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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Über das Zusammenspiel von Medien, Finanzwirtschaft und Politik – auch bei HRE sichtbar (Teil V zur Finanzkrise)
Datum: 4. Februar 2009 um 10:38 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 7. 10.2008 erschien eine Lobeshymne auf Finanzminister Steinbrück im Berliner Tagesspiegel und einen Tag später, am 8. Oktober, eine ebensolche in der Zeit. (Siehe unten). Beide waren ausgesprochen euphorisch: „Peer Steinbrück: Gegen alle Wetter“ und „Macher am Rande des Abgrunds“. Beide hatten mit dem Geschehen und der Leistung des Bundesfinanzministers herzlich wenig zu tun. Kurz zuvor am 6. Oktober musste der Bundesfinanzminister nämlich bekennen, dass er wissend oder unwissend, von den Verantwortlichen bei der HRE so an der Nase herum geführt wurde, dass er innerhalb einer Woche – am 29. September und am 6. Oktober – hintereinander zwei Rettungspakete zu Gunsten der Hypo Real Estate packen musste. Diese Hilfe für eine einzige private Bank kostet uns inzwischen schon 92.000.000.000 €. Deshalb stimmt allenfalls die Bemerkung vom „Rande des Abgrunds“. Ansonsten ist der Vorgang von Ungereimtheiten gekennzeichnet, die der Aufklärung und nicht der Lobeshymnen bedürften. Die Lobeshymnen sind nichts als die Folge von guter Public Relations der Finanzindustrie und des Peer Steinbrück. Diese Artikel sind wie viele andere gute Belege für das enge Zusammenspiel zwischen Medien und Finanzindustrie und Politik. Albrecht Müller.
Hier zunächst die Links zu den beiden Artikeln über Steinbrück:
Peer Steinbrück: Gegen alle Wetter
Kurz, knapp, kontrolliert, so wirkt er. Finanzminister Peer Steinbrück, der Mann, der Deutschland durch die Krise führen soll. Ein Sozi, der etwas vom großen Geld versteht.
Quelle: Tagesspiegel vom 7.10.2008
In den NachDenkSeiten: “Wie Steinbrück hoch- und Lafontaine niedergeschrieben wird – zwei Musterbeispiele für gelungene PR.”
Peer Steinbrück
Macher am Rande des Abgrunds
Von Christoph Seils
In den NachDenkSeiten: „Nachtrag PR für Steinbrück: diesmal in der Zeit …“
Beide Artikel werden auch im kritischen Jahrbuch 2008/2009 auf Seite 115ff zitiert und analysiert.
Der folgende Beitrag steht übrigens im Zusammenhang mit diesen bisherigen Artikeln zur Finanzkrise:
Weiteres über die enge Verflechtung von Politik und Finanzindustrie
In den NachDenkSeiten wurde schon häufig über die enge Verflechtung von Politik und Finanzindustrie berichtet: über die engen persönlichen Verbindungen zwischen Kanzlerin Merkel und Investmentbankern zum Beispiel, über ihre Entscheidung, den Berater von Goldman Sachs, Otmar Issing, zum Vorsitzenden einer Kommission zu machen, die für Deutschland die Neuordnung der Finanzmärkte vorbereiten soll, über das Werben des Bundesfinanzministers und seines jetzigen Staatssekretärs Asmussen für die Öffnung des „Finanzplatzes Deutschland“ für neue Finanzprodukte und die Anlehnung an angelsächsische Methoden, die Zulassung von Hedgefonds usw., über die schnelle Hilfe für die private Bank IKB, über die auffallend häufige Beratungstätigkeit ehemaliger deutscher Politiker und Manager für ausländische Investmentbanken und Hedgefonds, usw. – Die Vorgänge um die Hypo Real Estate werfen ein neues zusätzliches Licht auf die enge Verflechtung:
Der Bundesfinanzminister hat eine gute Woche vor dem Erscheinen der beiden Lobeshymnen genau am 29.9.2008 in einer Nachtaktion zusammen mit einigen Finanzinstituten die ersten 35 Milliarden für die HRE zur Verfügung gestellt. Seltsamerweise hielt diese Rettungsaktion nicht länger als eine Woche, weil das Geld nicht reichte und offenbar die anderen Institute nicht mehr richtig wollten. Jedenfalls wurden dann am 6. Oktober noch einmal 50 Milliarden nachgelegt.
