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Titel: Utz Claassen EnBW: Wie uns ein „Top-Manager“ für dumm verkaufen will

Datum: 21. März 2007 um 10:11 Uhr
Rubrik: Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wettbewerbsfähigkeit
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Dem Schröder-Freund und „harten Sanierer“ Utz Claassen, wird nachgesagt er sei ein „Überflieger“. Deshalb kann er eigentlich so dumm gar nicht sein, wie er seine Leser in seinem in BILD vorabgedrucktem Buch „Mut zur Wahrheit“ für dumm verkaufen will. So flach und hanebüchen wie Utz Claasen kommt jedoch kaum ein anderer der selbsternannten „Sanierer“ unseres Landes daher. Was der EnBW-Chef zum Besten gibt, ist ein Musterbeispiel für das unterirdische argumentative Niveau und für die ideologische Verbohrtheit unserer höchstbezahlten Unternehmensführer.

Die Bücher der neoliberalen Apologeten von Hans-Olaf Henkel „Ethik des Erfolgs“ über Hans-Werner Sinns „Ist Deutschland noch zu retten“ bis Gabor Steingarts „Abstieg eines Superstars“ oder Meinard Miegels „Epochenwende“ oder Paul Noltes „Generation Reform“ bedienen sich alle der gleichen agitatorischen Mittel: Sie malen ein apokalyptisches Bild über unser Land und picken sich dann in den USA oder in Asien niedrigste Löhne, höchste Arbeitszeiten, geringste Unternehmenssteuern oder Sonstiges heraus, was in ihr ideologisches Weltbild passt, und an solchen Vorbildern soll sich dann Deutschland orientieren, um wieder aus der selbst verschuldeten angeblichen Misere herauszukommen. Mit dieser Rosinenpickerei ersparen sich unsere „Reformer“ dann jedes weitere Nachdenken über komplexe kausale und funktionale Wirkungszusammenhänge oder über ökonomische Sachverhalte.
So flach und so hanebüchen wie Utz Claasen uns seine Sanierungsbotschaften verkauft, kommt aber kaum einer der sonstigen selbsternannten „Sanierer“ unseres Landes daher.

„Wir leben als Gesellschaft schon seit Langem über unsere Verhältnisse“ verkündet Claassen, die ziemlich feiste Verkörperung (Entschuldigung, aber diese Anspielung kann ich nicht unterdrücken) dieser Behauptung, gleich zu Anfang.

Wer ist „wir“?
Denkt er da etwa an sich selbst, der mit variablen Gehaltsbestandteilen jährlich weit über vier Millionen Einkommen einstreicht? Oder denkt er an die durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie, deren Löhne und Gehälter seit gut zwanzig Jahren stagnieren und deren durch Leute wie ihn erzwungene Lohnzurückhaltung geradezu zu einem Sprengsatz für unsere Nachbarländer wird?

Konsumieren „wir“, die durchschnittlich über 10 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens sparen und damit Sparweltmeister sind, etwa mehr als wir produzieren? Wo bleibt an dieser Stelle Claassens häufiger Vergleich auf die USA, wo sich Staat und private Haushalte eher maßlos überschulden und insgesamt allenfalls einen Bruchteil unserer Sparquote aufweisen (Siehe Bofinger, Wir sind besser als wir glauben, S. 114).

Leben „wir“ über unsere Verhältnisse, in einem Land, wo die unteren 50% der Haushalte nur über 4% des Nettovermögens verfügen, während das reichste Zehntel seinen Anteil auf 47% steigern konnte (Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung), bei einem Nettogeldvermögen von allein 2,7 Billionen (!) Euro?

Leben „wir“ über unsere Verhältnisse, wenn wir im Jahre 2006 für 896 Milliarden Euro Güter ausgeführt und für 731 Milliarden Euro eingeführt haben, sich also durch unseren Ausfuhrüberschuss die anderen Länder bei uns um 165 Milliarden Euro verschuldet haben?

Leben „wir“ über unsere Verhältnisse, in einem Land in dem seit Jahren die Binnennachfrage stagniert und Wachstum fast nur noch durch die Ausfuhr der hier geschaffenen Waren und Güter entsteht?

Nahezu alle ökonomisch einschlägigen Daten zeigen, dass wir eher unter als über unsere Verhältnissen leben und das schon seit ziemlich langer Zeit (Vgl. Albrecht Müller, Die Reformlüge S. 161 ff. oder Peter Bofinger [PDF – 100 KB].

