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Titel: Der Zug der Lemminge – Hochschulen unter dem Druck der Lissabon Strategie

Datum: 31. Juli 2007 um 8:24 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Markt und Staat, Private Public Partnership
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Rückzug des Staates, Wettbewerb, Top-Management kontrolliert von einem Aufsichtsrat, Profilbildung, Evaluierung und Akkreditierung so kann man die die Kriterien zusammenfassen, an Hand deren eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission die Hochulentwicklung der letzten 10 Jahre in 32 Staaten mit einander vergleicht.
Interessant ist dabei, dass dabei wie selbstverständlich und völlig unkritisch ziemlich exakt die „Governance“-Strukturen miteinander verglichen werden, die das Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) der Bertelsmann Stiftung seit Jahren der Wissenschaftspolitik in Deutschland andient.
Auf Kommando der Lissabon Strategie der EU sollen offenbar sämtliche europäischen Staaten und alle Hochschulen ihre bisherigen Paradigmen abwerfen und den Zielvorstellungen der „unternehmerischen“ Hochschule geradezu besinnunglos hinterherjagen. Wolfgang Lieb.

„Im Auftrag der Europäischen Kommission wurden 32 Staaten daraufhin untersucht, wie sich zwischen 1995-2005 sowohl die staatliche als auch die hochschulinterne Steuerung verändert haben. Der Trend geht überall in Richtung von mehr Wettbewerb, Umbau der Hochschulen zu arbeitsteiligen Organisationen mit einem gestärkten Top-Management, Konzentration des Staates auf die strategische Steuerung bei zunehmender operativer Freiheit der Hochschulen, Umstellung auf eine leistungsorientierte Mittelverteilung und eine wachsende Bedeutung der Qualitätssicherung als zentralem Steuerungsmechanismus. Bei der Umsetzung gibt es hingegen noch erhebliche Schwierigkeiten.“ So fasst der Informationsdienst Wissenschaft die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zusammen, welche das CHE gemeinsam mit den Hochschulforschungsinstituten CHEPS (Niederlande), NIFU-STEP (Norwegen) und dem europäischen Zentrum für strategisches Hochschulmanagement ESMU (Belgien), durchgeführt hat.

Was wir auch auf den NachDenkSeiten analytisch aus den verschiedenen neuen Hochschulgesetzen abgeleitet haben, wird in dieser Studie unverstellt und ohne das bei uns zu Land übliche Freiheitspathos voll und ganz bestätigt.

So heißt es etwa in der Zusammenfassung der „Governance“-Reformen [PDF – 1.3 MB] für Deutschland:
„Die Periode von 1995 bis 2005 war eine des grundlegenden Wandels im deutschen Hochschulsystem“. Die Reformelemente seien einheitlich: Umbau in „enterpreneurial“ (unternehmerische) Hochschulen, Deregulierung, erfolgsbezogene Finanzierung, Internationalisierung. Nur in der Umsetzung gebe es zwischen den Ländern noch Unterschiede.
Das föderale System habe aber eine Art Wettbewerb zwischen den Ländern zur Verabschiedung neuer Hochschulgesetze geschaffen. Jedoch folgten die meisten Länder dem gleichen Trend.
So sei die „Autonomie“ der Hochschule gestärkt worden, in dem die Entscheidungsmacht von den Ministerien zu den Hochschulen verlagert, eine leistungsbezogene Finanzierung eingeführt worden sei oder der Druck (pressure) der externen „Stakeholder“ wie der Industrie, der lokalen Politik und des sozialen Umfelds gewachsen sei.
Diesen Zielvorstellungen entsprechend hätten die Hochschulen ihre speziellen Profile und Leitbilder entwickelt. Das strategische Management sei gestärkt worden. Präsidenten und Rektoren seien Top-Manager der Hochschulen geworden mit umfangreicher Macht. Im Gegensatz dazu hätte Gremien wie die Senate oder Fakultätsversammlungen an Einfluss verloren.
Governing Boards (Hochschulräte) seien eingeführt worden, die Aufsichtsfunktionen von den Ministerien übernommen hätten.
Die staatlichen Zuschüsse hingen mehr und mehr vom „Output“ der Hochschulen ab. Die Hochschulräte spielten bei der internen Verteilung der Mittel eine zunehmende Rolle. Überhaupt seien die neu eingerichteten Hochschulräte bei der Strategieentwicklung und beim inneren Management stark involviert. Ihre Macht wachse kontinuierlich.

