Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Niedergang der SPD. – Es liegt nicht nur an Personen. Gravierender: Keine Strategie und falsche Politik.
Datum: 30. April 2007 um 22:15 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, Soziale Gerechtigkeit, SPD
Verantwortlich: Albrecht Müller
Bei Buchlesungen werde ich häufig gefragt, warum ich noch in der SPD sei. Daraufhin empfehle ich, diese Frage doch an Gerhard Schröder, Wolfgang Clement oder Franz Müntefering zu richten. Ihre Politik sei schließlich weit entfernt von sozialdemokratischem Gedankengut. Und dann weise ich darauf hin, dass ich mich den Tausenden von Sozialdemokraten verpflichtet fühle, die anders als die jetzige Führung die sozialdemokratischen Werte und die geltende Programmatik auch heute noch für zeitgemäß und für gut halten.
Jetzt ist diese meine Einschätzung überraschend deutlich durch die Mitgliederbefragung der SPD bestätigt worden. Die SZ berichtete darüber am 27.4.: 94% der beteiligten Mitglieder halten die Verwirklichung von Gerechtigkeit für am wichtigsten; die Mehrheit steht kritisch zur Schröders Agenda-Politik und mehr als die Hälfte sprechen sich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Das heißt: Die SPD-Führung agiert meilenweit entfernt von den politischen Vorstellungen ihrer Mitglieder, jedenfalls jener, die auf die arrangierte Befragung reagiert haben. Das ist einer der Gründe für den Niedergang. Dazu einige Denkanstöße und Dokumente. Albrecht Müller.
Zunächst zu den Dokumenten.
Es sind:
Diese Dokumente finden Sie im Anhang mit Links beziehungsweise als Text im Falle der Musterrede. Ich beziehe mich bei den folgenden Überlegungen darauf.
Noch eine Vorbemerkung zur Relevanz der Mitgliederbefragung: In unserem heutigen Hinweis Nr. 4 wird das Ergebnis mit Hinweis auf die geringe Zahl relativiert. Das ist richtig. Andererseits ist das Ergebnis ein Faktum. Schließlich war mit der Befragung eine Absicht verbunden. Man kann davon ausgehen, dass sich insbesondere die engagierten Mitglieder mit Antworten gemeldet haben. Auch ein Faktum. Nun …
Einige Gedanken zum Niedergang der SPD und insbesondere zur Relevanz des Mangels an Strategie und Inhalten:
Das Ergebnis der – immerhin von der jetzigen SPD-Führung arrangierten Befragung – ist ein Schlag ins Gesicht für die herrschende Gruppe. Hier wird von vielen Mitgliedern signalisiert, dass sich die SPD-Führung auf dem falschen Weg befindet. Und was sagt Hubertus Heil dazu: „Die Mitgliederbefragung zum Grundsatzprogramm ist ein Erfolg. … Die Inhalte des „Bremer Entwurfs“ treffen auf Zustimmung.“
Sie haben richtig gelesen. Das niederschmetternde Ergebnis wird einfach in einen Erfolg umgedeutet. Im konkreten Fall hat der Generalsekretär die damit begonnene Meinungsmache so angelegt, dass er über die Süddeutsche Zeitung, der er oder seine Presseleute das Ergebnis offenbar vorweg zukommen ließen, gleich noch den Tenor der Bewertung zu transportieren versucht: „SPD-Basis sehnt sich nach Tradition.“ Sie wünsche sich einen traditionelleren Kurs.
Diese Etikettierung kenne ich. Wer soziale Gerechtigkeit für wichtig hält, wer die solidarische Absicherung großer Lebensrisiken wie zum Beispiel die Gesetzliche Rente über das Umlageverfahren sogar für modern hält, oder wer eine von keynesianischen Gedanken mitgeprägte Makropolitik für aktuell und wichtig hält, wird als „Traditionalist“ etikettiert und beiseitegeschoben. Vermutlich ist der Generalsekretär stolz auf diese ausgebuffte Reaktion und merkt gar nicht mehr, wie er damit für sich und seine Partei die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt.
In der Reaktion von Hubertus Heil kommt auch die Beliebigkeit dieser Politikergruppe zum Vorschein. Das ist nach meinen Eindrücken repräsentativ für die so genannten Netzwerker, zu denen Heil gehört.
