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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 28. Mai 2008 um 9:25 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Allerdings wird man den Eindruck nicht los, dass in Deutschland zwar viel über Armut geredet, aber nur wenig gegen sie unternommen wird. Und das seit Jahren. Doch passiert ist nichts. Im Gegenteil: Der Bundesrat hat beispielsweise erst vergangene Woche die Aufstockung des Wohngeldes verhindert. Die Empfänger von Sozialleistungen bleiben damit vorerst auf den höheren Energiekosten sitzen. Auch kann sich die Koalition nach wie vor nicht auf einen Mindestlohn und damit auf ein wirkungsvolles Instrument gegen arm machende Arbeitsverhältnisse einigen. Und eine Steuerreform, die den Abstand zwischen Arm und Reich verringern und dem Sozialstaat wieder etwas Luft zum Atmen geben würde, ist nirgendwo in Sicht.
Quelle: Nürnberger Nachrichten
Hörte man aus den Reihen der CDU eigentlich bereits eine Stimme, die den Rücktritt ihres Bundesvorstandsmitgliedes forderte? Eine Pressestimme, die dies forderte? Jeder Kreistagsabgeordnete der LINKEn wäre bei einem verfassungsfeindlichen Vorstoß dieser Qualität von den Medien auf dem medialen Scheiterhaufen verbrannt worden – aber bei einem blasierten Jüngling aus dem Bundesvorstand der CDU herrscht lautes Schweigen. Aber nicht nur das, die BILD-Zeitung beschreibt diesen Vorstoß, die Verfassung zu brechen, wertneutral bis anerkennend als „kühn“, n-tv erdreistet sich gar, ihn als “originell” anzupreisen, geradeso als ginge es nur um einen etwas unkonventionellen, aber durchaus gangbareren Alternativvorschlag. ARD-Talk Enfant terrible Anne Will verschafft ihm durch eine Einladung unnötige Anerkennung und der SPIEGEL findet den Vorschlag zwar „absurd“, geht aber über die laue Kritik der zugrunde liegenden AFP-Agenturmeldung auch nicht hinaus. Kein Nachrichtenmedium erwähnt übrigens, dass Ludewig im Bundesvorstand der CDU sitzt …
Quelle: Spiegelfechter
Passend dazu der Kommentar: Anne Will und die Armut – mehr Stammtisch geht nicht.
Die Provokation steckte schon im Titel der Sendung „Hungern muss hier keiner – Ein Land redet sich arm“. Schon die Anmoderation und der Einspieler dazu sollten klar machen, dass “bevor man sich aufregt” es sich oft lohne, die Zahlen genauer anzuschauen. Was Anne Will unter “genauer anschauen” versteht entpuppte sich dann als plumper Versuch einer Relativierung: So kann sich nach Ansicht von Michael Hüther vom [3] IW Deutschland in Sachen Armut “im EU- oder sogar im OECD-Vergleich sehr gut sehen lassen”, schon die “Ausgangsarmutsquote” läge unter dem Niveau der skandinavischen Länder. Fazit des unternehmernahen ökonomischen Sachverstandes: “Wir sind hier nicht in einer dramatischen Situation”. Richtig angeheizt wurde dann die Debatte durch die teilweise hochpolemischen und emotionalisierten Beiträge der Journalistin und Doktorin der Politikwissenschaften [4] Rita Knobel-Ulrich, die kürzlich eine Filmreportage über arbeitslose Hartz IV Empfänger gemacht hat und so offenbar ebenfalls eine ins Konzept passende eigene Vorstellung von Armut entwickelt hat. In Russland gebe es Kinder, die in Kellerlöchern säßen und nichts zu essen und zu trinken hätten. Angesichts solcher Verhältnisse, sei unser Begriff von Kinderarmut “zynisch”. Was die deutschen Arbeitslosen und Hartz IV Empfänger ursächlich mit den hungernden, durstigen und frierenden Kindern in Russland oder anderswo in der Welt zutun haben, musste mangels Nachfrage offen bleiben.
Heiner Geissler brachte die Absurdität dieser Argumentation allerdings auf den Punkt: “Ja und, was soll das heißen?” Es gäbe bei uns niemanden der Hungern, oder Frieren müsse und jeder habe ein Dach über dem Kopf, die Grundbedürfnisse seien damit “im Prinzip schon mal abgedeckt”, selbst Ungelernte könnten in einer Putzkolonne oder auf dem Acker, “was weiss ich, was er machen könnte”, sagte Knobel-Ulrich.
Nun, derlei krude Relativierungen unvergleichbarer ökonomischer und politisch-sozialer Verhältnisse und offener Forderungen nach noch mehr Repression in der Hartz IV- Gesetzgebung wären im politischen Diskurs und in der rationalen Analyse schlichtweg als Stammtisch-Polemik und dem Thema unangemessen zurückzuweisen.