Als besonders bemerkenswertes Kriterium gilt offenbar auch, dass die meisten Länder Studiengebühren eingeführt haben und Nordrhein-Westfalen die Festsetzung der Höhe der Gebühr sogar den Hochschulen überlasse.
Deutsche Hochschulen agierten mehr und mehr als Arbeitgeber, etwa in dem Leistungsbezüge individuell zwischen dem zentralen Management und dem einzelnen Hochschullehrer ausgehandelt würden.

Das Recht der Hochschulen den Hochschulzugang selbst zu regeln, sei gestärkt worden.

PPP (Private Public Partnership) sei zwar noch relativ neu für deutsche Hochschulen, aber es gebe Anstrengungen des Hochschulmanagements dafür.

Als zusammenfassende Bewertung wird festgestellt.
Am meisten habe der Wettbewerb an Einfluss gewonnen. Die „Managerial Governance“ und die „Stakeholder guidance“ hätten sich verbessert. Staatliche Regulierung und die akademische Selbstverwaltung hätten an Einfluss verloren.
Durch die Föderalismusreform sei die Kompetenz der Länder in Hochschulangelegenheiten gewachsen, das Ergebnis sei ein schärferer Wettbewerb zwischen den Ländern.

Soweit also die Situationsbeschreibung und das „Zeugnis“ dieser Studie.

Bemerkenswert ist, wie auf der Ebene der Europäischen Kommission, ohne dass darüber etwa eine Debatte mit den in Deutschland zuständigen Ländern oder gar mit den Parlamenten stattgefunden hat, ein einheitliches „Governance“-Modell über die gesamte europäische Hochschullandschaft zugrunde gelegt wird.
Es werden wie selbstverständlich die hochschulreformerischen Zielvorstellungen, wie sie etwa vom CHE entwickelt wurden, als Vergleichskriterien herangezogen.
Und es wird im Rahmen der Lissabon Strategie politischer Druck von Brüssel auf die Staaten, die Länder und die Hochschulen ausgeübt, sich diesen Zielvorstellungen unterzuordnen und anzupassen.

Erfreulich an dieser Studie ist eigentlich nur, dass niemand an den Hochschulen mehr sagen kann, er wisse nicht, welche Ziele mit der „unternehmerischen“ Hochschule verfolgt würden. Wer immer noch daran glaubt, dass mit den neuen Hochschulgesetzen mehr Autonomie für die einzelne Hochschule oder mehr „Freiheit“ der Forschung und Lehre für Hochschullehrer und Studierende einkehren würde, den müsste diese Studie eines anderen belehren.
Die über Jahrhunderte gewachsenen Hochschulstrukturen in Europa werden platt gemacht und in eine derzeit vorherrschende (markt- bzw. anreizbezogene und jedenfalls nicht wissenschaftsimanente) Wettbewerbsideologe als „unternehmerische“ Hochschule eingezwängt.
Doch besinnungslos wie die Lemminge rennen zumindest die deutschen Hochschulen dieser Ideologie hinterher.

Die Parallele zur Gleichschaltung der Hochschulen in der Nazi-Zeit drängt sich auf; die Hochschulen scheinen sich als der Vernunft, der Wahrheit und der gesellschaftlichen Emanzipation verpflichteter Hort ein weiteres Mal aufzugeben und blindlings einer eindimensionalen Ideologie eines auf Wettbewerb reduzierten Denkens zu folgen.

Ich wiederhole meine Kritik an diesem Denken:

Nichts gegen Wettbewerb, weder im Sport und schon gar nichts gegen den Wettbewerb zwischen Betrieben und ihren jeweiligen Produkten auf dem Markt. Der Wettbewerb hat zwischen den Marktteilnehmern eine unersetzbare steuernde Funktion. Das Wettbewerbsprinzip jedoch immer mehr auf die Gesellschaft und den Staat und auch auf die Wissenschaft zu übertragen, birgt riesige Gefahren nicht nur für den Zusammenhalt des politischen Gemeinwesens und für die Demokratie insgesamt sondern gerade auch für die Freiheit der Wissenschaft.

