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Titel: Kurt Beck versucht nachzulegen

Datum: 13. März 2008 um 8:56 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, SPD, Wahlen
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Nachdem im Willy-Brandt-Haus in Berlin offenbar bemerkt worden ist, dass der Pressauftritt Kurt Becks nach seiner Krankheit gründlich daneben gegangen ist, dass der Parteivorsitzende, das was die SPD-Führung will, mehr verkleistert als verklart hat, sieht man sich offenbar in der Parteizentrale veranlasst, nachzubessern. Doch wo nichts ist, lässt sich nicht viel verbessern. Wir kommentieren den Brief. Wolfgang Lieb

Anrede,
nach den zumeist sehr erfolgreichen Landtagswahlen in diesem Jahr müssen wir uns darauf einstellen, dass auf längere Sicht fünf Parteien in die meisten Parlamente gewählt werden. Die alten „Lager“, schwarz-gelb und rot-grün, können dadurch oftmals keine eigenen Mehrheiten mehr gewinnen. Unsere Gegner hätten gern, dass die SPD dadurch eingemauert wird, um jede Perspektive für eine Politik der linken Mitte, der solidarischen Mehrheit zu verhindern. Man will erreichen, dass wir nur die Wahl zwischen großen Koalitionen und der Oppositionsrolle haben. Die SPD-Hessen ist die erste im Westen, die dieser Situation ausgesetzt ist.
Im Interesse unserer Ziele – nämlich ein soziales Deutschland zu schaffen, in dem wirtschaftlicher Erfolg, ökologische Vernunft und soziale Gerechtigkeit gleichwertig sind – müssen wir unsere Strategie darauf einstellen.

Anmerkung: „Zumeist sehr erfolgreiche Landtagswahlen“? In Hamburg hat die SPD zwar um 3,6 Prozent auf mäßige 34,1 Prozent zugelegt und ist auf ihr zweitschlechtestes Ergebnis gekommen. In Niedersachsen ging der Niedergang weiter: die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis aus dem Jahr 2003 nochmals um 3,1 % unterboten und kam nur noch auf 30,3 % Prozent der Stimmen. In Hessen hat die als glaubwürdiger und sympathischer eingeschätzte Andrea Ypsilanti die SPD mit 36,7 % im „sozialdemokratischen Kernland“ (Koch) um 7,8 % von ihrem schlechtesten auf ihr zweitschlechtestes Ergebnis wieder etwas hochgezogen. Die Schönrednerei der Wahlergebnisse geht wie unter Schröder und Müntefering bei den vorausgegangen rund ein Dutzend Wahlniederlagen also munter weiter. Keine Analyse, warum die Ergebnisse mies bleiben, offenbar auch kein Grund zur Korrektur des eingeschlagenen politischen Kurses, keine Konsequenz daraus, dass gerade eine Kritikerin der Agenda am meisten Stimmen zurückgeholt hat. Und gerade die erfolgreichste Wahlkämpferin hat nun die SPD-Rechte an die Wand laufen lassen, besser gesagt gegen die Wand geschleudert.

Man begnügt sich mit der kaum unterfütterten Werbeformel „wirtschaftlicher Erfolg, ökologische Vernunft und soziale Gerechtigkeit“.
Immerhin wird erkannt, dass es dem „bürgerlichen Lager“ durch seine Kampagne gegen die Linke und gegen Ypsilanti gelungen ist, die SPD einzumauern und ihr jede Machtperspektive zu nehmen. Siehe „SPD im politischen Schachmatt“

Das setzt die Frage nach der Partei „Die Linke“ auf die Tagesordnung. Ein emotionales Thema, schließlich ist diese Partei gegen die SPD gebildet worden und die historische Erbin von KPD und SED. Noch immer wissen wir nicht, ob sie inzwischen auf allen ihren Ebenen den Grundwert der Freiheit ohne Wenn und Aber akzeptiert.