Doch solche seiner Behauptung widersprechenden Fakten ignoriert Claassen einfach. Er wirft sich lieber in die Pose der Kassandra (die – vom Gott Apollon verflucht – nur noch Böses voraussagen kann) und behauptet einfach schwarzseherisch: “Wenn wir unserer strukturellen(!), sich schon seit vielen Jahren schleichend aufbauenden Krise nicht endlich klar und mutig entgegenwirken, werden wir vielleicht in 30 Jahren in unserem Land keinen einzigen (!) international wettbewerbsfähigen industriellen Arbeitsplatz mehr haben.”

Er prophezeit also einfach so mal die totale Deindustrialisierung Deutschlands, ohne irgendein greifbares Faktum zu nennen. Der nichts sagende Hinweis auf eine „strukturelle Krise“, die gängige Drohkulisse mit „neuen Wettbewerbern aus China, Indien und Osteuropa“ und der wenig erhellende Verweis auf eine angebliche „Disproportionalität zwischen Staatshaushalt, Verschuldungsniveau und Zukunftsinvestitionen“ reichen Claassen aus, um Deutschland zum „Sanierungsfall“ zu erklären.

Und Sanierungsfälle sind ja Claassens Spezialität. Bewusstes Schlechtreden scheint dabei sein Handwerkszeug zu sein, um seine „Erfolge“ in umso hellerem Lichte strahlen zu lassen. Als er bei EnBW sein Amt antrat, hat der die Lage des Unternehmens so übertrieben schlecht dargestellt, das sich sogar die Staatsanwaltschaft Mannheim veranlasst sah, ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts der Bilanzfälschung einzuleiten.

Gäbe es einen Straftatbestand der Fälschung der Leistungsbilanz unserer Volkswirtschaft müsste die Staatsanwaltschaft nach der BILD-Serie „Was sich in Deutschland alles ändern muss“ schon wieder eingreifen und zwar mit handfesten Beweisen.

Welche „mutigen Wahrheiten“ tischt uns Sanierer Claassen nun auf, um die Deutschland-AG wieder in die „Gewinnzone“ zu führen:

  • Wir müssen schneller und besser werden!… In etwa der Hälfte der Zeit, in der bei uns mitunter eine Ausnahmeregelung zur Samstagsarbeit verhandelt wird, kann an anderer Stelle auf der Welt ein schlüsselfertiges Werk entstehen.“
    Dieses Schwadronieren würde selbst am Stammtisch nur belächelt.
    Gerade als Manager eines Energieunternehmens, das Strom rund um die Uhr liefert und seine Mitarbeiter sieben Tage in der Woche einsetzt, müsste Claassen eigentlich wissen, dass Nacht- Wochenend- und Schichtarbeit seit 1991 von 38% auf heute 51% zugenommen hat. Claassen verhöhnt mit seiner billigen Polemik über die Ausnahmeregelung zur Samstagsarbeit, seine eigenen und die 4,2 Millionen Arbeitnehmer (14,1% aller Beschäftigten), die regelmäßig an Sonn- und Feiertagen und er verspottet die 2,7 Millionen Menschen (9,2% aller Beschäftigten), die regelmäßig in der Nacht arbeiten.
  • „Unsere wichtigste Ressource kann und muss unsere Kompetenz sein (…) Wollen wir unser Wohlstandsniveau, das im Vergleich zu unserer Ausstattung mit sonstigen Ressourcen außerordentlich hoch ist, weiter aufrechterhalten, dann ist es nahezu unvorstellbar, aus globaler Sicht nicht mehr in der Champions League der Top-Universitäten vertreten zu sein. Wollen wir jedoch signifikant in den Top 50 und auch in den Top 10 vertreten sein, dann müssen wir substanziell höhere Mittel in die Hand nehmen, als dies bisher der Fall ist.“

    Der Hobby-Fußballfunktionär kennt sich ja in der „Champions League“ aus: Als Präsident des Fußballclubs Hannover 96 wurde er ob seiner rüden Methoden zum Teufel gejagt und dem Karlsruher SC wollte er die Sponsorengelder von EnBW kündigen, weil im der dortige Trainer jeden Fußball-Sachverstand abgesprochen hat.

    Aber, um fair zu bleiben, mit der Forderung nach höheren Mittel für die Universitäten, da hat er mal Recht. Doch wo sollen die Gelder herkommen, wenn Claassen in der letzten Folge der BILD-Serie gleichzeitig wiederum die Senkung von Unternehmenssteuern fordert?

