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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Kampagnen der Arbeitgeber, die auf Sprache zielen“
Datum: 24. Oktober 2011 um 9:40 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Gewerkschaften, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Stichworte für eine Diskussion im Rahmen des vom ÖGB-Verlag getragenen „#sbsm camps Soziale Bewegungen und Social Media“ vom 18. bis 20. Okober im ÖGB-Haus in Wien.
Der ÖGB-Verlag fungiert als die publizistische Drehscheibe des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Das Camp mit bis zu 300 Teilnehmer/innen wurde aus Anlass der Herausgabe eines Handbuchs für den Einsatz von Web 2.0 veranstaltet und war ein Treffpunkt zahlreicher „AktivistInnen“ der unterschiedlichsten sozialen Bewegungen des deutschsprachigen Raumes, die sich des Webs 2.0 als Plattformen bedienen. Von Wolfgang Lieb
Es sind Begriffe, die wir täglich in den Medien lesen und hören, die schon mit ihrer Benutzung eine dahinter stehende Ideologie verstärken:
Es ist ein kleiner Ausschnitt aus dem „Falschwörterbuch der Sozialreformen“ (Theaterintendant Ivan Nagel)
Das alles sind Worte einer „Neusprache“, es sind „Tarnwörter“ mit denen die Interessen der Wohlhabenden die Interessen der sozial Benachteiligten in brutaler Weise zurückgedrängt werden. Diese Worte sollen die Wahrheit verschleiern und das Denken lenken. Sprache wird zur Gehirnwäsche eingesetzt.
Es ist ein Neusprech, den man wie das Victor Klemperer in seinem Tagebuch „Lingua Tertii Imperii“ auf seinen Wahrheits- bzw. seinen Aussagegehalt durchforsten müsste.
Heiner Geißler hat schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, damals noch als Generalsekretär der CDU, festgestellt, dass eine Partei, die die Macht erobern will, die „Begriffe besetzen“ muss. Wer die Macht haben will, muss das Sagen haben.
Ohne einem Vertrautsein mit den Prinzipien der dahinter stehenden Ideologien kommen diese Begriffe beschönigend daher, sie verraten nicht die dahinter stehende Gedankenverbindung.
Zum Beispiel:
„Sozial ist, was Arbeit schafft“, diese Parole hat die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ins Herz getroffen.
Das Teuflische an dem Satz ist, dass er richtig ist, dass daraus aber keineswegs folgt, dass der Abbau des Sozialen Arbeit schafft. Aus Arbeitnehmersicht müsste der Satz lauten: „Sozial ist, was Arbeit gerecht entlohnt.“
Oder auf politischer Ebene hätte der Satz lauten müssen: „Nur eine aktive Wirtschaftspolitik kann Arbeit schaffen und ist deshalb sozial.“ (Heiner Flassbeck)
Die Wirklichkeit des Satzes „Sozial ist, was Arbeit schafft“ sieht so aus:
Statistisches Bundesamt Juli 2011:
„Von den knapp 31 Millionen abhängig Beschäftigten sind nur etwa 23 Millionen oder nur knapp drei Viertel sog. Normalerwerbstätige. Über 25 Prozent oder knapp 8 Millionen sind atypisch Beschäftigte. Darunter über fünfeinhalb Millionen Frauen und rund 2,3 Millionen Männer.
Knapp 5 Millionen dieser atypisch Beschäftigten sind Teilzeitzeitbeschäftigte (bis zu 20 Wochenstunden) und zweieinhalb Millionen sind geringfügig Beschäftigte.
Besonders stark zugenommen hat die Zahl der Zeitarbeitnehmer/innen (also der Leiharbeiter/innnen), nämlich um 32,5 % von 2009 auf 2010 und um insgesamt 21,2% von 2008 auf das Jahr 2010, auf nunmehr knapp eine drei Viertel Million Leiharbeitnehmer/innen oder fast zweieinhalb Prozent aller abhängig Beschäftigten.
