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Titel: Mythos: Zu hohe Lohnnebenkosten

Datum: 7. Juni 2005 um 14:22 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Soziale Gerechtigkeit
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Ver.di hat einmal nachgerechnet was eine Verringerung der Sozialversicherungsbeiträge um 10 (!) Prozent brächte: Bei Kosten für eine Handwerkerstunde von 43 Euro spart der Arbeitgeber gerade mal 60 Cent.

„Zu hohe Lohnnebenkosten sind schuld an der hohen Arbeitslosigkeit“, „die Massenarbeitslosigkeit ist entstanden, weil der Sozialstaat zu teuer ist“, „die Deutschen sind sich gegenseitig zu teuer geworden, deswegen können sie sich keinen Handwerker mehr leisten“, „die deutsche Krankheit sind die zu hohen Sozialkosten“, solche oder ähnlich Sätze werden uns von den Sinns, den Miegels, den Dettlings, von den Sachverständigen und von Politikern täglich vorgebetet. Keiner dieser Vorkämpfer für eine Senkung der Lohnnebenkosten und damit für eine Privatisierung der Sozialsysteme nennt dabei Fakten und sagt, dass z.B. bei der Volkswagen AG der Personalaufwand etwa 17% des Gesamtaufwendungen des Konzerns ausmacht und dieser teilt sich auf in 14% Löhne und Gehälter und 3% Sozialabgaben. Siehe Denkfehler 22: “Die Lohnnebenkosten sind zu hoch”.

Keiner dieser Ayatholas schaut einmal in die Unternehmensstatistik der Deutschen Bundesbank, danach belief sich im Jahr 2001 der Personalaufwand (Löhne, Gehälter, soziale Abgaben und freiwillige soziale Aufwendungen) aller deutscher Unternehmen, also aller Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und Einzelunternehmen, auf 17,4 Prozent des Umsatzes dieser Unternehmen. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass – maximal gerechnet – 20 Prozent der Löhne und Gehälter als Sozialbeiträge gezahlt werden, dann entspricht das – hoch gegriffen – einer Umsatzquote von etwa 3,5 Prozent. (Die anderen rd. 20 Prozent Sozialabgaben zahlen ja die Arbeitnehmer selbst.) Gelänge es tatsächlich, diesen Beitragsanteil der Unternehmen zu den Sozialabgaben von 20 Prozent auf 18 Prozent, also um zwei Prozentpunkte zu reduzieren, was schon eine stolze reformerische Leistung wäre, dann schlüge das mit 0,35 Prozentpunkten des Umsatzes bzw. der Kostenrechnung zu Buche, was also makroökonomisch kaum mehr messbar wäre. Siehe Kritisches Tagebuch vom 19.04.2005.

Keiner der Hohepriester für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der Lohnnebenkosten begründet, warum etwa die Aufwertung des Dollars gegenüber dem Euro um bis zu 30% die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft offenbar weniger tangiert als dies der relativ kleine Kostenfaktor Sozialabgaben angeblich tut.

Keiner spricht darüber, dass die Sozialkosten vor allem auch deshalb „unbezahlbar“ geworden sind, weil mit der deutschen Einheit versicherungsfremde Leistungen in dreistelliger Milliardenhöhe aus den Sozialkassen finanziert wurden. (Das DIW hat dafür seit der Einigung einen Betrag von über 300 Milliarden Euro addiert.)

Keiner findet es der Erwähnung wert, dass die Lohnnebenkosten, genauer die Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme vor allem auch deshalb angestiegen sind, weil die Zahl der Beitragszahler durch Arbeitslosigkeit und die Leistungsfähigkeit der Beitragspflichtigen (also die Beitragssätze) durch Lohnsenkungen (oder zu gering ansteigende Löhne), durch Billig- und Niedrigstlohn-Jobs gesunken ist.

Keiner stellt die Erwägung an, dass ja mit der Abschaffung der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, die Kosten der sozialen Sicherung ja nicht automatisch gesenkt würden, sondern künftig nur komplett aus dem Netto-Einkommen der Beschäftigten finanziert werden müssten und dadurch für die Binnennachfrage noch weiter geschwächt würde. Dass die Sozialkosten sogar eher steigen dürften, wenn die davon entlastete Arbeitgeberseite kein (politisches und wirtschaftliches) Interesse mehr an Kostendämpfung hätte, bleibt völlig außer Betracht.

Fast alle aber halten wiederum eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für einen möglichen Weg, die Sozialkosten statt über Lohnnebenkosten aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren. Übersehen wird dabei allerdings, dass die Mehrwertsteuer genauso wie die Lohnnebenkosten in die Kosten für eine Handwerkerstunde beim Verbraucher eingeht. Was die Arbeitgeber also bei den Lohnnebenkosten einsparen, muss gegebenenfalls bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zu den Kosten einer Handwerkerstunde wieder als Steueranteil hinzugerechnet werden.

Was unsere heiligen Krieger gegen den Sozialstaat geflissentlich verschweigen, ist, dass sich an der Gesamtbelastung überhaupt nichts ändert. Wenn man Sozialbeiträge durch Steuern finanziert, verschiebt man nur etwas innerhalb dieser Abgabenquoten. Die Frage ist dann nur zu wessen Lasten oder zu wessen Gunsten man die Gesamtbelastung verschiebt. Bei einer ständig weitergehenden Senkung der Unternehmensbesteuerung und der Spitzensteuersätze und bei einer Verschiebung der Steuerlast auf die indirekten Steuern ist ziemlich klar, auf wen die Belastung verschoben wird: Auf den Konsumenten und vor allem auf diejenigen, bei denen der größte Teil des Einkommens in den Konsum geht – auf die kleinen Einkommensbezieher eben.

Das alles verbirgt sich hinter dem Mythos der Lohnnebenkosten, wenn er denn entzaubert würde.

Quelle: ver.di


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