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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 27. Juli 2009 um 10:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)

Heute unter anderem zu diesen Themen:

  1. Heiner Flassbeck: Die Krise ist nicht vorbei
  2. Wenn Löhne und Preise purzeln
  3. Britische Wirtschaft bricht ein wie nie
  4. Das Pendel schwingt zurück
  5. Rettung der HRE erspart Banken Milliardenverluste
  6. Harald Schumann: Tiefes Dunkel, etwas Licht
  7. Riester-Rente lohnt sich meist erst ab 90
  8. Rentenlüge: Die Scheindebatte des Finanzministers
  9. Wirkung der Konjunkturpakete
  10. Sozialstaat in der Krise
  11. Mehr Geld für Deutschlands Kassenärzte
  12. Rhön-Klinikum: “Patienten haben Angst”
  13. Finanznot bei Porsche offenbar grösser als zugegeben
  14. Lazard-Gutachten: Opel hat eigenständig kaum Chancen
  15. Angeblicher Diebstahl von zwei Brötchen kostet den Job
  16. Kampagne Emmely: Die Klassenjustiz schlägt zurück!
  17. Scholz will Hartz-IV-Empfänger besser stellen
  18. Foodwatch: EU will Nährwert-Ampel verbieten
  19. Atomlüge: Die wahren Kosten der Endlager
  20. Willfährige Europäer
  21. Durchsichtig im Netz
  22. Friedensforscher Galtung über den militärischen Einsatz in Afghanistan: „Selbstverständlich ist es ein Krieg“
  23. Ausweg aus der Wehrpflicht gesucht
  24. Bologna und Hartz IV: Reformen aus einem Geist
  25. Systematische Repression in Honduras
  26. Illner intensiv: Minimal und weniger
  27. Asymmetrie in der Berichterstattung: Das Sommerinterview mit Angela Merkel in der ARD
  28. Nochmals: Lobbyisten auf Sendung
  29. Wagner und die Nationalsozialisten
  30. Fast zu guter Letzt: Stifter-Song
  31. Nun aber wirklich zu guter Letzt: Wiedekings Großzügigkeit

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Heiner Flassbeck: Die Krise ist nicht vorbei
    Ob Finanzmärkte oder Firmenbosse: In der Wirtschaft wird an den nahenden Aufschwung geglaubt. Aber wo soll er herkommen? Die deutsche Wirtschaft ist ganz unten. Die Auslastung des Maschinenparks in der Industrie hat ein historisch tiefes Niveau erreicht, und die Tatsache, dass die Auslastung der Arbeitskraft ähnlich gering ist, wird nur von staatlichen Auffanghilfen wie der Kurzarbeit überdeckt. Historisch einmalig muss man auch die Tatsache nennen, dass fast alle Länder der Erde sich gleichzeitig in einer solchen Talsohle befinden. Bei der jetzigen globalen Krise ist nicht damit zu rechnen, dass jemand, der stark genug ist, von oben ein Seil herablässt, um beim Aufstieg zu helfen.

    Was also tun? Wirtschaftsnahe Kreise schlagen schon wieder die berühmten “Strukturreformen” und “Arbeitsmarktflexibilisierungen” vor. Diese Konzepte wären jedoch kontraproduktiv, weil sie zu einer weiteren Umverteilung zulasten der unteren Einkommen führten. Damit würde die eklatante Nachfrageschwäche verschärft, statt sie abzumildern. Dass die deutsche Politik aber genau dahin zielt, zeigt die Schuldenbremse, die sie über Nacht und ohne ernsthafte Diskussion ins Grundgesetz geschrieben hat. Eine Schuldenbremse ist so, als ob man beim Aufstieg schon früh die letzten Nahrungsreserven wegwirft, um Gewicht zu sparen, ohne zu bedenken, dass man später das eigene Gewicht ebenfalls nicht mehr bewegen kann, wenn nicht neue Energie zugeführt wird. Der Staat ist auf absehbare Zeit der einzige Akteur, der die deutsche Wirtschaft beleben könnte. Aber durch die Schuldenbremse wird ihm jeder Handlungsspielraum genommen.
    Quelle: TAZ

  2. Wenn Löhne und Preise purzeln
    Wer hofft, dass die Betriebe in der Krise gesamtwirtschaftlich vernünftig handeln, der baut auf Sand. Und auch die Widerstandskraft der Gewerkschaften hat in diesem schwierigen Umfeld ihre Grenzen.

    Jetzt ist die Politik am Zug. Sie muss die Gefahren einer Deflation auf die politische Tagesordnung setzten. Die Lage ist noch nicht dramatisch, aber ernst. Nach aktuellen Prognosen sinken dieses Jahr die Löhne und Erzeugerpreise. Die Politik muss jetzt einen Damm gegen die drohende Deflation bauen. Von Dierk Hirschel, Chefökonom des DGB.
    Quelle: ND

  3. Britische Wirtschaft bricht ein wie nie
    Die Hoffnungen auf eine rasche Erholung der Weltwirtschaft erhalten einen Dämpfer.
    Die Wirtschaftsleistung in Großbritannien ist im zweiten Quartal um 0,8 Prozent geschrumpft. Damit steckt die britische Wirtschaft nunmehr seit fünf Quartalen in Folge in der Rezession. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ging die Wirtschaftsleistung um 5,6 Prozent zurück. Das ist der größte Einbruch seit 1955. Experten hatten lediglich ein Minus von 5,2 Prozent vorausgesagt.

    Doch vor allem der für die britische Wirtschaft wichtige Dienstleistungssektor schwächelt weiter. Die Geschäfte schrumpften so stark wie noch nie seit Beginn der Statistik. Gegenüber dem Vorquartal betrug das Minus 0,6 Prozent.
    Quelle: FTD

  4. Das Pendel schwingt zurück
    Eben noch totgesagt, werden die Banken nach hohen Quartalsgewinnen wieder keck. Zugleich schwindet die Aussicht auf härtere Spielregeln – eine Entwicklung, die Aussagen von Goldman-Sachs-Vorstand David Viniar und Adair Turner, Chef der britischen Finanzaufsicht, belegt.

    Er ist Fachmann für Risiken aller Art. Also stellt Adair Turner, der Vorsitzende der Financial Services Authority (FSA), ein ganz neues, akutes Gefährdungspotenzial fest. “Es besteht das Risiko, dass in Teilen der City of London noch nicht angekommen ist, dass sich die Welt durch die Krise geändert hat”, sagte der Chef der britischen Bankenaufsicht am Donnerstag der Presse.

    Ein Satz, der das Dilemma der Hüterin über Europas wichtigstes Finanzzentrum perfekt zusammenfasst. Je mehr Zeit vergeht, je länger die dunklen Tage der Kernschmelze im Bankensektor im Rückspiegel verschwinden, je höher die Quartalsgewinne der Banken wieder steigen, desto unruhiger werden Turner, die Aufseher – und die Politiker, die weltweit die Rückkehr des Kasino-Kapitalismus kritisieren.

    Turner und die Seinen merken: Das Blatt wendet sich langsam gegen sie. Noch immer gibt es keinen neuen Regulierungsrahmen, den sie mit Leben füllen können. Dafür werden die Banker in der City – die gerade mit umgerechnet neun Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes an Steuergeldern gerettet wurden – mit jedem Tag selbstbewusster.
    Quelle: FTD

  5. Rettung der HRE erspart Banken Milliardenverluste
    Die Rettung der Hypo Real Estate (HRE) hat den deutschen Finanzhäusern Milliardenverluste erspart. Das geht aus einer Aufstellung der Bundesbank hervor, die ZEIT ONLINE vorliegt und die erstmals einen konkreten Überblick über die Verflechtungen des Münchner Instituts gibt. Demnach hatte insbesondere die Versicherungswirtschaft Forderungen an die HRE.

    Am 28. September 2008, dem Sonntag des ersten Rettungswochenendes, informierte die Bundesbank Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen über die größten deutschen Kreditgeberkonzerne der HRE. Dabei handelt es sich Informationen von ZEIT ONLINE zufolge unter anderem um die Allianz (Gesamtverschuldung: rund 5,6 Milliarden Euro), die Münchener Rück (rund 4,4 Milliarden Euro), die BayernLB (rund 3,0 Milliarden Euro), die Unicredit mit ihrer Tochter HypoVereinsbank (rund 3,0 Milliarden Euro), die DZ Bank (rund 2,9 Milliarden Euro), die Commerzbank (rund 1,4 Milliarden Euro) und die Deutsche Bank (rund 1,0 Milliarden Euro).

