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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 4. Juli 2008 um 8:59 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. “Ansage an die Tarifparteien”
    Die Europäische Zentralbank hebt den Leitzins auf 4,25 Prozent an. Das hilft zwar nicht gegen die Preistreiberei, setzt aber ein Zeichen. Nur was für eins?
    Begründet haben die Notenbanker diese erste Anhebung der Zinsen seit über einem Jahr mit dem Preisanstieg, der im Juni bei 4,0 Prozent gelegen hatte.
    “Als Inflationsbremse eignet sich die Maßnahme nicht”, erklärte Claus Matecki, der zum Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds gehört. Schließlich lägen die wichtigsten Faktoren für den Preisauftrieb außerhalb des Einflussbereiches der EZB-Zinsen. “Gestiegen sind vor allem die Preise für Energie und für Nahrungsmittel“, sagte er.

    Das weiß natürlich auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet. Und deshalb dürfte die Entscheidung auch durch eine ganz andere Überlegung motiviert sein. Trichet hat jüngst bereits darauf hingewiesen, dass er vor allem die so genannten Zweitrundeneffekte verhindern will.
    (D.h. es soll eine Lohnpreisspirale verhindert werden (WL))
    Quelle: taz

    Statt einer Anmerkung verweisen wir auf den Hinweis Ziffer 1 von gestern.

  2. Wenn Brüssel schon mal sozial wird
    Vor lauter Sorge um die Freiheit des Marktes haben die EU-Akteure das soziale Europa auf der Strecke gelassen. Darauf reagiert die EU-Kommission und tut endlich etwas. Genau das stößt ausgerechnet in der “sozialen Marktwirtschaft” Deutschlands auf schärfsten Widerstand. Wenn Brüssel Benachteiligten und gesellschaftlich Diskriminierten Chancen geben will, mosern deutsche Unternehmer und ihre Freunde von den Unionsparteien über bürokratischen Aufwand. Wenn die Kommission die Mitbestimmungsrechte Europäischer Betriebsräte stärken will, ereifern sich die Funktionäre in den Berliner Wirtschaftszentralen über “neue Bürokratie in den Betrieben“. Der Bürokratie-Vorwurf ist die Waffe, die vor allem deutsche Kritiker auf die Brüsseler Initiative gerichtet haben. So als hätte nicht jedes sozialpolitische Gesetz seit Bismarck den Unternehmern Aufwand beschert.

    Man muss das Sozialpaket der EU-Kommission gegen überzogene Kritik aus Deutschland in Schutz nehmen. Das heißt nicht, dass es an den Brüsseler Plänen nichts auszusetzen gäbe. Vor allem von dem Gesetz über die Europäischen Betriebsräte durften alle mehr erwarten, die den Ankündigungen der Kommission Glauben schenkten, sie wolle Informations- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmervertreter stärken. Auch bei der Anti-Diskriminierungsrichtlinie bleibt vieles vage. Findigen Unternehmern wird es leicht fallen, Schlupflöcher im Gesetz zu finden.
    Quelle: FR

  3. NRW gibt 75 Prozent zum Gehalt für Langzeitarbeitslose
    Arbeitgebern werden von den Argen und Optionskommunen bis zu 75 Prozent der Lohnkosten erstattet, wenn sie die Bewerber für einfache Tätigkeiten verpflichten. 85 Millionen Euro überweist das Bundesarbeitsministerium für die so genannte „Job-Perspektive“ an NRW. Das Land unterstützt das Projekt mit 12,5 Millionen Euro, weitere zehn Millionen kommen von den Landschaftsverbänden.

    Der Anteil der Langzeitarbeitslosen liegt dort aber immer noch bei 44,5 Prozent. Durch die „Job-Perspektive“ will Laumann 20.000 Betroffene bis 2010 in Arbeit bringen. Mittelfristig soll dafür die Zahl der Ein-Euro-Jobs – derzeit 55.000 – halbiert werden.
    Quelle: Rheinische Post Online

    Anmerkung: Das wären 85 Millionen, die die Arbeitgeber mitnähmen, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellten. Ob dadurch zusätzliche Stellen geschaffen würden ist völlig offen, eher ist zu befürchten, dass normale Beschäftigung durch lohnsubventionierte Billigjobs verdrängt wird.

