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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 7. Juli 2010 um 9:36 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Banker bestimmen EU-Politik; EU-Länder blockieren Bankenkontrolle; Kritik an Reformplänen für Hartz-IV-Regelsätze; Sparen, falsch gemacht; Gesundheitspolitik; Mietwucher in Sozialwohnungen; Programm deckt Korruption auf; Transparency-Chefin arbeitet für PR-Schmiede;Tarifeinheit: »Fataler Vorstoß«; Düsseldorfer Dilemma; Paul Kirchhof ist bei der SPD angekommen; Interesse an Talenten; Klammes Hessen pumpt Millionen in Privatuni; «Kistenweise» Geld aus Afghanistan weggeschafft; Sarkozy schlittert in Spendenskandal; Berichterstattung zur BP-Ölpest wird als Verbrechen behandelt; Merkels verlogene Volksnähe. (KR/WL)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Banker bestimmen EU-Politik
  2. EU-Länder blockieren Bankenkontrolle
  3. Hartz-IV-Regelsätze
  4. Sparen, falsch gemacht
  5. Gesundheitspolitik
  6. Mietwucher in Sozialwohnungen könnte Dauerproblem werden
  7. Programm deckt Korruption auf
  8. Transparency-Chefin arbeitet für PR-Schmiede
  9. Tarifeinheit: »Fataler Vorstoß«
  10. Düsseldorfer Dilemma
  11. Paul Kirchhof ist bei der SPD angekommen
  12. Bildungspolitik: Kein Interesse an Talenten
  13. Klammes Hessen pumpt Millionen in Privatuni
  14. «Kistenweise» Geld aus Afghanistan weggeschafft
  15. China: “Wir verdienen einfach viel zu wenig”
  16. Sarkozy schlittert in Spendenskandal
  17. Berichterstattung zur BP-Ölpest wird als Verbrechen behandelt
  18. Merkels verlogene Volksnähe

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Banker bestimmen EU-Politik
    Die EU-Kommission beruft Expertengremium, das bei der Regulierung der Finanzmärkte helfen soll – und nominiert fast nur Vertreter der Branche. Kein Einzelfall. Bei der EU-Kommission hat es durchaus Tradition, Experten einseitig auszuwählen. Dies belegt eine Studie des europäischen Netzwerks Alter-EU, die im vergangenen November erschien. Damals gab es 19 Expertengruppen, die die EU in Finanzthemen berieten. Kaum ein Gremium war ausgewogen besetzt, obwohl eine EU-Mitteilung aus dem Jahr 2002 ausdrücklich vorschreibt, dass “die Kommission Wissen aus verschiedenen Quellen schöpfen und berücksichtigen muss”. Doch die Realität sieht anders aus, wie Alter-EU feststellte: “Das Verhältnis von Finanzexperten zu Wissenschaftlern, Verbraucherschützern, Vertretern der Zivilgesellschaft oder Gewerkschaften beträgt vier zu eins.” Insgesamt wurden in den 19 Beratergremien 229 Vertreter der Finanzindustrie gezählt. Damit hätten die Banklobbyisten eine absolute Übermacht, denn die EU-Kommission beschäftige nur rund 150 Beamte für die Finanzmarktregulierung. Die Gewerkschaften können erst recht nicht konkurrieren: Im Brüsseler Europabüro von UNI befasst sich nur eine Vollzeitkraft mit den Finanzmärkten – nebenher. Sie hat noch andere Aufgaben.
    Quelle: TAZ
  2. EU-Länder blockieren Bankenkontrolle
    Die letzte Chance für eine rasche europaweite Finanzreform ist offensichtlich vertan: Bei der parlamentarischen Abstimmung über schärfere Kontrollen von Banken, Börsen und Versicherungen konnten sich die Gremien nicht einigen. Der Grund sind nationale Vorbehalte aus Deutschland und Großbritannien.
    Es geht um die Schaffung von drei neuen EU-Aufsichtsbehörden für Banken, Börsen und Versicherungen. Mit der neuen Aufsicht will Europa neue Finanzkrisen verhindern. Die drei Aufsichtsbehörden sollen neben einen bei der Europäischen Zentralbank angesiedelten Europäischen Rat für Systemrisiken treten, der als eine Art Frühwarnsystem fungieren soll.
    Großbritannien und Deutschland sind nach Angaben von Teilnehmern gegen starke Durchgriffsrechte auf die nationale Ebene.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Es ist das typische Doppelspiel der Bundesregierung. Hier im Lande redet man großmäulig über Bankenkontrolle, fordert aber dazu Regelungen auf internationaler Ebene. Doch auf der internationalen Ebene blockiert man dann.

