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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ein neuer Anlauf für den „Pflege-Riester“
Datum: 4. August 2011 um 9:08 Uhr
Rubrik: INSM, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Pflegeversicherung, Rente
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Junge Abgeordnete von CDU und CSU“ nutzen das nachrichtenarme Sommerloch und machen einen erneuten Anlauf zur Einführung eines „Pflege-Riesters“. In einem „Manifest“, initiiert vom gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, und dem parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe und Chef der bayerischen Jungen Union, Stefan Müller, das inzwischen von 22 Abgeordneten unterzeichnet wurde, wird gefordert, mit der Pflegereform endlich ernst zu machen und das bisherige Umlageverfahren in der Pflegeversicherung durch eine „Kapitalreserve“ zu ergänzen.
Das steht zwar auch schon in den Koalitionsvereinbarungen sowohl der Großen Koalition als auch von Schwarz-Gelb [PDF – 312 KB], doch die jungen „Christdemokraten“ machen sich Sorge, dass dieses Vorhaben erneut „auf die lange Bank“ geschoben werden könnte.
Nach der Rentenversicherung soll nun auch die Pflegeversicherung sturmreif geschossen werden. Wolfgang Lieb
Seit Jahren malen etwa die INSM, das Institut der deutschen Wirtschaft oder andere sog. „Experten“ wie Rürup oder Raffelhüschen und natürlich die geballte Propagandamacht der Finanzdienstleister den demografischen Untergang nicht nur der gesetzlichen Rente sondern auch der umlagefinanzierten Pflegeversicherung an die Wand: Nur die Kapitaldeckung könne eine angemessene Altersvorsorge und Pflege gewährleisten. Die Versicherungswirtschaft reibt sich die Hände.
Die FDP will die Kapitaldeckung auch schon seit Langem und nun nutzen „junge Abgeordnete von CDU und CSU“ das Sommerloch und machen einen erneuten Anlauf. Sie fordern, mit der Pflegereform endlich ernst zu machen und das bisherige Umlageverfahren in der Pflegeversicherung durch eine „Kapitalreserve“ zu ergänzen.
Das steht zwar auch schon in den Koalitionsvereinbarungen sowohl der Großen Koalition als auch von Schwarz-Gelb [PDF – 312 KB], doch die jungen „Christdemokraten“ machen sich Sorge, dass dieses Vorhaben erneut „auf die lange Bank“ geschoben werden könnte.
Über die Denkfehler bei der Einführung einer Kapiteldeckung von Altersvorsorgesystemen und die Interessen, die hinter einer solchen Forderung stehen, haben wir auf den NachDenkSeiten sowohl bei der Einführung der Riester-Rente als auch schon bei Vorstößen für eine Kapitaldeckung der Pflegeversicherung so oft geschrieben, dass wir uns angesichts des neuerlichen Anlaufs einfach darauf beschränken können, Sie auf frühere Beiträge zu verweisen:
Schon vor sieben Jahren hat sich Albrecht Müller in seinem Buch „Reformlüge“ ausführlich mit dem Denkfehler auseinandergesetzt, die Altersvorsorge durch ein Kapitaldeckungsverfahren „demografiefest“ machen zu wollen. Es lohnt sich das Kapitel „Jetzt hilft nur noch private Vorsorge“ noch einmal nachzulesen. Die Argumente von damals sind aktueller denn je.
Auch bei der Einführung einer „Kapitalreserve“ bei der Pflegeversicherung geht es vor allem darum, etliche Milliarden Umsatz auf die Finanzdienstleister umzulenken. Bei der Rentenversicherung haben wir es zwar um einen mit 184 Milliarden Beitragseinnahmen im Jahr 2010 mit einem viel größeren Batzen zu tun. Die großen Hoffnungen, die die Versicherungswirtschaft auf die Riester-Rente gesetzt hat, wurden jedoch bisher eher enttäuscht. „Nur“ 14,6 Millionen private Altersvorsorgeverträge wurden bis Ende März 2011 abgeschlossen, nur gut jeder Dritte Förderberechtigte wird erreicht. 15 Prozent der abgeschlossenen Verträge wurden ruhend gestellt und schon bis Ende 2008 wurden 1,4 Millionen Riester-Verträge wieder gekündigt.
