Heute unter anderem zu folgenden Themen: Haushalt der Kommunen; Wirr-Gefühl; FDP will Gewerbesteuer abschaffen; Willkürliche Sparpläne beim Elterngeld; inszenierte Mittelschichtspanik; Gauck-Hype; Wulff und die Evangelikalen; Rütters wirft Kraft Wählertäuschung vor; Athen senkt Mindestlöhne; Spanien spart für Banken; Rentenalter 62; jugendgerechte Bundeswehr; Hartz-IV-Kochbücher; zu guter Letzt. (MB/WL)
- Haushalt der Kommunen: Bündnis gegen Finanznot
Wegen der Finanznot der Kommunen muss sich die Bundesregierung auf wachsende Konflikte mit Städten und Gewerkschaften einstellen. Am Mittwoch kündigten sozialdemokratische Kommunalpolitiker und die Gewerkschaft Verdi ein gemeinsames Vorgehen an. “Wir planen jetzt Aktionen mit Oberbürgermeistern und Kommunalfraktionen”, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske auf einer Pressekonferenz mit Stephan Weil, Oberbürgermeister von Hannover und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK). Die Initiative sei ein Startschuss für weitere Bündnisse. “Wir werden auch mit der kommunalpolitischen Vereinigung der CDU das Gespräch suchen”, sagte Bsirske.
Quelle: FR online
- Angela Merkel und die Krise: Das neue deutsche Wirr-Gefühl
86 Prozent der Deutschen sind mit der Regierung unzufrieden. Ego-Taktikerin Merkel hat einen neuen Tiefpunkt erreicht – weil sie im Gegensatz zur Nationalelf kein “Wir”-, sondern ein “Wirr”-Gefühl verbreitet.
Quelle: Süddeutsche
- FDP will Gewerbesteuer abschaffen: Fünf Milliarden würden fehlen
Sollte die Gewerbesteuer wie von den Liberalen geplant wegfallen müssten Bund und Länder auf viel Geld verzichten. Als Alternative droht eine höhere Mehrwertsteuer.
Quelle: TAZ
- Elterngeld: Willkürliche Sparpläne
Das Versagen der schwarz-gelben Regierung zeigt sich in vielen Facetten, in den Ungerechtigkeiten der Politik, der Entscheidungsschwäche der Verantwortlichen, dem ewigen Streit. Vollständig wird das Bild einer überforderten Koalition aber erst, wenn man einen weiteren Negativfaktor berücksichtigt. Dies sind die erstaunlichen handwerklichen Fehler in der Regierungsarbeit. Dieses Versagen zeigt sich besonders drastisch am Beispiel Elterngeld. An zwei Stellen wollen Familienministerin Kristina Schröder und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) sparen. Erstens streichen sie Hartz-IV-Empfängern die Leistung komplett. Zweitens senken sie für mittlere bis höhere Einkommen die Ansprüche moderat. Wer mehr als 1240 netto im Monat verdient, soll künftig 65 Prozent statt 67 Prozent des Lohnes als Elterngeld erhalten.
Das Elterngeld soll Berufstätigen die Entscheidung für ein Kind erleichtern. Mit dem Argument begründet die Familienministerin daher auch die Entscheidung, Hartz-IV-Beziehern das Elterngeld zu nehmen. Die haben ja schließlich nicht gearbeitet. Nach dieser Logik aber müsste die Regierung allen Müttern und Vätern, die nicht berufstätig waren, das Elterngeld streichen. Das traut sie sich aber nur bei den Schwächsten, nicht bei der Millionärsgattin, die schon vor der Schwangerschaft zu Hause saß. Sie bekommt weiter den Sockelbetrag von 300 Euro im Monat, nicht aber die Mutter, die von Hartz IV lebt. Für sie und ihre Kinder würden 300 Euro einen gewaltigen Unterschied ausmachen. Diese Willkür nimmt diesem Sparplan jede Legitimation.
