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Titel: Bundesregierung sieht Korrekturbedarf bei der Bologna-Reform – Korrekturen allein reichen aber nicht

Datum: 14. August 2009 um 8:15 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Hochschulen und Wissenschaft, Wettbewerbsfähigkeit
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„In den Diskussionen mit den Studierenden bestand Konsens, dass die Ziele der Bologna-Reform richtig sind, es aber Korrekturbedarf bei der Umsetzung gibt. Wichtige Fragestellungen sind in diesem Zusammenhang die Studierbarkeit der Studiengänge und die Modularisierung, die konsequente Anwendung der Instrumente ECTS und Diploma Supplement sowie sachgerechte, studienerfolgsorientierte Anerkennungspraxis von Studienleistungen bei Hochschulwechsel, ein flexibler Übergang von Bachelor zu Master und insgesamt eine sowohl wissenschaftliche wie berufsbefähigende Ausbildung. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen kommt den Hochschulen eine Schlüsselrolle zu“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung [PDF – 110 KB] auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke.
Ziele richtig, Umsetzung korrekturbedürftig, die Hochschulen sind verantwortlich, so könnte man die Position der Bundesregierung zusammenfassen. Es ist also nicht an einen Kurswechsel im Bologna-Prozess gedacht, sondern nur an Korrekturen bei der Umsetzung. Dabei wäre eine Re-Reform nötig. Was fehlt ist jede Suche nach den Ursachen warum die Umsetzung des Bologna-Prozesses vor allem in Deutschland vielerorts zu einem Desaster geriet. Wolfgang Lieb

Immerhin ein wenig scheint der „Bildungsstreik“ im Sommersemester einen Anstoß zum Umdenken gegeben zu haben. Vergleicht man die Jubelmeldung des BMBF vom 18.03.2009 unter der Überschrift „Bologna-Prozess gewinnt an Fahrt“ mit der Antwort der Bundesregierung vom 30.07.2009 so scheint immerhin ein Stück Selbstkritik eingekehrt zu sein.

„Die Umstellung greift, die Umsetzung des Bologna-Prozesses gewinnt an Fahrt. Für die deutschen Hochschulen ist das ein Gewinn, denn der Bologna-Prozess ist ein wichtiger Beitrag zu ihrer Internationalisierung und bietet darüber hinaus die Chance, die Studienstruktur grundlegend zu reformieren“, jubelte noch im März Bundesbildungsministerin Schavan.
Immerhin gibt es jetzt das Eingeständnis der Bundesregierung, dass an wichtigen Eckpunkten „Korrekturbedarf“ besteht.

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die der Bologna-Erklärung die Schuld für das Desaster bei der Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengänge in die Schuhe schieben. Ein europäischer Hochschulraum „indem sich Studierende und Hochschulberechtigte frei bewegen können und die Qualität von Lehre und Studium das bestmögliche Niveau erreicht“ könnte nach wie vor ein wichtiges Ziel einer Studienreform sein.

Bei der hochschulpolitischen Debatte wird häufig übersehen, dass der Bologna-Prozess in starkem Maße von der im Jahr 2000 auf dem Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs beschlossenen sog. Lissabon Strategie überlagert wurde. Dort wurde das Ziel vorgegeben bis 2010 „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.“ Anders als in anderen europäischen Ländern hat sich in Deutschland eher Lissabon als Bologna durchgesetzt.

War etwa nach der Bologna Agenda Hochschulbildung als „öffentliches Gut“ betrachtet worden und gab es dort noch eine soziale Dimension der Reform, so wurde mit der Lissabon Strategie Bildung als die Verbesserung des Humankapitals und ein Studium als eine private Investition in das persönliche Humankapital umgedeutet. Der eher kooperative Ansatz und das Prinzip einer „möglichst geringen Stratifizierung des Hochschulsystems“ der Bologna-Erklärung wurde durch das Wettbewerbsprinzip und die strategische Ausrichtung des Studiums auf die Employability (Beschäftigungsfähigkeit) der Lissabon-Strategie überlagert.

