Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Abstimmung in Hamburg ist auch ein Erfolg der Denunziation gesellschaftspolitischen Engagements mit Hilfe des Etiketts „Gutmensch“
Datum: 20. Juli 2010 um 17:04 Uhr
Rubrik: Schulsystem, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Albrecht Müller
Ein Einordnungsversuch des Vorgangs in Hamburg, auch in Ergänzung der heutigen Hinweise, und unter B. eine Kritik am Tenor unserer Hinweise und zwei vertiefende Ergänzungen. Albrecht Müller.
ich verfolge die Beiträge auf den Nachdenkseiten stets mit großem Interesse und stimme den Inhalten auch weitgehend zu. Es ist schön, eine solche kritische Seite zu haben, die einem immer wieder interessante Links und Stellungnahmen liefert.
Bei Ihren vermehrten Kommentaren zur Volksabstimmung in Hamburg über die Einführung einer Primarschule kann ich nun allerdings nur mit dem Kopf schütteln, denn hier stimmen Sie genauso in den Chor der Medien ein wie alle anderen und bauschen die Angelegenheit zum Klassenkampf hoch.
Zugegebenermaßen kann man auch, oberflächlich betrachtet, zu diesem Urteil kommen, und mir ist der Initiator der Gegenbewegung auch nicht wirklich sympathisch, allerdings habe ich den Eindruck, dass hier doch auf allen Seiten in erster Linie der Ideologiegaul durchdreht und kopflos losgaloppiert.
Ich hab in den 90er-Jahren Lehramt an Grund- und Hauptschulen studiert und konnte somit die Debatte um die Abschaffung der Orientierungsstufe in Niedersachsen sehr direkt verfolgen. Zudem habe ich im Rahmen eines Schulpraktikums Erfahrungen mit Hauptschülern, welche frisch von der OS (=Orientierungsstufe) kamen, machen können. Diese waren durch die Bank weg vollkommen frustriert von der Schule, da sie auf der OS so gut wie nichts gelernt haben und in der Regel nur Fünfen, Sechsen sowie “ohne Wertung” in Arbeiten und Zeugnissen bekommen haben. Diese Kinder waren nun nicht alle nur Migranten- oder Unterschichtskinder, sondern kamen überwiegend aus einer guten bis gehobenen Mittelschicht, was in erster Linie daran liegt, dass die Schule im eher ländlichen Ort Stelle in der Nähe von Winsen/Luhe liegt.
Sie ahnen, worauf ich hinausmöchte: Es gibt nach der vierten Klasse meiner Erfahrung und Einschätzung nach bereits einen großen Differenzierungsdruck. Diesen habe ich sogar damals schon als Schüler wahrgenommen, und ich glaube, dass die Schulklassen der Grundschulen heute eher noch pluralistischer vom Leistungsspektrum der Schüler sind als vor gut 30 Jahren. Das mag unschöne Ursachen haben, die bestimmt auch einiges damit zu tun haben, aus welchen materiellen/sozialen Verhältnissen die Kinder kommen, ist aber erst mal nicht so ohne Weiteres wegzudiskutieren. Denn hier liegt m. E. der Hund begraben: Anstatt sich zu überlegen, wie es geschafft werden kann, dass diese Unterschiede von vornherein nivelliert werden können, soll nun quasi “von hinten” daran herumgedoktert werden.
Das begabte Arbeiterkind hat also nichts davon, wenn weniger starke Lerner aus der Oberschicht es am Lernen hindern und es überwiegend gelangweilt unterfordert im Unterricht sitzt, genauso wie die schwachen Oberschichtskinder nichts davon haben, wenn sie ständig schulisch überfordert sind. Hier wäre es sinnvoll, den Klassenkampf mal beiseitezuschieben und einfach nur die Situation der Kinder in den Klassen ins Auge zu fassen.
Maßnahmen wie Kindergarten für alle (kostenfrei) ab 3 Jahren, kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer, höhere Durchlässigkeit der einzelnen Schulsysteme (wichtig für “Spätzünder”), Ganztagsschulen mit Betreuungs- und Freizeitangeboten usw. wären m. E. besser geeignet, um eine in der Breite besser aufgestellte Schulbildung zu erreichen.
Beste Grüße
K.-H. H.
ich sende Ihnen einfach mal meine Meinung zur Volksabstimmung bzgl. der Bildungsreform in Hamburg und bedanke mich bei Ihnen für die Nachdenkseiten!
Mich erfüllen die Jubelschreie der Ministerin Schavan über die Volksabstimmung in Hamburg zur Schulreform mit Unverständnis und mit Zorn! Sie feiert den Fortbestand der schulischen Selektion von Kindern.
Wie erklärt sich denn die Frau Ministerin die Tatsache, dass in der ehemaligen DDR 98% aller Schüler mindestens die 10.Klasse abgeschlossen haben, lese-, schreib-, rechenfähig und ausbildungsfähig waren? (Nicht wegen, sondern trotz Margot Honecker, trotz politischer Repressalien und politischer Drangsalierungen im DDR-Schulsystem).
Diese Tatsache ist keine nachträgliche Verherrlichung der DDR! Nein, es ist einfach ein Beweis dafür, (und es wird auch in Finnland auch ohne Altkommunisten und ohne Stalinisten ständig für jeden sichtbar bestätigt,) dass alle Kinder über die erforderlichen genetischen und geistigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schulausbildung verfügen.
Auf welcher ethischen Grundlage basiert denn unser dreigliedriges Schulsystem. Das Schulsystem, das Frau Schavan so liebt? Auf der Gnade der reichen Geburt?
“Liebe Frau Schavan: Kinder werden nicht doof geboren, sie werden nur im System oft doof gemacht”
Wie erklärt es denn die Frau Ministerin einem Bürger, einem ehemaligen Lehrer aus Sachsen Anhalt (21 Jahre im DDR-Schulsystem, 16 Jahre im bundesdeutschem Schulsystem), einem Großvater den Sachverhalt, dass unsere Kinder zwar ohne Nachhilfeindustrie und ohne Nachhilfezirkus sowohl den Satz des Pythagoras, das ohmsche Gesetz, die Integralrechnung begriffen haben, dass heute aber 20% unserer Enkel mit der Bruchrechnung überfordert sind und ohne Nachhilfezirkus schulisch scheitern und nicht mehr die Ausbildungsreife erreichen würden!
Macht Sie dies nicht nachdenklich?!
Haben sich die Gene unserer Enkelkinder innerhalb von 20 Jahren so drastisch verschlechtert?
Sind unsere Kinder wirklich nur noch zum Erbsenzählen fähig?
Oder haben wir ein miserables Schulsystem, in dem Kultusminister stolz darauf sind und sich berufen fühlen, Kinder in “dumm” und in “doof” zu sortieren, ohne sich zu schämen!
Brauchen wir wirklich 17 Kultusminister für einen einzigen Satz des Pythagoras?!
Brauchen wir wirklich 16 verschiedene Schulsysteme, die bei jeder Landtagswahl Verhandlungsmasse sind?
Wie lange dürfen noch halbgebildete Politiker, selbst ernannte Bildungsexperten aus machtpolitischen Gründen mit unseren Kindern herumexperimentieren?
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=6226