Der FDP-Abgeordnete Dr. Volker Wissing aus der Südpfalz fragte sich, warum die erste Rettungsaktion nun gerade bis zum 29. September hinausgezögert wurde. Steinbrück verwies auf den Wahltag in Bayern. Eine sonderbare Einlassung. Wegen der Wahl am 28. September muss man doch eine Rettungsaktion für eine Not leidende Bank nicht verschieben
MdB Wissing fragte sich und auch Peer Steinbrück, seit wann der Bundesfinanzminister von den Schwierigkeiten der HRE und vor allem den Schwierigkeiten der irischen Tochter Depfa wusste. – Steinbrück ließ wissen, dass die deutsche Finanzaufsicht keine Möglichkeit habe, eine Bank in Irland zu prüfen. Diese (falsche) Einlassung passte allerdings nicht dazu, dass Prüfer der Deutschen Bundesbank im Auftrag der Bafin, der Finanzaufsicht, schon vom 27.2. bis 12.3.2008 in Dublin prüften und dass das Bundesfinanzministerium schon im März 2008 von dieser Sonderprüfung unterrichtet wurde. – Der Prüfbericht wurde dem Bundesfinanzministerium von der Bafin am 7. August 2008 vorgelegt. Auch davon will der Bundesfinanzminister keine Kenntnis gehabt haben.
Dies alles ist bis dahin schon ziemlich unglaubwürdig. Schließlich muss auch beim Bundesfinanzminister angekommen sein, dass die Finanzkrise Deutschland mindestens dann schon erreichte, als der Bund über die KfW den Großteil einer Unterstützungsaktion über 10 Milliarden für die IKB leisten musste. Das bahnte sich schon im Sommer 2007 an. Die Zahlung wurde im wesentlichen vom Bundesfinanzministerium betrieben. Außerdem dürfte Steinbrück von den hohen Verlusten bei den Landesbanken, bei anderen deutschen Privatbanken und bei der schweizerischen Großbank UBS gewusst haben. Und auch vom Zusammenbruch von Lehman Brothers. Seine Schutzbehauptung, die Finanzkrise habe ihn wie ein Springinsfeldteufel angesprungen, konnte er beim besten Willen selbst nicht glauben.
Es ist auch nicht glaubwürdig, das das zuständige Referat im Bundesfinanzministerium, bei dem der Bericht der Bankenaufsicht über die hohen Verluste bei der irischen Tochter der HRE und die Risiken für die HRE in München ankam, der Hausspitze in der heißen Zeit des Spätsommers und Septembers 2008 nichts gemeldet hatte. Die zuständigen Beamten müssten mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert werden, wenn sie den Minister darüber nicht informiert haben.
Im gleichen Referat müsste eigentlich auch angekommen sein, welches große Rad die Münchner HRE drehte, dass die Risiken nämlich ungefähr die Dimension der amerikanischen Investmentbanken erreicht haben. Wenn die Finanzkrise schon mindestens ein ganzes Jahr ins Haus steht, dann erkundigt man sich doch als zuständige Ministerialbeamte nach ähnlichen Risiken bei anderen Instituten. Dass dieses geschehen ist, dessen bin ich aus eigener Kenntnis solcher Ministerien ganz sicher.
Das Bundesfinanzministerium musste auch noch etwas ganz anderes wissen, und dies führt uns auf den 29.9.2008 zurück: das Bundesfinanzministerium musste wissen, dass sein eigener Minister, der Vorgänger von Herrn Steinbrück und (soweit ich weiß) auch Steinbrück selbst bei der in den NachDenkSeiten schon des öfteren erwähnten Sitzung zwischen Kanzler Schröder, Bundesfinanzminister Eichel, Bundeswirtschaftsminister Clement und den Spitzen der Banken und Versicherungen zu Jahresbeginn 2003 zugegen waren. Damals ging es um die Gründung einer Bad Bank, einer üblen Bank. Die Banken und die Versicherer wollten ihre faulen Papiere auslagern. Die offizielle Gründung einer solchen üblen Bank kam nicht zu Stande, weil das Gespräch öffentlich wurde. Offensichtlich hat man sich dann zu inoffiziellen Gründungen deutscher, übler Banken entschlossen. Eine davon dürfte die HRE gewesen sein. Denn ihre Gründung geht auf die Auslagerung schlechter Risiken durch eine Bank zurück, die besonders betroffen war von schlechten Risiken: die HypoVereinsbank in München. Sie lagerte die schlechten Risiken auf die HRE aus und war dann gesund genug, um für ihre Aktionäre einigermaßen lukrativ an die italienische Bank UniCreditGroup verkauft zu werden.