Für die Moderatorin Anne Will waren sie jedoch Gelegenheit in eigentlich zynischer und skandalöser Weise darauf zu reagieren: “Nachdem was Frau Knobel-Ulrich uns gerade geschildert hat, wollen sie also Menschen mehr Geld geben, als sie wirklich brauchen?”, fragte sie den Sozialwissenschaftler Butterwegge nach seiner Position in der Diskussion. Offensichtlich weiß Frau Will (geschätztes monatliches Einkommen um 10.000€), was Hartz IV Empfänger zum Leben brauchen.
Fazit: Von einem sachlich-konstruktiven Umgang mit dem Thema Armut in Deutschland war diese Sendung weit entfernt. Die Stimmung gegenüber Arbeitslosen und Hartz IV Empfängern war von Pauschalisierung und Polarisierung gekennzeichnet. Deren reale Probleme, einen nachhaltigen Arbeitsplatz zu finden und welche fördernden Maßnahmen hierzu ergriffen werden müssten, wurden gar nicht erst besprochen.
Quelle 1: Readers Edition
Wer Zeit und Strom opfern möchte:
Quelle 2: ARD Anne Will (Video)
Dazu auch:
Offener Brief an Dr. Rita Knobel-Ulrich zur Sendung “Anne Will” vom 25.05.2008
Am 25. 05. 2008 wurden von Frau Dr. Knobel-Ulrich offensichtlich falsche Behauptungen bezüglich des Hartz-IV-Regelsatzes gemacht. Wir als Betroffene, verwahren uns gegen derartige Falschmeldungen im öffentlichen Fernsehen, die uns erneut in ein falsches und schlechtes Licht rücken sollen.
Wir haben hierzu einen offenen Brief an Frau Dr. Knobel-Ulrich verfasst, der neben der Adressatin auch an Die Deutsche Welle – Anstalt des öffentlichen Rechts, den Deutschen Journalistenverband, ver.di, Fachbereich 8 Medien, Kunst und Industrie und die WILL MEDIA GMBH, sowie die Redaktionen von ARD, WDR und SWF geht.
Quelle: Aktive Erwerbslose in Deutschland (AEiD)
Dazu schrieb uns eine Leserin aus Hamburg:
„Ich möchte Ihnen gern einen ergänzenden Literaturhinweis mit der Bitte um Veröffentlichung auf Ihren “Nachdenkseiten” geben: Mit Interesse habe ich nämlich Ihren heutigen (27. Mai 2008) Hinweis auf einen Handelsblatt-Artikel gelesen, der eine neue Studie von Raj Chetty (University of California, Berkely) zu den Anreizeffekten des Arbeitslosengeldes vorstellt. Tenor der Studie: Ein niedriges Arbeitslosengeld nutzt niemandem, weder den Betroffenen noch der Gesellschaft. Interessanterweise kommt eine Studie in den WSI-Mitteilungen 4/2008, von der eine inhaltliche Zusammenfassung auch im Internet verfügbar ist, zu einem ähnlichen Ergebnis: Ein adäquates Arbeitslosengeld erlaubt längere Suchphasen, führt zu einem besseren “matching” zwischen Arbeitsuchenden und offenen Stellen und verlängert die Dauer der nachfolgenden Beschäftigungsverhältnisse. Die Gefahr unnötig langer “Suchphasen” der Arbeitslosen bei “zu hohem” Arbeitslosengeld werde meist überschätzt, denn die meisten Arbeitslosen wüssten, dass eine zu lange Arbeitslosigkeitsdauer ihre Wiedereinstellungschancen verschlechtert (Qualifikationsverlust; Vermutung geringer Motivation bei potenziellen Arbeitgebern) und das zukünftig zu erzielende Einkommen vermindert. Die genannte Studie zeigt zudem theoretisch und mit einem internationalen empirischen Literaturüberblick, dass auch die weit verbreitete Behauptung negativer Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf die Beschäftigung schlicht falsch ist. Titel dieser rundum empfehlenswerten Studie: Günther Grunert, Arbeitsmarktinstitutionen und Arbeitslosigkeit, WSI-Mitteilungen 4/2008, S. 191-197.“
In der hohen Sparquote kommt Experten zufolge die Sorge vor einem Ende des Aufschwungs zum Ausdruck. „Die Bürger sparen für schlechtere Zeiten“, sagte der Konjunkturexperte des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Peter Hohlfeld. Außerdem sorge ein wachsender Teil der Deutschen privat fürs Alter vor, etwa mit der Riester-Rente. Auch das treibe die Sparquote.
