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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 1. Juli 2009 um 9:54 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Hinweise des Tages
(WL/KR/AM)
Heute unter anderem zu diesen Themen:
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Dazu:
Heribert Prantl: Europäische Sternstunde
Das Urteil ist ein wenig amerikanisch; es ist ein “Yes, we can”-Urteil: Ja, wir können Europa bauen. Ja, wir können die europäische Integration fortsetzen. Ja, wir können Europa stark machen. Aber wir können das nur dann, wenn wir die Grundsätze der Demokratie beachten, in deren Zentrum der Wille des Volkes steht. Das ist die Botschaft des großen Urteils aus Karlsruhe. Es ist wohl das grundsätzlichste Grundsatzurteil, das Karlsruhe je gefällt hat. Nicht jeder, der jetzt in Brüssel jubelt, weil ja der Lissabon-Vertrag grundsätzlich genehmigt worden sei, wird auch noch in einem Jahr jubilieren – weil nämlich dieses Urteil Brüsseler Selbstherrlichkeiten beendet.
Quelle: SZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Etwas zuviel Applaus von allen Seiten, aus Brüssel, aller deutschen Parteien und selbst von den Klägern. Der Lissabon-Vertrag ist durch und das Begleitgesetz gekippt, für alle etwas. Es ist sicherlich gut, dass u.a. über Krieg und Frieden, also z.B. über einen EU-Militäreinsatz, das deutsche Parlament entscheidet, aber im sozialen Alltag gilt: business as usual. Der “freie und unverfälschte Wettbewerb” steht zwar nicht mehr im Vertrag von Lissabon, ist aber ohnehin an verschiedenen Stellen des EG-Vertrags ausdrücklich festgeschrieben. Die Freiheit der Unternehmen bleibt über die politischen und sozialen Rechten der Arbeitnehmer gestellt. So sind Sozialstandards gem. Art. 136 EGV weiterhin eben nur bis zu einem “angemessenen” Niveau möglich, und das auch nur, solange sie “der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen.” Jüngste Entwicklungen des freien Wettbewerbs, die z.B. an Finanzmärkten das Wort “unverfälscht” mehr als in Frage stellen, also inhaltliche Überarbeitungen standen sowieso nie zur Debatte.
Dazu auch noch:
Jens Berger: Eine schallende Ohrfeige aus Karlsruhe
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht wird die Demokratie gestärkt
Quelle: Telepolis
Anmerkung WL: Ich kann der Begeisterung von Heribert Prantl und von Jens Berger leider nicht folgen. Siehe dazu meinen heutigen Beitrag „Nachtwächter über den Nachtwächterstaat“. Nach allem, was ich bisher gelesen habe, ist eine stärkere demokratische Beteiligung nur dann gefordert, wenn es um die Erweiterungen von Kompetenzen der EU-Organe geht. Die Erwartung, dass nun jeder Richtlinie aus Brüssel zugestimmt werden müsste, halte ich für falsch. Andreas Voßkuhle, Vizepräsident des B undesverfassungsgerichts, fasst das Karlsruher Urteil mit den Worten zusammen: “Das Grundgesetz sagt ja zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung.”
Anmerkung Orlando Pascheit: Irgendwie verwischt dieser Artikel die Sichtweise der EZB mit derjenigen von Bundesbank-Chef Axel Weber und Finanzminister Peer Steinbrück. Die EZB schreibt noch in ihren Juni-Monatsbericht , dass die “Vergabe von Buchkrediten an den nichtfinanziellen privaten Sektor – hauptsächlich bedingt durch die drastische Konjunkturverschlechterung – weiter rückläufig” sei.
Später führt sie aus:
Dieser Rückgang ist hauptsächlich auf den gesunkenen Finanzierungsbedarf für Betriebsmittel im Zusammenhang mit der sich eintrübenden Wirtschaftstätigkeit und der im Einklang mit der Konjunkturentwicklung stehenden deutlichen Verringerung der Lagerhaltung zurückzuführen.