Quelle: FR online
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Der FR-Journalist Markus Sievers schreibt: “Nach dieser Logik aber müsste die Regierung allen Müttern und Vätern, die nicht berufstätig waren, das Elterngeld streichen. Das traut sie sich aber nur bei den Schwächsten, nicht bei der Millionärsgattin, die schon vor der Schwangerschaft zu Hause saß.” Ist dies eine Frage des “nicht trauens” oder nicht viel eher eine Fortsetzung der schwarz-gelben Klientelpolitik zu Gunsten der Spitzenverdiener?
- Sozialstaat: Gute Kunden
Bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger ließe sich ein dreistelliger Millionenbetrag einsparen. Doch Wohnungsgesellschaften wollen das verhindern.
Quelle: Spiegel
Anmerkung J.A.: Der Vorwurf des SPIEGEL lautet, mehr oder minder ausgesprochen, daß der Staat noch einmal “einen dreistelligen Millionenbetrag” aus den eh überversorgten Hartz-IV-Betroffenen hätte wringen können. Und wer ist eigentlich an den hohen Bürokratiekosten von Hartz IV schuld? Unterschwellig doch wieder die Betroffenen, die ihre Rechte einklagen. Der Vorwurf an die Regierung lautet nur, sich wieder mal Lobbyinteressen (Vermieter, Hartz-IV-Betroffene (?)) gebeugt und nicht hart genug gespart zu haben. Gott sei Dank muß sich der SPIEGEL bei dieser klaren Zuweisung der Verantwortlichkeiten nicht um solche Details kümmern wie die Frage, ob denn die dreistelligen Milliardenbeträge für Steuergeschenke an Unternehmen und Vermögende sowie für Bankenrettungspakete sinnvoll angelegt waren. Statt mit dem großen Ganzen beschäftigt sich der SPIEGEL wieder nur mit Klimpergeld. Schließlich muß er seinen “guten (Anzeigen-)Kunden” wieder ein schönes Feindbild für die angeblichen Urheber der Staatsverschuldung liefern.
- Statusangst: Die inszenierte Mittelschichtspanik
Angestoßen durch eine Wissenschaft, die ins Fernsehen will: Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung über eine angeblich schrumpfende Mittelschicht ist soziologisch wertlos.
Quelle: FAZ
Anmerkung unseres Lesers A.N.: Wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Jedes kleine Kind sieht es, nur einige Gelehrte versuchen uns zu erklären, dass das ja alles ganz anders ist. Immer nach dem Motto: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
- Ausschuss-Vize Güller kritisiert Schweigen der früheren Landesbank-Spitzenmanager vor Untersuchungsausschuss des Landtags: ”Irgendwann sagen solche Zeugen nicht einmal mehr ihren Namen”
Der stellvertretende Vorsitzende des BayernLB-Untersuchungsauschusses im Bayerischen Landtag, Harald Güller, ist äußerst verärgert, dass keiner der früheren Spitzenmanagaer der Landesbank am Donnerstag zu einer Aussage vor dem Ausschuss bereit war. Auch wenn dies rechtlich zulässig ist, so stehen die ehemaligen Landesbank-Vorstände doch unter der Wahrheitspflicht, betonte der SPD-Politiker.
Quelle: Bayern-SPD-Landtagsfraktion
- Gauck-Hype? Welcher Gauck-Hype?
Um in Zeiten der Politiker- und Parteienverdrossenheit erfolgreiches Online-Campaigning machen zu können, braucht man einige Faktoren, die in Deutschland normalerweise nicht gegeben sind: Das Produkt (der Kandidat) sollte von der “Community” nicht all zu eng mit einer der etablierten Parteien verbunden werden. Daher sollte auch die Kampagne als solche sich nicht mit einer Kampagne einer Partei in Verbindung bringen lassen. Wenn dies gegeben ist und man dann auch noch willfährige Massenmedien vorfindet, die ebenso wie arglose Netzbewohner auf den Kampagnenzug aufspringen, ist die Gelegenheit günstig. Yes, we Gauck! Das Netz lässt sich gerne vergauckeln und freut sich bereits über seine vermeintliche Wirkmächtigkeit, denn “wir werden gehört”. Fragt sich nur, wer “wir” ist.
