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Titel: „Kampagnen der Arbeitgeber, die auf Sprache zielen“

Datum: 24. Oktober 2011 um 9:40 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Gewerkschaften, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich:

Stichworte für eine Diskussion im Rahmen des vom ÖGB-Verlag getragenen „#sbsm camps Soziale Bewegungen und Social Media“ vom 18. bis 20. Okober im ÖGB-Haus in Wien.
Der ÖGB-Verlag fungiert als die publizistische Drehscheibe des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Das Camp mit bis zu 300 Teilnehmer/innen wurde aus Anlass der Herausgabe eines Handbuchs für den Einsatz von Web 2.0 veranstaltet und war ein Treffpunkt zahlreicher „AktivistInnen“ der unterschiedlichsten sozialen Bewegungen des deutschsprachigen Raumes, die sich des Webs 2.0 als Plattformen bedienen. Von Wolfgang Lieb

  • In ihrer Schrift „Dialektik der Aufklärung“ schreiben Max Horkheimer und Theodor Adorno in der Einleitung:
    „Es gehört zum heillosen Zustand, dass auch der ehrlichste Reformer, der in abgegriffener Sprache die Neuerung empfiehlt, durch Übernahme des eingeschliffenen Kategorienapparats und der dahinterstehenden schlechten Philosophie, die Macht des bestehenden verstärkt, die er brechen möchte.“
  • Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat einmal gesagt: “Jedem Desaster, jeder Katastrophe, jeder Ungeheuerlichkeit geht immer eine Sprachverschmutzung, ein Missbrauch der Wörter voraus.“
  • Albert Camus: Die Dinge falsch benennen, heißt das das Unglück der Welt zu vergrößern“
  • „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“ Politische Sprache und ihre heimliche Macht, so heißt ein Buch der Linguisten George Lakoff und Elisabeth Wehling.
    „Wir wissen aus der Kognitions- und Neuroforschung: Denken ist größtenteils unbe­wusst. Es ist strukturiert durch kognitive Frames, die Fakten erst einen Sinn verleihen. Diese Frames können sich stark voneinander unterscheiden, Gegebenheiten sogar gegensätzliche Bedeutungen zuschreiben.
    In der politischen Debatte sind Frames durch unterschiedliche – oft konträre – Wer­tesysteme strukturiert. Wahre Transparenz bedeutet daher gedankliche Klarheit und sprachliche Offenheit über Werte [PDF – 325 KB].“

    Es sind Begriffe, die wir täglich in den Medien lesen und hören, die schon mit ihrer Benutzung eine dahinter stehende Ideologie verstärken:

  • „Agenda 2010“, „Lohn-Nebenkosten“, „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“, „Deregulierung“, „Gesundheitsprämie“, „Personal-Service-Agentur“, „sozial Schwache“, „Umbau des Sozialstaats“, „das Land fit machen für die Zukunft“, „Eigeninitiative“, „Eigenverantwortung“…
  • „Sozial ist, was Arbeit schafft“
  • Oder: Auf dem Feld der Energiepolitik, wo die Atomenergie als „Brückentechnologie“ bezeichnet wird.
  • Zur Verschleierung der Bankenkrise ist vor drei Jahren ein ganz neuer Begriff erfunden worden:
    „Systemrelevant“.

    Es ist ein kleiner Ausschnitt aus dem „Falschwörterbuch der Sozialreformen“ (Theaterintendant Ivan Nagel)

    Das alles sind Worte einer „Neusprache“, es sind „Tarnwörter“ mit denen die Interessen der Wohlhabenden die Interessen der sozial Benachteiligten in brutaler Weise zurückgedrängt werden. Diese Worte sollen die Wahrheit verschleiern und das Denken lenken. Sprache wird zur Gehirnwäsche eingesetzt.

    Es ist ein Neusprech, den man wie das Victor Klemperer in seinem Tagebuch „Lingua Tertii Imperii“ auf seinen Wahrheits- bzw. seinen Aussagegehalt durchforsten müsste.

