheit im Parlament gegeben, aber noch lange nicht sicher, dass Mappus von der Macht verdrängt wäre, denn es wäre dann auch noch eine schwarz-grüne Mehrheit denkbar. Mappus schließt zwar eine Koalition mit den Grünen aus. Aber der „wertkonservative“ Spitzenkandidat der Grünen, Winfried Kretschmann, will auch mit Mappus über ein Bündnis verhandeln und auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, will eine schwarz-grüne Koalition nicht ausschließen. Auch „Jamaika“ wie im Saarland wäre denkbar.
Wetten, dass das „Krokodil“ Mappus zuschnappt, wenn es nur noch zusammen mit den Grünen sein Revier verteidigen kann! Was Mappus in seiner Atompolitik möglich ist, ist für ihn koalitionspolitische vermutlich ein Kinderspiel.
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