Quelle: Spiegelfechter
Anmerkung MB: Die erwähnte Werbeagentur Scholz & Friends, die in dieser Aktion mitzumischen scheint, war auch zehn Jahre lang für die Arbeitgeber-Lobby „Inititative Neue Soziale Marktwirtschaft“ tätig.
- Kurt Biedenkopf zur Präsidentenwahl: Gebt die Wahl frei!
Am 30. Juni wird nicht über den Fortbestand der Bundesregierung abgestimmt, sondern über die Person, die Bundespräsident werden soll. Die Entscheidung darf nicht mit dem Schicksal der Regierung verbunden werden. Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf fordert die „Freigabe“ der Wahl.
Quelle: FAZ
- Irmer als Wahlmann – Kritik an Nominierung des CDU-Rechtsaußen
Die Nominierung des hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer als Wahlmann für die Wahl des Bundespräsidenten stößt im SPD-Landesverband auf Kritik. “Irmer trotz seiner unbeirrbaren Hetze gegen Minderheiten und Muslime in die Bundesversammlung zu wählen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die hessische CDU”, sagte SPD-Generalsekretär Michael Roth am Mittwoch in Wiesbaden. Es sei “beschämend, Irmer auch noch für seine wiederholten Entgleisungen zu belohnen”. Irmer hatte Ende April in einem Zeitungsinterview unter anderem behauptet: “Wir brauchen nicht mehr Muslime, sondern weniger.” Der Landtag missbilligte die Äußerungen, Irmer entschuldigte sich Es passe nicht zusammen, wenn die CDU den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) einerseits für seine Berufung einer Muslimin zur Ministerin lobe und ihn andererseits als gemeinsamen Kandidaten von CDU und FDP von einem “bekennenden Islamverächter” wählen lassen wolle, kritisierte Roth.
Quelle: FR online
- Christian Wulff und die Evangelikalen
Christian Wulff sitzt im Kuratorium der evangelikalen Missionsbewegung Prochrist, berichtete neulich das Blog Esowatch. Presse und Fernsehen haben das Thema kaum aufgegriffen. Ist es wirklich so nebensächlich? Das auf der Website von Prochrist formulierte “Leitbild” der Organisation klingt zunächst recht unverbindlich. Woran genau “Prochrist” sonst noch glaubt, ist auf der Website nicht festzustellen, aber durch einige Recherchen, auch in den bekannten Medien der evangelikalen Bewegung in Deutschland leicht herauszufinden. Leiter und charismatische Figur von Prochrist ist der Fernsehprediger und evangelische Pfarrer Ulrich Parzany. Was er in der Nummer 7/2008 von ideaSpektrum schreibt, klingt wie ein Bekenntnis zum Kreationismus. Parzany wendet sich auch gegen “praktizierte Homosexualität” und vertritt, wie viele evangelikale Christen die Theorie, dass Homosexualität gewissermaßen heilbar sei. Wulff ist hier keineswegs allein. Der EKD Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber zeigte sich gegen Ende seiner Amtszeit immer begeisterter von den Evangelikalen, die so virtuos zu mobilisieren zu verstehen und möglicherweise auch der Amtskirche Auftrieb geben – gerade darin scheint ja eines der Angebote von Prochrist zu bestehen. Im Kuratorium sitzen laut Selbstauskunft von Prochrist außerdem noch: der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein, der Kaufmann Alexander Graf zu Castell-Castell, der ZDF-Moderator Peter Hahne, der Schuhfabrikant Heinz-Horst Deichmann, der Golfspieler Bernhard Langer, der ehemalige Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Erwin Teufel, der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel und einige Kirchenobere. Um es klar zu sagen: Evangelikale Christen dürfen glauben, was sie glauben. Aber brauchen wir einen Bundespräsidenten, der im Kuratorium eines solchen Vereins sitzt? Ist die Missionierung junger Leute im Sinne Parzanys der Unterstützung eines Bundespräsidenten würdig? Haben wir mit Weihnachtsansprachen zu rechnen, die das segensreiche Wirken der Missionare preisen?