    Heiner Geißler hat schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, damals noch als Generalsekretär der CDU, festgestellt, dass eine Partei, die die Macht erobern will, die „Begriffe besetzen“ muss. Wer die Macht haben will, muss das Sagen haben.

    Ohne einem Vertrautsein mit den Prinzipien der dahinter stehenden Ideologien kommen diese Begriffe beschönigend daher, sie verraten nicht die dahinter stehende Gedankenverbindung.

    Zum Beispiel:

  • „Sozial ist, was Arbeit schafft.“
    In Wahrheit müsste ergänzt werden: Sozial ist, was Arbeit schafft, egal zu welchem Lohn und unter welchen Arbeitsbedingungen.
    Uns gemeint ist: Löhne sollen gesenkt werden, Arbeitszeiten verlängert und Arbeitsschutzgesetze abgebaut werden.

    „Sozial ist, was Arbeit schafft“, diese Parole hat die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ins Herz getroffen.
    Das Teuflische an dem Satz ist, dass er richtig ist, dass daraus aber keineswegs folgt, dass der Abbau des Sozialen Arbeit schafft. Aus Arbeitnehmersicht müsste der Satz lauten: „Sozial ist, was Arbeit gerecht entlohnt.“
    Oder auf politischer Ebene hätte der Satz lauten müssen: „Nur eine aktive Wirtschaftspolitik kann Arbeit schaffen und ist deshalb sozial.“ (Heiner Flassbeck)

    Die Wirklichkeit des Satzes „Sozial ist, was Arbeit schafft“ sieht so aus:
    Statistisches Bundesamt Juli 2011:
    „Von den knapp 31 Millionen abhängig Beschäftigten sind nur etwa 23 Millionen oder nur knapp drei Viertel sog. Normalerwerbstätige. Über 25 Prozent oder knapp 8 Millionen sind atypisch Beschäftigte. Darunter über fünfeinhalb Millionen Frauen und rund 2,3 Millionen Männer.
    Knapp 5 Millionen dieser atypisch Beschäftigten sind Teilzeitzeitbeschäftigte (bis zu 20 Wochenstunden) und zweieinhalb Millionen sind geringfügig Beschäftigte.
    Besonders stark zugenommen hat die Zahl der Zeitarbeitnehmer/innen (also der Leiharbeiter/innnen), nämlich um 32,5 % von 2009 auf 2010 und um insgesamt 21,2% von 2008 auf das Jahr 2010, auf nunmehr knapp eine drei Viertel Million Leiharbeitnehmer/innen oder fast zweieinhalb Prozent aller abhängig Beschäftigten.
    Allein gegenüber 2009 hat die Zahl der atypisch Beschäftigten um eine viertel Million, um 243.000 Personen zugenommen. Da die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt dagegen nur um 322.000 Personen zugenommen hat, erweist sich der vielgerühmte Beschäftigungszuwachs zu gut 75% als Zuwachs von atypischer Beschäftigung. Und dieser Zuwachs ist wiederum zu mehr als der Hälfte (57 %) auf die Zunahme der Leiharbeit zurückzuführen. Die Leiharbeit ist inzwischen in vielen Großunternehmen zur gängigen Praxis geworden und sie betrifft überwiegend jüngere Arbeitnehmer. (Siehe dazu auch Leiharbeit kompakt). Fast 40 Prozent der Leiharbeiter sind unter 30 Jahre.
    Zu weiteren 38% am Gesamtanstieg aller abhängig Beschäftigten von 2009 auf 2010 trugen befristete Beschäftigungsverhältnisse mit einem Anstieg von 121.000 Personen bei.
    Der Beschäftigungszuwachs ist also zum großen Teil Zuwachs von Zeitarbeit. Die Zahl der Normalarbeitnehmer/innen hat zwischen 2008 und 2010 nur um 0,6%, die der atypisch Beschäftigten um 1,5% also mehr als doppelt zugenommen. Man kann also sagen, dass der „Boom“ auf dem Arbeitsmarkt vor allem als atypische Beschäftigung angekommen ist. Die Zahl der Männer in Normalbeschäftigung ging sogar um 44.000 zurück. Vor allem Männer sind in der Zeitarbeit gelandet.“