  4. Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung: Betriebsräte urteilen zwiespältig
    Kapitalbeteiligungen für Mitarbeiter sind relativ selten. Derzeit gibt es in knapp acht Prozent der Betriebe entsprechende Programme, zeigt die Befragung, für die das WSI mehr als 2000 Betriebsräte interviewt. Die Untersuchung ist repräsentativ für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und Betriebsrat. In derartigen Betrieben arbeiten rund 12 Millionen Menschen in Deutschland.

    Rund 80 Prozent der befragten Arbeitnehmervertreter in Betrieben mit Kapitalbeteiligung sagen, diese sei ein geeignetes Instrument zur Teilhabe an positiver Unternehmensentwicklung. Von allen Betriebsräten sind gut zwei Drittel dieser Ansicht. “Anscheinend hat sich der Wert der von Arbeitnehmern gehaltenen Firmenanteile in der Vergangenheit meist zur Zufriedenheit der Betriebsräte entwickelt“, interpretiert WSI-Vergütungsexperte Bispinck in der aktuellen Ausgabe der WSI Mitteilungen die Ergebnisse.

    Dennoch sei vielen Betriebsräten das mit Kapitalbeteiligungen verbundene Risiko bewusst: Knapp 47 Prozent der Betriebsräte mit Praxiserfahrung stimmen einer entsprechenden Aussage zu. Unter allen Betriebsräten sagen 67 Prozent, die Kapitalbeteiligung sei für Beschäftigte mit Risiken behaftet. Insgesamt stufen Bispinck und Brehmer die Haltung der Betriebsräte als “ambivalent” ein. Die Hoffnung, finanzielle Beteiligung würde durch eine veränderte Unternehmenskultur oder direkte Einflussnahme auf Gesellschafterebene zu mehr Mitsprache führen, sei “offenbar unbegründet“.
    Quelle: WSI-Mitteilungen 06/2008

    Umstrittene Betriebsraete
    Quelle: Boeckler

  5. Die FDP, der IKB-Ausschuss und die Wahrheit
    Die FDP erwägt, einen möglichen Untersuchungsausschuss zur Finanzkrise der Mittelstandsbank noch platzen zu lassen. Parteichef Guido Westerwelle setzt zunächst nur auf einen Fragenkatalog an Bundeskanzlerin Merkel. Das moderat klingende Angebot Westerwelles geht einher mit dem wachsenden Ärger in der Bankenbranche, die sich in einem Untersuchungsausschuss unangenehmen Fragen stellen müsste. Die Großbanken spenden an fast alle großen Parteien erhebliche Summen, von denen auch die FDP im sechsstelligen Bereich profitiert. Bei den Liberalen heißt es: „Die Bankenwelt versucht uns davon zu überzeugen, vom Ausschuss abzulassen.“ Laut Finanzkreisen haben sich unter anderem IKB-Chef Günther Bräunig und der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, Manfred Weber, eingeschaltet.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung: Es ist eben leichter jemand mit Argumenten und einem Bündel Geld in der Hand zu überzeugen nur mit Argumenten und ohne Geld.

  6. Studie weist Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und Produktivität auf
    Das Niveau des Kündigungsschutzes in einem Land wirkt sich auf die betriebliche und gesamtwirtschaftliche Produktivität aus. Ist der Kündigungsschutz zu umfangreich, kann das Wachstum der Produktivität gehemmt werden. Dieses Fazit zieht eine vom Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) veröffentlichte Studie, in der OECD-Daten für den Zeitraum 1982 bis 2003 ausgewertet worden sind. Rein rechnerisch weisen die Autoren nach, dass “ein Rückgang des Kündigungsschutzniveaus um nur einen Punkt auf der Skala zu einem Produktivitätsschub von bis zu 0,4 Prozentpunkten führen” würde. Insbesondere Reformen des Kündigungsschutzes für reguläre Beschäftigungsverhältnisse würden das Wachstum der Produktivität anregen.
    Für den IZA-Experten Werner Eichhorst zeigt diese Studie, “dass gerade Deutschland dringend eine Reform des Kündigungsschutzes braucht”.
    Quelle 1: LexisNexis
    Quelle 2: IZA Disussion Paper [PDF – 476 KB]