Quelle: Perlentaucher
- Rüttgers wirft Kraft „schlimmste Wählertäuschung“ vor
Kehrtwende in NRW: Hannelore Kraft will sich nun doch schon im Juli anstatt erst im Herbst zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen. Auslöser sei die FDP, die das Bündnis mit Rüttgers für beendet erklärt habe. Er sei nur noch ein „Ministerpräsident auf Abruf.
Quelle: FAZ
- Eine Frage des Vermögens
Sie haben das Ende der DDR vorausgesagt. Und einen Plan zur Verwandlung von Volkseigentum in Privateigentum entworfen, den Vorläufer der Treuhandanstalt, die am 17. Juni 1990 ins Leben gerufen wurde. Heute sagen die beiden Forscher wieder etwas voraus: das Ende der Marktwirtschaft.
Quelle: Tagesspiegel
Anmerkung Orlando Pascheit: Ganz nett zu lesen – auch etwas beunruhigend. Und natürlich der Scherz des Tages über Köhler: „Nehmen wir doch mal ernst, was über ihn geschrieben wird (…) Unterstellen wir mal, er sei auch bei seiner Entscheidung noch pflichtbewusst und Finanzexperte…. Was hätte er noch sagen, machen sollen – ohne politische Entscheidungen grundlegend infrage zu stellen? Zur Finanzkrise zum Beispiel? Alles, was ihr jetzt macht, ist nicht zu verantworten? Sich gegen Europas Staatschefs stellen? Da dies das Amt nicht zulässt, bleibt nur der Absprung. Möglicherweise sieht er das Desaster, auf das wir zulaufen. Wir sehen das auch. Und das ist viel größer als das mit der DDR damals.“ – Im übrigen werden wir daran erinnert, wer das Konzept für die schnelle Einführung der D-Mark in der DDR zum Kurs 1:1 erarbeite: Sarrazin im Auftrag Köhlers, der es dann Waigel überzeugte, welcher dann Kohl (…)
- Athen senkt Mindestlöhne
In einer umfassenden Reform des Arbeitsmarktes will die griechische Regierung die Mindestlöhne senken und Entlassungen vereinfachen. Die Maßnahmen seien von der Europäischen Zentralbank, den Euroländer und dem Internationalen Währungsfonds diktiert worden, betonte Arbeitsminister Andreas Loverdos.
Quelle: Börsennews
Anmerkung unseres Lesers J.W.: Die Schreiberlinge werden dies uns Lesern als “alternativlos” oder “ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung” verkaufen.
Anmerkung J.A.: Genau wie in Spanien. Es kann nur keiner erklären – außer im neoliberalen Phantasialand -, wie mehr Jobs dadurch entstehen sollen, daß Leute leichter entlassen werden können. Besonders schön ist auch der Trick, die “”Reformen”” den Griechen im Sommer “unterzuschieben”.
Ergänzende Anmerkung MB: Wie praktisch, dass Griechenland eben das erste Spiel einer Fußballweltmeisterschaft gewann; das wird die Bevölkerung vielleicht auf andere Gedanken bringen.
- Spanien muss besonders für französische und deutsche Banken sparen
Die nun dekretierte Arbeitsmarktreform wird dem Land zwei Generalstreiks bescheren. Besorgnis und Nervösität in den Euro-Ländern: Ist Spanien der nächste Kandidat für ein Rettungspaket?
