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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Warum sollte man Mitglied einer fremdbestimmten Partei sein, die obendrein kein Interesse an der Macht hat?
Datum: 30. Juli 2008 um 9:23 Uhr
Rubrik: SPD
Verantwortlich: Albrecht Müller
Wir sind auf den Nachdenkseiten schon auf den anhaltenden Mitgliederverlust der SPD eingegangen. Persönlich verfolge ich den Niedergang der SPD mit großem Bedauern, und doch verstehe ich jene, die ihr Parteibuch zurückgeben, gut. Der Niedergang hat etwas Groteskes an sich, denn die soziale und wirtschaftliche Lage unseres Landes würde sozialdemokratische Antworten verlangen. Und jede Partei, die diese Antworten gibt, wird Zustimmung erhalten. Zur Erläuterung ergänze ich die Analyse des Niedergangs.
Erstens: Warum soll man einer Partei angehören, die keine Alternative ist?
Der Unterschied zur Union ist bei den entscheidenden Fragen der Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft gering, jedenfalls nicht umwerfend entscheidend: Beide großen politischen Gruppierungen stehen hinter den Reformen, beide sind unfähig und unwillig zu einer guten makroökonomischen Steuerung. Das konnte man jetzt gerade wieder beobachten, als Wirtschaftsminister Glos ein Konjunkturprogramm forderte und dieses in den einzelnen Elementen nur seine Klientel bedienen würde; die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister (SPD) sind eh dagegen. – Beide politischen Gruppierungen setzen zur Lösung internationaler Konflikte viel zu früh und viel zu sehr auf militärische Instrumente. – Für eine so blasse Alternative, wie es die SPD in ihrer Angepasstheit an den konservativen großen Strom der Meinungen darstellt, lohnt sich politisches Engagement und lohnen sich Mitgliedsbeiträge nicht mehr.
Zweitens: Warum soll man in eine Partei eintreten, die die Macht gar nicht will?
Das war im Frühjahr 2008 erkennbar, als die rechten Kreise in der SPD die hessische Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin Ypsilanti zwangen, die Kandidatur zur hessischen Ministerpräsidentin im Hessischen Landtag nicht zu wagen. Das gilt generell, wenn man sieht, wie sich die SPD durch ihre Verweigerung einer Koalition mit Grünen und der Linkspartei jeglicher alternativen Option enthält. Zur Erläuterung siehe hier:
Und auch im konkreten Fall wird man als SPD-Mitglied vermutlich in den nächsten Wochen die gleiche Erfahrung noch einmal machen: der rechte Teil der SPD und unter dem Druck dieses Teils die gesamte SPD-Führung werden alles unternehmen, um Andrea Ypsilantis zweiten Versuch zu stören. Das wird im Zusammenspiel mit den Medien mit aller Macht versucht und realisiert werden. Wem diese Erfahrung mit den versäumten und zunichte gemachten Chancen, das Amt einer Ministerpräsidentin zu erobern, noch nicht reicht als Beleg, der/die sollte sich die Einlassung des Bundesfinanzministers und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Steinbrück über seine Präferenz zur Fortführung der großen Koalition zu Gemüte führen – siehe hier.
In einer Partei, die einigermaßen in Ordnung ist, hätte die Äußerung des stellvertretenden Vorsitzenden Steinbrück personelle Konsequenzen haben müssen. Wenn eine große Partei den Respekt ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit erhalten will, dann kann sie nicht zulassen, dass ihr Vizevorsitzender öffentlich de facto erklärt, bei der nächsten Wahl die politische Führung des Landes gar nicht anzustreben zu wollen. Kurt Beck hätte Peer Steinbrück zum Rücktritt auffordern müssen, der Parteivorstand der SPD hätte dazu einen Beschluss fassen müssen. Der faktische Rausschmiss eines solchen stellvertretenden Vorsitzenden hätte eine Selbstverständlichkeit sein müssen. Das Gegenteil geschieht. Die Gruppe Steinbrück, Steinmeier und die anderen Rechten gewinnen zusehends an Macht. Warum sollte man dafür Mitglied werden? Oder bleiben?