  • Wer z.B. sagt, die „Agenda 2010“ ist richtig, der verbirgt mit dieser Aussage Folgendes was sich schon gar nicht mehr so schön und neutral auswirkt. Nämlich: Kürzung der Rente und des Arbeitslosengeldes, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, Praxisgebühr, Selbstbeteiligung an den Arzneimittelkosten, Senkung der Steuern für Wohlhabende, Abschaffung der Vermögenssteuer oder der Besteuerung der Veräußerung von Firmenanteilen usw. usf.
  • „Freiheit“ wurde umgedeutet in Wirtschaftsfreiheit oder uneingeschränkte Freiheit des Unternehmers unter Abbau von politischen Freiheiten, also etwa Mitbestimmung oder politische Teilhabe.
  • „Eigeninitiative“ oder „Eigenverantwortung“ bedeuten tatsächlich eine Absage an solidarische Sicherungssysteme oder das Aussetzen in die uneingeschränkte Konkurrenz des Marktes.
  • „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ heißt in der Realität Abbau von über ein Jahrhundert erkämpfte Sozialstandards und der Arbeitnehmerrechte, heißt z.B. Abbau des Kündigungsschutzes, Leiharbeit, Mini-Jobs, Niedriglöhne. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes heißt in aller Regel auch Senkung der Einnahmen der Sozialversicherungen und damit Verschlechterung bei der Rente, bei der Krankenversorgung oder bei Arbeitslosigkeit.
  • Schon das Wort „Arbeitsmarkt“ würde eine ganz andere Bedeutung bekommen, wenn man ehrlicherweise von „Menschenmarkt“ sprechen würde.
  • „Atypische Beschäftigung“ meint Abbau des Normalarbeitsverhältnisses, Arbeit an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr, zu nicht tarifgebundenen Löhnen.
  • „Umbau des Sozialstaats“, heißt in der Realität Abbau des Sozialstaats und die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme ausschließlich zu Lasten der Versicherten.
  • „Systemrelevant“ soll das systematische Versagen der Politik, der Wirtschaftswissenschaften oder der Medien vor Ausbruch der Finanzkrise verdecken und die Staatshilfen vernebeln.
  • „Internationale Wettbewerbsfähigkeit“ heißt Niederkonkurrieren der anderen Länder durch Lohn- oder Steuersenkung, Verlagerung von Arbeitslosigkeit in andere Länder, Leistungsbilanzüberschüssen stehen immer Leistungsbilanzdefizite anderer Länder und deren Verschuldung gegenüber. Dass eine solche einseitige Verschuldung auf Dauer nicht gut gehen kann, erleben wir jetzt in der sog. Euro-Krise.
  • „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, wonach durch Steuersenkungen die Wirtschaft angekurbelt und damit Steuereinnahmen wieder erhöht werden könnten, ist ein Griff in die Mottenkiste der Wirtschaftsideologie der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der schon Ronald Reagan den amerikanischen Haushalt und die Wirtschaft dazu an die Wand gefahren hat.
  • „Betriebliche Bündnisse“ nennt man den Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie
  • Nehmen wir den Hochschulbereich: Dort ist das Tarnwort „Autonomie“ der Türöffner für die Einführung der „unternehmerischen Hochschule“ oder des „akademischen Kapitalismus“ gewesen. Autonomie ist nicht mehr und nicht weniger, als die autokratische Herrschaft durch die Hochschulleitungen unter Ausschaltung der Selbstverwaltung und der Mitbestimmung.
  • Solche Tarnworte verbergen sich auch vielfach hinter den ach so modischen Anglizismen:
    Shareholder Value heißt auf deutsch, es geht um nichts anderes als den Value, also den Wert der Aktien (share) im Interesse der Aktionäre (shareholder) zu steigern.
  • „Überalterung der Gesellschaft“ – eines der Schlagworte mit denen das System der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente zerschlagen wurde und zur Grundsicherung umgewandelt wurde, die durch eine kapitalgedeckte private Vorsorge ergänzt werden soll.
    Die an und für sich erfreuliche Tatsache, dass Menschen eine höhere Lebenserwartung haben, bekommt mit „Über“-Alterung einen negativen Beigeschmack des A-Normalen, und dieses „Überwuchern“ muss durch den „Umbau“ der Sozialsysteme zurückgeschnitten werden.
  • „Modernisierung“ oder „Umbau“ des Sozialstaats, dahinter versteckt sich nichts anderes als „Abbau“ des Sozialen.
  • Hinter „zurückhaltender Lohnpolitik“ stehen flächendeckende Lohnkürzungen oder Nullrunden.
  • Die Senkung der „Lohnnebenkosten“ war ein zentrales Projekt der neoliberalen Ideologie.
    Kein Unternehmen unterscheidet in seiner Kostenrechnung zwischen Lohn- und Lohnnebenkosten. Es unterscheidet die Kosten für die Ressourcen, für das Kapital und für den Faktor Arbeit. Mit der Senkung der „Lohnnebenkosten“ werden ausschließlich die Kosten für die Unternehmen gesenkt und den Arbeitnehmern allein aufgebürdet.
    „Lohnnebenkosten“ sind nichts anderes als von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch aufgebrachtes Geld für Rentner, Kranke, Arbeitslose und Pflegebedürftige. Würde man das offen sagen, dann würde sich die Wahrnehmung schlagartig ändern.
    Mit der Senkung der „Lohnnebenkosten“ zum Erhalt der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ werden den Arbeitnehmern Kosten aufgebürdet, die die Unternehmen nicht mehr zahlen wollen und gleichzeitig werden die Löhne nicht mehr erhöht oder gar gekürzt.
  • „Objektiv notwendig“, „zwingend notwendig“, „alternativlos“, damit bestreitet man, dass es keine demokratische Alternative gibt. Man verleiht politischen Entscheidungen den Charakter einer „Naturgesetzlichkeit“. Schon Carl Popper hat lang und breit bewiesen, dass politische Entscheidungen nie objektiv sein können, weil Geschichte von Menschen gemacht wird.
    Man nimmt den Menschen die Freiheit der Entscheidung und verbarrikadiert seine Politik gegen Mehrheitsmeinungen. (Oskar Lafontaine, in: Politik für alle)

