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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 9. April 2008 um 9:15 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung WL: Diese euphorische Meldung ging durch nahezu alle Medien. Leider hat von den Urhebern dieser Meldung niemand hinzugefügt, dass es auch mehr als 6 Millionen „Arbeitslosengeld-Empfänger/innen“ (Alg I und Alg II), darunter mehr als 3 Millionen (50,7%) registrierte Arbeitslose gibt.
Was zur Statistik noch dazu gehört:
Merke: Eine halbe Wahrheit kann eine ganze Lüge sein.
Anmerkung KR: Außerdem schmückt man sich hier mit fremden Federn, siehe der Kommentar von Wolfgang Lieb vom 16.10.2007: „Kaum ein Ökonom bestreitet den Zusammenhang des aktuellen Rückgangs der Arbeitslosigkeit und der relativ geringen Zunahme an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung mit dem derzeitigen, leichten konjunkturellen Aufschwung.“
Anmerkung: Das neoliberale Wirtschaftsdogma zeitigt eben weltweit die gleichen Konsequenzen: die Ungleichheit nimmt zu, Umverteilung von unten und von der Mitte nach oben.
Dagegen:
Zapatero verspricht Sofortprogramm für Wirtschaft
Bei seiner Wiederwahl will der spanische Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero ein Konjunkturprogramm zur Ankurbelung der schwächelnden Wirtschaft auflegen. Seine Prognosen für die nächsten Jahre sind düster. Nach einer Prognose der Zentralbank wird die Wachstumsrate 2008 nur noch 2,4 Prozent betragen.
Quelle: Handelsblatt
Anmerkung: Wie das? Der Wirtschaftsweise Rürup hält 1,7 bis 1,9 Prozent Wachstum in Deutschland für „robust“ und „gut“. In Spanien dagegen gelten 2,4 Prozent Wachstum als „düstere Prognose“. Ein fast so hohes Wachstum wie zu unseren angeblichen „Boomzeiten“ der letzten Jahre ist in Spanien also Anlass für ein Konjunkturprogramm – was in Deutschland als völlig abwegig gilt.
Dazu noch:
Ich werde belogen und betrogen!
Es ist unerträglich, wie meine Generation bei der Rente belogen und betrogen wird!
Kein Politiker hat den Mumm, uns die Wahrheit über das kranke Rentensystem zu sagen oder eine echte Reform mit deutlich mehr Eigenverantwortung anzuschieben.
Quelle: Bild
Anmerkung: Selbst für die Bild-Zeitung ungewöhnlich: Gleich mit zwei Kommentaren wettert Bild gegen die läppische Rentenerhöhung um 1,1 Prozent, hetzt die Jungen gegen die Alten auf und macht Propaganda für die private Vorsorge.
Wie die Leser dabei belogen und betrogen werden, lässt sich schön an dem einzigen begründeten Satz im Kommentar von C. Martin belegen: „Seit dem Pillenknick war abzusehen, dass es immer weniger Junge geben würde, die für die Senioren sorgen könnten. Private Vorsorge war das Naheliegende“ schreibt er. Der Pillenknick ist unbestreitbar, aber was hat er mit der seit Jahren laufenden faktischen Senkung der Renten zu tun. Wir haben derzeit die Generation der Babyboomer im Erwerbsleben (siehe weiter unten Anmerkung AM), bis 2012 wird z.B. die Zahl der Studierenden um 40 Prozent zunehmen. Die Rente ist in Finanzierungsschwierigkeiten gekommen, weil wir seit Jahren Massenarbeitslosigkeit haben und nicht weil es weniger Junge gibt, die für die Senioren sorgen könnten. Dass private Vorsorge das „Naheliegende“ sei, soll schlicht davon ablenken, dass keine vernünftige Wirtschaftspolitik betrieben wurde, die wieder zu mehr Beschäftigung führte, und stattdessen nur an den Symptomen kuriert und die gesetzliche Rente ruiniert wurde.
Dann kommt auch noch der frühere Pressesprecher der Allianz, Oliver Santen, zu Wort, der ansonsten regelmäßig die Schrumpf-Renten-Kampagnen in der BILD betreut. Santen muss entweder unter einer Bewusstseinsspaltung leiden, oder er ist eben ein reiner Zyniker. Jemand der über Jahre hinweg die gesetzliche Rente kaputtgeredet und die private Vorsorge propagiert hat und somit die Rentensenkungspolitik selbst massiv vorangetrieben hat, beklagt sich nun darüber, dass er selbst nur „eine mickrige Basisrente“ bekomme. Er beklagt sich darüber, dass er sie „voll versteuern“ müsse, ohne zu erwähnen, dass diese zusätzliche Belastung der Rentner eingeführt wurde, damit die Jüngeren die Rentenbeiträge von den Steuern absetzen können. Einmal ganz davon abgesehen, dass – wegen des Steuerfreibetrags – kein Rentner für eine „mickrige Basisrente“ Steuern bezahlen muss. Er beklagt sich, dass er bis 67 arbeiten soll, und das obwohl die Bild-Zeitung einer der Hauptpropagandisten der Rente mit 67 war.