    Außer mehr Geld fallen Claassen noch zwei Faktoren ein, mit denen er Kompetenz in Deutschland fördern möchte:
    „Zwei Faktoren spielen dabei im universitären Studienbereich immer wieder eine Rolle: signifikante Studiengebühren und englische Sprache.“
    Wie „signifikante“ Studiengebühren mehr junge Leute an die Hochschulen locken sollen und warum gerade englische Sprache das Wichtigste für Innovationsfähigkeit von Ingenieuren sein soll, solche Zusammenhänge kann nur einer herstellen, der eher aus seinem Bauch als aus dem Kopf argumentiert. Und wer solche wohlfeilen Allgemeinplätze nachplappert, darf sich sogar noch (Honorar-)Professor nennen.

  • „Schluss mit der Freizeitgesellschaft! Wir müssen mehr arbeiten!“ fordert Claassen in der dritten Folge.
    Auch mit diesem Rezept stützt sich der „Top-Manager“ (BILD) auf ein weiteres längst von der Wirklichkeit widerlegtes, plumpes Vorurteil: „Deutschland ist Weltmeister der kurzen Arbeitszeiten“.

    Dass Deutschland bei den „kurzen Arbeitszeiten“ in Europa erst an 7. Stelle liegt, das interessiert Claassen nicht, das hätte ihm ja seine billige Pointe verdorben.
    Ein gewöhnlicher Vollzeitbeschäftigter stand nach einer Untersuchung des IAT hier zu Lande 2004 seinem Arbeitgeber im Schnitt pro Jahr 1756 Stunden zur Verfügung – und damit länger als die Kollegen in den Niederlanden (1712), Dänemark (1720), Schweden (1722), Italien (1727), Norwegen (1742), Finnland (1745) und Frankreich (1747).

    Unserem „Top-Manager“ ist offenbar auch unbekannt,

    • dass die faktische Normalarbeitszeit abhängig beschäftigter Vollzeitkräfte in Deutschland im Durchschnitt längst wieder die 40-Stunden-Woche ist,
    • oder dass die tatsächlichen Arbeitszeiten in Deutschland dem EU-Durchschnitt entsprechen [PDF – 208 KB].

    Auch die „Gespensterdebatte“ über die Arbeitszeitverlängerung und den Mythos der Lohnnebenkosten lässt Claassen wieder aufleben.
    Claassens ideologische Verbohrtheit lassen etwa die Daten des Statistischen Bundesamtes kalt, wonach etwa das Umsatzwachstum im Verarbeitenden Gewerbe von 6,5% im Jahre 2006 ausschließlich auf „die Knochen“ der Arbeitnehmer geht. Danach schafften 0,6% weniger Arbeitnehmer nicht nur mehr Umsatz sondern sie leisteten auch noch 0,1% mehr Arbeitsstunden. Auch dass bei den gesetzlich auferlegten Lohnnebenkosten Deutschland an 17. Stelle der 27 EU Staaten liegt, kann seine Kritik an den hohen Lohnnebenkosten nicht erschüttern.

  • Schließlich dürfen in Claassens Klagelied die angeblich deutschen Charaktereigenschaften „Neid und Missgunst“ (in Folge 4 der BILD-Serie) nicht fehlen. „Wachstumsschwäche und mangelnde Lust am Wettbewerb können Folge dieser Einstellung sein.“ Neid habe einen festen Platz in der deutschen Unternehmenskultur.

    Interessant ist, woran er Neid und Missgunst festmacht, nämlich an seiner eigenen Person:
    „Bei EnBW begannen verdeckte und medial lancierte Diskreditierungsversuche sogar schon vor meiner offiziellen Amtsübernahme“

    Claassen hat also wohl weniger den „Neid“ der Arbeitnehmer gegenüber den obszön hohen Vorstandsgehälter im Auge, als vielmehr den Unmut, den er sich selbst eingebrockt hat. Er sorgte im April 2005 für erheblichen Unmut, nachdem bekannt wurde, dass er 2004 ca. 4,17 Millionen Euro Gehalt erhielt – mehr als der Vorstandsvorsitzende der RWE (ca. 4 Mio. Euro) und E.ON (ca. 3,1 Mio. Euro), obwohl die EnBW nach Umsatz und Ertrag erheblich kleiner ist. Da gab es sicherlich ziemlich viel Neid innerhalb der einschlägigen Managerkreise.