Anmerkung: Liegt es nicht an der Agenda-Politik der SPD selbst, dass die Linke – jedenfalls im Westen – „gegen die SPD gebildet“ werden konnte. Über Jahre hat eine sozialdemokratisch geführte oder mitgeprägte Bundesregierung – geradezu eine Lust an Zumutungen zur Schau getragen, ohne den Menschen nachvollziehbar zu erklären, welchen Nutzen diese für sie und ihre Kin­der haben sollten. Sie haben nur beim Blick auf ihren Geldbeutel erfahren, dass eine große Mehrheit bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Opfer abverlangt wurden, während es der Wählerklientel der Konservativen und Liberalen Jahr für Jahr besser ging und die Vermögenden sich immer schamloser bedienen konnten und dabei noch von der Politik hofiert und unterstützt wurden. Die SPD hat eine politische Leerstelle zurück gelassen, in die früher oder später eine politische Kraft eindringen musste. Solange sie nicht begreift, dass – wie alle Umfragen beweisen – die Menschen soziale und solidarische Sicherheit wollen, dass soziale Sicherheit nach wie vor einen hohen Wert in der Gesellschaft hat, werden der SPD auch künftig ein Teil der Wählerinnen und Wähler (und Mitglieder) zur Linken davon laufen, die wenigstens auf diese Werte hinweist – egal ob ihre Forderungen erfüllbar sind und egal ob diese Partei ein geschlossenes Programm hat. Der SPD ist in jüngerer Vergangenheit schon einmal ein Flügel abgebro­chen: als sie viel zu lange das wachsende Umweltbewusstsein ignoriert und die Chancen eines Miteinanders von Ökonomie und Ökologie für dummes Zeug gehalten hat. Als sie nach dem Entstehen und Erstarken der Grünen auf den Zug aufspringen wollte, war es zu spät – zumindest, um die Grünen wieder aus der Parteienlandschaft zu verdrängen.

Auch den Grünen wurde doch eine „kommunistische“ Vergangenheit (Trittin, Sager) vorgehalten, ja sogar dass sie ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt (Joschka Fischer) hätten und die Ausgrenzung hat schon damals nichts genutzt. Der Verweis auf die Linke als „historische Erbin von KPD und SED“ hat doch – auch wenn die Medien noch so sehr darauf eindreschen – angesichts einer Bundeskanzlerin die in der FDJ war, nur noch etwas Bemitleidenswertes. Glaubt wirklich noch jemand, dass junge Leute zwischen 20 und 30 – wenn sie nicht der BILD-Zeitung auf den Leim gegangen sind – damit noch erschreckt werden könnten. Zumal es nun wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt, dass dort, wo die Linken oder damals noch die PDS in Regierungsverantwortung steht oder gestanden ist, also in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt, sie die Mauer errichten oder die Stasi wieder einführen wollten.

Nun stellen sich viele Fragen. Die wichtigsten habe ich gesammelt und will sie hier beantworten:

Worin siehst Du den Grund für das Erstarken der „Linken“ auch in den alten Bundesländern?

„Es gibt große Angst in der Mitte der Gesellschaft vor sozialem Abstieg und es gibt zu wenig Chancen auf sozialen Aufstieg. Die Kanzlerin behauptet, der Aufschwung sei bei allen angekommen. Das ist nicht so. Eine Partei, die allen Alles verspricht, ohne Verantwortung zu übernehmen, erscheint da manchem interessant.

Anmerkung: Diese Einsicht ist richtig. Aber wie soll die Linke „Verantwortung“ übernehmen, wenn man sie ausgrenzt? Die SPD müsste erkennen, dass die Linke nicht deswegen Zulauf hat, weil die Leute davon überzeugt sind, dass sie die richtigen Antworten hat, sie findet deswegen Zulauf, weil die Leute der Meinung sind, dass sie den Finger in die Wunden legt und Gysi oder Lafontaine es den anderen endlich mal gibt.

Wir müssen dem mit unserer Politik begegnen, die 1 Mio. Arbeitsplätze ermöglicht hat. Mit dem Mindestlohn und dem Deutschlandfonds werden wir Lohndumping verhindern und die Menschen am Erfolg beteiligen.“

Anmerkung: Abgesehen, davon dass es nur Wenige gibt, die nachvollziehen können, dass Hartz, Rente mit 67 oder Mehrheitssteuererhöhung zur Unternehmensteuersenkung Arbeitsplätze ermöglicht haben, die Menschen erfahren doch durch das tägliche Hick-Hack über den Mindestlohn in der Großen Koalition täglich, dass dieses Ziel mit der CDU oder auch mit der FDP nicht zu erreichen ist. Mit wem will also die SPD den Mindestlohn durchsetzen? Wo bleibt ein klares Wort, dass Kapitalbeteiligungsmodelle wie der „Deutschlandfonds“ nur zusätzlich zu den auch ökonomisch gebotenen Lohnerhöhungen Sinn machen? Wo bleibt ein wirtschaftspolitisches Konzept der SPD, das die Konjunktur fördert, die Wirtschaft wachsen lässt und Arbeitsplätze, höhere Löhne und eine höhere Rente ermöglicht?