Das deutet sich nicht nur im Versuch des Generalsekretärs an, die Ergebnisse für die herrschende Linie zu vereinnahmen. Auch die unten zitierte Musterrede nimmt in der Sache keine Notiz vom Willen der Befragten. Da wird der (leichte) wirtschaftliche Aufschwung der Reformpolitik zugerechnet, und den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder sollen die Mai-Redner der SPD gleich zweimal loben für die Ernte, die er mit seinen Reformen gesät hat. Und auch spezielle Reformen wie das Elterngeld und die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die dem Wunsch der Befragten nach mehr Gerechtigkeit wie auch dem nach solidarischer Absicherung vor den Risiken des Lebens diametral widersprechen, werden angepriesen.
Die Musterrede enthält keinerlei Nachdenklichkeit, die eigentlich nach Kenntnis der Befragungsergebnisse angezeigt wäre.
Mit der Übernahme der Behauptung einer völlig neuen Situation macht sich die SPD zugleich zum Instrument jener, die auf Strukturreformen und damit auf einen Abbau des Sozialstaates pochen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Bei einer Reihe von Führungspersonen habe ich Zweifel, ob sie unabhängig sind. Ihre politische Linie, ihre politische Entscheidungen kann ich nur verstehen, wenn ich annehme, dass sie für große Interessen arbeiten. Diesen Eindruck gewinnen auch viele andere Beobachter mehr und mehr.
Anhang mit Dokumenten und Links:
“Umfrage unter Parteimitgliedern
SPD-Basis sehnt sich nach Tradition
Die SPD-Basis wünscht sich einen traditionelleren Kurs und die Mehrheit der Parteimitglieder ist gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Eine Befragung von 40.000 SPD-Mitgliedern lieferte neue Erkenntnisse.
Von Christoph Schwennicke
Quelle: Süddeutsche
(…) Bei einer Befragung über das neue Grundsatzprogramm, die 40.000 Mitglieder beantworteten, sprach sich mehr als die Hälfte gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Demgegenüber gaben die Mitglieder der Verwirklichung von Gerechtigkeit in der Gesellschaft Vorrang vor allen anderen Werten. Für 94 Prozent quer durch alle Alters- und Berufsgruppen ist dieses Thema “sehr wichtig” oder “wichtig”.”
“Heil: 40.000 nahmen an Mitgliederbefragung teil
Zu den Ergebnissen der seit Ende Februar 2007 durchgeführten Mitgliederbefragung zum “Bremer Entwurf” für ein neues Grundsatzprogramm der SPD erklärt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil:
Die Mitgliederbefragung zum Grundsatzprogramm ist ein Erfolg. ….
Eindeutig ist: Die Inhalte des „Bremer Entwurf“ treffen auf Zustimmung. (…)”
Quelle: SPD online
“Koalition in der Krise
Die Angst der SPD vor ihren Mitgliedern
Das Koalitionstheater in Berlin ist nur vordergründig ein Theater. In Wahrheit ist es ein Teil des Überlebenskampfes der SPD. Denn die Partei hat unter dem Agenda- und Afghanistan-Kanzler Schröder ihre alte Identität verloren.”
Quelle: Süddeutsche
Vorbemerkung AM: Die SPD-Musterrede zum 1. Mai ist ein bemerkenswertes Dokument.
Da unter unseren Lesern/innen eine Reihe von Personen sein werden, die an Veranstaltungen zum 1. Mai beteiligt sind, und da viele unserer Leser die aktuelle Hilflosigkeit und den weiteren Niedergang der SPD mit Sorge und/oder Zorn beobachten, geben wir Ihnen dieses Dokument zur Kenntnis.
In den NachDenkSeiten finden Sie zu vielen in der Musterrede angesprochenen Fragen Material, Fakten, Wertungen. Einige Anmerkungen will ich trotzdem vorweg machen:
Es folgt der Text der Musterrede der SPD für ihre Abgeordneten und andere Funktionsträger, die zum 1. Mai Reden halten:
Musterrede zum 1. Mai
Gliederung
I. KERNBOTSCHAFTEN
II. Zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland: Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, unsere Reformen zeigen Wirkung
Es geht aufwärts in Deutschland. Es geht aufwärts mit Deutschland. Optimismus ist angesagt. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland entwickelt sich bestens, und auch auf dem Arbeitsmarkt wird es von Monat zu Monat besser.
All diese Zahlen sind für uns Bestätigung und Ansporn zugleich.