    Bei den Zahlen handelt es sich um die so genannte Millionenkreditgewährung, die Kredite über mehr als 1,5 Millionen Euro registriert. Allerdings sind eventuelle Gegengeschäfte und Absicherungen nicht berücksichtigt – was bedeutet, dass die Kreditgeber im Falle eines HRE-Zusammenbruchs per Saldo nicht unbedingt die gesamte Summe verloren hätten. Informationen von ZEIT ONLINE zufolge betrugen die unbesicherten Verbindlichkeiten der HRE gegenüber deutschen Banken (Stand 30. Juni 2008) rund 19,8 Milliarden Euro, die gegenüber deutschen Versicherern und Pensionskassen rund 10 Milliarden Euro und gegenüber deutschen öffentlichen Anlegern – etwa Städte und Gemeinden – rund 8,2 Milliarden Euro. Unbesicherte Verbindlichkeiten wären im Fall einer Pleite der HRE von einem Totalausfall bedroht gewesen. Gegenüber ausländischen Banken bestanden seitens der HRE unbesicherte Verbindlichkeiten von insgesamt rund 23 Milliarden Euro.

    Aus den Unterlagen geht zudem hervor, dass der deutsche Staat weit früher über die existenzielle Kapitalnot der Hypo Real Estate (HRE) informiert war als bisher bekannt. Bereits Anfang November 2008 – zu einem Zeitpunkt also, als die Verhandlungen über die endgültige Ausgestaltung des Rettungspakets für das angeschlagene Münchener Institut noch andauerten – befürchtete die Bundesbank in einer Szenariorechnung ein Absinken der Kernkapitalquote der HRE unter die vorgeschriebene Mindestgrenze. “Unter Berücksichtigung weiterer Risikofaktoren (…) ergibt sich eine Kernkapitalquote von 3,7 Prozent”, heißt es in dem Bericht vom 5. November.
    Fällt die Kernkapitalquote einer Bank unter vier Prozent, droht ihr die sofortige Schließung durch die deutsche Finanzaufsicht.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung WL: Bisher konnte man immer hören, dass die HRE vor allem wegen der hohen Verluste der irischen Tochter Depfa in Schwierigkeiten geraten sei. Jetzt erfahren wir nach und nach, dass die HRE selbst ihre Verbindlichkeiten gegenüber deutschen Banken, deutschen Versicherern und Pensionskassen und Städten und Gemeinden nicht mehr hätte erfüllen können.

    Schon am 30.08.2008 – also lange vor der Rettungsaktion am 29.09.2008 – waren offenbar der Bundesbank 51 Milliarden unbesicherte Verbindlichkeiten seitens der HRE bekannt. Man fragt sich, warum die Bundesbank die Bundesregierung darüber nicht unterrichtet hat? Und wenn die Bundesregierung darüber unterrichtet war, warum diese Situation in der Krisensitzung Ende September nicht zur Sprache kam, mit dem Ergebnis, dass die Stützungsmaßnahmen für die HRE durch den Staat mehrfach nachgebessert werden mussten.
    Wer hat da aus welchem Grunde Informationen unterdrückt?

    Dass die HRE nicht nur den Banken, sondern vor allem auch Versicherern und Kommunen Milliardenverluste ersparte, macht deutlich welches Zusammenspiel hier stattfand, um den Bund und damit den Steuerzahler in die Verantwortung zu ziehen. Die Versicherer drohten mit einem Vertrauensverlust in die private kapitalgeckte Altersvorsorge (auf deren Förderung die Bundesregierung durch die Einführung der Riester-Rente doch so stolz war), die ohnehin verschuldeten Kommunen machten Druck, natürlich wollten die Banken ihre Schäfchen ins Trockene bringen und vermutlich dürfte vor allem auch die bayerische Landesregierung, deren ortsansässige Banken besonders von einem Konkurs der HRE betroffen gewesen wären, Einfluss auf die Entscheidungen des Bundes genommen haben.

    Letztlich macht die Aufstellung der Bundesbank deutlich, dass die deutsche Bankenkrise keineswegs – wie das immer wieder behauptet wird – von den USA ausgehend über uns hereinbrach, sondern dass das Chaos auch bei uns herrschte.

    Oder anders: Die Finanzkrise war ein Glücksfall für Banken, Versicherer und öffentliche Hände, so konnten diese ihre Verbindlichkeiten gegenüber der HRE dem Steuerzahler aufhalsen.

  6. Harald Schumann: Tiefes Dunkel, etwas Licht
    Mit 94 Milliarden Euro bürgen der Staat und seine Steuerzahler seit September 2008 für die Schulden des Münchner Bankriesen HRE. Fast neun Milliarden Euro, die Hälfte der Summe, die alle deutschen Universitäten im Jahr kosten, musste die Bundesregierung anschließend investieren, um das Geldhaus zu verstaatlichen. 22 Zeugen hat der Ausschuss bisher dazu befragt, sich durch einige hundert zumeist als „geheim“ deklarierte Aktenordner aus Ministerien und Behörden gequält. Stück für Stück gelingt ihnen dabei eine erschreckende Enthüllung: Gegenüber der Finanzindustrie, das dokumentieren Zeugen und Dokumente in verblüffender Klarheit, ist der deutsche Staat schwach, desorganisiert und erpressbar (…)

    Ohnmächtig taumelte die Regierung in eine schwere Krise, deren Ausbruch lange vorher erkennbar war. Und am Ende bekam die Finanzbranche ohne Gegenleistung Zugriff auf die Staatskasse und machte aus der Rettung der HRE sogar noch ein gutes Geschäft.

    Für Steinbrück-Kritiker Wissing, als FDP-Politiker gewiss kein Unternehmerfeind, ergibt der ganze Vorgang letztlich „nichts anderes als eine Kapitulation des Staates vor den privaten Banken“. Tatsächlich wird es für diese sogar ein gutes Geschäft. Ihre Kredite an die HRE in Höhe von 30 Milliarden Euro werden – staatlich garantiert – marktüblich verzinst pünktlich bedient. Deutschbanker Wieandt holt gar einen ganz persönlichen Gewinn aus seinem Rettungseinsatz: Schon sein erstes Jahr als HRE-Chef wird ihm eine ordentliche Pensionszusage einbringen. Barwert zum Stichtag 31. Dezember: 2,4 Millionen Euro.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Mit Staunen liest man, dass die Problematik des Kaufes der Depfa im Jahre 2007 der Bafin sofort klar war, aber nichts passierte. Die Erklärung von Frauke Menke, Abteilungsleiterin bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ein „direkter Eingriff in das Geschäftsmodell [sei] kaum vereinbar mit der unternehmerischen Freiheit“, ist lächerlich. Wozu ist die Bafin da, wenn nicht dafür, bei eventuellen Schieflagen die Voraussetzungen für staatliche Interventionen zu schaffen. Ab Januar sind Thomas Mirow und Jörg Asmussen im Finanzministerium informiert. Man kann Harald Schumann dann nur noch tief ironisch verstehen, wenn er schreibt:

    Von all dem erfährt Finanzminister Peer Steinbrück jedoch nichts. Noch im Oktober wird er behaupten, die deutsche Aufsicht könne in Irland gar nicht prüfen.

  7. Riester-Rente lohnt sich meist erst ab 90
    Viele Bürger mit Riester-Rente müssten mindestens 90 Jahre alt werden, um wenigstens ihre selbst gezahlten Riester-Beiträge verzinst wieder zurück zu erhalten.
    Damit lohnt sich der Abschluss einer Riester-Versicherung für zahlreiche Beschäftigte nicht, ergaben Musterrechnungen, die Klaus Jaeger, Riester-Experte und Professor für Wirtschaftstheorie an der Freien Universität Berlin, exklusiv für die WirtschaftsWoche erstellt hat. So muss ein 30-jähriger Riester-Fondssparer mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von 52.500 Euro 92 Jahre alt werden, um seine eigenen Beiträge samt Zinsen als Rente ausgezahlt zu bekommen. Tatsächlich hat ein derzeit 30-jähriger Mann nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes aber eine Lebenserwartung von nur 78 Jahren, Frauen sterben im Durchschnitt mit 83 Jahren. Es sei besonders für Männer „sehr schwierig, so alt zu werden, dass sich die Riester-Rente lohnt“, sagt Jaeger.