    Anmerkung WL: Das ist eine der typischen empirisch daher kommenden Relationsstudien. Der Teufel steckt in der Quantifizierung von empirischen Sachverhalten in Beziehung zu einem anderen empirischen Sachverhalt, hier also von Kündigungsschutz versus Produktivität. Wie quantifiziert man die Vielzahl der völlig unterschiedlichen Kündigungsschutzregelungen? Kann man den Kündigungsschutz in unterschiedlichen Ländern überhaupt vergleichen? Wie soll man das dänische Konzept der Flexicurity mit den deutschen Hartz-Gesetzen vergleichen? Was heißt Kündigungsschutz in Deutschland, wo schon jetzt jedes Unternehmen Arbeitnehmer für 2 Jahre, Existenzgründer gar für 4 Jahr ohne Kündigungsschutz einstellen dürfen? Wie will man Kündigungsschutz quantifizieren und dann noch auf Produktivitätswerte umrechnen? Die Aussage 1 Punkt Senkung des Kündigungsschutzes = 0,4% Produktivitätssteigerung entspricht der für alle solche Korrelationsrechnungen geltenden Wahrheit: Gibt man Mist rein, kommt Mist raus.

    Ist der Arbeitsmarkt in Deutschland bei jährlich über 6 Millionen Kündigungen etwa nicht flexibel?

    Warum ist die Produktivität pro Arbeitsstunde im ach so „deregulierten“ Großbritannien erheblich niedriger als im angeblich „regulierten“ Deutschland? Warum wird in Deutschland pro Arbeitsstunde weit mehr als im Durchschnitt der EU und sogar über dem Wert der USA erarbeitet

    Woran anderem als an der höheren Produktivität liegt es, dass Deutschland – trotz höherem Kündigungsschutz – nach wie vor Exportweltmeister ist. Es gibt nun wirklich genug empirische Befunde, dass die Lockerung des Arbeitsmarktes seit 1984 keineswegs zu mehr Einstellungen geführt hat. Es gibt zum Glück Studien von Instituten, die nicht wie das IZA einseitig (siehe unten) der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin anhängen, z.B. von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Diese Studie stellt empirische Befunde aus einem Querschnitt von 20 OECD-Ländern (1984 – 1997) dar, die belegen, dass relativ „rigide“ (z.B. regulierte oder koordinierte) Arbeitsmärkte das langfristige Wachstum der Arbeitsproduktivität eher steigern statt senken.

    Anmerkungen Martin Betzwieser: Ex-Bertelsmann-Stifter und heutiger IZA-„Experte“ Werner Eichhorst war bereits mit den Noch-Bertelsmann-Stiftern Dr. Stefan Emptner sowie die nicht erwähnten Frank Frick (Agenda Moderne Regulierung) für die Bertelsmann-Stiftung schon an der Benchmarkung-Gruppe zur Vorbereitung der Hartz-Reformen beteiligt (Quelle: Helga Spindler: “War auch die Hartz-Reform ein Bertelsmann-Projekt” aus “Netzwerk der Macht: Bertelsmann – der medial-politische Komplex aus Gütersloh”). Emptner und Frick arbeiten jetzt seit einiger Zeit an einem Entwurf für ein neues Arbeitsrecht. Bei der ersten Vorstellung hieß es: “Das Arbeitsgesetzbuch ist kein Fall für den Bulldozer, aber es ist Aufgabe des Gesetzgebers, eine Art Kundenfreundlichkeit auch auf diesem Gebiert herzustellen. Was im Sozialrecht möglich ist, sollte im Arbeitsrecht auch möglich sein.” Diese Drohung sollten wir alle sehr ernst nehmen.

    Quelle 1: IZA (Werner Eichhorst)

    Quelle 2: Bertelsmann Stiftung zum Arbeitsvertragsrecht

    Beim Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) geben sich einschlägige Politiker, Wirtschaftsfunktionäre und Journalisten sowie ein paar Alibi-Gewerkschafter die Klinke in die Hand und es sind auffällig viele Aktivisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vertreten. Der Präsident des IZA ist immer noch der wegen einer Steuerhinterziehungsaffäre geschasste Ex-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post AG Klaus Zumwinkel.

