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Titel: Luftbuchungen – wie wenig steigende Aktienkurse über den Wohlstand eines Volkes aussagen (Finanzkrise XXXIV)

Datum: 11. März 2010 um 11:03 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Gedenktage/Jahrestage
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Das Platzen der so genannten Internet-Blase feiert in diesen Tagen Jubiläum. 10-Jähriges. (Dazu siehe auch den letzten Hinweis von heute.) Im März des Jahres 2000 brach die Illusion vieler Zeitgenossen zusammen, mit den Aktienkursen ginge es immer bergauf. Immer schon konnte man wissen, dass steigende Aktienkurse volkswirtschaftlich ohnehin ohne Belang sind. Ich habe im Oktober 1999 dazu eine Kolumne im „vorwärts“ geschrieben. Das gilt alles noch und ist immer noch aktuell. Albrecht Müller

Den Text der Kolumne finden Sie im Anschluss an diese Vorbemerkungen:

  • In der Kolumne war ein Ausriss aus BUSINESS WEEK eingebaut. Dort wurde behauptet, es seien in Deutschland auf dem Neuen Markt – sichtbar an den gestiegenen Aktienkursen – für 59 Milliarden Dollar neue Vermögenswerte geschaffen worden. Dieser Ausriss ist im folgenden Text nicht enthalten. Es wird aber darauf Bezug genommen. Deshalb der Hinweis.
  • Die Kolumne hat mir Zustimmung und bittere Kritik eingebracht. Ein Ingenieur aus Stuttgart zum Beispiel schrieb in einem Leserbrief, meine Skepsis gegenüber der volkswirtschaftlichen Bedeutung von Börsenspekulationen zeige mal wieder, dass die Sozis den Leuten ihre Vermögensgewinne nicht gönnen. Und er schilderte seine eigenen positiven Erfahrungen auf den Börsen. Die Dax-Kurse sackten nach dem Platzen der Blase im März 2000 in den folgenden zwei Jahren auf ein Viertel ab. Ich wollte keine Häme verbreiten und habe deshalb darauf verzichtet, den Ingenieur aus Stuttgart im Jahr 2003 nach seinen großartigen Gewinnen zu fragen.
  • Auch heute gehen die Spekulationen weiter. Jeden Tag erreichen uns die „Frontmeldungen“ von den Börsen. Es wird nach wie vor so getan, als hätten die Bewegungen im Casino der Börsen irgendetwas wichtiges mit unserem realen Leben zu tun.
  • Jubiläum des Platzens der Internetblase und meine Kolumne machen implizit auch darauf aufmerksam, wie verlogen die Behauptung ist, eine Finanzkrise habe es erst nach der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 gegeben. Schon das Platzen der Blase im Jahr 2000 hat eine Krise ausgelöst. Die Spitzen der deutschen Finanzwirtschaft trafen sich mit den Spitzen der Bundesregierung schon im Februar 2003, um über die Gründung einer Bad Bank zu reden. Wir haben ausführlich darüber berichtet. Vielleicht sollten Sie sich dazu die Rubrik Finanzkrise anschauen. Der erste Beitrag Finanzkrise I ist für die Einsicht in die Nutzlosigkeit beziehungsweise die Schädlichkeit der Spekulation auf den Finanzmärkten besonders einschlägig.
  • Zum Hintergrund der wiedergegebenen Kolumne: Fast sieben Jahre lang schrieb ich monatlich eine Kolumne im vorwärts unter der Gesamtüberschrift „Gegen den Strom“. Obwohl viele Mitglieder der SPD und Leserinnen und Leser des vorwärts diese Kolumne sehr schätzten, wurde meine Kolumne nach Erscheinen meines Buches „Die Reformlüge“ abgeknipst. Diese Kritik an der Schröderschen Reformpolitik passte der damaligen SPD-Führung um Schröder, Müntefering und Benneter nicht in den Kram. Ich konnte das ja verstehen. Wenn einer Parteiführung keinen Wert mehr auf inhaltliche Debatten legt, dann muss sie gegen aufmüpfige Texte einschreiten. Die Begründung – „Platzmangel“ – war schlicht feige.

Es folgt die
Vorwärts-Kolumne „Gegen den Strom“ von Albrecht Müller
Oktober 1999

Luftbuchungen. – Wie wenig steigende Aktienkurse über den Wohlstand eines Volkes aussagen.

An jedem Abend informiert uns das Fernsehen darüber, wie sich die Aktienkurse entwickelt haben; schon tagsüber wird man von mehreren Sendern auf dem laufenden gehalten; der Wirtschafts- und Börsenteil meiner Regionalzeitung ist mit drei Seiten genauso lang wie der politische Teil; der Fernsehsender n-tv, lässt die neuesten Aktienkurse im Programm mitlaufen und seine Berichterstatterinnen bekommen eine traurig-belegte Stimme, wenn sie Kursrückgänge vermelden. Man muss den Eindruck gewinnen, das deutsche Volk sei ein Volk von Aktienbesitzern und wir alle seien ständig scharf darauf zu erfahren, wie viel reicher uns das Geschehen an den Börsen gerade wieder gemacht hat.

Tatsächlich sind heute 7,9 Prozent der Deutschen im Besitz von Aktien; Aktienfonds eingerechnet 12,7 Prozent. Warum wird trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl so ausführlich über Aktienmärkte berichtet und so getan, als beträfe das Auf und Ab der Börsenkurse uns alle oder zumindest eine Mehrheit von uns?

Das hat zum einen damit zu tun, dass wie beim Lotto diejenigen, die sich daran beteiligen, beachtlich gewinnen können. Das hat einen sportlichen Reiz, auch für die „Zuschauer“.

