NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: „Der Spiegel“ spürt am eigenen Leib, was es heißt, Glaubwürdigkeit zu verlieren – auch dank der Arbeit der „Beta-Blogger“

Datum: 22. Juli 2008 um 17:28 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Medien und Medienanalyse
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Die Auflage sinkt, seine Glaubwürdigkeit als kritisches Blatt ist am Schwinden – diesen Eindruck gewinnen wir von Mails vieler Spiegel-Leser. Um die Bedeutung der Glaubwürdigkeit müsste man eigentlich auch bei der Redaktion des Spiegel wissen. Offenbar aber nicht. Darauf lässt der Artikel im Spiegel und in SpiegelOnline schließen, auf den wir in den Hinweisen von heute schon aufmerksam gemacht haben. Die Fußtritte gegen die NachDenkSeiten sind verständlich und stören nicht sonderlich. Sie sind verständlich, weil andere Blogs und wir systematisch daran arbeiten, die Glaubwürdigkeit des Spiegel auf das Niveau zu bringen, das dieser Kampagnenjournalismus verdient.

Die Redakteure/in des Spiegel haben nicht gewürdigt, dass es einen großen Unterschied macht, ob man eine Internetzeitung machen will wie zum Beispiel die Huffington Post in den USA, die sich auch „The Internet Newspaper“ nennt, oder ob man in realistischer Einschätzung seiner Kräfte darauf zielt, die Glaubwürdigkeit der Medien und der vielen Vorfeldorganisation der neoliberalen Ideologie in Zweifel zu ziehen.

Offenbar haben sich die Redakteure/in des Spiegel mit den Texten zur Konzeption der NDS und den laufenden Texten der NachDenkSeiten nicht beschäftigt. Andernfalls hätten sie merken müssen, dass www.NachDenkSeiten.de keine Ersatzzeitung sein soll, sondern wie auch einige unserer Partner im Netz (BILDblog, Spiegelfechter, etc) Manipulationen aufdecken, hinter die Kulissen leuchten und die dafür notwendigen Fakten zur Verfügung stellen soll. Anderes und mehr würden z.B. wir mit drei ehrenamtlichen und nebenher tätigen Personen in der Redaktion auch gar nicht schaffen. Das Konzept ist ein ganz anderes und es wird inzwischen durch die Erfahrung gestützt.

Ein einziger Informationsimpuls, der die Glaubwürdigkeit eines Mediums erschüttert, ist mehr wert als 1000 gegenläufige Kommunikationsimpulse

Uns schreiben erstaunlich viele Leser, dass sie durch die Lektüre der NachDenkSeiten wieder gelernt haben, andere Medien kritisch zu sehen. Das ist der „Aha-so-ist-das-Effekt“. Wenn dieser eingetreten ist, wenn es gelingt, Zweifel in die Glaubwürdigkeit der Mainstream-Medien zu säen, dann kann ein einziger Informationsimpuls so viel Wirkung entfalten wie 1.000 gegenläufige. Dann können die Besucherzahl von täglich 25.000 und die PageImpressions von 1,7 Millionen im Monat bei den NachDenkSeiten (und analog bei den anderen Blogs) vermutlich mehr bedeuten als die Auflage einer überregionalen Zeitung. Die FAZ erreicht eine Auflage von 366.000, die Süddeutsche von 448.000. So viele Besucher am Tag brauchen wir und andere kritische Blogs nicht, um die gleiche kommunikative Wirkung zu erzielen, wenn es uns gelingt, die Glaubwürdigkeit der herrschenden Medien und ihrer Kampagnen zu untergraben.

Diese Konzeption haben die Redakteure des Spiegel nicht verstanden. Sie haben deshalb auch nicht die Wirkung dieser Konzeption verstanden. Zum Beispiel:

  • Wieso ist es den Meinungsführern in Politik, Wirtschaft und Medien trotz massiver Pro-Reform- und Anti-Sozialstaats-Agitation bisher nicht gelungen, eine deutliche Mehrheit hinter sich zu scharen? Wieso jammern diese Personen und Medien immer wieder darüber, dass die Mehrheit der Menschen mehr soziale Gerechtigkeit will, wo ihnen doch jeden Tag eingetrimmt wird, es müsse sich endlich Leistung wieder lohnen? Das könnte etwas damit zu tun haben, dass die deutschen „Beta-Blogger“ einen Nucleus von Gegenöffentlichkeit geschaffen haben. (Es liegt nicht nur daran, es liegt auch daran, dass die Mehrheit der Menschen sich einen gewissen Sinn für Gerechtigkeit und Solidarität erhalten haben.)
  • Bei einigen der etablierten Medien regt sich Widerstand gegen die neoliberale Linie. Das hat auch etwas zu tun mit der aufklärenden Arbeit der Blogs. Sie stützen die verbliebenen kritischen Journalisten bei ihrer schwierigen Arbeit.
  • Dass heute endlich auch kritisch über die Bertelsmann Stiftung geschrieben wird, ist ganz wesentlich den kritischen Internetseiten – und einigen Autoren von Büchern – zu verdanken.
  • Dass vermutlich von einer Mehrheit in unserem Volk die Privatisierung der Bahn kritisch gesehen wird, dass die Privatisierungsaktionen und speziell PPP in der Öffentlichkeit hinterfragt werden, ist nicht zu aller erst den etablierten Medien zu verdanken, sondern den kritischen Internetseiten und auch hier einigen Autoren sowie Gruppen und Initiativen, die sich den Widerstand gegen diesen Ausverkauf zur Aufgabe gestellt haben.
  • Dass die Interessenabhängigkeit von Wissenschaftlern, die die neoliberale Ideologie stützen – also Rürup, Raffelhüschen, Sinn, Miegel, Franz, Straubhaar, Zimmermann und eine Reihe anderer, heute wenigstens gelegentlich zur Sprache gebracht wird, ist eindeutig auch den „Beta-Bloggern“ zu verdanken.
  • Dass politische Korruption wie etwa bei der Einführung der Riesterrente und der Steuerbefreiung der Heuschrecken eine Rolle spielen, wird langsam ein Thema dank der kritischen Internetseiten. Die etablierten Medien schweigen dazu – mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel der Bildergalerie der Süddeutschen Zeitung zu Personen aus der Politik, die sich in Dienste privater Interessen begeben haben.
  • Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nicht mehr unangefochten als objektive Anwältin der sozialen Marktwirtschaft operieren kann, verdanken wir nicht den etablierten Medien. Im Gegenteil, diese haben dieser neoliberalen Kampforganisationen der Arbeitgeber „aus der Hand gefressen.“ Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gab mit ihrer Gründung den Anstoß für die Idee der NachDenkSeiten. Im November 2003 galt dann auch der erste Beitrag in den NachDenkSeiten der INSM. Bis dahin hatte diese Gründung der Arbeitgeberverbände Metall und Elektro völlig unangefochten operieren können. Dass sich Politiker wie Wolfgang Clement und Christiane Scheel nach einer Anfangsphase ungestörter Mitarbeit aus Funktionen für die INSM zurückgezogen haben, ist auf den Informations-Druck von „Beta-Bloggern“ zurückzuführen und nicht auf den Spiegel.