  3. Hartz-IV-Regelsätze
    1. Kritik an Reformplänen für Hartz-IV-Regelsätze
      Am Sonntag hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seinen Entwurf für die Haushalts- und Finanzplanung bis 2014 vorgestellt. Darin sind als “allgemeine Vorsorge für die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts” ab 2011 pro Jahr 480 Millionen Euro Mehrausgaben zur Bestreitung von Bildungsaufwendungen für Kinder von Hartz-IV-Beziehern vorgesehen. Bei derzeit rund 1,7 Millionen Kindern, auf die das zutrifft, würde jedes Kind rein rechnerisch monatlich 23 Euro mehr enthalten. Nach Modellrechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. würden jedoch jährlich zusätzlich 1,5 Milliarden Euro benötigt, um das Existenzminimum von Kindern zu gewährleisten. Die Regelsätze, die derzeit je nach Alter eines Kindes oder Jugendlichen bei 215, 251 oder 287 Euro monatlich liegen, müssten laut Verband im Schnitt um rund 73 Euro steigen. Schneider betonte, allein 390 der 480 Millionen Euro im Jahr würden dafür benötigt, die Steigerung der Lebenshaltungskosten seit der letzten Regelsatzberechnung auszugleichen. Die übrigen 90 Millionen Euro müsse man zudem mit der im Sparpaket beschlossenen, kompletten Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Bezieher in Höhe von jährlich 400 Millionen Euro gegenrechnen. “Unter dem Strich bleiben also 310 Millionen Euro weniger für Hartz-IV-Bezieher übrig”, kritisierte Ulrich Schneider.
      Quelle: taz
    2. Buntenbach: Keine Nullrunde für Hartz IV-Bezieher
      Der DGB fordert, dass die faktische Hartz IV-Regelsatzentwertung endlich gestoppt und ausgeglichen wird. Seit Einführung von Hartz IV in 2005 sind die Regelsätze durch Preissteigerungen faktisch um ca. fünf Prozent gesunken. Diese Kürzung der Regelsätze muss jetzt rückwirkend korrigiert werden. Dies ist eine sinnvolle und notwendige Sofortmaßnahme, bevor in einem gründlichen, transparenten Verfahren eine Neufestlegung aller Regelsätze erfolgt. Denn Hartz IV-Bezieher sind heute noch ärmer als bei Einführung dieses neuen Fürsorgesystems.
      Der Eckregelsatz im Jahr 2005 (Inkrafttreten von Hartz IV) in Höhe von 345 Euro wurde seitdem um insgesamt 4 Prozent auf 359 Euro erhöht. Im Zuge der turnusgemäßen Anpassung zum 1. Juli dieses Jahres bleibt er unverändert, da dies auch für den Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung gilt. Diese Kopplung an den Rentenwert hat das Bundesverfassungsgericht am 9.2.2010 ausdrücklich als verfassungswidrig verworfen und stattdessen dem Gesetzgeber eine Kopplung an die Entwicklung der Verbraucherpreise nahe gelegt.
      Laut Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes sind die Preise seit 2005 insgesamt um 8 Prozent gestiegen (bis Mai 2010); bei den Nahrungsmitteln um 12,5 Prozent. Die Strompreise, die ebenfalls in den Regelsätzen enthalten sind, sind sogar um ca. 30 Prozent gestiegen. Ebenfalls sind die Regelsätze durch die seit 2005 neu hinzugekommenen und bisher nicht berücksichtigten Zuzahlungen im Gesundheitsbereich faktisch gesunken.
      Quelle: DGB

      Anmerkung unserer Leserin H.S.: Ist nichts Spektakuläres, aber eine gute Aufklärung darüber, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil ignoriert wird.
      Die Erhöhung entlang der allgemeinen Lebenshaltungskosten könnte wirklich ganz problemlos durchgeführt werden. Es gibt keinerlei Grund, die vorgeschriebene regelmäßige Anpassung hinauszuzögern und die Leute weiter hängen zu lassen. Einfach schäbig, dieses Sparpaket durch Unterlassen.