Warum haben wir es nicht geschafft, die Strömungen in der SPD zusammenzuhalten und zu verhindern, dass eine Partei links von der SPD entsteht?

„Die Partei war ja schon da, es ist die vormalige PDS bzw. SED. Wir haben einen jahrelangen Reformstau in Deutschland aufgelöst, um den Sozialstaat zukunftsfest zu machen. Dafür waren harte und unpopuläre Entscheidungen notwendig. Das ist gelungen.

Anmerkung: Das mit dem Reformstau ist dasselbe Gerede, wie es auch von den Arbeitgeberverbänden zu hören ist. Die Reformen, die den Stau aufgelöst haben sollen, haben den Leuten in die Taschen gegriffen (Mehrwertsteuer, Senkung der Pendlerpauschale, weniger Sparerfreibetrag, Kürzung der Feiertags- und Nachtzuschläge, Kindergeld nur noch bis zum 25. Lebensjahr, Versteuerung der gesetzlichen Rente, höhere Krankenkassenbeiträge trotz Gesundheitsreform, Rente mit 67 und und und). Ist damit der Sozialstaat zukunftsfest geworden? Was hat das der großen Mehrzahl der Arbeitnehmer gebracht? Ja, das waren harte und unpopuläre Entscheidungen, dass aber harte Entscheidungen „gelungen“ sind (und das, siehe Hartz, auch noch handwerklich schlecht gemacht), dürfte die Betroffenen nur wenig trösten.

Nicht gelungen ist jedoch, alle Menschen davon zu überzeugen. Die Linkspartei ist mit einfachen Antworten in diese Lücke gestoßen, die in der Realität allerdings keinen Bestand hätten. Deren Rentenpolitik zum Beispiel würde die Beiträge bis zum Jahr 2030 auf 28% hochtreiben.“

Anmerkung: Wie will man auch Menschen überzeugen, wenn man ihnen nur Opfer abverlangt, ohne dass sie erkennen, dass es ihnen oder ihren Kindern dadurch auch nur perspektivisch besser geht. Ja, genau in diese Lücke zwischen Versprechungen und Erfahrungen ist die Linke hineingestoßen. Viele Menschen erleben eine „Realität“, mit der sie unzufrieden sind. Ob die einfachen Antworten Bestand hätten, interessiert sie zunächst nicht, sie wollen, dass sich die bestehende „Realität“ verbessert. Auch ob die Rentenpolitik die Beiträge bis 2030 auf 28 % Prozent hochtreiben würden, kann junge Leute, die eins und eins zusammenzählen können, nicht besonders erschrecken, sie zahlen bei dem derzeitigen Rentenbeitragssatz von 19,9 % knapp 10 % von ihrem Brutto und wenn sie „riestern“ , zahlen sie nochmals 4 % von ihrem Brutto. Das sind für die Arbeitnehmerseite schon 14 Prozent, also die Hälfte von 28%, sie haben also diesen Anteil schon jetzt erreicht. Nur der Arbeitgeberanteil ist bei 10 % gedeckelt. Und dass diejenigen, die sich die Riester-Rente nicht erlauben können, in der Gefahr stehen, trotz Arbeit nicht mehr als die staatliche Grundsicherung zu erreichen, ist eine Zukunftsaussicht von der von deren Wünschbarkeit man die Betroffenen wohl kaum überzeugen kann.

Warum macht die SPD einen Unterschied in der Abgrenzung zur Partei Die Linke zwischen Ost- und Westdeutschland?

Es gibt solche Unterschiede, die sehr viel mit dem Personal dieser Partei zu tun haben. Während sie in Berlin – wie früher in Schwerin und Magdeburg – mithelfen, eine stabile sozialdemokratische Landesregierung zu bilden (Siehe oben), zerlegt sich die 6-köpfige Fraktion in Bremen z.B. in verschiedene „Flügel“, die einander erbittert bekämpfen. (Ist das in der SPD inzwischen so viel anders?) Wichtig ist mir, dass wir unsere Politik nicht in Abgrenzung zu anderen Parteien definieren, sondern selber wissen, was wir für richtig halten. Dieses Ergebnis des Hamburger Parteitages dürfen wir uns nicht zerreden lassen!