    Nur Geringverdiener profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit. Ein 30-jähriger Versicherter mit zwei Kindern und nur 18.000 Euro Bruttojahreseinkommen muss bei Abschluss einer Riester-Rentenversicherung mindestens 71 Jahre alt werden, um seine Beiträge zurück zu bekommen. Steigt das Einkommen aber, dauert es deutlich länger. Nach Berechnung von Professor Jaeger muss ein 30-Jähriger mit zwei Kindern und einem Bruttojahreseinkommen von 36.000 Euro schon 88 Jahre alt werden, bis sich die Versicherung lohnt.

    Dass sich die Riester-Rente für viele Sparer nicht lohnt, liegt vor allem an der vollen Besteuerung der Auszahlungen im Ruhestand. Zudem kalkulieren die Versicherer mit einer Lebenserwartung der Versicherten, die bis zu zehn Jahre über der derzeitigen statistischen Lebenserwartung liegt. Die monatlichen Rentenzahlungen fallen folglich niedriger aus. Die staatlichen Prämien, mit denen Versicherer und Banken werben, kommen dadurch meist erst bei einer sehr langen Lebensdauer von mehr als 90 Jahren beim Kunden an.
    Quelle: Wirtschaftswoche

    Anmerkung WL: Die Wirtschaftswoche spricht von einer Musterrechnung, die Prof. Jaeger „exklusiv“ für das Blatt erstellt hat. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um eine neue Rechnung handelt, jedenfalls hat die Fraktion Die Linke im Bundestag unter Bezugnahme auf eine Fallstudie von Prof. Jäger (veröffentlicht in Versicherungswirtschaft 22/2008, S.1 874 ff.) mit vergleichbaren negativen Aussagen zur Riester-Rente schon vor einigen Monaten eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und diese hat am 7.5.2009 geantwortet [PDF – 60.5 KB]. Wir hatten auf den NachDenkSeiten damals darauf hingewiesen, dass die Antwort der Bundesregierung ausweichend und nichts sagend war. Siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion die Linke: Riester-Förderung – Subventionierung der Versicherungswirtschaft ohne praktische rentenerhöhende Wirkung für die Riester-Sparenden.

  8. Rentenlüge: Die Scheindebatte des Finanzministers
    Finanzminister Steinbrück entfachte eine Debatte über die Rentengarantie. Generationengerechtigkeit sähe anders aus. Die Jungen seien die Gekniffenen. Damit hat er den Konflikt zwischen den Jungen und Alten geschürt. Diese Debatte gäbe es gar nicht, wenn die Politiker in den letzten Jahren nicht systematisch das Rentenniveau gesenkt hätten. Statt weitere Ansprüche zu streichen, fordern jetzt immer mehr Fachleute eine grundlegende Reform des Rentensystems: Alle Erwerbtätigen sollten einbezogen werden, so würden 25 Milliarden Euro mehr in das staatliche Rentensystem fließen. Diese könnten für eine soziale Umverteilung genutzt werden.
    Quelle 1: ARD Monitor [PDF – 70 KB]
    Quelle 2: ARD Monitor (Video)

    Anmerkung: Trotz eines guten und gelungenen Beitrags zum Thema gibt es einen kleinen Abzug in der B-Note, da hier in einem Punkt die Demographie-Rethorik der Versicherungswirtschaft übernommen wird. „Richtig ist: Anfang des Jahrtausends gab es noch vier Erwerbstätige pro Rentner – im Jahr 2050 werden es nur noch zwei sein.“ Dass die Rente von sehr vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren abhängt und im Jahr 2050 gar nichts unbedingt sein oder werden muss, hätte auch der Mathematiker Prof. Bosbach erklären können.

  9. Wirkung der Konjunkturpakete
    Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
    Quelle: Deutscher Bundestag [PDF – 116 KB]

    Dazu:

    Zur Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage “Wirkung der Konjunkturpakete” erklären Kerstin Andreae, wirtschaftspolitische Sprecherin, und Alexander Bonde, haushaltspolitischer Sprecher:

    Die Konjunkturpakete der großen Koalition wirken weder schnell noch sind sie zielgenau. Die Bundesregierung gesteht in ihrer Antwort ein, dass sie die genauen Mittelabflüsse vieler beschlossener Maßnahmen nicht kennt, geschweige denn deren Konjunktur stützende Wirkung. Die Formulierungen “keine konkreten Informationen”, “wird erst in zwei Jahren eruiert”, “wir gehen aber davon aus”, “es liegen keine Erkenntnisse vor” tauchen immer wieder auf.

    Wie in der Gesamtbilanz so auch bei den Konjunkturpaketen: große Koalition, kleines Karo. Die Konjunkturpakete enthalten viel Stückwerk. Mit den “Programmen Energieeffizienz” in KMU wurden 190, “ERP-Innovationsprogramm” 337 und “ERP-Startfonds” ganze 60 Unternehmen erreicht. Die kommunalen Investitionen stocken immer noch. Seit dem Start sind von den bereit gestellten 10 Milliarden gerade erst 33 Zusagen mit einem Volumen von 33 Millionen Euro erteilt. Die Konjunkturpakete bleiben bislang also zum großen Teil ohne Wirkung.
    Die einzige schnell wirkende Maßnahme mit großer Reichweite war die Abwrackprämie. Immerhin hat es die große Koalition geschafft, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihren Autokauf vorgezogen haben. Der Katzenjammer folgt im nächsten Jahr. 5 Milliarden Euro liegen auf dem Schrottplatz. Ökologisch war die Aktion ein voller Fehlschlag. Von den 394.000 bisher bewilligten Anträgen erfüllten gerade einmal 39 Neufahrzeuge die Euro-6-Norm. Nur 15.366 Fahrzeuge erfüllen die Euro-5-Norm, die immerhin ab dem 1. September 2009 für alle neuen Modelle verpflichtend ist. Die überwiegende Anzahl der Neufahrzeuge – 378.595 – erfüllt lediglich die Mindestanforderung der Euro-4-Norm.
    Quelle: Der Sozialticker

  10. Sozialstaat in der Krise
    Wird jetzt schon der künftige Sozialabbau vorbereitet? „Sozialausgaben steigen auf Rekordwerte.“ Fast jeder dritte erwirtschaftete Euro wird für Soziales ausgegeben. Doch das ist nichts Neues. Die Sozialausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind 2008 mit 29 Prozent sogar die niedrigsten seit 1991. Seit 2003 wurden sie um über drei Prozentpunkte gedrückt. Das sind über 80 Milliarden Euro weniger.

    In der Krise nehmen die Sozialausgaben zu, weil die Arbeitslosigkeit steigt.

    Die Leistungen für die Einzelnen wurden heftig gekürzt. Und immer mehr Kosten auf die Versicherten und vor allem den Staat abgewälzt. Also auf Beschäftigte und Verbraucherinnen und Verbraucher, die den Löwenanteil der Steuern zahlen. Der Anteil der Arbeitgeber sank seit 1991 von 40 auf 33 Prozent.
    Quelle: ver.di Wirtschaftspoliti aktuell 15/2009 [PDF – 67 KB]

    Anmerkung WL: Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, die Sozialausgaben seien staatliche Leistungen. Zur Entdramatisierung ist es deswegen einmal ganz interessant darauf hinzuweisen, dass der Staatsanteil an den Sozialausgaben nur bei 37,9% liegt, der Arbeitnehmeranteil ist auf 26,9% gestiegen und der Arbeitgeberanteil auf 33,3% gesunken.

  11. Mehr Geld für Deutschlands Kassenärzte
    Deutschlands Kassenärzte haben ihre Honorare im ersten Quartal um durchschnittlich 9 Prozent gesteigert. Hausärzte haben ihre Umsätze mit Kassenpatienten im Vergleich zum Vorjahresquartal um zehn Prozent, Fachärzte um neun Prozent ausgeweitet. Das geht aus Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hervor, die am Montag in Berlin veröffentlicht werden sollen. Der erste Vorsitzende der KBV, Köhler, sagte am Wochenende auf dem 14. Deutschen Fachärztetag in München, in den ersten drei Monaten sei das Honorarvolumen um 470 Millionen Euro ausgeweitet worden.