Dazu braucht man sich nur einmal kurz auf die Prinzipien oder Motive zu besinnen, die hinter einer wettbewerbsgesteuerten im Unterschied oder sogar Gegensatz zu einer demokratischen (politischen) Gesellschaft oder einer vernunftgesteuerten Institution wie einer Universität stehen.

  • Man wird wohl kaum bestreiten können, dass hinter dem Wettbewerb das Motiv des Eigennutzes steht, während die demokratische Gesellschaft für das Gemeinnützige oder sogar für das Solidarische steht. Auch eine Hochschule hat die verfassungsrechtliche Garantie ihrer Freiheit vor allem aus dem gemeinnützigen Grund der Suche nach Wahrheit unabhängig von an sie herangetragenen eigennützigen Interessen gesellschaftlicher (und vor allem zahlungskräftiger) Gruppen.
  • Wettbewerb richtet sich gegen den anderen Wettbewerber und ist diesem gegenüber tendenziell destruktiv, während die demokratische Gesellschaft und immer auch das Ganze im Auge haben sollte und von daher eher konstruktiv ist. Die Mitglieder der Gesellschaft sind auch füreinander da oder zumindest aufeinander angewiesen. Gerade auch Wissenschaft, so sehr zwischen den einzelnen Wissenschaftlern ein Wettbewerb um die bessere und richtige Lösung eines bisher ungelösten Problems stattfinden mag, ist auf konstruktive, teamförmige Zusammenarbeit angewiesen. Bei der heutigen Großforschung mehr denn je.
  • Wettbewerb lebt von der Konkurrenz, ein demokratisches Gemeinwesen aber auch von der Kooperation. Auch eine gesellschaftliche Institution wie die Hochschule, die scientific community ist auf Kooperation angewiesen.
  • Wettbewerb misst sich am Anderen. Triebkräfte sind also eher extrinsische Motive. Ein demokratisches Gemeinwesen lebt aber auch von der intrinsischen Motivation seiner Bürger, einer Motivation die auch Anreizen folgt, die jenseits der ökonomischen liegen und auch inneren, wertbezogenen Antrieben Raum gibt.
  • Wettbewerb schielt auf den kurzfristigen Erfolg. Ein Staat muss auch die längerfristigen Interessen der Gesamtbevölkerung im Auge haben.
  • Der Wettbewerb schafft äußere, fremdbestimmte Zwänge, Demokratie macht aber Selbstbestimmung oder wenigstens Mitbestimmung aus.
  • Es wird doch geradezu als Kult gepflegt, dass im einzelwirtschaftlichen Wettbewerb immer auch autoritäre Entscheidungen der „Unternehmensführer“ verlangt und erwartet werden, die Gesellschaft, der Staat oder die Länder untereinander, sind jedoch keine einzelwirtschaftlich agierende Unternehmen mit einem Unternehmer oder Managern an der Spitze, sondern sie sind jedenfalls nach unserer Verfassung demokratisch konstituiert.
  • Wettbewerb hält Ungleichheit aus, ja braucht sie geradezu als Antriebskraft, eine Gesellschaft bricht jedoch auseinander, wenn zuviel Ungleichheit herrscht.
  • Wettbewerb ist gewinnorientiert, eine offene demokratische Gesellschaft, die ihre Zukunft gestalten will, verlangt jedoch gerade mehr Spielraum für das Neue, das Unsichere, das sich nicht sofort und kalkulierbar in Profit Niederschlagende – man denke doch nur an Bildung und Forschung.
  • Wettbewerb mag zu einzelwirtschaftlicher Effizienz führen, die volkswirtschaftliche Effizienz misst sich aber auch am Allgemeinwohl und am allgemeinen Wohlstand und dafür bedarf es zumindest auch wertender Rahmensetzungen – z.B. der Prinzipien des Sozialstaats oder auch dem Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft.


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