Zum andern rührt die hohe Aufmerksamkeit daher, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, der Anstieg von Aktienkursen würde auch volkswirtschaftlich betrachtet Werte schaffen. Dies sei ein Zeichen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht. Das Zitat aus BUSINESS WEEK ist nur eine von vielen Meldungen.

Dass Aktienkursfeuerwerke nicht viel mit dem Wohlergehen einer Volkswirtschaft zu tun haben müssen, sieht man schon daran, dass der Dax – das Maß der Börsendurchschnittsentwicklung der wichtigsten deutschen Aktien – in den vergangenen Jahren häufig stieg, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit zunahm und die deutsche Volkswirtschaft nur mäßig wuchs, wenn überhaupt.

Ohne Zweifel hat der Kapitalmarkt, dessen Teil der Aktienmarkt ist, eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Der Kapitalmarkt sorgt dafür, dass die gesparten Finanzmittel zum „besten Wirt“ gehen, wie die Volkswirte sagen, also dorthin strömen, wo dieses Kapital am produktivsten investiert wird. Diese Funktion des Kapitalmarkts ist wichtig. Auch der Teil, den man heute in Deutschland Neuer Markt nennt, wo also Aktien junger, risikoreicher Unternehmen ausgegeben und gehandelt werden, hat eine wichtige Teilfunktion. Es ist wichtig, dass Menschen mit guten neuen Ideen eine Chance haben, sich bei anderen, die Risiken einzugehen bereit sind, Kapital beschaffen können. Wenn mit dem Kapital in Maschinen oder Anlagen, in Computer oder andere Produktionsmittel investiert wird und Menschen mit diesem eingesetzten Kapital arbeiten, werden in der Tat Werte geschaffen.

Diese Art von Wertschöpfung durch Einsatz von Kapital und Arbeitskräften ist aber etwas anderes als das, was auf den Aktienmärkten geschieht, wenn dort die Kurse steigen. Richtig ist, dass der Buchwert eines Unternehmens sich verdoppelt, wenn der Aktienkurs sich verdoppelt. Aber mit dieser Höherbewertung werden genauso wenig Werte geschaffen, wie mit der Emis-sion, also der Ausgabe von Aktien gegen das Geld neuer Aktionäre. Insofern ist die Vermutung von BUSINESS WEEK, es seien in Deutschland auf dem Neuen Markt für 59 Milliarden Dollar neue Vermögenswerte geschaffen worden, nicht richtig.

Wenn ein Unternehmen Aktien auf den Markt bringt, damit Geld einnimmt und bei sich Vermögen – in der Sprache von BUSINESS WEEK „wealth“ – schafft, muss es andere geben, die diese Ak-tien kaufen, dafür mit Geld bezahlen, also ihr Konto räumen oder andere Wertpapiere verkaufen usw. Per saldo – das ist nach Adam Riese und der Saldenmechanik zwangsläufig – entstehen dabei keine neuen Werte.

Nehmen wir eine aktuelle Neuemission, das Beispiel von Constantin-Film, eines Unternehmens der Film- und Medienwirtschaft, das im September an die Börse ging. Der Ausgabekurs lag bei 19,50 Euro. Er sprang noch am selben Tag auf 80 Euro. Der Tages-Schlusskurs lag bei 63 Euro, am nächsten Tag bei 50 Euro, eine Woche nach dem Tag der Emission bei 49 Euro. Diese Schwankungen zeigen, dass das Buchwerte sind, deren realer Hintergrund bestenfalls die Erwartung ist, dass das Unternehmen mit dem eingenommenen Geld etwas Vernünftiges anfängt, gut wirtschaftet und Gewinne erzielt. Dass Aktienkursschwankungen auch ganz andere Hintergründe haben können, hat die Zeitung „Die Woche“ vom 3. September beschrieben. Da werden Anlegern am Neuen Markt Tipps gegeben, unter anderem: „Wer ausschließlich auf Zeichnungsgewinne spekuliert, sollte sich vor allem auf Unternehmen konzentrieren, die im Vorfeld des Börsengangs mit großen PR-Kampagnen für hohe Aufmerksamkeit sorgen und die Investoren sprichwörtlich „heiß“ machen.“ Und man solle darauf achten, dass die Branche, zu der die Aktien emittierende Firma gehört, „derzeit an der Börse „in“ ist“.

Kurzfristige Wertsteigerungen sind – so das Kalkül – Ergebnis von Spekulationen darauf, dass die Propaganda für die Emission einer Aktie so professionell gemacht ist, dass es aus diesem Grund zu einem Kursfeuerwerk kommt, bei dem man kurz einsteigt und mit etwas Glück rechtzeitig wieder aussteigt.

Aber merke: Auch dabei gibt es neben den Gewinnern immer auch Verlierer. Volkswirtschaftlich sind solche Vorgänge ohne positive Bedeutung. Es ist eine Art von Spekulationsspiel, das nichts darüber sagt, ob dabei Werte geschaffen werden.

Der Präsident des Club of Rome, einer Vereinigung von Industriellen und Wissenschaftlern, warnte im Juli vor den spekulativen Elementen der heutigen Kapitalmärkte. Der wirkliche Wert eines Unternehmens und seine Bewertung am Aktienmarkt klafften oft zu weit auseinander, meinte er. Noch gewichtiger dürfte die Einschätzung des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan sein, der seit längerem schon die Sorge äußert, am Aktienmarkt entwickle sich eine „gefährliche spekulative Blase“.

Soweit der Text der Kolumne. Es folgt noch eine Folie, die Ihnen einen schnellen Überblick über die DAX Entwicklung von 1960 bis 2008 bietet:

DAX Entwicklung von 1960 bis 2008


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