  4. Sparen, falsch gemacht
    1. Hengsbach: Dieses Sparen ist Umverteilung
      Die schwarz-gelbe Koalition um Kanzlerin Angela Merkel und ihren Vize Guido Westerwelle spart nicht, um den Etat zu retten – ihr geht es um Umverteilung. Dieses Sparen ist destruktiv. Ein Gastbeitrag von F. Hengsbach.
      Quelle: SZ

      Anmerkung KR: Wäre angesichts der Deflationsgefahr konstruktives Sparen möglich?

    2. „Sparen ist ein Gewinnerthema“
      Die Hessen-CDU glaubt an eine Plebiszit-Mehrheit für ein in der Landesverfassung verankertes Schuldenverbot. Einen entsprechenden Gesetzentwurf will sie mit der FDP vorlegen, wie ihr Fraktionschef sagt. Die Grünen vermissen aber bisher ein Konzept.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung KR: Jedes bislang bekannte Maß an volkswirtschaftlicher Dummheit wird immer wieder und scheinbar mühelos übertroffen. Es führt unweigerlich in die Deflation, wenn nach Konsumenten und Unternehmen nun auch der Staat spart.

      Als Gegengift ein Interview mit Bofinger:

    3. Staatsdefizit: Wirtschaftsweiser fordert höhere Einkommensteuer
      Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat sich für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und einen höheren Spitzensteuersatz ausgesprochen. „Mit einem Spitzensteuersatz von 50 Prozent hätte ich kein Problem“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrates zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dem Wirtschaftsmagazin „FOCUS-Money“. (…) Angesichts hoher Staatsschulden trete er generell dafür ein, statt zu sparen, die Steuern zu erhöhen und so die Einnahmen des Staates zu verbessern. „Es geht nicht darum zu sparen, sondern darum, die Defizite zurückzufahren – und zwar verursachergerecht“, sagte er. Die Haushaltsdefizite in Deutschland rührten nicht daher, dass in den vergangenen zehn Jahren der Sozialstaat aufgebläht worden sei. Das Problem sei vielmehr, dass mit großen Programmen die Finanzmärkte gerettet werden mussten.
      Quelle: FOCUS

      Anmerkung unseres Lesers G.K.: Siehe hierzu die “Hinweise des Tages vom 8. Juni 2010”, Ziffer 1a.