Quelle: Telepolis
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Von den verantwortlichen Politikern sowie den Medien wird immer wieder der Eindruck erweckt, der Anstieg der Staatsverschuldung in den südeuropäischen Staaten (Griechenland, Spanien, Portugal, Italien) sei maßgeblich eine Folge unsoliden Wirtschaftens dieser Staaten – vor allem “überbordender” Sozialausgaben – seit der Euro-Einführung. Fakt ist jedoch, daß sich die Staatsverschuldung in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in den südeuropäischen Staaten im Zeitraum 1999 bis 2007 um 16 Prozentpunkte (von 93 Prozent auf 77 Prozent) vermindert hat. Beim selbsternannten Musterschüler Deutschland ist die Staatsverschuldung in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum hingegen um 4 Prozentpunkte auf 65 Prozent angestiegen – v.a. eine Folge drastischer Steuersenkungen zu Gunsten der Spitzenverdiener, der Besitzer großer Vermögen sowie der Unternehmen. Der starke Anstieg der Staatsverschuldung in den südeuropäischen Staaten seit dem Jahre 2008 ist – neben den Negativwirkungen der auch aus dem deutschen Lohndumping resultierenden Leistungsbilanzdefizite – ganz maßgeblich auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen: Finanzielle Aufwendungen für die Bankenrettung, konjunkturstützenden Maßnahmen für die Realwirtschaft, dem aus der Konjunkturkrise resultierenden Einbruch der Steuereinnahmen und der Zunahme der Sozialausgaben (z.B. wegen steigender Arbeitslosigkeit). Es zeigt sich mehr und mehr die Tendenz, den Abbau sozialstaatlicher Strukturen in den europäischen Staaten zukünftig mehr und mehr über die “europäische Schiene” abzuwickeln. Deutschland ist hierbei der maßgebliche Treiber dieser Entwicklung. Geht es nach dem Willen der hiesigen Neoliberalen, dann würde die europäische Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in das Zwangskorsett einer “europäischen Schuldenbremse” hineingepresst werden, ergänzt um das mit demokratischen Grundsätzen völlig unvereinbare Streichen des europäischen Stimmrechtes für “Defizitsünder”. Die “europäische Schuldenbremse” wäre das zukünftig verstärkt zum Einsatz kommende Druckmittel zum Schleifen wohlfahrtsstaatlicher Strukturen in Europa. Im Focus der Politik stünde vor allem die Ausgabenseite der Staatshaushalte. Die Anpassung der Staatseinnahmen (z.B. Anhebung des Spitzensteuersatzes, höhere Erbschafts- und Vermögenssteuern) würde nach dem Willen der Neoliberalen hingegen weitestgehend ausgeblendet werden, obwohl ökonomische sowie gesellschafts- und sozialpolitische Gründe für eine stärkere finanzielle Beteiligung der europäischen “Eliten” sprechen. Siehe hierzu die “Hinweise des Tages vom 8. Juni 2010”, Punkt 1a.
- Rentenalter wird in Frankreich auf 62 Jahre angehoben
Die französische Regierung präsentierte am Mittwoch die Einzelheiten der seit Wochen umstrittenen Rentenreform: Ab dem 1. Juli 2011 solle die Altersgrenze für Pensionierungen von derzeit 60 Jahren um vier Monate pro Jahr erhöht werden. Moralische Verpflichtung». Angesichts des ausufernden Haushaltsdefizits und der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung sei die Reform «eine moralische Verpflichtung», sagte Arbeitsminister Eric Woerth bei der Vorstellung der Pläne in Paris. Die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters soll bis 2018 19 Milliarden Euro in die leeren Staatskassen spülen und das überschuldete Rentenversicherungssystems wieder in die schwarzen Zahlen bringen. Zusätzlich soll der Mindestzeitraum für Beitragszahlungen weiter erhöht werden. Wer die volle Rente haben will, muss von 2020 an mindestens 41,5 Jahre in das System eingezahlt haben. Es sei nicht möglich, das Loch in der Rentenkasse nur durch neue Einnahmen zu stopfen, erklärt Woerth.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung
Anmerkung Orlando Pascheit: Glückliches Frankreich könnte man meinen, aber die Erhöhung dürfte wohl nur ein erster Schritt sein. Die Deutschen machen es ja vor. Trotz der Kritik an Deutschlands Sparpolitik möchte auch Sarkozy kräftig sparen, was hierzulande oft übersehen wird. Das Haushaltsdefizit soll bis 2012 von derzeit 8,5% des BIP auf 4,6% reduziert werden. Premier François Fillon sieht vor allem in der Beseitigung zahlreicher Steuererleichterungen ein Einsparpotenzial von 75 Mrd. €. Zurzeit werden die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft überprüft. Allerdings wäre es naiv anzunehmen, dass Steuerprivilegien so leicht zu streichen wären. Auch dürfte der geplante Verkauf von Liegenschaften aus französischem Staatsbesitz nicht allzu viel bringen.
