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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: SPD-Fraktion unterhält Fälscherwerkstatt – zur Entsorgung ihrer Verantwortung für die Finanzkrise
Datum: 27. Oktober 2011 um 15:24 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Manipulation des Monats, SPD
Verantwortlich: Albrecht Müller
Es ist schon ein starkes Stück, was am 25.10.2011 als Produkt der Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion das Licht der Welt erblickte: „Mit Augenmaß und Risikobewusstsein. SPD-Finanzmarktpolitik vor und in der Finanzmarktkrise [PDF – 504 KB]“. Ein NachDenkSeiten-Leser hat das Papier geschickt und für die Rubrik „Manipulation des Monats“ empfohlen. Dort gehört es hin. Leser der NachDenkSeiten werden sofort erkennen, wie in diesem Papier manipuliert wird, vor allem auch durch Weglassen. Auf die schlimmsten Fälschungen will ich eingehen. – Das Papier wird übrigens von den SPD Bundestagsabgeordneten in den Wahlkreisen verteilt. Machen Sie bitte SPD Mitglieder deshalb auf diese dreiste Manipulation aufmerksam. Albrecht Müller.
Die SPD hat unter Führung von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel und dann in der großen Koalition mit Peer Steinbrück wesentlich an der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte mitgearbeitet. Es ist grotesk, wenn man sich jetzt als Bremser darstellt. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass CDU, CSU und FDP noch mehr Deregulierung wollten. Das ändert aber nichts daran, dass unter der Verantwortung der SPD-geführten rot-grünen Regierung und ihrer Finanzminister Eichel und Steinbrück entscheidende Schritte zur Erleichterung der Spekulation gemacht und insbesondere so genannte innovative Finanzprodukte geschaffen worden sind. Führende Sozialdemokraten haben vom „Finanzplatz Deutschland“ geschwärmt, sie haben Hedgefonds eingeladen, Schröder hat die Auflösung der „Deutschland AG“ – zu deutsch das Verscherbeln vieler deutscher Unternehmen – propagiert und die entsprechenden Steuerbefreiungen geschaffen. Im einzelnen, und mit Bezug auf das Papier der Planungsgruppe:
Zu Anfang des Papiers wird Müntefering mit seiner berühmten Warnung vor den „Heuschrecken“ zitiert. Das Zitat stammt vermutlich aus einer Rede vom 21.4.2005. Diese Warnung hatte keinerlei Konsequenzen. Es war eine Art Paravent, hinter dem die Deregulierung der Finanzmärkte zu Gunsten der Spekulanten durch die Regierung Schröder weitergehen konnte. Wir haben in den NachDenkSeiten diesen Vorgang schon am 2. Mai 2005, also zehn Tage nach Müntefering Rede, analysiert. Siehe hier: „Regierung Schröder hat die “Heuschrecken” eingeladen und steuerfrei gestellt“ Wenn Sie Zeit haben, es lohnt sich, diesen frühen Text zu lesen. Dort wird zu Anfang auf den Kern der Steuererleichterung zu Gunsten der Auflösung und des Verkaufs vieler Unternehmen an „Heuschrecken“ eingegangen. Wörtlich:
„Am 14.7.2000 verabschiedete der Bundesrat – also auch mit Unterstützung der Union – die von Kanzler Schröder propagierte Freistellung der „Gewinne aus der Veräußerung inländischer Kapitalbeteiligungen im betrieblichen Bereich“. Am 1.1.2002 trat das Gesetz in Kraft.“
Im Kapitel 18 meines Buches „Meinungsmache“ (2009) bin ich unter der Überschrift „Kapitalmarkt als Casinobetrieb und die Plünderung deutscher Unternehmen“ auf die Folgen der von Schröder propagierten Auflösung der Deutschland AG und der entsprechenden Steuerbefreiungen und Deregulierungen eingegangen. 6000 deutsche Unternehmen waren damals schon unter den Hammer gekommen.
Wir haben in den NachDenkSeiten Müntefering auch aufgefordert, seinen Sprüchen die Taten folgen zu lassen. Nichts geschah. Umso dreister ist es, jetzt in einem Papier der SPD-Bundestagsfraktion mit Münteferings hohlen Sprüchen den Eindruck erwecken zu wollen, dass die SPD ihre Finanzmarktpolitik „mit Augenmaß und Risikobewusstsein“ betrieben habe.
Dort Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit … [PDF – 619 KB] heißt es:
Ein halbes Jahr nach den Sprüchen Münteferings gegen „Heuschrecken“ wurde von der SPD, deren Vorsitzender und Fraktionsvorsitzender Müntefering damals war, mit der Union vereinbart, Finanzproduktinnovationen zu fördern, Wohnungsbestände am Kapitalmarkt zu verhökern, den Verbriefungsmarkt auszubauen, und dann wurde auch noch der Finanzmarktaufsicht aufgetragen, „mit Augenmaß“ zu kontrollieren, d.h. konkret im Blick auf die lässigen Kontrollen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch bei uns lässig zu kontrollieren. Ein unglaublicher Vorgang. Noch unglaublicher ist das Papier der Planungsgruppe.
Schon 2003 und in Kenntnis der heraufziehenden Finanzkrise hat eine große CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne-Koalition mit der Förderung des Finanzkasinos weitergemacht)“ Siehe hier. In einer Bundestagsdebatte vom 8. Mai 2003 haben die Vertreter aller Parteien, auch der SPD und der Grünen, vom Ausbau des Finanzplatzes Deutschland geschwärmt und entsprechende Anträge gestellt. Die Sprecherin der SPD Hauer hat insbesondere ein Herz für Ratingagenturen erkennen lassen.
Bezeichnend sind folgende Sätze im Antrag von SPD und Grünen:
„I. Grundsätzliche Erwägungen
Die Sorge um das „Identität stiftende Zusammengehörigkeitsgefühl unter den deutschen Kapitalmarktakteuren“ als politische Aufgabe – das ist kabarettreif.
Den Autoren des Textes der Planungsgruppe wäre zu empfehlen, solche Schwärmereien ihrer Fraktion zur Kenntnis zu nehmen.
Dieser Beitrag des damaligen Abteilungsleiters und späteren Staatssekretärs Asmussen, ausdrücklich als aus der „Sicht des Bundesfinanzministeriums“ formuliert, zeigt die eigentliche Einstellung der führenden Sozialdemokraten und dokumentiert auch zugleich die Verlogenheit des Papiers der Planungsgruppe.
Im Übrigen vernebelt der Begriff „Raubtierkapitalismus“ das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Der Begriff schiebt die skandalösen Vorgänge in einen moralischen Bereich. Dabei geht es um handfeste ökonomische Interessen und um handfeste politische Fehler und Versäumnisse.
Zum Beispiel:
Siehe insgesamt zum Thema auch hier.
Das Papier enthält auch sonst eine Fülle von Zumutungen. Bitte machen Sie Sozialdemokraten in ihrem Umfeld auf diesen Vorgang aufmerksam. Er steht in engem Zusammenhang mit der vorgesehenen Nominierung von Steinbrück zum Kanzlerkandidaten. Das Papier soll nicht nur die Regierung Schröder und die Versäumnisse der SPD im weiteren Verlauf überlagern und verdecken. Es soll offenbar auch Steinbrück rein waschen.
Im Papier selbst spielt das Argument, Union und FDP seien besonders schlimm gewesen, eine große Rolle. Diese mag ja so sein. Aber dies ist keine Entschuldigung dafür, es ebenfalls schlimm getrieben zu haben.
P.S.:
Weitere Materialen hier:
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