Auch wenn die EZB in der Pressemitteilung vom 30. Juni für Mai einen weiteren Rückgang konstatiert, dürfte die schon seit längeren von der EZB vertretene Ansicht, dass letztlich weniger Kredite wegen der sich eintrübenden Konjunktur nachgefragt werden, weiter gültig sein. Vermutlich führen Weber und Steimeyer das Wort Kreditklemme im Munde, weil sie davon ablenken wollen, dass das jetzige Konjunkturpaket nicht greift. Bankenschelte greift derzeit beim Wähler und lenkt von einem weiteren, wohl als unpopulär erachteten Konjunkturprogramm ab. Der Vorschlag, dass die EZB, – wie die Fed in den USA – Unternehmenspapiere kaufen könne, brächte zumindest Klarheit in Bezug auf Frage: böse Banken oder Rezession?
In Japan zu Niedrigstzinsen Geld leihen, in Dollar tauschen und hochverzinslich in den USA wieder anlegen: Es sind Geschäfte wie diese so genannten Carry Trades, die einen Großteil der Bewegungen am Devisenmarkt auslösen. Die Wechselkurse spiegeln keine realwirtschaftlichen Differenzen wie unterschiedliche Güterpreisniveaus wider, sondern folgen spekulativen Kapitalbewegungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD).
Um die negativen Folgen schwankender Wechselkurse für die Realwirtschaft beseitigen, neue Ungleichgewichte zu vermeiden und Abwertungswettläufe zu verhindern, schlägt die UNCTAD vor, zu einem multilateralen System überzugehen, das Anpassungen der Wechselkurse nur unter bestimmten Bedingungen zulässt: Nämlich wenn sich die Preis- oder Zinsniveaus der Länder auseinander entwickeln. Was in der Regel daran liegt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes im Verhältnis zu anderen verändert – etwa weil es Arbeitnehmern nicht gelungen ist, in Lohnverhandlungen den verteilungsneutralen Spielraum auszuschöpfen.
Grundsätzlich sollen die realen Wechselkurse konstant gehalten werden. Damit entfallen Anreize zur kurzfristigen Devisenspekulation und die relativen Wettbewerbspositionen der beteiligten Länder bleiben im Regelfall unverändert, erwartet die UNCTAD. Im Gegensatz zum Weltwährungssystem der Nachkriegsdekaden solle ein neues Bretton-Woods-System nicht nur um den US-Dollar herumgebaut werden. Den Kern könnte stattdessen ein Korb aus mehreren Leitwährungen bilden. So entstünde ein System aus “Planeten und Satelliten”, das der heutigen “multipolaren” Weltwirtschaft gerecht wird.
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
Anmerkung Orlando Pascheit: Kopfjäger als Systemkritiker, das ist schon sehr befremdend. Dennoch einige interessante Informationen. So hätten sich die Jahreseinkommen eines Dax-Vorstands seit 1987 fast verachtfacht. Außerdem seien die Aufsichtsräte zu wohlwollend. Früher hätten sich die Kontrollgremien selbst mit Vergütungen beschäftigt – dann aber externe Berater damit betraut.
Dieser Prozess sollte nie irgendwo hinführen. Alle diese Leute sind bisher fast ungeschoren davongekommen. Das kann man Skandal oder wie auch immer nennen, aber das liegt in der Natur der Sache – in Berlin und in der Bundesrepublik. (…) Die Deutschen machen sich immer über dieses Klassenjustizsystem in den USA lustig, aber hier ist es nicht anders. Diese Leute werden nie belangt; die politische Klasse ist meiner Meinung nach nichts anderes als organisierte Kriminalität mit dem Ziel, öffentliche Gelder zu veruntreuen und innerhalb ihrer Seilschaften zu verteilen, und dieses System trägt die ganze Justiz mit. Die Staatsanwaltschaft hat im Bankenskandal einfach fürchterlich versagt.
Quelle: TAZ
Wir müssen jene Banken, die zu groß sind, um sie scheitern zu lassen, zerschlagen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Kolosse gesellschaftliche Vorteile bringen, die den Kosten, die sie anderen auferlegen, entsprechen. Und falls wir sie nicht aufbrechen, müssen wir ihre Tätigkeit streng beschränken. Man darf nicht zulassen, dass sie wie bisher auf Kosten anderer zocken. Die Banken sind politisch mächtig. Ihre Lobbyarbeit hat bisher gut funktioniert. Und jetzt hoffen sie darauf, dass sie noch einmal Wirkung zeigt. Damit sie weiter machen können, was sie wollen – egal welche Risiken dem Steuerzahler und der Volkswirtschaft damit aufgebürdet werden. Wir können es uns nicht leisten, dass es dazu kommt.