    Hochgerechnet auf das Gesamtjahr ergibt das einen Zuwachs von knapp zwei Milliarden Euro. Bereits im Vorjahr hätten die 150.000 Haus- und Fachärzte sowie Psychotherapeuten ihre Umsätze mit Kassenpatienten um 1,7 Milliarden Euro gesteigert. Gemessen an 2007, dem Basisjahr für die vielfach kritisierte Honorarreform, sei das Honorarvolumen damit „an die vier Milliarden Euro“ gestiegen.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung WL: Natürlich sind das Durchschnittswerte und man weiß, dass diese über die konkrete Situation des Einzelnen nur wenig aussagen. Aber wenn es zu Unausgewogenheiten kommt, dann sollte sich er Protest der Ärzte in der Honorarfrage nicht gegen die Politik, sondern gegen die eigenen Interessenorganisation, nämlich die Kassenärztlichen Vereinigungen wenden.

  12. Rhön-Klinikum: “Patienten haben Angst”
    Der Profit des Rhön-Klinikums hat Vorrang vor den Patienten, sagt der Arzt Eike-Peter Schäfer im FR-Interview. Er hat das privatisierte Krankenhaus in Marburg verlassen hat.
    Doch der Hauptgrund (für die Kündigung) war ein anderer. Ich kenne die Uni sehr lange, war vor dem Studium hier schon als Krankenpfleger tätig. Besonders auffällig war, dass nach der Privatisierung die Rund-um-die-Uhr-Versorgung der Patienten immer schlechter geworden ist. Schuld ist im Wesentlichen der Mangel an Pflegepersonal. Die ganze ärztliche Kunst nutzt nichts, wenn es zu wenig Pfleger gibt, die die Anordnungen umsetzen. Da bleibt der Patient auf der Strecke.
    Quelle: FR

    Anmerkung KR: Im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken sitzt u.a. Prof. Karl Lauterbach. Lauterbach ist (bzw. war)

    • Mitglied im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages
    • Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (1999-10/2005)
    • Mitglied der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme – gen. Rürup-Kommission
    • Mitglied Programmkommission der SPD Köln
    • Mitglied der Arbeitsgruppe Bürgerversicherung des Parteivorstands der SPD
    • Experte für die Programmkommission der SPD-Bundespartei
    • Mitglied Verdi

    Vor diesem Hintergrund verdient der folgende Abschnitt aus dem Interview besondere Beachtung:


    FR: Was könnte passieren, wenn Rhön seine Ankündigung wahr macht, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründet, und damit auch die ambulante Versorgung übernimmt?

    Schäfer: Derzeit gibt es noch Patienten, für die die Klinik weniger Geld bekommt als die Niedergelassenen. Ein Teil von dem Verlust tragen die Hochschul-Ambulanzen, die vom Land finanziert werden. Reichen die Kapazitäten nicht aus, schickt man sie zu den Niedergelassenen. Wenn Rhön Medizinische Versorgungszentren betreibt, kommt es an die niedergelassenen Facharzt-Sitze ran.

    FR: Dann wäre die gesamte Gesundheitsversorgung also in einer Hand, die freie Arztwahl verloren?

    Schäfer: Ja. Die gibt es dann nur noch auf dem Papier. Rhön hätte das Monopol für den gesamten Landkreis und der Patient geht zum Niedergelassen, der Büttel von Rhön ist.

    Zur Privatisierung von Universitätsklinika siehe auch:

    Kriminelle Energie
    Berlins Finanzsenator »offen« für Einstieg privaten Klinikkonzerns bei Charité. Jüngstes Experiment dieser Art beschäftigt derweil die Staatsanwaltschaft.
    Quelle: Junge Welt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist bezeichnend für die wirtschaftsnahe Ausgestaltung der deutschen Universitätslandschaft, dass der exzellente Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, diesen Vorschlag lanciert hat.

  13. Finanznot bei Porsche offenbar grösser als zugegeben
    Porsche wäre laut einem deutschen Magazinbericht in zwei Wochen zahlungsunfähig gewesen. Der Chef der Deutschen Bank, der Schweizer Josef Ackermann, soll den Porsche-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche in einem vertraulichen Gespräch auf die schwierige finanzielle Lage hingewiesen haben.
    Quelle: FOCUS

    Anmerkung Orlando Pascheit: Recht seltsam mutet es an, dass der Chef der Deutschen Bank Porsche-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche auf die prekäre Lage hinweisen musste. Man sollte doch meinen, dass dieser die bessere Übersicht über die Finanzen von Porsche haben würde. Nicht nur an sich, sondern gerade vor diesem Hintergrund der großen Verschuldung ist es skandalös, dass der Aufsichtsrat bis auf die Arbeitnehmervertreter freiwillig bereit war, Wendelin Wiedeking für seinen Rückzug 150 Millionen Euro zu bezahlen. Zumal Wiedeking im Geschäftsjahr 2007/2008 77 Mio. Euro verdiente. Zustande kam diese Summe, weil die Familien Porsche und Piech ihm aufgrund seiner Verdienste um Porsche in den 90ern einen Teil des Unternehmensgewinns (0,9 Prozent) zugestanden hatten. Im Geschäftsjahr 2007/2008 verdiente Porsche mit dem Verkauf von Autos nur 1 Mrd. Euro, während die Aktienoptionsgeschäfte aus der VW-Beteiligung 6,83 Mrd. Euro erbrachten. Damit hatte Porsche im Geschäftsjahr 2007/08 mehr Gewinn als Umsatz erzielt und Wiedeking hat aufgrund waghalsiger Spekulationsgeschäfte sein Gehalt auf diese Höhe treiben können, die dann letztlich auch zum Fastuntergang Porsches führten. Wiedeking mag sich in der Vergangenheit um Porsche verdient gemacht haben, aber er hat gewiss nicht nur auf Drängen der Porsche-Familien die VW-Übernahme betrieben und sich damit verhoben, Finanzkrise hin oder her. – Dass die Familien Porsche und Piech im Aufsichtsrat bereit waren so viel zu zahlen, ist nachvollziehbar, kontrollieren sie doch jetzt über ihren Porsche-Besitz 34 Prozent der VW-Stammaktien. Aber selbst die jetzt gezahlten 50 Mio. Euro sind, egal was Wiedeking damit macht, unverschämt und ein weiterer Beleg dafür, dass unsere Oberschicht abgehoben von den Nöten der Arbeitnehmer agiert. Hinzukommt, dass Porsche diese Abfindung steuerlich absetzen kann, also letztlich wieder beim Steuerzahler hängen bleibt.

    Anmerkung KR: Porsche hat noch weitere Probleme:

    1. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens hängt stark vom Verkaufserfolg eines voluminösen Geländewagens ab: “Taking a look at the company’s first-half revenue, we see a growth of 14% to 3.49 billion euros as Cayenne’s first-half sales doubled to 20,340 SUVs, despite surging gasoline prices. The increase in Cayenne sales resulted in a 19% gain in overall deliveries. Thus, first half deliveries climbed up to 46,600 vehicles. The strong gains in Cayenne sales offset lower demand for the popular Porsche 911, whose sales fell 5.6% to 16,360.”
      Quelle: BloggingStocks

      Daran hat sich seit 2003 nichts geändert: „Porsche verlässt sich auf den Cayenne“.

    2. Doch auch diesen Erfolg verdankte Porsche zum großen Teil nur der Ausnutzung des innereuropäischen Lohngefälles: “Scharfe Vorwürfe in Bezug auf die Kooperation zwischen Volkswagen und Porsche erhebt der Ex-Chef des Hannoveraner Preussag-Konzerns, Hans-Joachim Selenz, der kürzlich Strafanzeige gegen Piëch wegen angeblicher Untreue gestellt hat. Er bezeichnete das Porsche-Werk in Leipzig als eine “Tarnfabrik”. Der Porsche Cayenne sei nicht “Made in Germany”, sondern werde im VW-Werk im slowakischen Bratislava gebaut – mit Ausnahme der Reifen und des Motors. Pro gefertigtem Fahrzeug spare Porsche auf diese Weise 50.000 Euro an Produktionskosten.

      Selenz spricht von einem “Täuschungsmanöver” gegenüber dem Kunden, aber auch gegenüber VW: Es handle sich dabei um “ein perfektes Geschäft für Porsche”, das gleichzeitig einen schweren Schaden für Volkswagen bedeute. Die Produktionskosten seien zwischen beiden Unternehmen nicht gleichmäßig aufgeteilt. Mit den zusätzlichen Gewinnen könne Porsche weitere VW-Aktien erwerben.”
      Quelle: Manager Magazin

    3. Wie will Porsche die neuen Verbrauchsbeschränkungen der EU einhalten? Könnte das nicht auch ein wichtiges Motiv für Wiedekings Versuch gewesen sein, VW zu übernehmen?