    Auch im Hinblick auf Missgunst oder Misstrauen sollte sich Claassen eher an seine eigene Nase packen: Dass EnBW ehemalige leitende Angestellte, mit denen er im Zwist lag, durch Detektive überwachen ließ, hatte Claassen viel Ärger eingetragen. Typisch für Claassen, dass er die Schuld für sein polarisierendes Verhalten immer bei den anderen – dazu noch meist den Arbeitnehmern sucht.

  • In der letzten Folge der BILD-Serie kommt Claassen auf die Politik zu sprechen. Auch hier geht es ihm um „die Sanierung des Politiksystems(!)“. Politik müsse „Bürokratieabbau sicherstellen oder auch steuerliche Leistungsanreize schaffen.“ „Ein Übermaß an Bürokratie“ behindere „Unternehmertum“. „Ein falsch verstandenes Gefühl von Sozialstaatlichkeit“ habe „maßgeblich“ zu „unserem zunehmenden Verlust an globaler Wettbewerbsfähigkeit“ beigetragen. Weil aber diese Behauptungen so gar nicht mit den Exporterfolgen zusammenpasst, muss er diese in die Vergangenheit zurück verlegen: „Kein Land der Welt hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts(!) mehr von den Chancen und Möglichkeiten der Globalisierung profitiert als der ´Exportweltmeister` Deutschland.“

    Die ´üblichen Verdächtigen`, also Bürokratie und Sozialstaatlichkeit, müssen mal wieder als Schuldige für den drohenden Untergang herhalten. Der aufmerksame Leser fragt sich allerdings, warum Deutschland noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – wo ja der Sündenbock Sozialstaat noch nicht in die Wüste getrieben worden war – von den Chancen und Möglichkeiten der Globalisierung mehr profitiert haben kann, als jedes andere Land. Und jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wo der Sozialstaat in den letzten Jahren bis an die Grenze des Existenzminimums abgebaut wurde, sollen also die Probleme kommen? Ist da nicht ein Bruch in der Logik?

Von solchen Widersprüchlichkeiten abgesehen, schießt unser Fußballfan, der gerne schon mal Politiker in seine VIP-Lounge einlädt, noch ein weiteres Selbsttor:
Ausweislich der Zeitreihe des deutschen Außenhandelssaldos, erstellt von der Deutschen Bundesbank, war der Außenhandelsüberschuss seit Beginn des 21. Jahrhunderts erheblich höher als in der nach Claassen angeblich noch so goldenen Zeit ausgangs des 20. Jahrhunderts. Und gerade in den zurückliegenden Jahren wurde doch ein Exportrekord nach dem anderen gebrochen.

Solche argumentativen Ungereimtheiten können das „Credo“ (so die Ankündigung des Murmann-Verlages) unseres politischen Systemveränderers jedoch nicht anfechten. Für ihn gilt das Motto: Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie meinen Behauptungen widerspricht.

Das Buch von Utz Claassen „Mut zur Wahrheit“, das in BILD in Auszügen vorab veröffentlicht wurde, ist argumentativ so dürftig und widersprüchlich und strotzt so vor bornierten – wenn auch verbreiteten – Vorurteilen, dass man sich fragt, was diesen „Top-Manager“ getrieben haben mag, gar noch sein Konterfei auf dem Buchtitel abbilden zu lassen. Dazu musste die persönliche Eitelkeit wohl größer sein, als die Angst vor einer Blamage.

Und vor öffentlichem Hohngelächter braucht sich Claassen wohl leider auch nicht zu fürchten, denn – wie schon vorab die BILD-Zeitung – wird sein Buch, weil es halt so gut in die herrschende Ideologie passt, viele weitere Claqueure finden.
Ein prominenter Beifallsklatscher wurde schon bestellt, nämlich Gerhard Schröder. Er lobt:
„Utz Claassen gehört zu den führenden Unternehmenschefs in unserem Land, der weiß, dass für langfristigen Erfolg die Verbindung von harter Ökonomie und sozialer Verantwortung unabdingbar ist. Er hat ein ehrliches Buch geschrieben, mutig im Ton, klar formuliert und inhaltlich fundiert(!). Man muss nicht jeden Standpunkt teilen, aber man sollte es gelesen haben.”

Es kann einem schwarz vor Augen werden, wenn man darüber nachdenkt, dass solche „führenden Unternehmenschefs“ mit einem derart aus der Realität und aus der Rationalität „verrückten“ Weltbild Verantwortung für einen Konzern und für tausende von Arbeitnehmern tragen.
Das muss einem Angst vor der Zukunft Deutschlands einjagen.


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