Bestätigung deshalb, weil die Saat von Gerhard Schröder und seiner sozialdemokratischen Politik nun aufgeht und der Aufschwung endlich auch den Arbeitsmarkt erreicht.
Und Ansporn, diesen Weg auch in der Großen Koalition weiter zu gehen und dafür zu sorgen, dass dieser Aufschwung nun ein Aufschwung für alle und nicht für einige Wenige wird.
Dieser Aufschwung ist nicht, wie von manchen behauptet, Ergebnis einer günstigen Weltkonjunktur oder allein das Ergebnis cleverer Unternehmenspolitik. Dieser Aufschwung ist vor allem das Ergebnis sozialdemokratischer Politik seit 1998. Wir beginnen zu ernten, was wir unter Gerhard Schröder gesät haben.
Und das 25-Mrd.-Euro-Programm für Wachstum und Beschäftigung trägt maßgeblich zum Aufschwung bei. Allein das Programm zur energetischen Gebäudesanierung hat mit Darlehenszusagen über ein Gesamtvolumen von 9,4 Mrd. Euro entscheidende Wachstumsimpulse gesetzt. Das ist gut für die Baukonjunktur, das Handwerk und enorm wichtig für einen effizienten Umgang mit Energie.
III. Du hast mehr verdient
Dieses Motto des DGB wollen wir mit Leben füllen.
Wir Sozialdemokraten wollen in der Regierung dafür sorgen, dass es bei dieser guten Entwicklung nicht zu einer Spaltung in Gewinner und Verlierer kommt. Alle Menschen unserer Gesellschaft sollen am Aufschwung teilhaben. Schließlich sind es die Millionen Menschen in den Fabrikhallen, in den Büros und Dienstleistungsunternehmen, in den Handwerksbetrieben, die diesen Aufschwung maßgeblich miterarbeitet haben. Sie haben in den letzten Jahren verzichtet: Auf Lohnerhöhungen, auf Weihnachtsgeld, auf Überstundenausgleich; und jetzt haben sie das Recht, etwas vom Kuchen, der neu zu verteilen ist, abzubekommen.
„Du hast mehr verdient“. Mit „Du“ sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeint, nicht die Spitzenmanager. Die haben sich in den letzten Jahren die Taschen ohnehin kräftig und hemmungslos vollgestopft.
Deutsche Spitzenmanager waren es, die von den Rekordgewinnen des vergangenen Jahres mit einem kräftigen Gehaltsanstieg profitiert haben. Bei den DAX-Unternehmen, die bisher ihre Geschäftsberichte veröffentlicht haben, lagen die Vorstandsgehälter um durchschnittlich 16,9 Prozent höher als 2005. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat es dagegen kaum etwas gegeben. An ihren Gehältern hat sich fast nichts geändert.
Für gute Arbeit muss auch guter Lohn gezahlt werden. Deshalb ist es auch ganz richtig, dass nun bei den Tarifverhandlungen höhere Löhne durchgesetzt werden sollen. Bei dieser Forderung stehen wir Sozialdemokraten an der Seite der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
IV. Aufschwung für alle – Um gute Arbeit kämpfen
Mehr verdient haben auch die Menschen, die für zwei, drei oder vier Euro in der Stunde arbeiten Damit bringen sie nicht mal mehr als 900 Euro brutto nach Hause. Mehr verdient haben die rd. 500.000 Menschen, die Vollzeit arbeiten und dennoch auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Sie müssen zusätzlich ALG II beziehen, da sie weniger verdienen, als zum Leben notwendig ist.
Wir wollen in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse. Wir wollen keine Verhältnisse, wo man trotz Arbeit arm ist.
Für gute Arbeit muss guter Lohn gezahlt werden. Das war jahrzehntelang Konsens in Deutschland. Dieser Konsens ist aufgebrochen worden. Wir werden in der Regierung dafür kämpfen, dass dieses Prinzip der sozialen Marktwirtschaft wieder mit neuem Leben erfüllt wird.
Bereits 20 der insgesamt 27 EU-Mitgliedsstaaten haben einen gesetzlichen Mindestlohn; Frankreich hat einen von 8,27 Euro, Großbritannien von 7,96 Euro, Irland von 8,30 Euro und die Niederlande von 8,13 Euro. Warum erwähne ich die Niederlande? Die haben den Mindestlohn seit 1969! Haben Sie jemals gehört, dass der Mindestlohn dort zu massiven wirtschaftlichen Problemen geführt hat? – Ich nicht. Auch in den USA gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Und jetzt will mir doch niemand erzählen, dass diese Wirtschaftsnationen am Rande des Ruins stehen!