Vor allem in Deutschland hat das den neoliberaler Reformen zugrunde negative Menschenbild auch den Bologna-Prozess wesentlich bestimmt. Die Hartz-IV-Reformen (das „Fördern und Fordern“) und die Studienreform zeigen dabei frappierende Parallelen. Beide Reformen unterstellen letztlich Menschen ohne oder mit nur geringer Leistungsmotivation also letztlich arbeits- oder studierunwillige Menschen, die durch Druck und Kontrolle und nicht durch positive Anreize oder attraktive Angebote zur Arbeitsdisziplin angehalten werden müssten (Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung). Ohne überhaupt nach der Studienmotivation zu fragen, wurden fast auf der ganzen Linie Studienarrangements eingeführt, die der Devise folgten „ohne (Prüfungs-)Druck, ohne Dauerkontrolle (z.B. der Anwesenheit) keine Leistung“ (Wolff-Dietrich Webler).

Ähnlich wie danach bei der Einführung des Abiturs nach 8 Jahren (G 8) gab es bei der Einführung des Bachelors kaum eine Debatte um eine Neukonzeption der Studiengänge. Rigide und ohne genauere Bestimmung der Studienziele wurden – ganz anders als in anderen europäischen Ländern – für alle (!) Fächer das Bachelor-Studium auf 6 Semester „gestaucht“. Über bildungstheoretische oder gar gesellschaftspolitische Zielvorstellungen und über qualitative Elemente eines „wissenschaftlichen“ Studiums wurde nur in seltenen Fällen diskutiert. Es ging um „Module“ (wie auch immer aufeinander bezogen) statt um sinnvolle Kürzungen, um „Workload“ statt um Studierbarkeit, um „input“ statt um „outcome“, um „credits“ statt um prozessbegleitendes Feedback, um Wissensakkumulation statt um wissenschaftliches Verständnis, um Verhaltenskontrolle (mit Anwesenheitspflichten und Selektionsdruck durch Prüfungen) statt um die Förderung der Eigenmotivation, um den Wettbewerb „um die besten Köpfe“ statt um die optimale und breite Ausschöpfung des Bildungspotentials – ganz wie es die Sprache und die Ziele der Lissabon-Strategen vorgaben.

Der Bologna-Prozess wurde von außen und von oben den Fächern oktroyiert und nicht in einem diskursiven Prozess etwa zwischen Fächern und „Abnehmern“ der Absolventen aus der wissenschaftlichen Materie heraus entwickelt und pädagogisch (didaktisch) aufgearbeitet. Häufig war es nicht mehr als ein „Umflaggen“ weitgehend unveränderter Studienbestandteile.
Es gab auch keinerlei Professionalisierung der Hochschullehre für die neuen Lehranforderungen, dafür umso mehr Korrekturbelastungen und bürokratische Regelungen (z.B. über die Zahl der Kreditpunkte).
Die Akkreditierungsagenturen waren der Akkreditierungsflut nicht gewachsen und es gab kaum eine Verständigung über die Qualitätsanforderungen. Noch so obskure „Studienprofile“ wurden „durchgewunken“.

Die Folgen sind:

  • überlastete Studierende, erhöhte Abbrecherquoten, mangelnde Zeit zur Reflexion des Stoffes, sinkende Studienqualität.
  • Einer Inflation von Prüfungsanforderungen stehen ressourcenzehrende Korrekturlasten gegenüber. Prüfungen übernehmen die Steuerung des Studienverlaufs. Statt eines wissenschaftlichen Studiums finden wir das kognitive Ansammeln von Wissen für Prüfungen vor (pauken, reproduzieren, wieder vergessen). Kreativität wird geradezu behindert. In der Lehre verbreitet sich Monotonie.
  • Statt eines sinnvoll strukturierten Curriculums haben wir eine rhapsodische Ansammlung von Modulen meist ohne einen einheitsstiftenden Sinn. Wahlpflicht- und Wahlmöglichkeiten um das Kerncurriculum, Selbststudium, projektorientiertes Lernen wurden zugunsten des Konzepts der Modularisierung eingeschränkt.
  • Auslandsstudien gehen (ganz entgegen dem Bologna-Ziel) zurück und wenn sie überhaupt stattfinden, werden allenfalls „Studien-Module“ ins Ausland verlagert (vom Kennenlernen anderer Strukturen oder Kulturen kaum noch eine Spur).
  • Schlüsselkompetenzen werden nicht fachintegriert vermittelt sondern in kleinteiligen Modulen dem Studium angeklatscht.
  • Der Übergang im gestuften Studiensystem vom Bachelor zum Master wird als bürokratisches Selektionsinstrument eingesetzt. Studierendenauswahl und Empfehlungsschreiben für Masterstudiengänge an einer anderen Hochschule binden immense Ressourcen, die besser für Lehre und Forschung eingesetzt würden.