  5. Gesundheitspolitik
    1. Gesundheitsreform: Lizenz zum Auspressen
      Der einstige Hoffnungsträger der Liberalen macht jetzt genau das, was alle anderen Gesundheitsminister vor ihm taten, wenn es eng wurde in den Kassen der gesetzlichen Versicherer. Er erhöht die Beiträge. Was ihn von seinen Vorgängern unterscheidet, ist zweierlei: dass er dafür extrem lang gebraucht und dass er völlig anderes angekündigt hat. Maximaler Einsatz für ein Mini-Ergebnis. Kaum zuvor ist ein derart dürftiges Reförmchen mit solchem politischen und medialen Energieverbrauch einhergegangen. Und kaum jemals stand ein Ankündigungsminister am Ende so nackt da. Eine üppige Finanzspritze, für die man sich größtenteils bei den Arbeitnehmern bedient, dazu ein bisschen Kostendämpfung, die keinem wehtut. Den Kassen gefällt’s. Aber mal ehrlich: Das hätte man auch in ein paar Tagen hinbekommen können. Und dazu hätte es auch keines Regierungswechsels bedurft.
      Von den versprochenen Strukturveränderungen, die das System dringend nötig hätte, keine Rede. Ein System, das sich fast ausschließlich aus den Beiträgen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter finanziert, ist von gestern. Immer mehr Geld wird anderswo verdient – auf dem Kapitalmarkt, durch Erbschaften, über Immobilien. Die Krankenkassen bekommen nichts davon. Darauf hätte die Koalition reagieren müssen – über die Einbeziehung anderer und höherer Einkünfte, das Versperren von Fluchtmöglichkeiten, die Austrocknung des privaten Versicherungssektors. Stattdessen erhalten die Kassen die Lizenz, die wenigen, die noch in traditionellen Beschäftigungsverhältnissen stecken, immer stärker auszupressen.
      Quelle: Tagesspiegel
    2. Grobes Foul der Koalitionspoliker gegen das Gesundheitswesen!
      Scharf kritisiert das globalisierungskritische Netzwerk Attac die Pläne der Koalition zur Finanzierung der Gesundheitsvorsorge.
      Für Attac sind die Breitagserhöhungen (von 14,9% auf 15,5%) und vor allem die Aufhebung der Höchstgrenze für Zusatzbeiträge der Kassen “Blutgrätschen”. Professor Manfred Baberg, Sozialexperte der Attac-AG sagte:

      Opfer ist zum einen der Mittelstand, der absolut gesehen die höchste Beitragskosten zahlen muss. Noch viel brutaler ist es aber für niedrige Einkommensgruppen und insbesondere Hartz IV-Empfänger, die eh schon jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen.

      So übernähmen die “ARGEn” z. B. nicht die Zusatzbeiträge der Krankenkassen und drängten auf den Kassenwechsel. Für die Übergangszeiten habe der Betroffene für die Zusatzkosten selber aufzukommen. Rentnern bleibe noch weniger Geld in der Tasche, aus Nullrunden für die Rentner würden somit Minusrunden und Altersarmut drohe.
      Manfred Baberg kritisierte:

      Alle kassenpflichtbefreiten Wohlverdiener werden überhaupt nicht an den Kosten beteiligt. Die Arbeitgeber müssen sich an Zusatzbeiträgen gar nicht erst beteiligen. Diese Reform trägt die gleiche Handschrift wie das Sparpaket: Sie ist unsozial und gehört gestoppt.

      Quelle: scharf-links

    3. Längerer Weg zur Klinik – bessere OP
      Wenn Krankenkassen selektiv Verträge mit Kliniken oder Arzneimittelherstellern ihrer Wahl abschließen, kann das für niedrigere Kosten und mehr Qualität sorgen – oder Kranke faktisch von Leistungen ausschließen. Entscheidend ist eine gute Regulierung, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.
      Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

      Anmerkung KR: Dass diese Regierung eine gute Regulierung im Gesundheitswesen hinbekommt, ist wohl eher unwahrscheinlich.
      Außerdem reicht es natürlich nicht aus, die Kosten der GKV senken zu wollen. Die Beitragsbasis muss erweitert werden. Ausnahmslos alle Einkommen haben zur Finanzierung beizutragen.