Die Briten stellen in ihrem letzten Bericht der Niedriglohnkommission fest, ich zitiere: „Seit der Einführung im Jahr 1999 ist der Mindestlohn ein riesiger Erfolg“. Auch die anderen Länder verkünden
Wohin überhaupt soll denn der Arbeitsplatz des Friseurs, des Floristen oder der Bedienung im Restaurant exportiert werden? Es geht doch hauptsächlich um Dienstleistungen, die in unserem Land, bei uns vor der Haustür, erbracht werden!
Wer Arbeitnehmer mit wirtschaftlichen Sorgen zurücklässt, fördert Demotivation und mangelnden Zusammenhalt. Und der vergisst, dass Autos eben nicht von Autos gekauft werden!
Unser Ziel ist es daher: Keine sittenwidrigen Löhne! Für gute Arbeit muss es eine vernünftige Bezahlung geben. Wer Vollzeit arbeitet, muss von seiner Arbeit auch leben können. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Das galt bisher nur für die Baubranche. Seit März 2007 gilt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für die Gebäudereinigungsbranche. Das ist gut. Aber das reicht uns nicht: Um Lohn- und Sozialdumping weiter zu unterbinden, wäre der einzige, richtige Schritt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen auszudehnen. So gäbe es einen Mindestlohn für alle in- und ausländischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten oder Arbeit anbieten. Das ist vor allem vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU von Bedeutung.
Tarifliche Lösungen sollen Vorrang haben. Dort, wo es aber keine Tarifstrukturen gibt oder diese nicht greifen, muss mit gesetzlichen Mindestlöhnen ein Mindestmaß an Absicherung und Anerkennung für geleistete Arbeit ermöglicht werden. Die Tarifbindung geht immer weiter zurück. In Westdeutschland werden gerade noch 68 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von einem Flächentarifvertrag erfasst, in Ostdeutschland sind es sogar nur noch 53 Prozent.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften treten wir dafür ein, der Lohndrückerei ein Ende zu bereiten und gemeinsam kämpfen wir für faire und gerechte Löhne. Für uns Sozialdemokraten ist klar: Jeder Mensch muss die Möglichkeit zur Teilhabe an sozial abgesicherter und existenzsichernder Erwerbsarbeit haben.
V. Verlässlicher Partner in der Großen Koalition
Betriebsräte und Gewerkschaften können sich darauf verlassen, dass wir Sozialdemokraten an der Seite der Gewerkschaften stehen. Wir verteidigen Tarifautonomie, Mitbestimmung und Kündigungschutz gegen die Schwarzen und Gelben.
Untragbar sind die wiederholten Forderungen von CDU/CSU und FDP nach einer Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitnehmerrechte beschneidet, den Kündigungsschutz und die Mitbestimmungsrechte lockert. CDU und CSU wollen die Tarifautonomie aushebeln. Sie wollen die Arbeitgeberseite einseitig stärken und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass Betriebsräte verantwortungsvoll mit ihrer Aufgabe umgehen. Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell für Deutschland. Das wissen wir Sozialdemokraten schon lange.
Mitbestimmung heißt: Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen so zu gestalten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitbeteiligt sind und mitentscheiden können – und zwar auf gleicher Augenhöhe. Denn: Auch am Arbeitsplatz, im Betrieb und im Unternehmen müssen demokratische Prinzipien gelten.
Mitbestimmung heißt auch: Konsenssuche statt Dauerkonflikt. Dass die Gewerkschaften sehr vorsichtig mit dem Instrument Streik umgehen, zeigt die Statistik. Weniger als in Deutschland wird nur noch in der Schweiz und in Japan gestreikt. Das sollten all jene zur Kenntnis nehmen, die den ganzen Tag über die Gewerkschaften wettern.
Mitbestimmung – in Betriebs- und Aufsichtsräten – ist ein Gewinn für die Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Und damit auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Durch höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und weniger Kündigungen.
Mitbestimmung heißt aber auch, „Nein“ zu sagen zu Unternehmen, die aus Renditewahn selbst profitable Standorte schließen und Arbeitsplätze vernichten.