Quelle: FTD
Die S-Bahn Berlin ist ein Tochterunternehmen der Bahn AG. Unter ihrem langjährigen Chef Hartmut Mehdorn war die S-Bahn verpflichtet worden, jährlich Millionenbeträge an den Konzern abzuführen. Im vergangenen Jahr waren es rund 56 Millionen Euro. Möglich war dies nur durch einen rigiden Sparkurs.
Quelle: Tagesspiegel
Anmerkung des NDS-Lesers M.W.: In Berlin herrschte heute totales Verkehrschaos, weil Züge der S- Bahn aufgrund fehlender Wartung aus dem Verkehr genommen werden mussten. In nahezu allen Kommentaren wurde darauf hingewiesen, dass die fehlende Wartung der Fahrzeuge mit dem Börsengang der Bahn in Verbindung steht: Die Berliner S- Bahn- Betriebe sind ein Tochterunternehmen der Bahn, und anstatt die Millionengewinne in Service und Wartung zu investieren, wurden diese an die Deutsche Bahn abgeführt. Wieder ein schönes Beispiel dafür, dass die Privatisierungstendenzen bei der Bahn nicht zu einem besseren Funktionieren des Unternehmens führen, sondern infolge des Kostendrucks an Sicherheit und Service gespart wird.
Kommentar AM: Warum merken die Kommentatoren das erst so spät?
Anmerkung Orlando Pascheit: Was die Statistik nicht leistet (leisten kann), ist die Beantwortung der Frage, warum es zu dieser Steigerung kommt. Wie kommt es zu “eingeschränkter Erziehungskompetenz”? Warum zerbrechen Familien?
“Diese Form von Krisenmanagement bedeutet, Brandbeschleuniger ins Feuer sozialer Ungerechtigkeit zu gießen” sagte Arndt Dohmen, Chefarzt der Hochrheinklinik Bad Säckingen und Mitglied der bundesweiten Attac-Arbeitsgemeinschaft “Soziale Sicherungssysteme”. “Mit ihren Steuern zahlen die Arbeitnehmer für die Beitragssenkung, die zur Hälfte den Arbeitgebern zugute kommt. Ab 2010, wenn die Krankenkassen dann Zusatzbeiträge erheben, müssen die Arbeitnehmer auch noch die fehlenden Beiträge der Arbeitgeber ausgleichen.”
Quelle: ATTAC-Netzwerk
Langzeitarbeitslose Singles erhalten ab heute einen Regelsatz von 359 Euro im Monat – acht Euro mehr als bisher. Ähnlich sind die Zuschläge für Partner und Kinder von bedürftigen Menschen. Einzige Ausnahme: Kinder zwischen sieben und 14 Jahren erhalten deutlich mehr, sie haben nun Anspruch auf 251 Euro und damit 40 Euro mehr. Diese Zulage ist Teil des Konjunkturpakets II der großen Koalition. Die Hartz-IV-Erhöhung wird praktisch keine Spuren in der Gesamtwirtschaft hinterlassen, betont der Volkswirt Horn. Denn die Bundesregierung rechnet gerade mal mit Mehrkosten von 545 Millionen Euro im Jahr. Zu bedenken sei auch, meint Sozialexperte Kumpmann, dass die Hartz-IV-Sätze seit Inkrafttreten der Arbeitsmarktreform im Jahr 2005 real gesunken seien. Auch nach der jetzigen Erhöhung erhielten Arbeitslosengeld-II-Bezieher real weniger als vor vier Jahren.
Anmerkung Orlando Pascheit: Auch die Kaufkraft der Rentner ist real von 2004 bis 2008 um ca.8,5 Prozent gesunken. Der Grund dafür waren Nullrunden sowie minimale Steigerungen der Renten bei gleichzeitiger Inflation. Das gleicht die jetzige Erhöhung genauso wenig wie bei Hartz-IV-Sätzen aus. Leider nimmt die FR diese Entwicklung nicht ernst genug und schreibt:
Volkswirtschaft hin oder her, für die einzelnen Leute gibt es immerhin ein bisschen mehr Geld.
So sieht ein Gegensteuern bei Sozialabbau und Altersarmut nicht aus.
Volker Pispers: “Wenn ich die Zeitung aufschlage, möchte ich zurückschlagen.”
Quelle: WDR 2
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