Quelle: Handelsblatt
Dazu die Aktion:
Keine Lobbyisten in Ministerien!
In vielen Bundesministerien arbeiten Wirtschafts-Lobbyisten, getarnt als Beamte. Ihr Gehalt beziehen sie von großen Konzernen wie BASF, Daimler und Deutscher Bank. Sie stricken Gesetze im Interesse ihrer Unternehmen – anstatt zum Wohl von uns Bürger/innen. Die Bundesregierung will die Lobbyisten in den Ministerien behalten. Wir protestieren dagegen – machen Sie mit! Senden Sie eine Protest-Mail an Ihren Bundestags-Abgeordneten!
Quelle: LobbyControl
Dazu schrieb Leser Udo Brechtel an WiSo:
„Die in der WISO-Sendung vom 26.05.08 von Herrn Peter Gottfried vorgestellten Zahlen zu den Steuersätzen sind irreführend und teilweise völlig unzutreffend. Weiteres habe ich in dem beigefügten Zuschauerbrief (mit anl. Steuertabelle) ausführlich dargestellt. “
Quelle 1: Brief-ZDF [PDF – 193 KB]
Quelle 2: Steuertabelle [PDF – 19,8 KB]
Im Bericht wird eingeräumt, dass die Studierquote von Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten von 62% auf 50% gesunken ist. “Hier zeigt sich die Auswirkung der Studiengebühren ganz deutlich. Die Studierquote ist nur bei Kindern aus akademischem Elternhaus stabil geblieben. Studiengebühren verschärfen die ohnehin schon fatale soziale Zusammensetzung der Studierendenschaft weiter”, erklärt Regina Weber, ebenfalls Mitglied im fzs-Vorstand.
Quelle: freier zusammenschluss von studentinnenschaften fzs
Auszüge aus dem kritisierten Bericht:
Die Bruttostudierquote der Studienberechtigten ist zwischen 2004 und 2006 in Baden-Württemberg gesunken, von 68% auf 63%. Während jedoch die Studierquote der Akademikerkinder stabil geblieben ist (von 76% auf 74%), ist die der Kinder aus Nicht-Akademikerhaushalten von 62% auf 50% abgesunken. Dies ist ein erster Hinweis auf eine sozialgruppenspezifische Selektion, die durch die unmittelbar bevorstehende Einführung von Studiengebühren verstärkt worden ist. Auch unter den bereits Studierenden ist eine generelle Abneigung gegenüber Studiengebühren zu vermelden: In Baden-Württemberg sind 62%, bundesweit 67% der Studierenden ablehnend gegenüber Studiengebühren eingestellt.
Bezüglich des Hochschulzugangs könnten sich möglicherweise bis zu 7% weniger der Studienberechtigten für ein Studium entscheiden. 4% erwägen einen Verzicht auf ein Studium, ca. 3% denken über einen Wechsel nach.
Bei den Studienanfängern ergeben sich folgende Veränderungen:
Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob die Einführung der Studiengebühren für diese Rückgänge kausal ist.
Für eine Kausalität spricht unter anderem, dass in den letzten Jahren die Zahl der Studienberechtigten permanent angestiegen ist und auch weiter anwachsen wird, hiermit jedoch entgegen den Erwartungen sich eine abnehmende Tendenz der Studienanfängerzahlen fortgesetzt hat.
Aus Studiengebühren wurden im Sommersemester 2007 ca. 90.000.000€ eingenommen. Die Zahl der in gebührenpflichtigen Studiengängen immatrikulierten Studierenden beläuft sich auf rund 212.000. Hiervon wurden rund 38.000 Studierende aufgrund von Ausnahmen, Befreiungen und Erlasse („Freistellungen“) von den Studiengebühren freigestellt; die Zahl der Gebührenzahler beträgt rund 174.000.
Im Wintersemester 2007/2008 hat es 2037 Anträge auf Bewilligung des Studiengebührenkredits gegeben.
Es lässt sich feststellen, dass von Seiten der Studierenden generell versucht wird, keine Darlehen aufzunehmen. Die Verschuldensbereitschaft der Studierenden wurde möglicherweise bei der Einführung der Studiengebühren überschätzt.
Quelle: Monitoring-Beirat Studiengebühren Zwischenbericht vom 26. Mai 2008 [PDF – 512 KB]
Anmerkung WL: Als die Studiengebühren eingeführt wurden, gab es bei den Befürwortern nur positive Aussagen über deren Wirkung. Wenn man diese Versprechen mit den vorsichtigen und relativierenden Aussagen des Zwischenberichts vergleicht, dann kann man der Kritik des fzs nur zustimmen.
Siehe dazu:
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3242