Auch bringt die CDU/CSU immer wieder eine Aufweichung des Kündigungsschutzes ins Spiel. Eine Aufweichung des Kündigungsschutzes dient jedoch nicht den Arbeitnehmern. Nein, dies bringt nur Unsicherheit in die Betriebe und macht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erpressbar. Um es klar zu sagen: Kündigungsschutz schützt nicht vor Kündigung, aber sehr wohl vor Willkür. Und dabei muss es bleiben.
Wir werden den Kündigungsschutz weiterhin nicht aufweichen. Auf uns können sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlassen.
Der gesetzliche Kündigungsschutz, die Mitbestimmung im Betrieb, Tarifautonomie und das Streikrecht der Gewerkschaften sind unverzichtbare Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft. Sichere Arbeitnehmerrechte und gute soziale Standards sind ein entscheidender Standortvorteil für Deutschland. Sie sind keine Hemmnisse, sondern Voraussetzungen für den unternehmerischen Erfolg.
Wir brauchen in einer immer flexibler werdenden Arbeitswelt neue Sicherheiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Übergänge und Brüche im Beruf dürfen nicht zum sozialen Absturz führen. Dafür tragen wir Sorge, dafür machen wir Politik!
VI. Wir stärken die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
„Du hast mehr verdient“. Das ist ein sehr guter Satz, der stimmt. Und er muss auch für die Familien in Deutschland gelten! Familien haben mehr verdient in Deutschland. Deshalb hat Familienpolitik für uns Sozialdemokraten einen hohen Stellenwert. Eine moderne und sozial gerechte Familienpolitik ist entscheidend für die zukünftige Entwicklung unseres Landes.
In der vergangenen Legislaturperiode haben wir damit begonnen, in der Familienpolitik eine andere Richtung einzuschlagen: Weg von der konservativen, antiquierten Form der eindimensionalen finanziellen Förderung von Alleinverdienerpaaren, hin zu einem intelligenten Mix aus Infrastruktur, Zeit und Geld.
Dazu sind
wichtige Bausteine, die von Sozialdemokraten neuentwickelt und umgesetzt wurden.
Den von uns eingeschlagenen Weg setzen wir auch in der Großen Koalition fort.
Wir Sozialdemokraten wissen, dass sich die Aufgaben und Ziele der Familienpolitik in Deutschland in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt haben.
Wir wollen zur europäischen Spitzengruppe aufschließen. Deutschland gibt nicht zu wenig Geld aus für Familien, sondern vielfach an den falschen Stellen. Insgesamt 184,5 Mrd. Euro geben Bund, Länder und Gemeinden jährlich für familienbezogene Leistungen und Maßnahmen aus.
Andere Länder sind bei gleichem oder geringerem Mitteleinsatz erfolgreicher in puncto Geburtenrate, Armutsvermeidung, Frauenerwerbstätigkeit und Bildungschancen, weil sie ihre Mittel effizienter einsetzen und mehr in eine gute Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur investieren. Da wollen wir auch hin!
Nur mit qualitativ und quantitativ hochwertigen und ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten wird uns eine
Wir wollen den Rechtsanspruch auf Betreuung nach Vollendung des ersten Lebensjahres. Wir wollen damit eine tatsächliche Wahlfreiheit für Eltern schaffen. Junge Eltern erwarten zu Recht, dass sie nach 12 oder 14 Monaten in den Beruf zurückkehren können. Dafür brauchen sie ein entsprechendes Betreuungsangebot. Bei einem Angebot von Kindertagesbetreuung in Westdeutschland von aktuell knapp 8 Prozent bei den Unter-3-Jährigen gibt es für viele Eltern keine wirkliche Wahlfreiheit.
Wir reden nicht nur über moderne Familienpolitik, wir treiben sie auch voran.
VII. Faire Märkte – soziales Europa – Unternehmenssteuerreform
Wir sind überzeugt davon, dass die Märkte den Menschen dienen müssen und nicht anders herum. Dies gilt nicht nur für Deutschland. Dies gilt auch für Europa. Wir brauchen faire Märkte in einem sozialen Europa.
Märkte brauchen Regeln. Daher setzen wir uns für gleiche Steuerquoten und Arbeitsbedingungen in Europa ein. Wir setzen uns für ein europäisches Arbeitsrecht ein, das einheitliche elementare Standards im Bereich des Tarif- und Streikrechts festschreibt. Die Mitbestimmung für Arbeitnehmer in europaweit tätigen Unternehmen muss abgesichert und ausgebaut werden.