Anmerkung: Das ist richtig. Nur wo hat die SPD im Chaos der letzten Wochen um Inhalte gekämpft? Wo ging es in Hessen oder auf der Pressekonferenz von Kurt Beck um Inhalte. Es ging doch nur um Parteikonstellationen und Koalitionen. Kennt irgendein Bürger das Hamburger Grundsatzprogramm? Und müssen selbst Parteigenossen nicht den Eindruck gewinnen, dass etwa der Beschluss zur Privatisierung der Bahn nun auch noch mit der Autorität des Parteivorsitzenden in einer Arbeitsgruppe umschifft, wenn nicht gar unterlaufen werden soll. Wer zerredet eigentlich das Modell der Volksaktie? Ist es nicht Tiefensee oder Steinbrück?

Ist die Partei der so genannten Linken so schwer zu akzeptieren, weil sie auch aus der Kritik an der SPD hervorgegangen ist?

Ja, natürlich. Mit Kritik können wir umgehen. Das Problem mit der Linkspartei besteht darin, dass sie es sich so einfach macht. Sie gibt vermeintlich einfache Antworten auf die Probleme der Menschen, obwohl sie selber weiß, dass sie vor der Wirklichkeit nicht bestehen können. (Dieser Satz wird, selbst wen er noch so oft wiederholt wird, nicht zielführender. Siehe oben) Überall dort, wo sie in der Regierung ist, bleibt sie folglich meilenweit von ihren Ankündigungen entfernt. (Und wie weit blieb die SPD von ihren Wahlversprechen entfernt?) Mit ihren Anträgen im Bundestag wären zum Beispiel Mehrkosten von 154,7 Mrd. € verbunden.

Anmerkung: Mit den Mehrkosten von 154,7 Milliarden Euro greift Kurt Beck auf einen alten Ladenhüter zurück, der schon damals nicht als seriös betrachtet wurde, nämlich das Argumentationspapier der SPD-Fraktion vom August 2007. Siehe dazu meine Kritik von damals. Hat eigentlich in der SPD schon jemand nachgerechnet, wie durch die Unternehmenssteuerreformen, die Senkung des Spitzensteuersatzes, durch die Streichung der Vermögensteuer, durch Nichtstun gegen Steueroasen, durch das Laufenlassen von neuen Vorteilen wie Aktienoptionen, durch die Befreiung von Steuern auf Veräußerungsgewinne bei Verkauf von Aktienpaketen von Unternehmen und Unternehmensteilen und und und der Staat so arm gemacht worden ist, dass das, was bis vor wenigen Jahren noch bezahlbar war und was die Linke heute fordert, nun nicht mehr finanzierbar ist.
Wird nicht selbst bei der „Reform“ der Erbschaftssteuer wieder Aufkommensneutralität angestrebt, obwohl in den nächsten Jahren so viel (leistungslos erworbenes) Vermögen vererbt wird, wie nie zuvor in der deutschen Geschichte.

Wie soll man als Sozialdemokrat und Menschenrechtler mit einer Linken à la Sahra Wagenknecht bei einer Podiumsdiskussion über Demokratie in der Welt einen Konsens erreichen? Wie stellst Du Dir das vor?

Einen Konsens wird es da sicher auch nicht geben. Gerade deshalb müssen wir uns in der Sache mit dieser Partei kritisch auseinandersetzen. Es ist unmöglich, sich mit dieser Partei gemein zu machen. Und das will auch niemand! NATO-Austritt und Ablehnung des EU-Vertrages würden uns in Europa und weltweit isolieren; mit ihren abenteuerlichen Ausgaben würden die Sozialsysteme ruiniert werden. Deshalb kommt die „Linke“ als Partner im Bund nicht in Betracht.

Anmerkung: Richtig, einen Konsens wird es mit Sahra Wagenknecht nicht geben. Aber wo blieb in der SPD überhaupt eine Debatte über den EU-Reformvertrag oder wer hat in der SPD gegen die jüngsten Forderungen des Nato-Generalsekretärs nach einem verstärkten Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan Widerspruch eingelegt. Dagegen war sogar die Kanzlerin noch mutiger.