Drittens: Warum sollte man Mitglied einer Partei sein, deren entscheidendes Personal das Wohl und Wehe dieser Partei gar nicht mehr verfolgt, sondern nur noch das eigene?
Ich habe den Eindruck, dass wichtige Führungspersonen sehr wohl einerseits ihre Parteikarriere im Auge haben, andererseits aber sich – auch mit ihrer politischen Arbeit und oft zulasten der sozialdemokratischen Werte und Erfolge – für Jobs außerhalb der SPD und nach getanem Zerstörungswerk absichern. Wir kennen die Fälle: Wolfgang Clement, Gerhard Schröder, Martin Bury, Florian Gerster, der ehemalige Staatssekretär Caio Koch-Weser (siehe Hinweis Nr. 6. hier ) Die künftigen Fälle werden vermutlich mit Personen wie Steinbrück, seinem neuen Staatssekretär Asmussen, Verkehrsminister Tiefensee und einer Reihe anderer in Verbindung zu bringen sein. Für solche Karrieren außerhalb harte Parteiarbeit zu leisten, ist eigentlich eine Zumutung.
Viertens: Warum sollte man Mitglied einer Partei werden, deren Führungsschicht die ohnehin unerträgliche Propaganda der neoliberalen Ideologie ständig unterstützt? Warum sollte man eine Führungsschicht tragen und unterstützen, die offensichtlich eigener Gedanken kaum mehr fähig ist? Sozialdemokraten in führenden Positionen machen sich immer wieder zum Haupt- und Lautsprecher für die gängigen Formeln der neoliberalen Agitation. Dazu zwei Belege von Dutzenden, die man in kurzer Zeit sammeln könnte:
Seit 10 Jahren ist die SPD-Bundestagsfraktion in der Regierungsverantwortung. In diesen 10 Jahren ist Deutschland stärker geworden. Unsere Gesellschaft ist heute liberaler, toleranter und offener. Die selbstbewusste Friedenspolitik und die ökologische Wende der rot-grünen Koalition haben sich durchgesetzt. Deutschlands Wirtschaft ist moderner, wettbewerbsfähiger und erfolgreicher auf den Märkten der Welt, als sie es vor 1998 war.
Mit der Reformpolitik, die Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 und der großen Steuerreform 2000 durchgesetzt hat, ist unser Land auf dem richtigen Weg: Die Arbeitslosigkeit sinkt kontinuierlich, die Wirtschaft wächst konsequent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs steigt an. Noch nie gab es in Deutschland mehr Erwerbstätige als heute, gleichzeitig konsolidiert Bundesfinanzminister Peer Steinbrück konsequent den Bundeshaushalt.
Wir haben zwar allen Grund zu Selbstbewusstsein, aber keineswegs Anlass zur Selbstzufriedenheit. Denn wir stehen noch vor großen Herausforderungen, um im Zeitalter der Globalisierung für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen
Hier geht es nicht um die einzelne Personen des Christian Lange. Es geht um den Charakter eines solchen Textes in der jetzigen Situation. Diese Leute leben in einem Bunker. Sie merken offenbar auch schon nicht mehr, was sie mit ihren formelhaften Sätzen sagen. Zum Beispiel lobt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD Fraktion die Steuerreform 2000. Das war jenes Werk von Gerhard Schröder und Hans Eichel, das unseren Gemeinden Milliarden kostete und im übrigen auch die Heuschrecken steuerfrei stellte.
Dieses Detail wie der gesamte Text zeigen, dass die herrschenden Kreise in der SPD entweder inhaltlich nichts mehr begreifen und einfach nur abspulen oder dass sie meilenweit entfernt sind vom ursprünglichen und ehrenwerten Geist ihrer Partei.
Die SPD – das ist eine Partei in der Agonie.
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