Eine Linke oder soziale Bewegungen generell, die diese Sprache sprechen, werden zum Büttel der herrschenden Eliten, ohne es zu merken.

Noch mehr: Es ist sogar gelungen die Sprache der Linken zu rauben und sie mit konservativen oder neoliberalen Inhalten zu besetzen und damit die Flucht aus der Wahrheit anzutreten.
Nehmen wir den Begriff „Reform“, oft noch ergänzt um „Struktur-Reformen“.
Reform hatte in früheren Zeiten die Bedeutung „Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden“. So wurde es das Wort auch lange Zeit benutzt und verstanden: Die Löhne stiegen, das soziale Netz wurde enger.

Heute müssen die Bürgerinnen und Bürger die Ankündigung einer Reform als Bedrohung empfinden.
Sie haben erfahren: „Reform“ steht für Sozialabbau, „Reformen“ wurden zur Steuersenkungen für Unternehmen und Wohlhabenden missbraucht, sie haben zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt. Reformen werden oft verbunden mit Deregulierung, Eigenverantwortung oder Privatisierung.

Nahezu alle „Reformen“ seit der „geistig moralischen Wende“ durch Helmut Kohl folgten einer eindimensionalen Unternehmerlogik oder – ökonomisch gesprochen – der sog. angebotsorientierten Wirtschaftstheorie. Diese besagt, alles, was die Investitionsbedingungen erleichtert, fördert Wachstum und damit Wohlstand. Genauer müsste man sagen, dass allein die Renditeerwartungen der Unternehmer und Kapitalmärkte darüber entscheiden, ob Wachstum und Arbeitsplätze entstehen. Deshalb Steuererleichterungen für Unternehmen, deshalb Einsparungen beim „Faktor Arbeit“, deshalb Senkung der „Lohnnebenkosten“ und der Löhne.
Und weil zu dieser Unternehmerlogik gehört, dass sich der Staat aus dem Wirtschaftsgeschehen heraus zu halten hat – sofern es sich nicht um die Entlastung der Unternehmen und die Steigerung der Profite handelt –, weil der Markt oder die Märkte alles besser können als der Staat, deshalb muss der Staat zurückgedrängt, am besten ausgehungert werden. „Starve the beast“ (Hungert die Bestie (Staat) aus), so die Parole der Reaganomics.

