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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 11. März 2010 um 9:08 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Albrecht Müller
Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute u. a. zu folgenden Themen: Arbeiten für die Moral, DGB sucht Basis, Sarrazin legt erneut nach, Sarrazin will Sanktionen für Eltern von Schulversagern, Westerwelle unterwegs im Dienst der Familie, Soffin: Endlager für Toxic Papers, Spekulanten an die Leine, nichts dazugelernt, die Gefahren des Sparens, Berliner S-Bahn, E.on-Gewinne, Pfusch am Bau der A1, Arzneipreise. (RS)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung unseres Lesers SH: Bisher habe ich schon häufig im Internet Artikel entdeckt, die mich angesichts ihrer Frechheit überraschten. Doch was ich heute auf SpiegelOnline lesen musste, war zuviel für mich. Unter der Überschrift “Arbeiten für die Moral” verbreiten die Autoren Andreia Tolciu und Michael Bräuninger ein ebenso ignorantes wie menschenverachtendes Loblied auf die Ausbeutung von Personen durch Niedrigstlöhne. In diesem Artikel reiht sich eine Frechheit an die andere. Hier ein paar Beispiele:
“Es ist völlig offen, ob höhere Hartz-IV-Sätze den Empfängern neue Perspektiven eröffnen würden.”
Ich empfinde Teilnahme am kulturellen Leben hingegen durchaus als Perspektive.
“Tatsächlich können höhere Regelsätze – abgesehen von den sofort spürbaren monetären Kosten für den Staatshaushalt – weitere unerwünschte Nebenwirkungen haben. Die Rede ist von der Arbeitsmoral der Arbeitnehmer. Denn die dürfte sinken, mit verheerenden Folgen für den Arbeitsmarkt insgesamt. Dabei geht es vor allem um diejenigen, die sich bisher bewusst für Arbeit entscheiden, obwohl ihre finanziellen Vorteile nur geringfügig höher sind als bei Hartz-IV-Empfängern.”
Wenn man wünscht, dass Menschen trotz Arbeitslosenunterstützung arbeiten, sollte man Ihnen einen menschenwürdigen Lohn zahlen. Es ist geradezu erbärmlich zu erwarten, ein Heer an Ausgebeuteten zur Verfügung zu haben.
“Höhere staatliche Unterstützung verringert den Anreiz zu individuellen Anstrengungen; dadurch steigt die Arbeitslosigkeit und wird gesellschaftlich tolerabler; in der Folge sinkt die soziale Norm der Leistungsbereitschaft; und dies führt dann zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit.”
Offenbar wünschen sich die Autoren, dass Menschen nur der Arbeit willen arbeiten bzw. durch niedrige ALG-II-Sätze dazu gezwungen sind. Der Euphemismus “Leistungsbereitschaft”, der nichts anderes meint als Sich-ausbeuten-lassen verschleiert zudem, dass es in unserer Gesellschaft gar nicht an Arbeitsbereitschaft, sondern ganz einfach an Arbeitsplätzen mangelt. Beide Autoren arbeiten im Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut, das Nachdenklesern bestens bekannt sein sollte. Jedenfalls erklärt dies ihre Ansichten.
Ergänzende Anmerkung RS: Das „Gefühl, etwas zu leisten und gebraucht zu werden“, füllt den Magen nicht und schafft kein Dach übern Kopf. Es ist einfach zynisch, wie hierzulande so getan wird, als wäre das Ausbeuten von Menschen eine Wohltat, weil sie sich dann beim Verhungern wenigstens „gebraucht“ fühlen. Es ist einfach beschämend, dass es in Deutschland erlaubt ist, Löhne zu zahlen, die nicht einmal höher sind als die Sozialhilfe. Wer Menschen beschäftigt, ohne ihnen existenzsichernde Löhne zu zahlen, schmarotzt an anderer Leute Leistung. Wie ist es um ihre Moral bestellt? Wie ist es um die Moral einer Gesellschaft bestellt, die dies nicht nur toleriert, sondern auch noch fördert?
Anmerkung Jürgen Karl: Das schlimme daran sind nicht unbedingt Sarrazins Äußerungen, der Mann hat offensichtlich ein Problem, sondern die völlige Verachtung der sogenannten Eliten gegenüber den einfachen Menschen, die sich darin widerspiegelt, sowie die Tatsache, dass Sarrazin trotz dessen weiterhin höchste Ämter bekleiden kann (Vorstandsmitglied der Bundesbank).
Anmerkung Jürgen Karl: Mal sehen wie lange Herr Westerwelle noch von spätrömischer Dekadenz schwadroniert. Vermutlich hatte er dabei das Agieren seinesgleichen gemeint.
Ergänzung AM: Zum besseren Verständnis des obigen Kommentars siehe z.B. die Meldung im Handelsblatt:
Soffin: Bankenretter sollen mehr Kompetenzen bekommen
Bundesbankpräsident Axel Weber hat sich dafür ausgesprochen, den staatlichen Rettungsfonds Soffin auf Dauer zu erhalten, um in Schieflage geratene Finanzinstitute aufzufangen und abzuwickeln. Bei der Union rennt der Bundesbankpräsident damit offene Türen ein.