- Berlin koordiniert europaweite Bloßstellung der Banken
Die Bundesregierung sucht mit den anderen EU-Ländern nach einer gemeinsamen Linie bei der möglichen Veröffentlichung von Banken-Stresstests. In Stresstests wird untersucht, inwiefern Geldhäuser für Extremszenarien gerüstet sind. “Wir stimmen uns derzeit mit unseren europäischen Partnern ab”, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums am Mittwoch in Berlin. Die Gespräche liefen noch. Im vergangenen Jahr hatte sich die Große Koalition noch vehement gegen eine Veröffentlichung von Ergebnissen gewehrt. Berlin reagiert damit auf Bestrebungen der Spanier, die offenbar auf eine Veröffentlichung von Stressttest-Ergebnissen aller großen europäischen Institute dringen. Damit versuchen die Iberer wahrscheinlich, von den eigenen Schwierigkeiten abzulenken und die Kapitalmärkte zu beruhigen. Hier hält sich seit Tagen das Gerücht, Spanien könne bald Milliardenhilfen der Euro-Partner benötigen. Insbesondere die Sparkassen – Cajas – tun sich momentan mit der Refinanzierung schwer. Institute aus dem Ausland verlangen hohe Risikoaufschläge, weil die Cajas als Sicherheiten häufig “nur” spanische Staatsanleihen bieten können. Würden die Testergebnisse aller großen Häuser Europas veröffentlicht, dürften die großen spanischen Banken hingegen vergleichsweise gut abschneiden, da sie solide kapitalisiert sind.
Quelle: FTD
Anmerkung Orlando Pascheit: Die Reaktion der deutschen Banken läßt Schlimmes befürchten. Man möchte dann schon etwas genauer wissen, inwiefern eine Veröffentlichung der erwarteten Finanzlage einzelner Institute oder Länder unter Stress viel Raum für Fehlinterpretationen biete. Wenn Kritiker einer Veröffentlichung fürchten, dass diese am Kapitalmarkt für Panik sorgen würde und einen Kreislauf aus Ratingherabstufung sowie Kursverlusten nach sich ziehen würde, spricht einiges für den desolaten Zustand vieler europäischer Banken. Geradezu erpresserischen Charakter haben Warnungen aus Bankerkreisen, dass die Offenlegung von Stresstests auch Folgen für die Finanzierungssituation der Staaten haben könnte und eine erneute Flucht aus Staatsanleihen möglich werde: Veröffentlichst Du, reiße ich Dich mit in den Abgrund. Beruhigend wirkt es auch nicht gerade, wenn Verantwortliche der Bafin die Veröffentlichung an das Angebot entsprechender Auffanglösungen koppeln möchten. Klarer wird das Bild, wenn man bedenkt, dass laut EZB in Europas Bankenwelt noch ein Abschreibungsbedarf von 195 Milliarden Euro besteht. Nicht enthalten sind darin z. B griechische, spanische und portugiesische Staatsanleihen in Höhe von 330 Mrd. Euro, die allein deutsche Banken halten. – Der Titel obigen Artikels hat sich übrigens erledigt, Jörg Asmussen , der NDS-Lesern wohlbekannte Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, hat inzwischen verkündet, das eine Veröffentlichung der deutschen Stresstests ohne Genehmigung der Banken nicht erfolgen wird. Das übrige Europa wird allerdings, wie auf dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschef beschlossen, Stresstests wichtiger Banken veröffentlichen.