Die SPD wird von der Verdachtskampagne auch im Bundestagswahlkampf nie loskommen, die Konservativen werden die Parole „Freiheit statt Sozialismus“ bis zur Neige auskosten. Und die Ausgrenzungsargumente der SPD werden nicht dadurch glaubwürdiger, dass man sich gegen die Linke nur negativ abgrenzt, aber zur Nato oder zum EU-Vertrag keine eigenständige Position vertritt. (Wie Schröder, jedenfalls zunächst und im Grundsatz, beim Kriegseinsatz im Irak. Auch da wollten doch die Amerikaner die Nato an die Front schicken.)

Vorausgesetzt, wir kommen an Gesprächen mit der Linken nicht vorbei, wie gehen wir mit ihr um, wenn Oskar Lafontaine noch Mitvorsitzender ist?

Wir wollen die Linkspartei in der Sache stellen, wie es sich für Demokraten gehört– auch mit Herrn Lafontaine. Aber ein Partner wird er für uns sicher nie mehr werden.

Anmerkung: Wer in der Sache stellen will, muss erst einmal sagen, was Sache ist. Und was passiert, wenn im Saarland Oskar Lafontaine die SPD einholt?

Vor den Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Hamburg hast Du eine Zusammenarbeit mit der Linken abgelehnt. Jetzt heißt es, die SPD begehe Wortbruch. Was kann ich dem entgegenhalten?

In Hessen hat sich das gesamte Parteiensystem gegenseitig blockiert. Es ist unsere Aufgabe als SPD im Interesse des Landes und unserer Wähler zu handeln. Die CDU und Roland Koch sind mit zweistelligen Verlusten abgewählt worden. Die hessischen Wähler wollen einen Neuanfang – in der Bildungspolitik, der Sozialpolitik und vor allem in der politischen Kultur des Landes. Es ist aufgrund des Wählervotums und der Blockadehaltung insbesondere der FDP bisher nicht möglich, alles genauso zu machen, wie wir es uns vorgenommen haben. In dieser Lage müssen wir der hessischen SPD die Entscheidung überlassen, wie sie für Hessen eine neue, stabile Landesregierung bilden kann. Andrea Ypsilanti hat die Möglichkeiten ausgelotet und wird nun im Landtag die geschäftsführende Restregierung Koch mit sozialdemokratischer Politik stellen.

Welchen Beitrag kann die Basis leisten, dass die SPD nicht als widersprüchlich wahrgenommen wird?

Wir müssen klar und selbstbewusst für unsere Regierungserfolge und die auf unserem Parteitag in Hamburg beschlossene Politik werben. Nur die SPD will und kann wirtschaftlichen Erfolg und ökologische Vernunft mit sozialer Gerechtigkeit verbinden.

Anmerkung: Das mit den Regierungserfolgen wird nicht leicht werden. Siehe oben. Was hilft es der SPD mit der in Hamburg beschlossenen Politik zu werben, wenn die SPD-Rechte, die Fraktion und vor allem die Regierungsmitglieder für jeden erkennbar machen, dass sie mit diesen Beschlüssen nichts oder allenfalls notgedrungen etwas am Hut haben?

Wenn es neben der CDU/FDP eine linke Mehrheit gibt, sollte sie nicht genutzt werden?

Die SPD nimmt ihre Verantwortung für unser Land ernst. Deshalb kann es 2009 keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Bundesebene geben. In den Ländern muss diese Frage von Fall zu Fall – mit Blick auf Programm und handelnde Personen der anderen Parteien – abgewogen werden.

Anmerkung: Siehe oben.

Wo bestehen große Disparitäten? Wo könnte es zu einer Zusammenarbeit kommen? Sind aus Deiner Sicht Unterschiede zu machen zwischen Kommunal-, Landes- oder Bundesebene?

Die außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen der Linkspartei würden Deutschland international isolieren. (War die Isolierung nicht exakt das Argument, das Schröder bei der Irakentscheidung von den Konservativen entgegengehalten wurde?)Die Wirtschafts- und Finanzpolitik würde kommenden Generationen einen gigantischen Schuldenberg überlassen. (Siehe oben zu den angeblich 154 Milliarden) Auf Landes- und Kommunalebene gibt es andere Zuständigkeiten. Ob dort Absprachen oder Koalitionen möglich sind, muss in jedem Land und jeder Kommune entschieden werden.