    4. Betrug durch Apotheken?
      Nicht nur jede vierte, sondern jede dritte der insgesamt 300 Spezialapotheken für Krebsmittel wird verdächtigt, Krankenkassen und deren Versicherte betrogen zu haben. Der Gesamtschaden für die Kassen bewegt sich in mehrstelliger Millionenhöhe. Und nun wird aufgrund neuer Hinweise wieder überprüft, ob dabei wirkungslose oder sogar schädliche Krebsmittel auf den Markt gebracht wurden.
      Jährlich 1,5 Milliarden Euro werden allein bei diesen Krebsmitteln pro Jahr umgesetzt. Trotzdem versucht die Bundesregierung erst jetzt, solchem Betrug einen Riegel vorzuschieben. Seit Anfang 2010 muss der Weg der Wirkstoffe genauestens protokolliert werden. Doch Pharmahändler Peter Jebens ist skeptisch. Dieser Markt sei so attraktiv und die Kriminellen mit ihren, wie er es nennt, „mafiösen Strukturen“ so gut organisiert, dass sie neue Wege für Betrug fänden.
      Bis heute ist kein einziger Apotheker bestraft. Wohl aber Peter Jebens, der den Pharmaskandal aufdecken half. Er geriet selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft. Er verlor zeitweise seine Zulassung. Sein Unternehmen ging darüber pleite. Heute versucht er, sich eine neue Existenz aufzubauen.
      Quelle: ARD
    5. Wie aus Gesunden lukrative Patienten gemacht werden
      report MÜNCHEN konfrontiert den Vorsitzenden der Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen mit den Vorwürfen zur fehlenden Unabhängigkeit:
      Frage Reporterin: “Wenn wir jetzt aber sozusagen der Forderung, die es ja gibt, dass die Fachgesellschaften wirklich abgekoppelt sein sollten von den Profiteuren, also in Ihrem Fall die Nahrungsmittelindustrie, die Pharmaindustrie, auch der Gerätehersteller, nachkommen, könnten Sie dann existieren? (…) Als Fachgesellschaft?
      Prof. Achim Weizel, Lipig-Liga: Etwa 15 sek Schweigen.
      Nachfrage Reporterin: “Aber eine gewisse Abhängigkeit ist ja doch da, die machen ja doch einen großen Anteil aus!”
      Prof. Achim Weizel, Lipid-Liga: “Die Abhängigkeit führt aber nicht dazu, dass wir uns in deren Sinne verhalten.”
      Grenzwerte und Leitlinien, die von der Pharmaindustrie beeinflusst werden, nutzen dem Patienten nicht nur wenig, sondern sie können ihm sogar schaden.
      Quelle: ARD / report München
    6. Bundesverwaltungsgericht: Allianz unterliegt in letzter Instanz
      Das Bundesverwaltungsgericht macht dem Münchner Versicherungsriesen Allianz bei der Wiederbelebung seines lahmenden Geschäftes mit privaten Krankenversicherungen einen Strich durch die Rechnung.
      Mit ihrem jüngsten Urteil verbieten die Leipziger Juristen der Assekuranz, von ihren Kunden bei einem internen Tarifwechsel einen pauschalen Aufschlag zu verlangen. Das hat die Allianz trotz scharfer Kritik von Verbraucherschützern und auch aus der eigenen Branche seit 2007 bei ihrem neuen Billigtarif Aktimed praktiziert. Nun muss der Konzern neu kalkulieren und wesentliche Teile des Neugeschäfts aussetzen.
      Die Finanzaufsicht Bafin hatte der Allianz die Wechselgebühr untersagt, wogegen der Versicherer geklagt und in erster Instanz vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht recht bekommen hatte. Überraschend hat das Bundesverwaltungsgericht diesen Spruch nun im noch nicht veröffentlichten Urteil von Ende Juni gekippt. In der Branche wird diesem Beschluss Signalwirkung zugesprochen. Denn damit wird umstrittenen Methoden im Marketing Einhalt geboten. Krankenversicherer können nicht mehr mit Kampfkonditionen vorpreschen, weil sie nun damit rechnen müssen, dass ihre Altkunden in solche Billigtarife wechseln. Damit würden Beitragserhöhungen für Altkunden neue Kampftarife nicht mehr “quersubventionieren”.
      Quelle: FR
  6. Berlin: Mietwucher in Sozialwohnungen könnte Dauerproblem werden
    Berlin hat ein spezielles Problem mit dem sozialen Wohnungsbau. Durch den Beschluss des Senats von 2003, damals noch mit Thilo Sarrazin (SPD) als Finanzsenator, Subventionen für Sozialimmobilien teilweise zu streichen, drohen Mietern in Innenstadtlagen, wie berichtet, Mieterhöhungen von 30 bis 100 Prozent. Rund 28 000 von 172 000 Berliner Sozialwohnungen sind von den Kürzungen betroffen. Drastische Mieterhöhungen wie in der Kreuzberger Friedrichstadt und dem Fanny-Hensel-Kiez nehmen zu. Sie könnten zum Dauerzustand werden, wenn die Politik nicht gegensteuert.
    Quelle: Tagesspiegel
  7. Programm deckt Korruption auf
    Volksvertreter vertreten nicht immer das Volk. Manchmal setzen sie sich auch für Unternehmen oder Organisationen ein, die ganz eigene Interessen verfolgen. Studenten der Universität Potsdam können jetzt mit einem neuen Verfahren im Internet solche verdächtigen Verbindungen aufdecken.
    Quelle: ntv

    Und hier der ab 10.7. nutzbare Link.