      Man darf wohl fragen, ob Wiedeking seinen Job nicht möglicherweise auch ohne Piech in absehbarer Zeit verloren hätte.

  14. Lazard-Gutachten: Opel hat eigenständig kaum Chancen
    Alle drei Übernahmeangebote für Opel sind im jetzigen Zustand ungeeignet, den deutschen Autobauer nach seiner Trennung von General Motors (GM) langfristig als eigenständige Marke zu etablieren. Dies geht aus einem Angebotsvergleich von Lazard hervor. Er wurde von der Investmentbank im Auftrag der Bundesregierung erstellt und war für die Bundesregierung Grundlage der ersten Opel-Beratungen am vergangenen Mittwoch im Bundeskanzleramt. Die “kritische Masse eines Volumen OEMs” sei “kaum erreichbar”, heißt es zu allen drei Offerten. OEM steht für Original Equipment Manufacturer und bedeutet in der Automobilindustrie eigenständiger Produzent. Genau mit diesem Argument, Opel und Vauxhall seien allein zu klein, um dauerhaft zu überleben, hatte auch der italienische Fiat-Konzern für sein Übernahme-Konzept geworben. Fiat hatte sich aber entnervt von politischen Querelen schon im Mai aus dem Wettbewerb zurückgezogen.

    Auffällig ist, dass nach den reinen Zahlen und Finanzdaten das von Bund und Ländern favorisierte Konsortium aus Magna und der russischen Sberbank aus Sicht des deutschen Staates am schlechtesten abschneidet. Magna fordere das “höchste Staatsgarantievolumen”, biete “nur 100 Mio. Euro echtes Eigenkapital” und gründe sein Angebot auf “optimistische Wachstums- und Profitabilitätsannahmen”. Dagegen gebe es im RHJ-Konzept nur eine “geringe Gefahr des Abflusses von Mitteln ins Ausland”. Hingegen wolle Magna einen Teil der staatlichen garantierten Kredite zum Aufbau des Russland-Geschäfts verwenden. Allerdings monieren die Lazard-Banker, dass auch RHJ nur relativ wenig Eigenkapital investieren wolle und sein Geschäftsmodell auf “sehr optimistische Wachstums- und Profitabilitätsannahmen” gründe. Ginge es allein nach den Finanzen, schneiden unterm Strich die bereits aus dem Bieterrennen ausgeschiedenen Chinesen am besten ab. Zudem habe BAIC “finanzstarke Partner” und wolle Investitionen in China eigenständig finanzieren. Nachdem GM bereits am Donnerstag offiziell mitgeteilt hatte, man wolle nur noch mit RHJ und Magna weiter verhandeln, teilten am Freitagmorgen auch die Chinesen mit, sie zögen sich aus dem Bieterwettstreit zurück. Ausschlaggebend für den Rückzug waren demnach unüberbrückbare Differenzen mit GM über die Verwendung von Patenten.

    Allerdings bietet das Lazard-Papier nicht nur einen Vergleich der Finanzpläne, es liefert auch politische Argumente für und wider die jeweiligen Bieter. Und in dieser Kategorie schneidet Magna am besten ab. So habe Magna “ein eigenständiges strategisches Konzept”, verfüge über ein gutes Management und sei “ein strategischer Käufer”, der Opel langfristig halten wolle. Allerdings, so warnen die Berater, berge auch das Magna-Konzept die Gefahr seines “Ausverkaufs deutscher Technologie nach Russland”. Am RHJ-Plan kritisiert Lazard eine “hohe De Facto-Abhängigkeit von GM” und eine fehlende “signifikante Änderung des Status Quo”. Zudem plane RHJ einen Abbau von mindestens 3900 Stellen bei Opel in Deutschland. Die Chinesen schneiden in der politischen Bewertung am schlechtesten ab: So sei fraglich, ob die Arbeitsplätze von Opel tatsächlich langfristig in Deutschland erhalten blieben, ausdrücklich warnen die Berater vor einem “Ausverkauf deutscher Technologie nach China”.
    Quelle 1: FTD
    Quelle 2: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Das Erfreuliche am Bekanntwerden dieses Papiers ist, dass wichtige Zahlen und Einschätzungen einer breiten Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. So können sich die Bevölkerung, aber auch Experten ein Bild darüber machen, vor welchem konkreten Hintergrund die Regierung entscheidet. Auch wenn viele, die da als Experten auftreten, interessengeleitet sind. Dies gilt aber auch für die Politik, insofern sie Opel als wählerrelevant einschätzt. Die entscheidende Frage, ob Opel langfristig als eigenständiges Unternehmen existieren kann, hängt ganz wesentlich von der Einschätzung ab, wie sich Opel weltweit angesichts bestehender Überkapazitäten behaupten kann. Die Berater von Lazard verneinen dies mit Hinweis, dass Opel zu klein sei zu halten, um sich als Volumenhersteller, der auf die Massenproduktion setzt. Erschwert wird die die Situation dadurch, dass derzeit niemand die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sowohl global als auch in Russland (Magna) einschätzen kann. – Bemerkenswert ist, dass die Lazard-Berater dem „Ausverkauf deutscher Technologie“ einen deutlich höheren Stellenwert einräumen, als in der deutschen Diskussion üblich. Dass GM deshalb den chinesischen Anbieter von den Verhandlungen ausschloss, ist naheliegend, aber anscheinend ist Eric Fellhauer und sein Team von der generell anderen Einschätzung des Themas, geistiges Eigentum, in den USA geprägt. So ist genau aus diesen Gründen Boeing in China nicht in Produktion gegangen, während Airbus in nordchinesischen Hafenstadt Tianjin den A 320 baut und letzten Monat sein erstes Flugzeug auslieferte.

    Eigentlich noch interessanter als das Lazard-Papier ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag. Demnach schrieb Opel bis auf die Jahre 2001 und 2002 von 1999 bis 2007 rote Zahlen. Für 2008 liegen noch keine Zahlen vor. Auch wenn die Finanzbeziehungen zwischen dem Mutterkonzern GM und Opel kompliziert sind, stehen damit hinter der Behauptung, dass Opel unabhängig von General Motors ein gesundes Unternehmen sei, etliche Fragezeichen. Allerdings unterstützt der beträchtliche Rückgang der absoluten Verkaufszahlen und des Marktanteils sowohl in Deutschland wie auch in Europa diese Verluste.

  15. Angeblicher Diebstahl von zwei Brötchen kostet den Job
    Wieder ein Kündigungsprozess wegen eines Centbetrags: Ein Rechtsstreit wegen angeblichen Diebstahls von zwei Brötchen wurde am Freitag vor dem Arbeitsgericht Heilbronn einvernehmlich beigelegt. Die Hohenloher Krankenhaus GmbH zog dabei den Vorwurf zurück, die gekündigte 60-jährige Küchenhelferin habe die beiden Brötchen gestohlen. Im Gegenzug erklärte sich die Frau mit ihrer Kündigung zum 30. September einverstanden. Bis dahin bekommt sie weiter ihr Gehalt, außerdem erhält sie eine erhebliche Nachzahlung. “Obwohl sich der Vorwurf gegen die Frau im Laufe der Verhandlung eher erhärtet hat, haben sich die Parteien schließlich einvernehmlich geeinigt”, sagte Gerichtssprecher Stefan Fiebig. So werde die langjährige Mitarbeiterin nun ein “qualifiziertes Zeugnis mit der Führungs- und Leistungsbewertung ,gut’ ” erhalten.
    Quelle: TAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ich möchte nicht wissen, zu wie viel kleineren “Mitnahmeeffekten” es in vielen Betrieben kommt, und zwar auf allen Ebenen. Dass dieses einmalige “Delikt” einer 60-jährigen Frau nicht einer Verwarnung, sondern für eine Kündigung reichte, spricht für eher für einen gesuchten Vorwand der Hohenloher Krankenhaus GmbH. Es ist an der Zeit, diese verheerende Rechtsprechung bei Bagatelldelikten auch im Arbeitsrecht abzuschaffen. Da werden Sparexzesse bei der Bahn und in Krankenhäusern oder in Schulen und Hochschulen exekutiert, da werden Banken und Unternehmen an die Wand gefahren zum größten Schaden der Allgemeinheit, aber die Verantwortlichen beziehen hohe Pensionen, Boni und Abfindungen.