    Quelle 3: IZA (Policy Fellows)

    Quelle 4: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (Kuratoren, Botschafter, Förderverein)

    Quelle 5: IZA (Leitung)

    Ach ja, Eichhorst´s Chef Dr. Hilmar Schneider, Direktor Arbeitsmarktpolitik am IZA, wollte mal 2006 Arbeitslose versteigern lassen und mit den Einnahmen die explodierenden Kosten für ALG-II teilkompensieren.
    Quelle 6: IZA (Hilmar Schneider)

    Quelle 7: Focus

  7. Polizei darf heimlich in Wohnungen eindringen
    Bayerische Ermittler dürfen zur Installation von Spionage-Software heimlich in Wohnungen von Verdächtigen eindringen. Mit dieser Fassung des umstrittenen Gesetzes zur Online-Durchsuchung geht Bayerns CSU viel weiter als vom Bund geplant. Die Opposition in München ist richtig sauer. Künftig dürfen Polizei und Verfassungsschutz die Computer Verdächtiger ausforschen. Anders als vom Bund geplant, dürfen bayerische Ermittler auch heimlich in Wohnungen eindringen, um dort Spionagesoftware zu installieren.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung: Das ist wohl aus der „Liberalitas Bavariae“ geworden, die bis heute von bayerischen Politikern im Munde geführt wird, um sich selbst ihrer freiheitlichen Gesinnung zu rühmen. Man kann nur hoffen, dass die Bayern dieses Überwachungsgesetz der CSU bei der Landtagswahl am 28. September heimzahlen.

  8. “Alle zwei Wochen diskreditiert irgendein Spinner die EU”
    Seit dem irischen Nein zum Lissabon-Vertrag verliert die EU immer mehr an Zustimmung. Wie die Staatengemeinschaft dennoch eine Zukunft hat, erklärt der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

    Cohn-Bendit: …die Frage ist tatsächlich: Wer will diese europäische Politik überhaupt noch?

    SPIEGEL ONLINE: Kennen Sie die Antwort?

    Cohn-Bendit: Ich habe jedenfalls eine Vorstellung davon. Aber eine richtige Antwort wird man nur bekommen, wenn man diese Frage tatsächlich stellt. Nicht irgendwelche Referenden, die niemanden interessieren. Das ist doch Gequake zum Nulltarif, ohne irgendwelche Konsequenzen. Nein, ich bin mit einer Vorlaufzeit von ein, zwei Jahren für ein Referendum, das nach der weiteren Integration der EU fragt. Und wer dann nein sagt, ist eben draußen. Punkt.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: Solche „Spinner“ wie Cohn-Bendit diskreditieren die EU am meisten. Das Interview ist ein typisches Beispiel arroganter Anmaßung, eines mit minimaler Wahlbeteiligung legitimierten EU-Parlamentariers. In der absolutistischen Regierungsform hieß es L`État c`est moi. Für diese Eurokraten gilt wohl „EU c`est moi“.

  9. Klimaschutz: G8 setzt Heuchelei von Heiligendamm fort
    Laut dem deutschen Wirtschaftsstaatsekretär Bernd Pfaffenbach setzt Deutschland beim G8-Gipfel in Japan auf deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung des Klima-Wandels. Die Teilnehmer wollten nicht hinter die Ergebnisse von Heiligendamm “zurückfallen“, sagte der ehemalige Gipfel-Sherpa von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dazu erklärt das globalisierungskritische Netzwerk Attac.

    Diese Aussage ist ein Witz und zeigt die für G8-Gipfel typische Heuchelei: In Heiligendamm wurde bekanntermaßen überhaupt kein Klimaschutzziel vereinbart – es gibt also nichts, hinter das die G8 in Japan zurückfallen könnten“, sagte Chris Methmann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Die G8 hatten in Heiligendamm leidlich verkündet, man ziehe “ernsthaft in Erwägung“, den globalen CO2-Ausstoß bis 2050 zu halbieren.
    Quelle: attac

  10. Heribert Prantl: Doping bei der Wahl
    Endlich hat Karlsruhe gesagt, was schon lange gesagt werden musste: Es ist Gift für eine parlamentarische Demokratie, dass eine große Partei besser dasteht, wenn sie weniger Stimmen hat.