  8. Transparency-Chefin arbeitet für PR-Schmiede
    Edda Müller, neue Chefin von Transparency International, hat nach Informationen des SPIEGEL eine leitende Position an der umstrittenen Hochschule Quadriga. Gegen ihre Co-Fachbereichsleiter an der PR-Schmiede läuft derzeit ein Verfahren des PR-Rats wegen verdecktem Atom-Lobbyismus.
    Quelle: Spiegel
  9. Tarifeinheit: »Fataler Vorstoß«
    Gegen die gemeinsam vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geforderte Wiederherstellung der »Tarifeinheit« per Gesetz regt sich innergewerkschaftlicher Widerstand. Die ver.di-Bundesfachgruppe Verlage, Druck und Papier hat ihre Organisation und den DGB aufgefordert, »zur Verteidigung von Streikrecht und Tarifautonomie« zurückzukehren.
    Quelle: Junge Welt
  10. Düsseldorfer Dilemma
    Keineswegs wollen SPD und Grüne bei der Mehrheitsfindung künftig einseitig auf die Linkspartei setzen. Ihr eigentliches Augenmerk richtet sich auf die FDP. Die Hoffnung, dass sich die Liberalen nach einer Schamfrist im Herbst dem Düsseldorfer Regierungslager noch hinzugesellen könnten, erscheint vor dem Hintergrund ihres Berliner Dilemmas alles andere als verwegen. Eine solche Allianz wäre auch kaum zum Schaden der FDP. Denn ein Wechsel des politischen Lagers wird bei Koalitionsverhandlungen stets höher belohnt als der Eintritt in ein sogenanntes Wunschbündnis.
    Der FDP kommt diese Erkenntnis erst nach einer langen Leidensphase, die Grünen haben sie längst schon gemacht. Sie wurde jetzt auch in Düsseldorf wieder bestätigt. Die neue SPD-Landeschefin Hannelore Kraft ist im Umgang zwar kooperativer als ihre machohaften Vorgänger – in der Sache bleiben die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr aber die Partei der Kohle. Was die Grünen in ökologischer Hinsicht heraushandeln konnten, ist im Vergleich zu ihren zuletzt geschlossenen Bündnissen mit der CDU darum eher bescheiden.
    Quelle: taz
  11. Paul Kirchhof ist bei der SPD angekommen
    Der Philosoph Peter Sloterdijk kam gleich zur Sache: “Nach meiner Überzeugung geht alle Gewalt vom Fiskus aus, nicht vom Volke.” Mit diesem “latenten Bürgerkrieg” müsse Schluss sein, polterteSloterdijk los, der wegen seines Feldzugs gegen Zwangsabgaben inzwischen als eine Art Guido Westerwelle unter den deutschen Intellektuellen gilt. Als Alternative zum herkömmlichen Steuerzahlen pries Sloterdijk “die Schönheit des freiwilligen Gebens” an.
    Mit ihm und Paul Kirchhof hatte sich die SPD am Montagabend zwei erklärte Provokateure als geistige Sparringspartner ins Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus geholt. Auf Einladung von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wurde auf hohem Niveau gestritten. Während Sloterdijks Thesen aber schnell in die Schublade Utopie verschwanden, hörte das sozialdemokratische Publikum dem anderen Diskutanten mit viel Interessezu.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Man reibt sich die Augen, da lädt die SPD den früheren CDU/FDP-“Steuerstar“ Kirchhof ein, der einst den Spitzensteuersatz bei 25 % festlegen und Dividenden steuerfrei stellen wollte und dem Schröder 2005 verdankte, dass die SPD nicht noch weiter abgestürzt ist. Da führt die SPD ein Gespräch „auf hohem Niveau“ mit Sloterdijk, der Mildtätigkeit an Stelle des Sozialstaats setzen will und Deutschland am Rande eines „fiskalischen Bürgerkriegs“ sieht.
    Da sieht Steinmeier die Verschuldung als beherrschbar an, wenn man Kirchhofs ökonomischem Dillentantismus folge. Per Gesetz möchte Kirchhof festlegen: Steigt die Verschuldung um ein Prozent, sinken automatisch alle Staatsleistungen um diesen Satz. “Damit würde jeder Bürger die Auswirkungen direkt in seinem eigenen Portemonnaie spüren”, verspricht er sich als Effekt. Welche Bürger diese Kürzungen der Staatsleistungen in ihrem Geldbeutel spüren würden, hat offenbar niemand gefragt. Niemand hat offenbar auch daran gedacht, dass durch Verschuldung in einer Rezession auch die staatliche Nachfrage steigen und damit die Konjunktur gefördert werden könnte.
    Es ist ein Trauerspiel, auf welches Diskussionsniveau die Steinmeier-SPD gesunken ist.