Das geschah am 29.9.2003.
Fünf Jahre später, am 28.9.2008, lief nach geltendem Recht, dem Umwandlungsgesetz, die Haftung der HypoVereinsbank für Ansprüche (Risiken) der HRE aus. Man musste also mit der staatlichen Hilfe für die HRE bis zum 29.9.2008 warten, um die HypoVereinsbank aus der Haftung entlassen zu können und uns Steuerzahler alleine bezahlen zu lassen.
Wenn die zuständigen Beamten des Bundesfinanzministeriums ihren Minister über diese Zusammenhänge nicht aufgeklärt haben, dann war das grob fahrlässig. Ich unterstelle aber zu Gunsten dieser Mitarbeiter, dass sie ihren Minister darüber informiert haben. Dafür spricht auch ein kleines Detail des Umgangs von Minister Steinbrück mit dem zitierten Abgeordneten Wissing. Als dieser am 28. Januar 2009 in einer Fragestunde wissen wollte, wann der Minister von diesen Ansprüchen und der Verjährungsfrist erfahren habe und um welche Ansprüche in welcher Höhe es sich handle, die mit Ablauf des 28. September 2008 verjährt sind, verwies der Minister darauf, der Abgeordnete solle seine Fragen schriftlich stellen. Der Sachverhalt sei zu komplex. Später erklärte der BMF, Wissings Erwägungen seien abwegig. Ich halte sie nicht für abwegig.
Das mögen Details sein. Aber diese Details haben schwerwiegende Folgen. Schließlich handelt es sich bei den bisher 92 Milliarden für eine einzige private Bank und bei noch nicht absehbaren weiteren Risiken um einen äußerst gravierenden Vorgang, der uns alle belastet. 92 Milliarden, das ist schon ein knappes Drittel des gesamten Bundeshaushalts.
Die Freundlichkeiten der Medien gegenüber den handelnden Personen in Berlin und das Ausbleiben kritischer Fragen
Das sind Ereignisse und Fakten, die zumindest kritische Fragen bei den Medien auslösen sollten. Deshalb kann man die beiden zitierten Lobeshymnen auf den Bundesfinanzminister nur als Ergebnisse der Public-Relations-Arbeit des Ministers und der Finanzindustrie verstehen. Es gibt auch einige kritische Medien, genauer gesagt einige kritische Journalisten bei einigen Medien. Aber nur wenige bohren wirklich in den Ungereimtheiten der Abläufe zur Finanzkrise nach. Die meisten Medien haben die Winkelzüge der Bundeskanzlerin, des Bundesfinanzministers und anderer handelnder Personen und auch die Winkelzüge und Vernebelungen der Finanzwirtschaft selbst mitgemacht. Es gab keinen Sturm der Entrüstung, als die Bundesregierung, namentlich Angela Merkel und Peer Steinbrück versuchten, die Ursache der Krise nur in den USA zu suchen. Es wurde nicht entschieden genug darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung über Risiken in deutschen Reihen schon seit 2003 wusste. Und auf die konkreten Machenschaften im Zusammenhang mit der HRE wurde lange Zeit nicht eingegangen. Die Medien haben übrigens auch penetrant der Finanzindustrie nachgesprochen, als diese bis in diese Tage immer wieder behauptete, nur die staatlichen Banken hätten Probleme. Und die Medien widersprechen deshalb immer noch nicht den seltsamen Einlassungen, bei einer staatlichen Übernahme einer maroden Bank müsse aber dann ganz schnell für Privatisierung gesorgt werden – so zum Beispiel Professor Hans-Werner Sinn in der Tagesschau vom 2. Februar 2009, und so auch von seiten der Politik – sozusagen im vorauseilenden Gehorsam, auf die Wünsche der Finanzindustrie einzugehen. Der Steuerzahler soll die Risiken übernehmen, dann aber aus der gesundeten Bank ganz schnell wieder verschwinden.