- Bundeswehr, jugendgerecht
Mit einem Preisausschreiben forciert die Bundeswehr ihre aggressive Propaganda- und Rekrutierungskampagne gegenüber Jugendlichen ab 14 Jahren. Die Gewinner des “Wissensquiz'” erhalten exklusiven Zugang zu Eliteeinheiten des deutschen Militärs, die auf Anti-Guerilla-Aktionen spezialisiert sind. Unter anderem wird den Jugendlichen eine “Zugriffsoperation” vorgeführt, bei der Fallschirmjäger der “Division Spezielle Operationen” ein von Aufständischen besetztes Gebäude stürmen – Schusswaffen- und Sprengstoffgebrauch inbegriffen. Flankiert werden die Werbemaßnahmen durch den Abschluss von Kooperationsverträgen zwischen Landesregierungen und Militär, die den flächendeckenden Einsatz sogenannter Jugendoffiziere an deutschen Bildungseinrichtungen ermöglichen. Erklärtes Ziel ist es, die Schüler sowohl mit diversen “Bedrohungen” als auch mit “nationalen Interessen” vertraut zu machen. Insbesondere gegen die Indoktrination durch die Jugendoffiziere regt sich inzwischen breiter Widerstand; zahlreiche Schüler- und Elternvertretungen sowie die Lehrergewerkschaft GEW fordern eine “Schule ohne Bundeswehr”.
Quelle: German Foreign Policy
- European Business School wird Universität
Die European Business School feiert am Mittwoch in Wiesbaden ihre Aufwertung zur Universität. Stadt und Land pumpten Millionen in die private Elite-Hochschule und mussten dafür massive Kritik hinnehmen.
Quelle: Hessenschau (Video)
Anmerkung unseres Lesers J.L.: Wie sagte Roland Koch sinngemäß? ” Beim sparen darf die Bildung nicht ausgenommen werden?” Wo er spart kann man hier sehen.
Ergänzende Anmerkung MB: Es ist nicht das erste mal, dass die hessische Landesregierung im Rahmen allgemeiner Sparpolitik Eliteprojekte fördert. Es sei an die „Operation sichere Zukunft“ erinnert. Bei sozialen Projekten wurde gekürzt und gestrichen, die Arbeitszeit der hessischen Beamten/innen wurde verlängert, dafür wurde das Schlösschen eines von der Insolvenz bedrohten Adligen übernommen und die Frankfurter Pferderennbahn wurde finanziell gefördert.
- Vom Elend des Kalaharisalzes – Hartz IV-Kochbücher werfen ein Blitzlicht auf einen bizarren Armen-Messianismus
Deutschland kann manchmal sehr seltsam sein. So ist es wohl das einzige Land, dessen umwälzendste Sozialgesetzgebung nach einem Straftäter benannt ist. Bekanntlich wurde Peter Hartz wegen Untreue rechtskräftig verurteilt. Und wahrscheinlich ist Deutschland auch das einzige Land dieser Erde, in dem Kochbücher zu Sozialgesetzen geschrieben werden. Es ist ein groteskes Kapitel und eine sozialpsychologisch höchst interessante Erscheinung, dass meist biedere Bürger sich dazu hingezogen fühlen, den Armen zu erklären, wie schmack- und nahrhaft man sich mit ein paar Euro am Tag ernähren kann. Sie tun dies meist in Verlagen, in denen man für die Veröffentlichung zahlen muss, und mittlerweile existiert eine ganze Reihe dieser seltsamen Armuts-Kochbücher.
Quelle: Telepolis
- Zu guter Letzt: Georg Schramm über die Hintergründe der Euro-Krise
Quelle: YouTube