  12. Bildungspolitik: Kein Interesse an Talenten
    Immer mehr Migranten sind ohne Schulabschluss. Experten kritisieren die Integrationspolitik der Bundesländer. Demnach verlassen 13,3 Prozent der Migrantenkinder die Schule ohne Abschluss. Das ist ein Drittel mehr als in den vergangen Jahren. Obwohl auch die Anzahl der Schulabgänger ohne Migrationshintergrund von 5,4 auf 7,0 Prozent gestiegen ist, liegt sie hinter der von Migrantenkindern. Kinder von Ausländern steigern zwar langsam ihre schulischen Leistungen. So gebe es heute mehr Schüler mit Realschulabschluss und Abitur. Doch 43 Prozent der 14- bis 19-jährigen mit Migrationshintergrund beendet die Schule mit einem Hauptschulabschluss. Insgesamt kommt der Bericht, der heute erst offiziell vorgestellt wird, zu dem Schluss, dass Kinder von Einwanderern im Vergleich zu ihren Altersgenossen mit deutschen Wurzeln meist einen schlechteren Schulabschluss und geringere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben.
    Quelle: FR
  13. Klammes Hessen pumpt Millionen in Privatuni
    Hessens staatliche Unis ächzen, weil sie 30 Millionen Euro jährlich sparen müssen. Mit fast der gleichen Summe unterstützt das Land die Privathochschule EBS, als Startgeschenk für eine neue Juristenschmiede in Wiesbaden. Ergibt das Sinn? Öffentliche Hochschulen und Opposition sind entsetzt.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung KR: Natürlich hat das einen Sinn – das ist der Beitrag der hessischen Regierung zur „Eliten“-Förderung. Und dem akademischen Proletariat wird damit noch einmal unmissverständlich gesagt, warum es sich mit Bachelor-Abschlüssen zu begnügen hat: Weil das politisch so gewollt ist. Selbst dem SPIEGEL scheint unangenehm aufzufallen, mit welcher Kaltschnäuzigkeit der Grundsatz „privat vor staatlich“ durchgesetzt wird.

  14. «Kistenweise» Geld aus Afghanistan weggeschafft
    In Afghanistan ist offenbar mehr Bargeld illegal ausser Landes geschafft worden als zunächst angenommen. Insgesamt seien in den vergangenen dreieinhalb Jahren mindestens 4,2 Milliarden Dollar ausser Landes gebracht worden. Die Zahl könne sogar noch höher liegen, berichtete die britische Zeitung «The Times» unter Berufung auf einen Brief des afghanischen Finanzministers Omar Zakhilwal an die US-Abgeordnete Nita Lowey. In dem Schreiben vom 30. Juni bittet Zakhilwal die USA zudem um Hilfe bei der Aufklärung, woher das Geld stammt. In der vergangenen Woche hatte das «Wall Street Journal» von rund drei Milliarden Dollar berichtet, die in den vergangenen Jahren «kistenweise» aus Kabul herausgeschafft worden seien. Ein US-Ermittler sagte der Zeitung, ein Teil des Geldes stamme vermutlich aus vom Westen finanzierten Hilfs- und und Wiederaufbauprojekten.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Um die Größenordnung dieses Abflusses zu begreifen, setze man diese 4,2 Milliarden Dollar in das Verhältnis zum BIP von 14 Milliarden Dollar (2009). Das sind 30 Prozent des BIP von 2009. Auch wenn statistische Kennziffern, hier vom IWF, zur Wirtschaft Afghanistan mit Unsicherheiten behaftet sind, so würden ein einige Milliarden größeres oder kleineres BIP, nichts daran ändern, dass hier ins Gewicht fallende Mittel außer Landes geschafft werden.