Wir haben mit der Gestaltung der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf europäischer Ebene viel für uns erreicht. Wir haben das Herkunftslandprinzip abgewehrt, jetzt gelten die sozialen und arbeitsrechtlichen Bedingungen des Landes, in dem die Leistung erbracht wird.
Wir haben mit Übergangsregelungen den heimischen Markt vor Dumping-Löhnen geschützt. Aber nicht zuletzt deshalb brauchen wir in Zukunft auch eine Form der gesetzlichen Mindestlöhne.
Wir wollen eine einheitliche Bemessungsgrundlage und Mindestsätze bei der Besteuerung von Unternehmen, um einen Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze und unfairen Standortwettbewerb zu verhindern.
Wir müssen dabei auch die Unternehmen in Deutschland berücksichtigen, und auch jene, die vielleicht daran denken, sich hier anzusiedeln. Sie sind es, die Arbeitsplätze schaffen. Deshalb haben wir eine Unternehmenssteuerreform auf den Weg gebracht.
Wir machen mit dieser Reform einen großen Schritt vorwärts. Das eigentliche Ziel dieser Reform ist, dass es künftig für Unternehmen noch attraktiver sein wird, in Deutschland zu investieren und hierbei neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht nicht um Geschenke für Unternehmen und Unternehmer, sondern darum, für neue Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland zu sorgen. Durch die Reform werden sich die Steuereinnahmen des Staates erhöhen und es wird zu mehr Steuergerechtigkeit kommen. Ich bin mir sicher, dass sich in zwei, drei Jahren zeigen wird, dass diese Reform zu mehr Investitionen und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen in Deutschland führen wird.
VIII. Rente mit 67 / Initiative 50plus
Wir müssen auch unpopuläre, aber dennoch richtige Entscheidungen treffen. Dazu gehört die Rente mit 67. Wir haben hier heftige Auseinandersetzungen mit unseren Freunden von den Gewerkschaften.
Ich sage aber auch, dass Politik heute die Weichen für eine gute Zukunft stellen muss. Natürlich könnten wir nur vier Jahre weit schauen, und alles Fernere in der Zukunft könnte uns egal sein. Aber das ist nicht unser Stil bei der SPD. Wir machen eine verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Politik.
Ab 2012 wird das Renteneintrittsalter schrittweise um einen Monat, ab 2024 um zwei Monate pro Jahr erhöht, so dass ab 2029 das gesetzliche Renteneintrittsalter dann bei 67 Jahren liegt. Für die Geburtsjahrgänge ab 1964 gilt die Regelaltersgrenze 67 Jahre. Bis einschließlich 1963 Geborene erreichen die Regelaltersgrenze entsprechend früher.
Einige Teile der Gewerkschaften haben uns hierbei nun wirklich alles andere als geholfen. Da kam schon mal blanker Populismus zum Vorschein. Das hatte mit Aufklärung, dem Urgedanken der Gewerkschaftsbewegung, nicht mehr viel zu tun.
Wir machen die Rente mit 67 schließlich nicht aus Jux und Tollerei oder weil wir den Menschen ihren Ruhestand nicht gönnen. Hinter dieser neuen Regelung stehen demografische Entwicklungen, die niemand ernsthaft anzweifeln kann.
Wir handeln, da die Fakten klar sind:
Diese Fakten machen die Lage deutlich. Wir dürfen den Menschen nichts vorgaukeln. Unser Rentensystem kann so nicht bleiben, es muss angepasst werden. Deshalb sagen wir schon heute, dass in 22 Jahren das normale Renteneintrittsalter bei 67 Jahren liegen muss. Aber auch erst in 22 Jahren und nicht schon heute, wie manche glauben machen wollen!
Sachliche Einwände wischen wir nicht ignorant beiseite. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus Praxis, Wissenschaft und Gewerkschaften Vorschläge erarbeiten wird, wie wir die Rente mit 67 flankieren können.
Dabei soll es u. a. um Qualifizierung und Weiterbildung gehen, um die Gestaltung einer alternsgerechten Arbeitswelt, um gesundheitsschonende Gestaltung der Arbeitsplätze und um Möglichkeiten gleitender Übergänge in den Ruhestand. Die Rente mit 67 ist beschlossen, aber über die Ausgestaltung im Einzelnen wird noch zu sprechen sein. Ich glaube, dass viele von uns die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe sehr begrüßen werden.