„Ich zahle heute mit die höchsten Beiträge“ schreib Santen. Zahlt Santen mehr als die 19,9 Prozent wie alle anderen?
Nein, Herr Santen, Sie hetzen die Jungen gegen die Alten, sie wollen aus schierem Egoismus die Alten in die Armut treiben.
Bild spaltet systematisch die Gesellschaft, hetzt Junge gegen Alte, hetzt Arbeitnehmer gegen Arbeitslose, und das alles nur um einen Systemwechsel von der solidarischen zur Ellenbogengesellschaft herbeizuschreiben.
Dazu:
Kapitulation vor der Macht der Rentner
Juristisch ist es in Ordnung, die Rentner zu bedienen, wahltaktisch ist es vielleicht sogar sinnvoll. Aber es ist weder gerecht noch fair, was die Große Koalition da vor lauter Angst vor den Grauen macht. […]
Quelle: Link zur vollständigen Meldung bei tagesschau.de
Anmerkung eines NDS-Lesers: Die Hetze geht weiter. Wenn ich daran denke, dass die Verbreitung dieser Meinung mit Rundfunkgebühren honoriert wird, sollte man alle Rentner auffordern, ihren Fernseher für 3 Monate abzumelden.
Ergänzung AM: Nicht nur alle Rentner, alle Jungen auch. Denn die meisten der Jüngeren ticken noch einigermaßen richtig und wissen zum Beispiel:
Die Relation von Alt zu Jung ist nicht das Problem, die hat sich auch schon im letzten Jahrhundert kräftig verschoben. Zwischen 1900 und 2000 ist die Lebenserwartung um 30 Jahre gestiegen. Bis 2050 werden es zwischen 6 und 9 Jahre mehr sein. Siehe zur Relation von Jung und Alt auch die Abbildung unten.
Heute haben wir eine exzellente Relation von Jung zu Alt. Fast 53 Mio. im arbeitsfähigen Alter zu 15 Mio. über 65 Jahren.
Das Problem sind die hohe Arbeitslosigkeit, die Verringerung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse von 30 Mio. 1990 auf unter 27 Mio. heute, das Abdrängen in den Vorruhestand und die schlechte Konjunktur.
Die meisten Einlassungen des SWR-Redakteurs der Tagesschau sind im übrigen nachgeplappertes Zeug, fast gleichlautend in anderen Medien wie z.B. BILD, SZ und WAZ. Was zu der kleinen Rentenerhöhung geschrieben wird, ist ein Musterbeispiel an gleichgeschalteter Meinungsmache. Vermutlich lassen sich Berliner Korrespondenten inzwischen reihenweise die Linie von den Lobbyorganisationen und PR-Agenturen der Versicherungswirtschaft in den Block diktieren.
Anmerkung: Was soll daran eigentlich „sozialverträglich“ sein, wenn keinerlei soziale Abfederung erfolgt, als dass man zu einer Bank geht und sich mit einem individuellen Darlehen zu banküblichen Zinsen verschuldet? Was ist daran „sozialverträglich“ dass man als Darlehensnehmer darüber hinaus noch zu über einem Fünftel der Darlehenssumme einen Ausfallfonds finanzieren muss? Mit diesem Ausfallfonds als einer Zwangsabgabe finanzieren die Gebührenzahler das angeblich sozialverträgliche Studiendarlehen. Die Studiengebührenzahler und nicht etwa die Abnehmer der Studierenden, also die Wirtschaft oder die Gesellschaft allgemein, finanzieren also die angebliche Sozialverträglichkeit selbst.
Diese Sonderabgabe zur Absicherung des Kreditausfallrisikos hält der Präsident des Bundesfinanzhofs für verfassungswidrig. Im Hessischen Gesetz hat man das deshalb in letzter Minute korrigiert.
Man stelle sich doch nur einmal vor, die Volksbanken oder die Sparkassen würden die Handwerker zu einem Ausfallsfonds für notleidende Kredite anderer Handwerker heranziehen.
Anmerkung: Wir hatten in den NachDenkSeiten auf einen kritischen Artikel von Daniela Dahn im Freitag verlinkt und dazu auch auf die Probleme innerhalb der Redaktion hingewiesen (Hinweise v. 28.3.08 Ziff. 11). Das hat uns böse Briefe eingebracht. Wir haben uns nochmals rückversichert und bleiben bei unserer Anmerkung.
Allerdings werden wir die Sendung über politische Literatur unter dem neuen Titel „Andruck“ kritisch verfolgen und darauf achten, ob dort „Weichspüler-Journalismus“ Einzug hält. Nach der ersten Sendung wollen wir uns noch kein Urteil erlauben.
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