    Die großen Parteien in Deutschland und die Kanzler der Republik haben sich jahrzehntelang mit verfassungswidrigen Überhangmandaten gedopt. Sie standen besser da, als sie ohne falsche Stimmgewichtung und ohne falsche Sitzverteilung dagestanden hätten; und womöglich wären sie überhaupt nicht Kanzler oder Minister geworden (oder wären es jedenfalls nicht so lange gewesen).

    Das Gericht hat es zugelassen, dass auch noch der nächste Bundestag 2009 nach verfassungswidrigen Regeln gewählt wird – das ist nicht in Ordnung (auch wenn es gute Zeit braucht, ein Wahlrecht zu erarbeiten, in dem alle Stimmen gleich sind, aber eben nicht manche noch gleicher). Das Gericht nimmt sich selbst nicht ganz ernst.

    Ist es tolerabel, dass auf den Sitzen der verschiedenen Parteien im Bundestag sehr unterschiedliche Stimmgewichte liegen? Kann es angehen, dass die eine Partei einige tausend Stimmen mehr braucht, um einen Sitz zu erringen als die andere? Vor allem kleinere und mittlere Parteien werden auf diese Weise benachteiligt.
    Quelle 1: SZ
    Quelle 2: Bundesverfassungsgericht

  11. SPD-Spitze will Ypsilanti Linksbündnis ausreden
    Die SPD befürchtet, dass Andrea Ypsilanti erneut eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei plant – um sich mit deren Hilfe endlich zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Parteichef Kurt Beck, seine drei Stellvertreter und Generalsekretär Hubertus Heil wollten sich in den kommenden Wochen deshalb gemeinsam mit Ypsilanti treffen und sie von einer solchen Aktion abhalten, verlautete aus der Parteispitze. Aus der Spitze in Berlin hieß es, zwischen Beck, seinen beiden zum konservativen SPD-Teil zählenden Stellvertretern Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sowie der dem linken Flügel angehörenden Vize Andrea Nahles herrsche in dieser Frage völliges Einvernehmen.

    Sollte sie Erfolg haben und den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) ablösen, hätte die gesamte Partei auf dem Weg zur Bundestagswahl 2009 ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.
    Quelle: SZ

    Anmerkung: Keinerlei Glaubwürdigkeitsproblem für die SPD-Spitze bedeutet es offenbar, wenn die SPD den abgewählten geschäftsführenden Ministerpräsidenten Koch weiter toleriert. Koch jedenfalls dürfte sich über dieses Gespräch der der Parteispitze mit Ypsilanti diebisch freuen.

    Sieh dazu nochmals:

    Die SPD in der „Zwickmühle“ http://www.nachdenkseiten.de/?s=Zwickm%C3%BChle&Submit.x=42&Submit.y=10

    Dazu passt:

    Grüne setzen Ypsilanti unter Druck
    Während Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti in Frankreich Entspannung sucht, setzt sie ihr Wunschkoalitionspartner unter Druck: Immer ungeduldiger fordern die Grünen eine Entscheidung, ob Ypsilanti nach der ersten Pleite noch einen Anlauf zur Ablösung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wagen wird. Vehement wehrt sich der parlamentarische Geschäftsführer Mathias Wagner jedoch gegen die Mutmaßung, man werde es andernfalls mit der CDU versuchen…
    Quelle: Frankfurter Neue Presse

  12. Teuerungsrate: Arme trifft die Inflation am härtesten
    Fast drei Jahre lang haben die vom Statistischen Bundesamt errechnete und die von den Bürgern wahrgenommene Inflation in etwa auf einem Niveau gelegen. Doch seit dem Herbst 2007 empfinden die Verbraucher die Inflation als weitaus schmerzlicher, als es die Statistiker abbilden. Dabei hat auch das Statistische Bundesamt eine Inflationsrate von drei Prozent für den Mai 2008 im Vergleich zum Vorjahr errechnet.