Mit kleinen „Korrekturen“ ist eine Verbesserung nicht möglich und nicht zu erwarten.

Am Anfang einer Neuausrichtung müsste eine Verständigung über die Merkmale guter Lehre und höherer Lehrkompetenz stehen (Vgl. Wissenschaftsrat „Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium“ [PDF – 380 KB])

Es müsste eine Debatte über die im jeweiligen Studium anzustrebenden Kompetenzprofile geben. Dabei sollte wieder eine größere fachliche Breite in der Qualifikation angestrebt werden und die Wahl- und Wahlpflichtanteile eines Studiums erweitert werden. Auch das freie Selbststudium müsste wieder gefördert und geschützt werden. Das neue Studienkonzepte eines gestuften Studiums bedürfte einer passenden und geeigneten Didaktik.

Statt einer viel zu engen Ausrichtung auf eine (oft nur fiktiv definierte) Beschäftigungsfähigkeit, müsste ein Studium eine hohe berufliche Flexibilität und eine engere Verknüpfung von Theorie- und Praxisbezug ermöglichen.
Statt eingepauktes Wissen in zahllosen Einzelklausuren abzufragen, müssten zusammenhängende Lernergebnisse lernprozessbezogen und motivationsfördernd erhoben werden. Das Selbststudium müsste wieder mehr Gewicht erhalten und gefördert werden. Module (wenn man Lerneinheiten denn so nennen möchte) müssten sinnvoll aufeinander aufgebaut und in Sinneinheiten aufeinander bezogen sein. Einzelne Module müssten als Projektstudium verbindlich gemacht werden.

Studieren müsste als Kompetenzerwerb zur selbständigen Lösung neuer Problem mit wissenschaftlichen Methoden verstanden werden. Ein Studium verlangt nicht nur Wissen sondern Handlungsfähigkeit. Eine wissenschaftliche Ausbildung bedeutet auch Persönlichkeitsentwicklung und nicht nur Drill zur Absolvierung von Tests. Der Abschlussthesis müsste als erste größere eigenständige wissenschaftliche Arbeit wieder größeres Gewicht beigemessen werden und die Kreditpunkte sollten je nach Studienfortschritt steigendes Gewicht erlangen.

Vor allem müssten Studierende wieder als selbstverantwortliche, erwachsene Subjekte ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung betrachtet und behandelt werden, die nicht vor allem für den Arbeitsmarkt anzupassen sind, sondern auch als Bürger bereit sind ihre gesellschaftliche Verantwortung im Beruf und in ihrem Privatleben zu übernehmen.

Das wären nur einige wenige, aber wichtige Elemente einer Re-Reform des Bologna-Prozesses.

Es ist schon richtig, wenn die Bundesregierung meint, dass den Hochschulen eine „Schlüsselrolle“ zukommt. Diese Rolle kann aber nicht länger darin bestehen, die von oben und von außen vorgegebenen „Maßnahmen umzusetzen“ (wie es in der Antwort heißt), sondern die Re-Reform muss aus den Hochschulen heraus entwickelt werden und sie muss von den staatlichen Stellen vor allem auch durch finanzielle Anreize (aber nicht nur diese) aktiv gefördert werden. Mit dem gleichen Nachdruck wie der bisherige Bologna-Prozess den Hochschulen oktroyiert wurde.
Doch dazu bedarf es sicherlich noch einiger „Bildungsstreiks“, am besten eine neue Bildungsreformbewegung.

p.s.: Die Anregungen zu diesem Beitrag verdanke ich Wolff-Dietrich Webler vom Institut für Wissenschafts- und Bildungsforschung IWBB in Bielefeld.vb


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