  15. China: “Wir verdienen einfach viel zu wenig”
    Sie kennen die Arbeitsgesetze und wollen nie wieder zurück ins Dorf. Junge Wanderarbeiter wollen teilhaben am Wohlstand. Haben chinesische Arbeiter das Streikrecht oder nicht?
    Quelle: TAZ
  16. Sarkozy schlittert in Spendenskandal
    Zu den glücklichen Empfängern der Bargeschenke, die im Stadtpalais des Ehepaars Bettencourt ein- und ausgingen, zählten vornehmlich Prominente der Rechten. Und zu den ständigen Gästen beim Stelldichein im Hause Bettencourt gehörte offenbar auch der damalige Bürgermeister des Nobelvorortes Neuilly-sur-Seine, Nicolas Sarkozy, Frankreichs amtierender Präsident.
    “Auch Nicolas Sarkozy bekam seinen Umschlag”, zitiert Mediapart die Buchhalterin. “Das geschah in der Regel nach dem Essen; jeder im Haus wusste das.” Sarkozy war in den neunziger Jahren Bürgermeister von Neuilly und zählte zu den ständigen Besuchern.
    Quelle: Spiegel Online
  17. Berichterstattung zur BP-Ölpest wird als Verbrechen behandelt
    Reporter und Fotografen, die versuchen, über die Verseuchung der Golfküste durch das Öl der BP-Bohrung zu berichten, werden nun als Kriminelle behandelt. Falls sie das Verbot der BP, das von der US-Küstenwache durchgesetzt wird, übertreten, drohen ihnen bis zu 5 Jahre Haft oder eine Geldbuße von 40.000 Dollar.
    Quelle 1: Medienwatch
    Quelle 2: Huffington Post
  18. Merkels verlogene Volksnähe
    Lächeln, Arme anwinkeln, rhythmisch klatschen, fertig ist der Fußball-Fan – denkt Kanzlerin Merkel beim Besuch der Nationalmannschaft.
    Wenn es überhaupt etwas gab, das beim rauschhaften 4:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Argentinien negativ auffiel, dann jene Entscheidung des übertragenden Senders ZDF, nach nahezu jedem deutschen Tor zu zeigen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Ehrentribüne jubelte.
    Das wirkt alles so unecht und bewusst für die Kameras inszeniert, dass dem Zuschauer wieder einmal auffällt, welche Pest Politiker doch sind, die sich telegen auf den Ehrentribünen als leidenschaftliche Anhänger präsentieren und sich fabrikneue Schals um den Hals hängen, um noch dem letzten Fernsehzuschauer die eigene Volksnähe zu demonstrieren. Aus Vergnügen am Fußball kommen sie nicht, sonst würden sie ja nicht von der Ehrentribüne aus gucken, dem anerkannt ödesten Ort, um in einem Stadion ein Spiel zu schauen.
    Aber wie sehr sich die Politik in den letzten Jahren insbesondere an die Nationalelf herangewanzt hat, das hat noch mal eine neue Qualität erreicht. Inklusive der unvermeidlichen Besuche in der Kabine, bei denen Bundeskanzlerin Merkel der nach dem Spiel sicher rechtschaffen erschöpften Mannschaft wohl kaum wertvolle taktische Hinweise gegeben haben wird.
    Quelle: Tagesspiegel


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