  16. Kampagne Emmely: Die Klassenjustiz schlägt zurück!
    Es war zu erwarten: Die bundesweite Berichterstattung zum sog. Fall „Emmely“ konnte durch die offizielle Rechtsprechung nicht unkommentiert bleiben. Dass Richter und „herrschende Meinung “kein Verständnis für die Solidarität zugunsten der Verkäuferin „Emmely“ haben würden, war klar. Immerhin handelte es sich bei dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin gegen die bei „Kaisers“ entlassene Kollegin Emme in der Tat um eine seit gut 54 Jahren gefestigte Rechtsprechung handelt. Darin wurde in einem Fall wegen des dringenden Verdachts einer Unterschlagung, in einem anderen Fall wegen einer angeblich feststehenden Unterschlagung geringfügiger Beträge eine Kündigung durch den Arbeitgeber bestätigt. Die Rechtsprechung zur sog. Verdachtskündigung oder auch zu sog. Bagatellstraftaten ist alt. Ihre Vorläufer stammen noch aus der Nazizeit. Diese Rechtsprechung stand bislang auch nicht im Fokus etwa der gewerkschaftlichen Rechtskritik (welche überhaupt seit vielen Jahren nur noch wenige eigenständige Positionen entwickelt hat). Sie war bislang sozusagen „unstrittig“. Insofern war die „Enttäuschung“ der Richter über das „Unverständnis“ der Öffentlichkeit für diese Rechtsprechung durchaus verständlich. Wie kann man sich über etwas erregen, was juristisch nach absolut herrschender Auffassung (jedenfalls bislang) als unanfechtbar galt? Nun kann sich die Justitia schlecht in das Getümmel der Öffentlichkeit begeben. Das muss sie anderen überlassen. Sozusagen „Geschäftsführern ohne Auftrag“(um mal eine juristische Kategorie zu benutzen). Dies hat nun der angeblich „renommierte“ Arbeitsrechtler Rieble von der Universität München getan. Die Neue Juristische Wochenschrift (NJW) gab ihm dafür Raum 2.

    Der Beitrag ist zugleich kurios und ärgerlich. Er wirft ein bezeichnendes Licht auf das Dilemma einer unter Druck geratenen Klassenjustiz und ist zugleich ein Beleg für die politische Richtigkeit der sog. Emmely-Kampagne.
    Quelle: LabourNet [PDF – 95.6 KB]

  17. Scholz will Hartz-IV-Empfänger besserstellen
    Zwei Monate vor der Bundestagswahl zieht Olaf Scholz die Spendierhosen an: Der Bundesarbeitsminister schlägt vor, dass Hartz-IV-Empfänger künftig beliebig hohe Summen für ihre Altersvorsorge behalten dürfen. Auch an die Arbeitnehmer macht der SPD-Politiker ein kühnes Versprechen.

    Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) will noch vor der Bundestagswahl das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger erhöhen. “Wir müssen den Hartz-IV-Empfängern die Sicherheit geben, dass ihre Altersvorsorge unangetastet bleibt”, sagte Scholz der “Bild am Sonntag”. Was als Altersvorsorge diene und zu einer unwiderruflichen Zusatzrente führe, solle künftig “unbegrenzt zum Schonvermögen gehören”.
    Quelle: stern

    Anmerkung WL: Der Vorschlag von Scholz kommt zu spät, um glaubwürdig zu erscheinen.

  18. Foodwatch: EU will Nährwert-Ampel verbieten
    Verbraucherschützer haben der Europäischen Union vorgeworfen, ein Verbot der sogenannten Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel zu planen. Dies belege ein Rechtsgutachten, erklärte die Verbraucherorganisation Foodwatch am Mittwoch in Berlin.

    Der stellvertretende Foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt warf Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) vor, sie spiele “ein scheinheiliges Doppelspiel mit den Bürgern”: Während sie sich in Deutschland offen für die Nährwert-Ampel gebe, nehme sie es in Brüssel “billigend in Kauf, dass ein Ampelverbot hinter dem Rücken der deutschen Bevölkerung und des deutschen Parlamentes beschlossen wird”, erklärte Wolfschmidt.
    Quelle: FR

  19. Atomlüge: Die wahren Kosten der Endlager
    Jahrelang haben die Betreiber deutscher Atomkraftwerke ihren Atommüll in die geplanten Endlager Asse und Morsleben eingelagert. Jetzt müssen diese Lager aufwändig saniert und stillgelegt werden, weil die Salzstöcke ansonsten einzustürzen drohen. Neue Unterlagen belegen nun, wie trickreich es die Energieversorger verstanden haben, um die hohen Kosten für die Endlagerung herumzukommen. Der Steuerzahler wird über 6 Milliarden Euro zu zahlen haben.
    Quelle 1: ARD Monitor [PDF – 76 KB]
    Quelle 2: ARD Monitor (Video)

    Dazu noch:

    Zwei Atomkraftwerke abgeschaltet
    Am Freitag mussten zwei Atomkraftwerke wegen Unregelmäßigkeiten vom Netz: Die Reaktoren im emsländischen Lingen und in Phillipsburg. Behörden und Stromkonzerne gaben zunächst Entwarnung. Es handle sich um geringfügige Zwischenfälle.
    Quelle 1: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Laut Politbarometer vom 24.07.09 halten zwar 61 % die Atomkraftwerke in Deutschland für sicher bzw. sehr sicher, aber 55% sind für den geplanten Atomausstieg bis 2021, im Juli 2008 waren es nur 40% und 54% waren für eine Verlängerung der Laufzeiten.
    Quelle 2: ZDF-Mediathek (Video)

  20. Willfährige Europäer
    Was nach dem Plot eines zweitklassigen US-Thrillers klingt, soll unter tatkräftiger Mitwirkung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten bald Realität sein. US-Terrorfahnder sollen Zugriff auf einen zentralen Bank-Server in der EU erhalten und ihn nach verdächtigen Auslandsüberweisungen von Terroristen durchforsten können. Zur Erinnerung: Die US-Daten-wüteriche spähen diesen Swift-Server, der bislang noch im US-Bundesstaat Virginia steht, schon seit längerem heimlich aus. Die Empörung war groß, als dies öffentlich wurde. Nun zieht Swift die Konsequenz und seine Speicher aus den USA ab um sie vor ungebetenem Zugriff zu schützen. Womit das Unternehmen aber nicht gerechnet hat: Der Arm der US-Terrorfahnder reicht sehr weit und die Willfährigkeit der EU-Kommission kennt kaum Grenzen.
    Quelle 1: FR
    Quelle 2: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man kann es auch ganz anders sehen, diverse Regierungen, u.a. in Deutschland, könnten dann in ihren Ländern darauf verweisen, dass man ihnen schlecht verweigern könne, was die EU den USA erlauben -also bitte ein möglichst weitgehendes Zugriffsrecht.

  21. Durchsichtig im Netz
    Seit dem 1. Januar 2008 speichern deutsche Telekommunikationsunternehmen, wer mit wem wann und wie lange telefoniert; wer wem wann eine SMS oder eine E-Mail schickt und bei der Benutzung des Handsys sogar, wo er sich zu diesem Zeitpunkt aufhält. Die Inhalte der Kommunikation werden nicht gespeichert. Nach Auskunft des Bundesjustizministeriums (BMJ) haben Polizei und Staatsanwaltschaft im Zeitraum zwischen Mai 2008 und Februar 2009 mehr als 12 700 Mal Daten abfragen wollen – eine erstaunlich hohe Zahl: Der Zugriff ist nur beim Verdacht schwerer Straftaten erlaubt, wenn mindestens fünf Jahre Haft drohen.