Wir wissen, dass eine Erhöhung des Rentenalters ins Leere laufen muss, wenn sich die derzeitige Arbeitsmarktlage für ältere Menschen nicht grundlegend ändert. Eine längere Lebensarbeitszeit erfordert auch ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot.
Um die Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer zu verbessern, haben wir die Initiative 50plus beschlossen. Sie ist dringend notwendig, denn zur Zeit stellt sich die Situation wie folgt dar:
Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen die Erfahrung, das Wissen, und die Urteilskraft der bereits langjährig Beschäftigten. Wir dürfen dieses Potenzial nicht ungenutzt lassen.
Mit der Initiative 50plus setzen wir genau hier an. Darin sind eine Fülle von Möglichkeiten zur Beschäftigungserleichterung älterer Arbeitnehmer vorgesehen. Wir wollen für ältere Arbeitnehmer
Aufgefordert sind allerdings auch Gewerkschaften und Wirtschaft, das Arbeitsleben mit Tarif- und Betriebsvereinbarungen so zu gestalten, dass die Beschäftigungsfähigkeit im Alter erhalten und erhöht wird.
IX. Zusammenwirken mit den Gewerkschaften / Die Linke.PDS
Es hilft nichts, die Augen vor der Realität zu verschließen: Die Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie war geraume Zeit getrübt. Die Agenda 2010 und die Rente mit 67 haben bei Teilen der Gewerkschaften zu heftigen Reaktionen geführt. Aber klar ist: Die Reformen waren notwendig, und sie tragen Früchte.
Ich bin der Überzeugung, dass wir den Dialog zwischen unseren beiden Organisationen wieder vertiefen müssen. Wir, die Sozialdemokraten, sind diejenigen, die sich in Regierungsverantwortung für die Arbeitnehmerrechte einsetzen und diese in der Großen Koalition wahren und verteidigen.
Wenn sich nun so manche Populisten zwischen uns drängen und die SPD beschimpfen, dann kann es leicht sein, dass man sich auf Gewerkschaftsseite blenden lässt.
Wenn gesagt wird, es sei „schizophren“, Gewerkschafts- und SPD-Mitglied zugleich zu sein, dann werden viele von uns hier beleidigt. Diese Möchtegern-Gewerkschaftsfreunde sind doch nur Propagandaredner. Die können keine Verantwortung übernehmen. Der eine hat als Finanzminister in einer schwierigen Phase einfach das Handtuch geworfen, der andere hat das gleiche unverantwortliche Verhalten im Berliner Senat an den Tag gelegt. Und nun kommen all die frustrierten Drückeberger aus dem Westen zu diesem SED-Nachfolgehaufen noch hinzu. Ich muss mich da schon fragen, wie kann man nur auf die reinfallen. Die regieren nicht, die wollen ja nicht mal. Die versprechen das Blaue vom Himmel. Die würden wieder wegrennen, wenn ihre Seifenblasen platzen.
Die Linke.PDS/WASG – oder wie sie sich in Zukunft auch immer nennen werden – die können nur populistisch reden und haben Feigheit vor der Verantwortung. Die betreiben Opposition um der Opposition willen. Das sind Sozialromantiker, die die Augen vor der Realität verschließen. Die wollen und können nicht gestalten, erst recht keine soziale Gerechtigkeit. Denn dazu gehört auch eine starke Wirtschaft und Wohlstandssicherung auf hohem Niveau. Diese angeblichen Linken kümmern sich doch nicht darum, dass die Kuh, die sie melken wollen, auch was zu fressen bekommt.
Ich mache hier noch einmal deutlich:
Lasst uns hier in Deutschland eine neue, eine andere, eine ganz andere Standortdebatte führen!
Qualität zählt.
Gute Arbeit zählt.
Gerechter Lohn zählt.
Ein handlungsfähiger, investiver Staat zählt.
Neue Sicherheiten für Menschen zählen.
Gleiche Bildungschancen für alle zählen.
Mehr Zuwendung für unsere Kinder zählt.
Auf all das kommt es an. Lasst uns gemeinsam Stärke zeigen. Politik braucht starke Unterstützung aus der Gesellschaft. Wir müssen daran gehen, neue Mehrheiten in Deutschland zu erreichen. Das muss unser Motto für die kommenden Jahre sein: Neue Mehrheiten für eine sozialdemokratische Politik!
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2302