  • Nehmen wir Beispiele aus der linguistischen Forschung von Lakoff und Wehling:
    Selbst Sozialdemokraten sagen oft: Gespart wird bei den „sozial Schwachen“. Das ist gut gemeint, aber wenn man den Bedeutungsrahmen betrachtet, dann sagt man, wer sozial schlecht da steht, ist schwach. Diejenigen die ökonomisch gut da stehen, sind die Starken und eigene Stärke ist eben ein zentraler Wert im konservativen Glaubenssystem. Denn Stärke entwickelt nach diesem Dogma keiner, dem man unter die Arme greift. Zu viel Hilfe ist deshalb geradezu unmoralisch. Ökonomische Not wird so als eine Frage mangelnder Selbstdisziplin begriffen.
  • Oder: Wir sprechen gedankenlos von „Unterschicht“ und Oberschicht.
    Wir sagen damit gleichzeitig oben ist mehr, von oben wird kontrolliert. Oben ist der Himmel und unten ist der Teufel.
  • Oder: Man redet vom „abgehängten Prekariat“. Diejenigen, die dazu gehören, haben schlicht den gesellschaftlichen Wettlauf verloren, sie hinken hinterher oder sie sind zurückgeblieben. Sie sind eben die Verlierer – „abgehängt“.
  • Oder man sagt: „Arbeitnehmer entlasten, Millionäre belasten“. Steuern sind also von vorneherein etwas Belastendes, also Negatives. Die Millionäre werden um ihren verdienten Wohlstand gebracht – sie werden „belastet“, wenn sie etwas von ihren Gewinnen für die Gemeinschaft, für Bildung, für Infrastruktur abgeben, woraus sie ihren Profit gezogen haben

Kritiker, die sich einer solchen Politik entgegen stellen, werden als „Blockierer“ oder „Ewiggestrige“ oder als „Gutmenschen“ verunglimpft.

Diese Logik wurde von den Unternehmern und ihren Verbänden schon immer vertreten. Aber so lange es aus ihrem eigenen Munde kam, konnten sie zwar die zunehmend mit der Wirtschaft verflochtenen Parteien und damit die Politik und den konservativen Mainstream der Medien überzeugen, aber die Mehrheit der Menschen hat lange Zeit immer noch wahrgenommen, dass das die Logik von mächtigen Interessen ist.

Das haben auch die Arbeitgeber und ihre Verbände erkannt.
Anfang dieses Jahrtausends hat der Chef der Metallarbeitgeber erkannt: „Das, was die Bevölkerung will, und das, was die Führungskräfte für notwendig hielten, klaffte himmelweit auseinander.“
Weil man sich kein anderes Volk wählen konnte, blieb nur die Möglichkeit, das Volk „aufzuklären“ – wie Martin Kannegiesser das nannte.
D.h. dem Volk mit Parolen, Plakaten TV-Spots die Notwendigkeit von „radikalen Reformen“ einzuhämmern.

Man war sich unter den Bossen rasch einig, dass man dazu „viel Geld in die Hand nehmen“ müsse um eine PR-Maschine für ein wirtschaftsfreundliches Klima in Gang zu setzen.

Im Jahre 2000 gründeten sie die 100-Millionen Kampagne „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Das ist ganz offen eine Werbe-Organisation. Als PR-Maschine fungiert eine Tochter der Werbeagentur Scholz & Friends, die Aperto AG.
Als wissenschaftlicher Zulieferer das wesentlich arbeitgeberfinanzierte und arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW) und für die demoskopischen Daten ist der Hoflieferant der CDU, das „Institut für Demoskopie“ in Allensbach zuständig.