    Der Chaos Computer Club (CCC) warnt in einer vor kurzem ausgearbeiteten Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht. Der CCC zeigt auf, dass eben diese garantiert verfügbare Daten in ihrer Menge eine Gefahr für unschuldige Bürger und politisch kritische Geister sein könnten. Allein anhand der Daten werden zum Beispiel “innerhalb eines Beziehungsgeflechtes aktivere und weniger aktive Personen identifizierbar”. Wer in einem Netzwerk ein wichtiger Anführer ist, wer als Kopf einer Bande von Kriminellen – oder aber einer Gruppe von Umweltschützern – vorsteht, das lässt sich klären, ohne dass die Ermittler mithören oder mitlesen. Genauso erlauben die Daten Rückschlüsse auf sexuelles Verhalten – wenn jemand regelmäßig mit einem Swingerclub oder über Sexhotlines kommuniziert – oder darauf, ob ein Politiker oder ein Unternehmer oft mit Pressevertretern spricht und so sensible Informationen weitergibt. Dass diese Daten nicht nur für die Polizei bei der Verbrechensbekämpfung wichtig sein können, zeigen die Spitzelaffären unter anderem bei der Deutschen Bahn, der Deutschen Bank und der Deutschen Telekom. Auch politische Machtkämpfe werden mit Zugriff auf Kommunikationsdaten ausgetragen. Beispiel Griechenland: Dort wurden 2004 und 2005 Hunderte Politiker, darunter auch hochrangige wie der Premierminister, abgehört. Zwar ging es da nicht um Verbindungsdaten, sondern um Inhalte, aber: “Die technischen Schnittstellen für inhaltliche Telekommunikationsüberwachung sind denen der Vorratsdatenspeicherung sehr ähnlich”, erläutert der CCC.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Was schwere Straftaten (§ 100c der Strafprozessordnung) sind, wird durch Gesetze definiert. Wie das Wort schon sagt, sind diese gesetzt – und zwar von Menschen, d.h. sie können inhaltlich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten unterschiedliche Straftaten umfassen. Was heute eine leichte Straftat oder gar keine ist, kann morgen eine schwere Straftat sein und umgekehrt. So hat es z.B. Silvio Berlusconi in seiner ersten Amtszeit geschafft, dass Bilanzfälschung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu weniger wichtigen Delikten deklariert wurden, zu Bußgeldtatbeständen. Und so konnte Silvio Berlusconi auch den Wahlkampf 2008 unbelastet beginnen. “Freigesprochen, weil die Taten kein Verbrechen mehr darstellen.” So begründete das Gericht in Mailand im Januar 2008 den Freispruch Berlusconis in Sachen Bilanzfälschung. Man sieht, solche Dinge passieren auch in nicht autoritär, sondern demokratisch regierten Staaten.

    Wer nun meint, Berlusconi sei ein Sonderfall, sollte sich die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erinnern. Terroristen war das Schlagwort der Stunde. Aber wer ist ein Terrorist? Was ist Terror? Jahrelang hat die Bundesanwaltschaft drei Linke der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung “Militante Gruppe” verdächtigt und verfolgt, d.h. abgehört, observiert usw. Ein Anfangsverdacht entstand z.B. dadurch, dass ein Politologe einen Aufsatz über den Krieg im Kosovo veröffentlichte, dessen Argumentationsmuster nach Auffassung von Beamten des Bundeskriminalamtes Texten der “mg” ähneln sollten. Erhärtet wurde der Verdacht durch das Auffinden eines Buches des russischen Revolutionärs Leo Trotzki bei einer Hausdurchsuchung. Begründet wurde die Aktion mit Paragraph 129a des Strafgesetzbuches – dieser fällt unter schwere Straftaten (Bildung terroristischer Vereinigungen). – Wir Menschen sind manipulierbar und manipulieren, wir sind von Ängsten und Begierden geprägt, von Interessen getrieben und von Gleichgültigkeit heimgesucht. Weil wir uns selbst so gut kennen, sollten wir nicht vergessen, dass auch in Regierungen, Parlamenten und staatlichen Behörden Menschen agieren und davon nicht frei sind. Wir sollten ihnen deshalb keine Instrumente in die Hand geben, die einen so großen Machtmissbrauch möglich machen.
    Siehe Spiegel Online

  22. Friedensforscher Galtung über den militärischen Einsatz in Afghanistan: „Selbstverständlich ist es ein Krieg“
    Es ist also diese Idee, das ist eigentlich ein Entwicklungsprojekt und Schutz für ein Entwicklungsprojekt und ist kein Krieg. Das finde ich Wahnsinn. Selbstverständlich ist es ein Krieg. Man ist im Bündnis mit den Vereinigten Staaten und sie haben ab 7. Oktober 2003 eine Attacke gemacht, und das hat etwas mit Nine-Eleven zu tun, aber nur etwas.

    Erstens: Ich glaube nicht, dass Deutschland eine wirkliche Beziehung zu Afghanistan hat. Deutschland hat eine Beziehung zu Washington, und es hat eigentlich nur etwas damit zu tun, um die Rolle, die Washington wünscht, zu spielen – einbezogen selbstverständlich die Semantik darüber.

    Zweitens: Ich glaube, die Bundeswehr, NATO, Amerikaner und so weiter haben überhaupt keine Chance, die werden genau dieselbe Niederlage als Alexander der Große, als die Briten – zweimal sogar – und als die Sowjeten erlebt haben. Und wenn sie das wünschen, dann gute Reise. Aber ich glaube, die Vermittlung ist wirklich die bessere Möglichkeit.
    Ich glaube, das, was Obama tut, ist eigentlich Public Relations für die alte Strategie.
    Quelle: DLF

  23. Ausweg gesucht
    Der Einsatz deutscher Soldaten muss bald Ergebnisse zeigen, will die neue Regierung die Unterstützung der Öffentlichkeit nicht verlieren. Eine heiße Debatte steht über die Wehrpflicht an, die außer der CDU/CSU keiner mehr will.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: In der Frage der Wehrpflicht müsste die Position der CDU/CSU gerade für Gegner des Afghanistankrieges Pflicht sein, sie sei das “Markenzeichen” der “Armee in der Demokratie”. Die Abschaffung der Wehrpflicht hat in den USA dazu geführt, dass drei Viertel der im Irak Gefallenen aus Orten mit unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen stammen. Wäre dieser Krieg von Zaun gebrochen worden, wenn die Söhne von Senatoren und Kongressabgeordneten potentielle Kriegsopfer gewesen wären? Arbeiter, Kinder von Arbeitern, Unterbeschäftigte und Arbeitslose bilden das Rückgrat der amerikanischen Berufsarmee. Mit einer Freiwilligenarmee lässt sich leichter Krieg führen, als wenn den Söhnen unserer Bundestagsabgeordneten, unserer Wirtschaftselite der Kriegsdienst droht. Wenn alle jungen Männer, Arm und Reich gleichermaßen eingezogen werden können, müssen unsere Politiker einen Kriegseinsatz ganz anders abwägen – eben demokratisch. Noch wird die “Sicherheit Deutschlands am Hindukusch” von Zeit- und Berufssoldaten verteidigt, aber alle Welt scheint eine radikale Aufstockung der Nato-Truppen in Afghanistan für das Gelbe vom Ei zu halten, damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Wehrpflichtigen. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich dann die Bevölkerung und damit auch die Politik mehr Gedanken um den Verbleib ihrer Söhne macht, d.h. heißt um den Krieg generell – geschweige denn um die Kriege, die noch in der Zukunft lauern. – Dass z.Z. keine Wehrgerechtigkeit herrscht, soll mit diesen Ausführungen keineswegs bestritten werden.

    Ergänzende Anmerkung Roger Strassburg: Es kommt noch einiges dazu. Wenn man beobachtet, wie amerikanische Soldaten – inklusive Reserve-Soldaten – zu einer Verlängerung ihrer Wehrdienstzeit gezwungen wurden, damit ja keine allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden muss, damit diese Soldaten abgelöst werden können, werden die Nachteile der freiwilligen Armee deutlich. Eine freiwillige Armee kann leicht zu einer Armee von Armen und Militanten werden.

    Übrigens, auch in der Zeit, als es zuletzt in den USA eine Wehrpflicht gab (während des Vietnam-Kriegs), war diese keineswegs allgemein. denn es wurden Soldaten je nach realem bzw. vermeintlichem Bedarf eingezogen. Es gab diverse Selektionskriterien, wie z.B. die jährliche Geburtstags-Lotterie. (Diese sah vor, dass alle 365 bzw. 366 Tage eines Geburtsjahres gezogen wurden. Die Reihenfolge, in der die Geburtstage gezogen wurden, bestimmte die Reihenfolge, in der die Männer aus dem Geburtsjahr eingezogen wurden). Es gab auch andere Kriterien, wer eingezogen werden konnte, z.B., wer studiert hat, konnte erst nach Beendigung (durch Aufgabe oder Abschluss) des Studiums eingezogen werden – an sich schon ein klassenbezogenes Auswahlkriterium.

    Die Wehrpflicht ist wenig wünschenswert. Eine freiwillige Armee aber noch weniger.