Lassen wir uns von den Schwarzen sagen, mit wem wir koalieren dürfen?

Nein. Ein großer Teil derjenigen, die uns in diesen Wochen mit Kritik überziehen, hätte das aber gerne.

Anmerkung: Da stimme ich Kurt Beck ausdrücklich zu.

Liegt es nicht gerade an der SPD, die Linke in das demokratische System einzugliedern und sie durch eine Zusammenarbeit moderater mitzugestalten? Sollte sie nicht so behandelt werden, wie andere sozialistische Parteien in westeuropäischen Ländern?

Wir haben kein Interesse daran, dieser Partei zu helfen und sie gar zu stabilisieren. Es macht allerdings auch keinen Sinn, so zu tun, als existiere sie – jedenfalls vorübergehend – nicht.

Anmerkung: Auch richtig, aber wenn nicht mehr daraus folgt, wie oben kritisiert, dann hilft man, ohne es zu wollen dieser Partei und stabilisiert sie weiter.

Welcher Teufel hat Dich geritten, die Linkspartei-Debatte eine Woche vor der Hamburg-Wahl loszutreten?

Als SPD-Vorsitzender musste ich der These widersprechen, dass unsere Spitzenkandidatin in Hessen unter keinen Umständen im Landtag kandidieren dürfe. Zu verlangen, dass wir unsere personelle und sachliche Alternative nicht zur Wahl stellen, widerspricht allen parlamentarischen Traditionen. Ich hätte damit rechnen sollen, dass diese Anmerkung in vertraulicher Runde nicht vertraulich bleibt. Diese Irritationen bedaure ich.

Anmerkung: Warum hat Beck nicht einfach zugegeben, dass es ein Fehler war, nicht ausschließlich auf die Inhalte des hessischen Wahlprogramms zu setzen und stattdessen auf die Hoffnung zu setzen, die Linke mittels Ausgrenzung aus dem Landtag herauszuhalten. Wenn er sagt, dass seine Anmerkungen in vertraulicher Runde „Irritationen“ hervorgerufen hätten, dann kann er doch nur jene irritiert haben, die schon immer der Meinung waren, dass Ypsilanti niemals hätte kandidieren dürfen und sich ggf. von der Linken hätte tolerieren lassen dürfen. Der einzige Fehler war, dass er seinen „Strategiewechsel“ nicht offensiv vertreten hat, auch nicht gegenüber seinen Stellvertretern.

Ist die Geschichte entgegen Deiner Hoffnung nach hinten losgegangen?

Mit heftigen Diskussionen musste ich in jedem Fall rechnen. Es ist vor dem Hintergrund auch der jüngsten Geschichte für uns nicht leicht, die Partei ‚Die Linke’ als normalen Konkurrenten in Parlamenten zu akzeptieren. Nur darum geht es. Dass wir geradezu auffordern würden, mit ihr zusammen zu arbeiten, ist eine Unterstellung! Die Beurteilung, ob das möglich oder sogar unvermeidlich ist und der SPD nicht schadet, muss von den Verantwortlichen vor Ort getroffen werden.

Wo steht die SPD in einem Fünf-Parteien-System?

Wir sind die linke Volkspartei und organisieren die solidarische Mehrheit in Deutschland, die eine offene und gerechte Leistungsgesellschaft anstrebt. Um dieser Ziele willen müssen wir offen sein für diejenigen, die mit uns verlässlich für eine starke Wirtschaft, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit sorgen wollen.

Anmerkung: Nun schon zum dritten Mal in diesem Brief diese gestanzte Formel, die ohne inhaltliche Auffüllung bleibt.

Welche langfristige (Neu)Orientierung wird im Verhältnis zur Partei die Linke angestrebt?

Ich erstrebe kein besonderes Verhältnis zu dieser Partei und schon gar kein langfristiges. Sie ist politischer Gegner, wie alle anderen auch. Wir orientieren uns an unseren Grundwerten, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und nicht an anderen Parteien.

Anmerkung: Diese Orientierung müsste nur endlich im praktischen Handeln oder wenigstens in Vorschlägen ihren Niederschlag finden, um ihre Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.

Euer
Kurt Beck

Kater Kurt


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