Quelle: Handelsblatt
Anmerkung Orlando Pascheit: Erst angesichts der Euro-/Griechenlandkrise raffen sich Europas wichtigste Akteure auf, riskante Finanzinstrumente zu regulieren. Wobei wohl weniger der Absturz Griechenlands eine Rolle spielt, als die massiv involvierten Banken, die bisher an ihren Kreditversicherungen und gleichzeitig an den steigenden Zinsen für die griechischen Staatsanleihen glänzend verdienten, aber einen Ausfall nicht verkraften würden. Deutsche Banken sind nach Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit 32 Milliarden Euro die drittgrößten Gläubiger Griechenlands. Die jetzt angedachten Maßnahmen ändern nichts daran, dass im aktuellen Fall letztlich wieder der Steuerzahler her muß. Dennoch könnte sich Griechenland als Glücksfall für die Zukunft erweisen, da nach anderthalb Jahren endlich zur Tat geschritten wird. Der große Wurf einer Schrumpfung des Finanzsektors steht noch aus, aber wir sind ja inzwischen auch für Brosamen dankbar.
Siehe dazu auch:
Kampf gegen Spekulanten – USA sagen den Finanzwetten den Kampf an
Zocken nur mit strengen Regeln
Quelle: SZ
Kommentar AM: Eigentlich hatten wir gedacht, dass nach 1929 gelernt sei, dass es sinnlos und schädlich ist, eine prozyklische Politik zu betreiben. Aber das anzunehmen war wohl naiv. Offensichtlich ist es nötig, wie hier von Stiglitz geschehen, an diese Erkenntnisse zu erinnern. Von wegen Wissensgesellschaft, die primitivsten Einsichten sind nicht präsent.
AnmerkungOrlando Pascheit: Das EBA betont zwar, dass es nicht behauptet hätte, dass einzelne Beschäftigte der Berliner S-Bahn nicht gewillt seien, Instandhaltungsarbeiten zu dokumentieren. Andererseits ist diese Behauptung äußerst spitzfindig, wenn man gleichzeitig behauptet, dass die Instandhaltungsdokumentation unzulänglich sei. Zu Recht weist Heiner Wegner daraufhin, dass das EBA einfach die Arbeitsaufträge mit der Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen abgleichen solle. Auf den Vorwurf von Wegner, spät reagiert haben, obwohl das Amt frühzeitig und regelmäßig über Mißstände und mögliche Sicherheitsprobleme informiert worden sei, entgegnet das das EBA reichlich schwammig: “Entgegen den weiteren Ausführungen des Betriebsratsvorsitzenden hat die Behörde in den letzten Jahren Hinweise Dritter ernst genommen und bei ihren Ermittlungen zur Gefahrenabwehr einbezogen.” – Tatendrang hört sich anders an.
Anmerkung RS: Als Monopol bei der Daseinsvorsorge lebt es sich auch in schlechten Zeiten ganz gut.
Ergänzung AM: So ist es, wenn aus vielerlei öffentlichen Unternehmen wenige private Oligopole gemacht werden. Das Ganze nennt man auch noch Liberalisierung. Übrigens ein Fall und Beleg dafür, dass der Wahnsinn nicht erst mit Schröder begann, sondern mit Kohl.
Ergänzung: Im Beitrag des Stern wird die Tatsache, dass es sich um ein PPP-Vorzeigeprojekt handelt nur kurz gestreift. Mehr davon hier:
Zerbröselnde Autobahn bringt Bauindustrie in die Bredouille
Die A1 zwischen Hamburg und Bremen wurde gerade erst aufwändig von einer Bilfinger-Berger-Tochter fertiggestellt – und ist schon eine Schlaglochpiste. Eigentlich sollte der Ausbau zum Public-Private-Partnership-Vorzeigeprojekt werden, nun droht ein Desaster.
Quelle: FTD
Anmerkung unseres Lesers GK: Erhebliche Zweifel sind angebracht, daß der Gesundheitsminister der Pharmaindustrie tatsächlich die “Zähne” zeigen möchte, auch vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit der FDP-Gesundheitspolitik im Allgemeinen und der Gesundheitspolitik des FDP-Ministers Rösler im Besonderen.
Scharfe Kritik äußerte beispielsweise die größte deutsche Einzelkasse Barmer-GEK: Es sei zu erwarten, dass die Unternehmen mit Forderungen in die Verhandlungen gehen, in denen “Nachlässe bereits eingepreist” seien. Man schlägt einfach 20 Prozent drauf, die man sich dann wieder abhandeln lässt und landet am Ende da, wo man landen wollte”.
Auch der Pharmakologe Schönhöfer äußert Kritik an Röslers Vorgehen: “Erst die unabhängige Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig), dann Verhandlungen der Kassen mit den Herstellern und erst am Schluss die Kostenerstattung durch die Kassen.” Wie vielversprechend eine solche Reihenfolge sein kann, verdeutlichte der Pharmakologe am Beispiel Frankreich: “Die französische Nationalversicherung startet in die Verhandlungen mit den Herstellern erfahrungsgemäß mit einem Angebot, das bei 40 Prozent des deutschen Preises liegt.”
Angesichts des desaströsen öffentlichen Erscheinungsbildes von Röslers Gesundheitspolitik spricht vieles für den Vorwurf des IG-Bau-Chefs: Klaus Wiesehügel äußert die Vermutung, Rösler werfe vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai lediglich “ein paar Nebelkerzen”.
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