  24. Gustav Seibt: Bologna und Hartz IV: Reformen aus einem Geist
    Spät, aber doch beginnt so etwas wie eine breite Diskussion zu den Bologna-Reformen der deutschen Universitäten. Eine nichtfachliche, nicht lobbyistisch befangene Öffentlichkeit beginnt zu ahnen, dass es um mehr geht als um den Umbau einer institutionellen Sonderwelt mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Begonnen hatte die Reform vor zehn Jahren in dem Windschatten, in dem bildungspolitische Anliegen vor den Pisa-Studien und vor der Wahrnehmung der Ausbildungsdefizite einer dramatisch alternden Gesellschaft gelandet waren. Inzwischen aber ist nicht nur Ausbildung, sondern sogar “Bildung” – als Gemeinsames einer fast grenzenlos differenzierten Gesellschaft – wieder ein großes Thema geworden. Und so verraten auch die gereizten Reaktionen von Verwaltungsfachleuten, dass die Einwürfe von “Feuilletonisten” vielleicht nicht mehr ganz achtlos abgetan werden können; ganz zu schweigen von der Verwunderung ausländischer Beobachter, die registrieren, dass Deutschland eine seiner wertvollsten Erbschaften nicht einfach auf den heutigen Stand bringt, sondern komplett abschafft.

    Die im Bologna-Prozess eingeleitete Gegensteuerung gleicht in ihrem Geist auf verblüffende Weise den Hartz-IV-Reformen. Sie rechnet nämlich mit dem Schlimmsten und setzt mehr auf Zwang und Kontrolle als auf Anreize und Angebote. Die Hartz-IV-Maßnahmen mit dem berechtigten Impuls, Fördern mit Fordern zu verbinden, sind ähnlich abhängig von konkreter Umsetzung wie der Bologna-Prozess. Im Prinzip aber wird so getan, als suchten die Arbeitslosen gar keine Arbeit, sondern müssten dazu gezwungen werden – durch Nachweispflichten, materiellen Druck und durch ständiges Nachkontrollieren. Dass dieser Drohkulisse vielerorts gar kein funktionierender Arbeitsmarkt entspricht, steigert die Dissonanz ins Schrille.Ähnlich rechnet nun die sich durch Bologna abzeichnende Neuordnung der Universitäten mit einem denkbar negativen Bild der Studierenden: Nicht nur mangelhaft vorgebildet, sogar unneugierig, studierunwillig müssen junge Menschen sein, denen man so durchgestaltete Studienpläne und -pflichten auferlegt. Anstatt vor allem auf Resultate und Ziele zu schauen, werden die Wege festgelegt, als sei gar niemand imstande, sich selbst zu orientieren. So wie Hartz IV auf Arbeitsscheue und Transferleistungsabgreifer starrt, so wendet sich das bürokratisierte Bologna-Studium an den idealtypischen Bummelstudenten.

    Dieser eingeborene anthropologische Pessimismus, der bei Studierenden nicht zunächst mit neugierigen, für Anregung, Zuwendung und Hilfe dankbaren Menschen rechnet, sondern mit Überforderten und Desorientierten oder gar Arbeitsscheuen, denen man die Richtung vorgeben muss, er wird am Ende den guten Geist des Studierens aus den Unfreien Universitäten austreiben.
    Quelle: SZ

  25. Systematische Repression in Honduras
    Während der gewählte Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, von Nicaragua aus seinen zweiten Rückkehrversuch in Angriff genommen hat, legte eine internationale Beobachterdelegation ihren Bericht vor: Seit dem Militärputsch vom 28. Juni seien Medien und Aktivisten der Demokratiebewegung schweren Drohungen ausgesetzt, heißt es in dem Bericht der insgesamt 17 Beobachter aus elf Staaten.

    Im Hinblick auf die andauernden Menschenrechtsverstöße trifft auch die Haltung der katholischen Elite in Honduras bei kirchlichen Organisationen in Deutschland auf Kritik. Besonders beanstandet wird die Haltung des Vorsitzenden der Bischofskonferenz von Honduras, Kardinal Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga. Der Geistliche hatte Mitte des Monats der deutschen “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” ein ausführliches Interview gegeben. Darin sprach er sich gegen eine Rückkehr des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya aus.

    Andere christliche Hilfsorganisationen widersprachen dieser Haltung eindeutig. Albrecht Schwartzkopf von der Christlichen Initiative Romero aus Münster wies auf die “unterschiedlichen politischen Meinungen in der katholischen Kirche von Honduras” hin. Vor allem die Diözese von Santa Rosa de Copán vertrete “eine Meinung, die den Volksbewegungen nahe steht”. Auch das renommierte Institut für Theologie und Politik lehnt die Haltung des Vorsitzenden der honduranischen Bischofskonferenz entschieden ab. Wenn die Meinung des Kardinals zuträfe, “dann gibt es in einer Demokratie Mittel, um diese Situation zu klären”, sagte der Mitarbeiter des Instituts, Ludger Weckel.
    Quelle: amerika 21

    Siehe dazu auch:

    Weiterer Anhänger Zelayas ermordet
    Ein weiterer Unterstützer des Präsidenten wurde heute in Honduras ermordet. Bauernführer Rafael Alegría verhaftet.
    Quelle: Amerika21

  26. Illner intensiv: Minimal und weniger
    Krampfhaft witzig statt aufklärerisch: Matthias Kalle hat “Illner intensiv” durchlitten und hält das Versagen des ZDF im Wahljahr für eine doppelte Tragödie.
    Offensichtlich reicht es nicht mehr, den Zuschauer durch Reden, Streiten, Argumentieren für eine Sache zu begeistern, zu informieren. Schnell und lustig muss heute eine Sendung zur Wahl sein, einmal soll Trittin acht Fragen hintereinander beantworten, aber „bitte kurz“. Wieso kurz? Muss Politik einfach sein? So einfach wie das Fernsehen? Oder müsste es nicht Aufgabe des Fernsehens sein, für den Zuschauer zu übersetzen, was der nicht versteht? Was „grüne Jobs“ sind, wäre zum Beispiel interessant gewesen, oder aber was der „new green deal“ ist – stattdessen erfahren wir, dass Trittin kürzlich erst die Nationalhymne mitgesungen hat, allerdings sehr leise. Das ist das, was hängen bleibt, nach einer halben Stunde Illner „intensiv“.
    Quelle: Tagesspiegel
  27. Asymmetrie in der Berichterstattung:
    Das Gegenstück zum Lafontaine-Sommerinterview im ZDF: Das Sommerinterview mit Angela Merkel in der ARD. Achten Sie mal darauf, wie lammfromm Ulrich Deppendorf und Rainald Becker die Werbebotschaften für eine schwarz-gelbe Koalition entgegen nahmen.
    Quelle: YouTube
  28. Nochmals: Lobbyisten auf Sendung
    Wir haben am 24. Juli auf die Sendung von Dietrich Krauß „Wie Wirtschaftsverbände die öffentliche Meinung beeinflussen“ hingewiesen. Dieser Beitrag aus dem Jahre 2005 ist von der ARD aus dem Internet entfernt worden.
    Deshalb hier noch einmal die Ersatz URL.
    Quelle 1: vodpod (Video)
    Quelle 2: Omega News (Text)
  29. Wagner und die Nationalsozialisten
    Die diesjährigen Festspiele von Bayreuth stehen vor der Tür. Aus diesem Anlass befasste sich der Deutschlandfunk in seinem Kulturgespräch am Freitag mit dem weltanschaulichen Hintergrund Richard Wagners und seiner Anziehung auf Hitler und die NS-Ideologie.

    Welche Wagner-Opern waren für den Aufstieg des Diktators von Bedeutung? Hat Hitler die antisemitisch gefärbte Kunst-Religion des Komponisten der Meistersinger für seine politischen Ziele missbraucht? Die Diskussion wurde im Rahmen der diesjährigen Landsberger Gespräche aufgezeichnet.
    Quelle: DLF, wählen Sie dradio.de Radio on demand 24.07.09 19.15 Uhr

  30. Fast zu guter Letzt: Stifter-Song
    Quelle: Thorsten Hild
  31. Nun aber wirklich zu guter Letzt: Wiedekings Großzügigkeit
    “Anstatt Wiedekings Großzügigkeit als Vorbild für eine neue Wirtschaftsethik zu preisen, tadeln ihn die Politiker Joachim Poß (SPD) und Dietmar Bartsch (Die Linke) gemeinsam, als ob die Sozialistische Einheitspartei auferstanden wäre.”
    Quelle: BILD

    Siehe dazu die Anmerkung von Roberto De Lapuente
    Quelle: ad sinistram

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