Die INSM nennt sich offensiv selbst „neoliberal“.

Um möglichst kompetent und „unabhängig“ daher zu kommen ging man enge Kooperationen mit sog. Experten ein, mit den Professoren Raffelhüschen, Straubhaar, von Suntum und wie sie alle heißen.

Durch Medienpartnerschaften mit der Wirtschaftswoche, impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Die Welt, Handelsblatt und – für jüngere Leute – mit dem Musik-Sender MTV wurden die Grenzen zwischen PR und Journalismus aufgeweicht.

Auch Fernseh-Talkshows würden mit Gästen „beliefert“.

Um möglichst überparteilich zu erscheinen holte man sich prominente sog. „Botschafter“ oder „Kuratoren“ aus allen Parteien ins Boot: Wolfgang Clement (SPD) (später ausgetreten), Sigmar Mosdorf, Florian Gerster etwa von der SPD, Oswald Metzger oder Christine Scheel (später ausgetreten) von Bündnis 90/Die Grünen, Professor Dr. Dagmar Schipanski (CDU), Dr. Edmund Stoiber, Theo Waigel (CSU) oder Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.) und viele andere. Dem Kuratorium der Initiative sitzt Professor Dr. Hans Tietmeyer vor, früher Präsident der Deutschen Bundesbank und Staatssekretär in der Regierung Helmut Kohl. Tietmeyer ist eine Art Repräsentant der „Initiative“. Unter seinem Namen sind eine Reihe von programmatischen Beiträgen zu den Zielen und Messages der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erschienen.

Auch Westerwelle, ja sogar die Kanzlerin gaben ihr Konterfei für die INSM her und auch der Sozialdemokrat Kurt Beck hat nichts unternommen, dass mit seinem Bild Anzeigen für einen marktradikalen Abbau des Sozialstaates geschaltet wurden.

Aber nicht nur Politiker dienten als Werbemaskottchen, auch Journalisten wie etwa Nina Ruge, der Turner Florian Hambüchen oder der Fußballer Christoph Metzelder. Für Oliver Bierhof wurden Reden verfasst.

Die jährliche Verleihung des Preises für die „Reformer des Jahres“ wurde vom öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix live übertragen.

In kaum einer Talkshow fehlt ein „Botschafter“ der INSM. Hans-Olaf Henkel, Arnulf Baring, Oswald Metzger und wie die „Botschafter“ dieser arbeitgeberfinanzierten PR-Organisation auch heißen mögen, werden höchst selten als wirtschaftsliberale Polit-Lobbyisten, sondern meist als „Experten“ eingeführt. Wenn man nur auf die Mainstream-Medien schaute, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es in Deutschland nur ein paar Dutzend Ökonomen mit Reputation gäbe. Es werden immer dieselben gefragt und zitiert, also die Sinns, die Straubhaars, die Hüthers, die Miegels die zum Netzwerk der INSM zu zählen sind.

Zusammen mit Focus Money wurde Schulprojekte „Wir erklären Wirtschaft“ oder „Wirtschaft und Schule“ gestartet, damit schon Kinder und Jugendliche das unternehmerische Wirtschaftsdenken lernen sollten.

Mit Werbekampagnen im Jugend- und Musiksender MTV und auf einer eigens auf junge Leute ausgerichteten Hompage sollen auch unpolitische junge Leute angesprochen werden. Motto: „Die Alten leben auf Kosten der Jungen.“

Die „Initiative“ will für die Bereitschaft zu „Reformen“, für die Marktwirtschaft und für das Unternehmertum werben. Die Initiatoren halten eine Anpassung der Sozialen Marktwirtschaft an „neue Realitäten“ für notwendig. Als „neue Realitäten“ werden die Globalisierung, das „demographische Problem“ und die dramatisch geänderte Arbeitswelt in Zeiten der New Economy genannt.
Globalisierung heißt: weltweite Dominanz einer unregulierten, kapitalistischen Marktwirtschaft.