    Nach neuen Berechnungen des Wirtschaftsstatistikers Professor Hans Wolfgang Brachinger von der Universität Fribourg in der Schweiz hat diese Inflationsrate für Rentner eine Wirkung von sieben Prozent, wie er für die „Zeit“ ermittelte. Für Familien mit Kindern wirke sie wie fünf Prozent, rechnete er für die ARD aus. Brachinger hat mit dem Statistischen Bundesamt den Index der wahrgenommenen Inflation (IWI) erarbeitet, weil nach der Euro-Einführung in Deutschland die „Teuro-Debatte“ tobte. Dem „Stern“ sagte Brachinger: „Ein Hartz-IV-Haushalt hat gegen die Inflation keine Chance.“

    Diese Aussage kann Wilfried Jahn, der die Caritas-Schuldnerberatung in Pankow leitet, nur bestätigen. Mehr als die Hälfte seiner Klienten seien Hartz-IV- Empfänger. Und angesichts einer Preissteigerung bei Nahrungsmitteln um 7,9 Prozent werde es für diese „immer enger“. Daran änderten die vier Euro mehr, die sie seit dem 1. Juli bekämen, nichts. Probleme mit Heizkostennachzahlungen habe es auch in der Vergangenheit gegeben. Ob sie zunehmen, kann Jahn nicht einschätzen. Da dies aber oft Haushalte trifft, die nichts mehr sparen könnten, rechnet er mit einem vermehrten Beratungsbedarf.

    Bei der Caritas in Frankfurt am Main gibt es seit zwei Jahren eine Energieberatung für Hartz-IV-Empfänger. Die Heizkosten sind zwar gerade für diese Gruppe bisher kein Problem, weil die Kommunen dafür aufkommen müssen. Aber beim Strom können auch arme Haushalte Kosten sparen. Die Caritas hat sich auf die Suche nach Sponsoren gemacht, die Energiesparlampen und Steckerleisten für arme Haushalte finanzieren. Wie viel Potenzial zum Energie- und Kostensparen in Hartz-IV–Haushalten vorhanden ist, wird derzeit in einem Forschungsprojekt in Freiburg und Berlin ermittelt.

    Quelle: Tagesspiegel

  13. Krankenkassen: Viel Aufruhr um ein Arschgeweih
    Eigentlich gäbe es Probleme genug. Die Kassenbeiträge steigen und steigen, Ärzte und Kliniken beklagen ihre katastrophale Finanzausstattung, und die Horrormeldungen über die Einführung des Gesundheitsfonds halten sich hartnäckig. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat dennoch andere Prioritäten. Allen voran: schlecht gemachte Steißbeintattoos, entzündete Nabelpiercings und abgestürzte Plastik-Brüste.

    Wenn es der Sache dient, funktioniert die Ministerin – wie aktuell geschehen – schon einmal 136 000 Vertragsärzte zu Hilfssheriffs der Krankenkassen um. Dass sie damit – en passant – mit den Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung bricht, scheint sie nur am Rande zu interessieren. Auch dass Mediziner und Sozialverbände bereits den Ausverkauf der ärztlichen Schweigepflicht beklagen – in den 2000 Jahren vor Ulla Schmidt hat daran niemand ernsthaft gerüttelt – hält man in Berlin für überzogen. Immerhin würden die Patienten doch von den Ärzten darüber informiert, dass die Folgekrankheit der Kasse gemeldet werde und daraus zusätzliche Kosten entstehen könnten.
    Quelle: Focus

    Anmerkung Martin Betzwieser: Das tut jetzt zwar nichts zur Sache, aber der Begriff „Arschgeweih“ ist out; der neue umgangssprachliche Begriff für Steißbein-Tätowierungen ist „Schlampenstempel“.

  14. Hessen: Abschaffung der Studiengebühren – Gesetz in Kraft getreten
    Die im ersten Anlauf wegen eines kapitalen Fehlers gescheiterte Abschaffung der Studiengebühren in Hessen ist in Kraft getreten. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat das von SPD, Grünen und Linken im Landtag verabschiedete Gesetz unterzeichnet. Inzwischen ist es im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes veröffentlicht.