Die Medien, wie im konkreten Fall die Tagesschau in einem Interview zur Übernahme der HRE durch den Staat, informieren auch nicht darüber, dass der erwähnte Hans-Werner Sinn im Aufsichtsrat der HypoVereinsbank sitzt, also genau wissen müsste, dass die HRE mit dem schlechten Risiken der HypoVereinsbank belastet wurde, also die üble Bank im Dienste jener Bank darstellt, in dessen Aufsichtsrat der Professor Sinn nun seit Jahren sitzt.
Die Medien sind bisher auch nicht der interessanten Frage nachgegangen, was eigentlich der Vorsitzende des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Hans Tietmeyer, im Aufsichtsrat der HRE getan hat. Was hat ihn bewogen, Aufsichtsrat einer quasi Bad Bank zu werden? Fand er die Tatsache, dass diese Bank ihre in Deutschland alteingesessene Pfandbrief-Tochter zum Steuersparen nach Irland verlagert hat, normal?
Es gäbe unglaublich viel Interessantes zu recherchieren, wenn man nur wollte.
Die enge Zusammenarbeit von Finanzindustrie und Medien
Den Medien ist offenbar zum größeren Teil der Schneid abgekauft worden. Sicher auf verschiedenem Weg: zum Beispiel über die hohen Werbeaufwendungen der Finanzindustrie und dann über direkte „Bitten“ der Bundesregierung. Über Letzteres berichtete jetzt, fast drei Monate nach dem Ereignis, beiläufig eingestreut die Zeit. Just am Tag des Erscheinens der zu Anfang erwähnten Lobeshymne auf Peer Steinbrück („Macher am Rande des Abgrunds“), am 8. Oktober 2008, an jenem Mittwochabend, hatten die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister die Chefs der wichtigsten Zeitungen ins Kanzleramt eingeladenb „um ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Die lautete: Wir wissen zwar nicht genau, was in zwei oder drei Wochen ist, aber würden doch sehr herzlich um Ihr Vertrauen bitten und vor allem darum, dass Sie keine schlechte Stimmung machen, denn dazu ist die Lage zu ernst.“
Die Warnung davor, keine schlechte Stimmung zu machen, verstehe ich. Das ist nicht zu kritisieren. Aber offenbar haben die Chefredakteure diese Bitte ziemlich falsch verstanden, nämlich als Aufforderung, sich mit Kritik an den Verantwortlichen bei der Bundesregierung zurückzuhalten. Das hat funktioniert. Und beide, Angela Merkel und Peer Steinbrück, profitieren davon.
Auf die enge Zusammenarbeit von Finanzindustrie und Medien, von Wallstreet und Madison Avenue wies der amerikanische Politologe McChesney in einem spannenden Buch mit dem Titel „Rich Media, Poor Democracy“ schon vor Jahren hin. Es ist typisch, dass über ein solches Buch nicht viel berichtet wurde und jetzt schon gar nicht mehr berichtet wird, obwohl seine Beschreibung der engen Zusammenarbeit und der Entwicklung der Public Relations Industrie noch aktueller geworden ist und bei uns genauso gilt wie in den USA.
Sie können täglich, ja geradezu stündlich, Zeuge der engen Interessenverflechtung von Medien und Finanzindustrie sein: die Fernsehspots vor der Tagesschau und vor und nach „Heute“ oder bei den privaten Sendern werden zum überwiegenden Teil von der Pharmaindustrie und der Finanzindustrie getragen, genauso ein Großteil der Anzeigen; die Medien haben von Börsengängen bestens profitiert; sie füllen Programme mit Börsenberichten und profitieren von der Privatisierung der Altersvorsorge. Und sie honorieren die enge Verbindung mit ausgesprochen nachlässiger Recherche zu Vorgängen, die der Finanzindustrie nutzen. Weil ich diese Vorgänge seit langem beobachte, fallen mir außer den zuvor genannten noch reihenweise andere Beispiele ein. Ich zähle einige auf und wiederhole teilweise, in der stillen Hoffnung, dass sich doch noch der/die eine oder andere Journalist/in finden möge:
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