Es wird beklagt, dass die sozialen Sicherungssysteme und der Anteil des Staates und seine Regulierungsdichte dramatisch zugenommen hätten. An die Stelle persönlicher Verantwortung sei vielfach „staatliche Vollversorgung“ getreten. Eine Rückbesinnung auf die grundlegenden Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und ihre „Erneuerung“ seien erforderlich. Wir bräuchten mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und mehr Mobilität bei allen Beschäftigten, ein Steuersystem, „das Leistung fördert anstatt sie zu bestrafen“, der Sozialstaat müsse von seinen „Ausuferungen befreit“ werden und die öffentliche Hand solle sich „auf die wirklich notwendigen Aufgaben beschränken“. Der „Initiative“ gehe es um einen „Klimawechsel in unserer Gesellschaft“ und um eine „strukturelle Erneuerung“.

Alle diese Begriffe müsste man unter die Rubrik der Tarnwörter, wie oben beschrieben, einordnen.

Es ist jedoch nicht nur die INSM an dieser Gehirnwäsche beteiligt.

Wir sind in Deutschland geradezu umzingelt von interessengeleiteten Think-Tanks, die reflexartig ihre Geschützrohre in Stellung bringen, wenn die neoliberalen Glaubenssätze von der Wirklichkeit widerlegt werden. Ich könnte mit vielen Beispielen belegen, wie als Denkfabriken getarnte Propaganda-Agenturen regelmäßig mit ihren sog. Studien versuchen, die Stimmung im Lande zu beeinflussen. Wenn Sie an Belegen dafür interessiert sind, könnte ich ihnen gerne viele Beispiele demonstrieren.