Allein gegenüber 2009 hat die Zahl der atypisch Beschäftigten um eine viertel Million, um 243.000 Personen zugenommen. Da die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt dagegen nur um 322.000 Personen zugenommen hat, erweist sich der vielgerühmte Beschäftigungszuwachs zu gut 75% als Zuwachs von atypischer Beschäftigung. Und dieser Zuwachs ist wiederum zu mehr als der Hälfte (57 %) auf die Zunahme der Leiharbeit zurückzuführen. Die Leiharbeit ist inzwischen in vielen Großunternehmen zur gängigen Praxis geworden und sie betrifft überwiegend jüngere Arbeitnehmer. (Siehe dazu auch Leiharbeit kompakt). Fast 40 Prozent der Leiharbeiter sind unter 30 Jahre.
Zu weiteren 38% am Gesamtanstieg aller abhängig Beschäftigten von 2009 auf 2010 trugen befristete Beschäftigungsverhältnisse mit einem Anstieg von 121.000 Personen bei.
Der Beschäftigungszuwachs ist also zum großen Teil Zuwachs von Zeitarbeit. Die Zahl der Normalarbeitnehmer/innen hat zwischen 2008 und 2010 nur um 0,6%, die der atypisch Beschäftigten um 1,5% also mehr als doppelt zugenommen. Man kann also sagen, dass der „Boom“ auf dem Arbeitsmarkt vor allem als atypische Beschäftigung angekommen ist. Die Zahl der Männer in Normalbeschäftigung ging sogar um 44.000 zurück. Vor allem Männer sind in der Zeitarbeit gelandet.“
Eine Linke oder soziale Bewegungen generell, die diese Sprache sprechen, werden zum Büttel der herrschenden Eliten, ohne es zu merken.
Noch mehr: Es ist sogar gelungen die Sprache der Linken zu rauben und sie mit konservativen oder neoliberalen Inhalten zu besetzen und damit die Flucht aus der Wahrheit anzutreten.
Nehmen wir den Begriff „Reform“, oft noch ergänzt um „Struktur-Reformen“.
Reform hatte in früheren Zeiten die Bedeutung „Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden“. So wurde es das Wort auch lange Zeit benutzt und verstanden: Die Löhne stiegen, das soziale Netz wurde enger.
Heute müssen die Bürgerinnen und Bürger die Ankündigung einer Reform als Bedrohung empfinden.
Sie haben erfahren: „Reform“ steht für Sozialabbau, „Reformen“ wurden zur Steuersenkungen für Unternehmen und Wohlhabenden missbraucht, sie haben zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt. Reformen werden oft verbunden mit Deregulierung, Eigenverantwortung oder Privatisierung.
Nahezu alle „Reformen“ seit der „geistig moralischen Wende“ durch Helmut Kohl folgten einer eindimensionalen Unternehmerlogik oder – ökonomisch gesprochen – der sog. angebotsorientierten Wirtschaftstheorie. Diese besagt, alles, was die Investitionsbedingungen erleichtert, fördert Wachstum und damit Wohlstand. Genauer müsste man sagen, dass allein die Renditeerwartungen der Unternehmer und Kapitalmärkte darüber entscheiden, ob Wachstum und Arbeitsplätze entstehen. Deshalb Steuererleichterungen für Unternehmen, deshalb Einsparungen beim „Faktor Arbeit“, deshalb Senkung der „Lohnnebenkosten“ und der Löhne.
Und weil zu dieser Unternehmerlogik gehört, dass sich der Staat aus dem Wirtschaftsgeschehen heraus zu halten hat – sofern es sich nicht um die Entlastung der Unternehmen und die Steigerung der Profite handelt –, weil der Markt oder die Märkte alles besser können als der Staat, deshalb muss der Staat zurückgedrängt, am besten ausgehungert werden. „Starve the beast“ (Hungert die Bestie (Staat) aus), so die Parole der Reaganomics.
Kritiker, die sich einer solchen Politik entgegen stellen, werden als „Blockierer“ oder „Ewiggestrige“ oder als „Gutmenschen“ verunglimpft.