    Allgemeine Studiengebühren von 500 Euro pro Semester hatte die CDU vor eineinhalb Jahren in Hessen eingeführt worden. Zuvor gab es bereits Gebühren für Langzeitstudenten und Zweitstudiengänge, die nun ebenfalls abgeschafft sind. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Sarah Sorge sagte den Hochschulen am Donnerstag zu, die ihnen damit entgehenden Einkünfte auf Dauer aus dem Landeshaushalt zu erstatten.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Dazu:

    Haushaltssperre in Hessen nach kostspieligen Beschlüssen
    Mit einer Haushaltssperre hat Hessens Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) auf kostspielige Beschlüsse von Landtag und Landesregierung reagiert. Rund 80 Millionen Euro müssten eingespart werden, um die von Regierung und allen Fraktionen gewollten Einkommensverbesserungen der Angestellten und Beamten zu finanzieren, sagte Weimar am Mittwoch in Wiesbaden. SPD und Grüne forderten einen Nachtragshaushalt.

    Weimar sagte, er wolle ein Zeichen setzen. Derzeit gebe es eine Tendenz, leichtfertig mit Ausgaben umzugehen. Sollte der Landtag noch mehr kostenträchtige Beschlüsse fassen, werde er die Sperre verschärfen. Dann müssten möglicherweise auch Leistungen für soziale Zwecke gekürzt werden. Zusätzliche Schulden über die für dieses Jahr geplanten 547 Millionen Euro hinaus lehnte er ab. Er halte zudem an dem Ziel fest, 2011 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

    Zu den teuren Beschlüssen der vergangenen Monate zählte Weimar die von SPD, Grünen und Linken durchgesetzte Abschaffung der Studiengebühren und die einstimmig beschlossenen 1000 zusätzlichen Referendare. Die dafür erforderlichen 30 Millionen Euro hätten allein aber noch keine Sperre erfordert, sagte der Minister.
    Quelle: Frankfurter Neue Presse

    Anmerkung WL: So kann man die Umsetzung des Gesetzesbeschlusses zur Abschaffung der Studiengebühren auch noch stoppen.

    Nochmals: Benzinpreissteigerung
    In den Hinweisen des Tages vom 1.Juli 2008 habe ich einen Beitrag von Rudolph Chimelli in der Süddeutschen Zeitung vom 25.Juni referiert, in dem die Preissteigerung pro Barrel Erdöl mit dem Wertverfall des Dollars gegenüber dem Euro gegengerechnet wurde. Chimelli kam zum Ergebnis, dass der Ölpreis kaum höher sei als vor 6 Jahren. Ich muss eingestehen, dass ich die dort genannten Zahlen nicht kontrolliert und nicht selbst noch einmal recherchiert habe. Das war ein Fehler.

    Zu diesem Hinweis haben wir eine Vielzahl von Mails bekommen, die die in dem referierten Artikel gemachten Aussagen bestritten haben. Ich hatte mir deshalb vorgenommen, diese Berechnung noch einmal selbst zu prüfen. Ein Leser hat mich zwischenzeitlich auf Grafiken des Bundesfinanzministeriums hingewiesen, in denen die Entwicklung der Benzin-, Diesel- und Rohölpreise, des Dollarkurses und der Mineralölsteuer von 1990 bis 2006 und in einer zusammenfassenden Übersicht von 1950 bis 2006 dargestellt wird. Obwohl die Entwicklung der letzten beiden Jahre in diesen Grafiken noch nicht erfasst sind, ergibt sich daraus, dass die Zahlen in dem Beitrag der SZ nicht stimmen können.

    Leider lassen sich die Grafiken nicht kopieren, aber Sie brauchen dazu nur die unten angegebene Adresse anklicken, dann können Sie sich selber ein Bild über die Entwicklung der Benzin- und Dieselpreise, des Preises für das Rohöl, des Dollarkurses und der Einnahmen aus der Mineralölsteuer machen.
    Quelle: Bundesministerium der Finanzen [PDF – 72 KB]

    In weiteren Grafiken ist die Zusammensetzung der Benzin-, Diesel- und Heizölpreises dargestellt.
    Quelle: Bundesministerium der Finanzen [PDF – 148 KB]

    Lesen Sie auch eine Stellungnahme des BMF zur aktuellen Diskussion um die Höhe der Benzinpreise


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