  • „Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) (Wolfgang Franz)
  • Kronberger Kreis
  • Kieler Institut für Weltwirtschaft
    Wer etwa dieses Institut für ein unabhängiges wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut hält, sollte sich nur einmal dessen „Wirtschafts“-Beirat ansehen. Dort beraten Martin Blessing (Commerzbank), Stefan Dräger (Drägerwerke), Dr. John Feldmann (BASF), Robert Friedmann (Würth Gruppe), Dr. Reinhard Göhner (BDA), Thorsten Grenz (Veolia), Dr. Kurt-Ludwig Gutberlet (BSH Bosch und Siemens Hausgeräte), Dr. Tessen von Heydebreck (Deutsche Bank), Frau Liz Mohn (Bertelsmann), Dr. Klaus Murmann (Sauer-Danfoss), Steffen Naumann (Axel Springer), Professor Dr. Bernd Rohwer (IHK Schleswig-HoIstein), Dr. Johannes Teyssen (E.ON), Frau OB Angelika Volquartz (Landeshauptstadt Kiel) und Reinier Zwitserloot (Wintershall).
  • „Institut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA)
    Auch dieses Institut ist alles andere als unabhängig: Präsident ist immer noch Klaus Zumwinkel, bis zu seiner Verurteilung als Steuerhinterzieher Vorstandsvorsitzender der Deutsche Post World Net. Vor allem die Deutsche Post AG hält das IZA aus.
    Direktor ist Professor Zimmerman gleichzeitig Chef des DIW. Zimmermann posiert gerne in Anzeigen für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Er hat für die neoliberale Gleichschaltung des DIW gesorgt.
    „Policy Fellow“ ist u.a. der geschasste Bundesagentur-Chef Florian Gerster und heutige Headhunter und Vorsitzender des Investitionsbeirats des Private-Equity-Unternehmens Fortress, Präsident des selbst ernannten Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustellerdienste (AGV-NBZ) und Unterstützer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Auch Thilo Sarrazin oder der für seine harte Linie gegen Ausländer bekannte Bezirksbürgermeister Neuköllns Heinz Buschkowsky dürfen als „Fellows“ nicht fehlen.
  • Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, Prof. Raffelhüschen.
    Raffelhüschen Er ist nicht nur bekannt als wissenschaftliches Sprachrohr für die Privatisierung der Sozialversicherungen und gefragter Interviewpartner in Talkshows, sondern auch so genannter Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Außerdem ist er wissenschaftlicher Berater des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und der Victoria Versicherung AG. Raffelhüschen ist auch im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe, zu deren Gesellschaften Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV Deutsche Krankenversicherung, D.A.S. und die KarstadtQuelle Versicherungen gehören. Zudem war er Dauergast auf Werbeveranstaltungen des Finanzdienstleisters MLP.
  • Karl-Bräuer-Institut
    Auch das Karl-Breuer-Institut ist nur ein angeblich wissenschaftliches Aushängeschild des Bundes der Steuerzahler. Der sog. „Bund der Steuerzahler“, dessen Mitglieder zu 60 bis 70 Prozent aus Unternehmen und dem gewerblichen Mittelstand kommen, ist nichts anderes als eine Lobbyorganisation, die gegen Steuern und Sozialabgaben zu Felde zieht.
  • Stiftung Marktwirtschaft (CDU-nah)
  • Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen
    Wenn wir uns die Personalliste von wissenschaftlichem Beirat, Kuratorium etc. der Stiftung anschauen, finden wir dort so illustre Prominenz wie z.B. Prof. Bernd Raffelhüschen (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Stiftung Marktwirtschaft, Aufsichtsrat ERGO-Versicherung), Lord Ralf Dahrendorf (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft)(inzwischen verstorben), Dr. Jürgen Borchert (Familienrichter Buchautor: “Renten vor dem Absturz – Ist der Sozialstaat am Ende?”) und Prof. Dr. Werner Weidenfeld (Centrum für angewandte Politikforschung / Bertelsmann-Stiftung).
  • Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther
  • Deutsches Institut für Altersvorsorge
    Gesellschafter des Instituts sind die Deutsche Bank AG, Deutsche Bank Bauspar AG, DWS Investment GmbH und Deutscher Herold AG, Kooperationspartner ist die Deutsche Bank Privat- und Geschäftskunden AG.
    Sprecher des DIA ist Bernd Katzenstein, er ist gleichzeitig Chefredakteur des Kundenmagazins „Forum“ des Finanzdienstleisters MLP AG.
  • Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und demographischer Wandel (the Mannheim Research Institute for the Economics of Aging).
    Das MEA wurde vom Land Baden-Württemberg und der Versicherungswirtschaft gegründet und wird von diesen finanziert. Viele Gutachtenaufträge kommen von der Versicherungswirtschaft. MEA macht viel Werbung für die Privatvorsorge. Die durch die Angliederung an die Universität vermittelte Unabhängigkeit macht es aber auch möglich, Aufträge von anderer Seite zu erhalten, zum Beispiel sogar von der Hans-Böckler-Stiftung.
    Direktor des Instituts ist Professor Axel Börsch-Supan. Vorstandsvorsitzender ist Professor Bert Rürup, der inzwischen beim früheren AWD-Chef und „Finanzoptimierer“ Maschmeyer gelandet ist.
  • Berlinpolis
    Ein Institut, das durch seine verdeckte PR aufgefallen ist.
  • Die Bilderberg-Gruppe
  • Weltwirschaftsforum Davos
  • Last but not least:
    Bertelsmann Stiftung
    Einer der wirkungsmächtigsten sog. „Reformmotoren“.

Ich weiß, dass ich mit meinem Urteil bei vielen Journalisten und Journalistinnen in die Nesseln setze, denn mir werden dann regelmäßig einzelne Beispiele entgegen gehalten, die belegen sollen, dass ich Unrecht habe, aber dennoch will ich meine These aussprechen: Ein beachtlicher Teil der schreibenden und sendenden Zunft lässt sich oft mehr nolens als volens in gezielt inszenierten Kampagnen der Meinungsbeeinflussung einspannen. Kampagnenjournalismus ist geradezu zu einem beherrschenden Charakteristikum geworden.

Hier schließt sich der Kreis: Die Stichworte werden von den wirtschaftlich Mächtigen geliefert und sie gehen in die veröffentlichte Meinung ein und wenn die Worte nur oft wiederholt wird, dann wird – wie bei Orwell – die Lüge zur Wahrheit.


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