Diese Logik wurde von den Unternehmern und ihren Verbänden schon immer vertreten. Aber so lange es aus ihrem eigenen Munde kam, konnten sie zwar die zunehmend mit der Wirtschaft verflochtenen Parteien und damit die Politik und den konservativen Mainstream der Medien überzeugen, aber die Mehrheit der Menschen hat lange Zeit immer noch wahrgenommen, dass das die Logik von mächtigen Interessen ist.
Das haben auch die Arbeitgeber und ihre Verbände erkannt.
Anfang dieses Jahrtausends hat der Chef der Metallarbeitgeber erkannt: „Das, was die Bevölkerung will, und das, was die Führungskräfte für notwendig hielten, klaffte himmelweit auseinander.“
Weil man sich kein anderes Volk wählen konnte, blieb nur die Möglichkeit, das Volk „aufzuklären“ – wie Martin Kannegiesser das nannte.
D.h. dem Volk mit Parolen, Plakaten TV-Spots die Notwendigkeit von „radikalen Reformen“ einzuhämmern.
Man war sich unter den Bossen rasch einig, dass man dazu „viel Geld in die Hand nehmen“ müsse um eine PR-Maschine für ein wirtschaftsfreundliches Klima in Gang zu setzen.
Im Jahre 2000 gründeten sie die 100-Millionen Kampagne „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Das ist ganz offen eine Werbe-Organisation. Als PR-Maschine fungiert eine Tochter der Werbeagentur Scholz & Friends, die Aperto AG.
Als wissenschaftlicher Zulieferer das wesentlich arbeitgeberfinanzierte und arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW) und für die demoskopischen Daten ist der Hoflieferant der CDU, das „Institut für Demoskopie“ in Allensbach zuständig.
Die INSM nennt sich offensiv selbst „neoliberal“.
Um möglichst kompetent und „unabhängig“ daher zu kommen ging man enge Kooperationen mit sog. Experten ein, mit den Professoren Raffelhüschen, Straubhaar, von Suntum und wie sie alle heißen.
Durch Medienpartnerschaften mit der Wirtschaftswoche, impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Die Welt, Handelsblatt und – für jüngere Leute – mit dem Musik-Sender MTV wurden die Grenzen zwischen PR und Journalismus aufgeweicht.
Auch Fernseh-Talkshows würden mit Gästen „beliefert“.
Um möglichst überparteilich zu erscheinen holte man sich prominente sog. „Botschafter“ oder „Kuratoren“ aus allen Parteien ins Boot: Wolfgang Clement (SPD) (später ausgetreten), Sigmar Mosdorf, Florian Gerster etwa von der SPD, Oswald Metzger oder Christine Scheel (später ausgetreten) von Bündnis 90/Die Grünen, Professor Dr. Dagmar Schipanski (CDU), Dr. Edmund Stoiber, Theo Waigel (CSU) oder Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.) und viele andere. Dem Kuratorium der Initiative sitzt Professor Dr. Hans Tietmeyer vor, früher Präsident der Deutschen Bundesbank und Staatssekretär in der Regierung Helmut Kohl. Tietmeyer ist eine Art Repräsentant der „Initiative“. Unter seinem Namen sind eine Reihe von programmatischen Beiträgen zu den Zielen und Messages der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erschienen.
Auch Westerwelle, ja sogar die Kanzlerin gaben ihr Konterfei für die INSM her und auch der Sozialdemokrat Kurt Beck hat nichts unternommen, dass mit seinem Bild Anzeigen für einen marktradikalen Abbau des Sozialstaates geschaltet wurden.
Aber nicht nur Politiker dienten als Werbemaskottchen, auch Journalisten wie etwa Nina Ruge, der Turner Florian Hambüchen oder der Fußballer Christoph Metzelder. Für Oliver Bierhof wurden Reden verfasst.
Die jährliche Verleihung des Preises für die „Reformer des Jahres“ wurde vom öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix live übertragen.