Man merkt dem Beitrag des Spiegel auch an, dass sich die Redakteure/in nicht so richtig vorstellen können, dass ein Medium wie die NachDenkSeiten von der Zu- und Mitarbeit vieler aufmerksamer und altruistisch tätiger Zeitgenossinnen und Zeitgenossen lebt. Und was mithilfe dieser Zuarbeit – vor allem durch Kai Ruhsert – an Service für unsere Leser in den „Hinweisen des Tages“ geleistet wird, haben die Autoren des Artikels leider auch nicht erfasst.

Richtig schön ist auch die Kennzeichnung „Web-Steinzeit“ für unsere Plattform. Darüber könnte man sich kräftig streiten. Aber lustig ist es schon, dass wir diesen Vorwurf jetzt in einer Internetseite, bei SpiegelOnline, präsentiert bekommen, die im konkreten Fall nicht einmal fähig ist, auf die Bloggs zu verweisen, über die sie schreibt. Siehe hier: Die Beta-Blogger

Persönlich interessant fand ich auch die Kritik an einem Beitrag der NachDenkSeiten über die Demographiekampagne des ZDF. Wegen des Vergleichs dieser Kampagne mit dem Schwarzen Kanal von Schnitzler und der Propaganda von Goebbels werfen die Spiegelautoren uns, genauer gesagt mir, vor, mit „Dreck zu schmeißen“. (Siehe den Link auf die beiden Beiträge unten) Ich fühle mich davon nicht getroffen. Ich komme darauf, weil daran gleich zwei Probleme der kritischen Blogger sichtbar werden:

Erstens: Wenn man den Fakten der gesellschaftlichen Realität entsprechend hart formuliert und kritisiert, dann erscheint das angesichts der Distanz zum Mainstream als exotisch. So haben es die Spiegelredakteure/in empfunden, weil sie in ihrer vom gleichen Denken wohlbehüteten Welt leben.

Zweitens: Wie lange wollen wir das Tabu aufrechterhalten, wonach man mit den Propagandamethoden der Nazis und der SED nicht vergleichen darf. Ich verletze dieses Tabu bewusst, wenn ich das von der Sache her für angemessen halte und wenn die angewandten Methoden sich ähneln. Beispiele gibt es leider en masse:

  • Die Hetze der Bild-Zeitung und des bayerischen Rundfunks gegen Ausländer und Asylanten Anfang der neunziger Jahre.
  • Die Hetze gegen HartzIV-Bezieher – „Abzocker“
  • Die Hetze der Bild-Zeitung und von SpiegelOnline zum Beispiel gegen Andrea Ypsilanti im Frühjahr dieses Jahres.
  • Die Fotos zur Untermalung von Artikeln über Lafontaine bei SpiegelOnline – meist ein verzerrtes Gesicht, offener Mund, rot angelaufen. Wir kennen die viel tiefere Wirkung visueller Darstellungen im Vergleich zu Texten.
  • Die Demographiedebatte war und ist gespickt mit Lügen. Und sie wird genutzt, um Aggressionen zu schüren gegen ältere Menschen und zwischen den Generationen generell. Vergleiche mit Schnitzler und Goebbels machen keinen Spaß. Aber wenn sie in der Sache angebracht sind, dann ist es nicht die Schuld der Kommentatoren, sondern die Schuld derer, die diese Art von Kampagnen-Journalismus betreiben.

Hier noch der Hinweis auf die beiden Beiträge zur Demographiekampagne des ZDF:

16. Januar 2007 um 16:20 Uhr
Nachtrag: ZDF auch beim heute-journal ein nackter Propagandasender

15. Januar 2007 um 14:15 Uhr
Demagogie pur beim Abbau des Vertrauens in die gesetzliche Rente: der ZDF-Programmschwerpunkt Demographie


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