In kaum einer Talkshow fehlt ein „Botschafter“ der INSM. Hans-Olaf Henkel, Arnulf Baring, Oswald Metzger und wie die „Botschafter“ dieser arbeitgeberfinanzierten PR-Organisation auch heißen mögen, werden höchst selten als wirtschaftsliberale Polit-Lobbyisten, sondern meist als „Experten“ eingeführt. Wenn man nur auf die Mainstream-Medien schaute, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es in Deutschland nur ein paar Dutzend Ökonomen mit Reputation gäbe. Es werden immer dieselben gefragt und zitiert, also die Sinns, die Straubhaars, die Hüthers, die Miegels die zum Netzwerk der INSM zu zählen sind.
Zusammen mit Focus Money wurde Schulprojekte „Wir erklären Wirtschaft“ oder „Wirtschaft und Schule“ gestartet, damit schon Kinder und Jugendliche das unternehmerische Wirtschaftsdenken lernen sollten.
Mit Werbekampagnen im Jugend- und Musiksender MTV und auf einer eigens auf junge Leute ausgerichteten Hompage sollen auch unpolitische junge Leute angesprochen werden. Motto: „Die Alten leben auf Kosten der Jungen.“
Die „Initiative“ will für die Bereitschaft zu „Reformen“, für die Marktwirtschaft und für das Unternehmertum werben. Die Initiatoren halten eine Anpassung der Sozialen Marktwirtschaft an „neue Realitäten“ für notwendig. Als „neue Realitäten“ werden die Globalisierung, das „demographische Problem“ und die dramatisch geänderte Arbeitswelt in Zeiten der New Economy genannt.
Globalisierung heißt: weltweite Dominanz einer unregulierten, kapitalistischen Marktwirtschaft.
Es wird beklagt, dass die sozialen Sicherungssysteme und der Anteil des Staates und seine Regulierungsdichte dramatisch zugenommen hätten. An die Stelle persönlicher Verantwortung sei vielfach „staatliche Vollversorgung“ getreten. Eine Rückbesinnung auf die grundlegenden Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und ihre „Erneuerung“ seien erforderlich. Wir bräuchten mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und mehr Mobilität bei allen Beschäftigten, ein Steuersystem, „das Leistung fördert anstatt sie zu bestrafen“, der Sozialstaat müsse von seinen „Ausuferungen befreit“ werden und die öffentliche Hand solle sich „auf die wirklich notwendigen Aufgaben beschränken“. Der „Initiative“ gehe es um einen „Klimawechsel in unserer Gesellschaft“ und um eine „strukturelle Erneuerung“.
Alle diese Begriffe müsste man unter die Rubrik der Tarnwörter, wie oben beschrieben, einordnen.
Es ist jedoch nicht nur die INSM an dieser Gehirnwäsche beteiligt.
Wir sind in Deutschland geradezu umzingelt von interessengeleiteten Think-Tanks, die reflexartig ihre Geschützrohre in Stellung bringen, wenn die neoliberalen Glaubenssätze von der Wirklichkeit widerlegt werden. Ich könnte mit vielen Beispielen belegen, wie als Denkfabriken getarnte Propaganda-Agenturen regelmäßig mit ihren sog. Studien versuchen, die Stimmung im Lande zu beeinflussen. Wenn Sie an Belegen dafür interessiert sind, könnte ich ihnen gerne viele Beispiele demonstrieren.
Ich weiß, dass ich mit meinem Urteil bei vielen Journalisten und Journalistinnen in die Nesseln setze, denn mir werden dann regelmäßig einzelne Beispiele entgegen gehalten, die belegen sollen, dass ich Unrecht habe, aber dennoch will ich meine These aussprechen: Ein beachtlicher Teil der schreibenden und sendenden Zunft lässt sich oft mehr nolens als volens in gezielt inszenierten Kampagnen der Meinungsbeeinflussung einspannen. Kampagnenjournalismus ist geradezu zu einem beherrschenden Charakteristikum geworden.
Hier schließt sich der Kreis: Die Stichworte werden von den wirtschaftlich Mächtigen geliefert und sie gehen in die veröffentlichte Meinung ein und wenn die Worte nur oft wiederholt wird, dann wird – wie bei Orwell – die Lüge zur Wahrheit.
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