Die Pflegeversicherung erzielte 2010 zwar nur knapp 22 Milliarden Euro an Einnahmen, doch auch da lohnt es sich für die Versicherer einen künftig anwachsenden Teil von der umlagefinanzierten für eine kapitalgedeckte Versicherung abzuzwacken und in ihre Portfolio einzuverleiben.
Die Kritik an der kapitalgedeckten Rente hat sich bestätigt:
Doch die negativen Erfahrungen mit der Riester-Rente werden nicht zur Kenntnis genommen.
Die Angebote sind nicht durchschaubar, die (Abschluss-)Kosten in den meisten Fällen viel zu hoch. Die staatlichen Zulagen kommen nicht den Versicherten sondern den Versicherungsunternehmen zugute. Provisionen und Gebühren übersteigen die staatliche Förderung bei weitem. Die Riester-Verträge werden vor allem von solchen Einkommensbeziehern abgeschlossen und damit die staatliche Förderung kassiert, die es am wenigsten nötig haben und die nur von einem Sparmodell auf ein anderes umsteigen.
Diejenigen Einkommensgruppen, die wegen der Zerstörung der gesetzlichen Rente vor Altersarmut Vorsorge treffen sollten – also mittlere und untere Einkommen – werden nicht erreicht [PDF – 345 KB]. Und die untersten Einkommen müssen sich geradezu getäuscht fühlen, weil sie nur eine Rentenhöhe erreichen, die nicht höher oder nur wenig höher als die staatliche Grundsicherung ist. Wer gehofft hatte durch die Riester-Rente einen angemessenen Lebensstandard im Alter zu sichern, wird tief enttäuscht. Nach 27 Jahren riestern bekommt man – wenn es gut läuft – gerade mal 280 Euro im Monat heraus.
Die Finanzkrise hat bewiesen, dass es mit der Sicherheit einer solchen Kapitalanlage nicht weit her ist. Das umlagefinanzierte Versorgungssystem hat sich hingegen als volkswirtschaftlicher „Stoßdämpfer“ ausgewirkt.
Über den Steuervorteil durch das Riestern entgehen dem Staat 12,5 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Gesamtwirtschaftlich wäre es effizienter, die Stärken der gesetzlichen Rente zu erhalten und das Umlagesystem durch Transfers zu unterstützen. Volkswirtschaftlich wurden durch den Übergang in eine verstärkte Kapitaldeckung eher Wachstumsprobleme erzeugt.
Die Arbeitnehmer müssen zusammen mit dem Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung (19,9 Prozent paritätisch finanziert) plus der 4 Prozent für die private Vorsorge, mehr bezahlen, als wenn die Beiträge für die gesetzliche Rente moderat angehoben worden wären. Die Deckelung der Beiträge für die gesetzliche Rente kommt letztlich nur der Arbeitgeberseite zugute, die zusätzliche Versorgung bezahlen die Arbeitnehmer allein.
Hier nur noch einmal ein paar Kernargumente gegen eine kapitalgedeckte Alters- und Pflegevorsorge:
Die Umstellung des Finanzierungsverfahrens auf das Kapitaldeckungsverfahren ändert nichts daran, dass die Jungen für die Alten aufkommen müssen (Mackenroth-Theorem). Die Umstellung ändert auch nichts an der Relation von jung und alt. Gesamtwirtschaftlich gesehen gibt es kein Sparen. Wann immer einer mehr sparen will, braucht er einen, der sich höher verschulden will. Und derjenige, der sich verschuldet, kann seine Schulden (plus Zinsen) nur zurückzahlen, wenn er mit den damit getätigten Investitionen Erträge in der realen Wirtschaft erzielt. Der Kapitalrückfluss muss zu jedem Zeitpunkt (als vorenthaltener Lohn) von den (jüngeren) Arbeitenden für die Rentner erwirtschaftet werden.
Die Hoffnung, dass diese Erträge, von denen man dann im Alter zehren könnte, im Ausland erwirtschaftet werden, ist (wie man an der derzeitigen Schuldenkrise sieht) ein riskanter Wechsel auf eine ungewisse Zukunft. Ob künftig Ausländer für die Altersversorgung der Deutschen arbeiten wollen, ist eine vage Hoffnung. Auf Dauer dürfte das Ausland unsere Alten nicht durchfüttern.
Die entscheidende Frage wird in alle Ewigkeit (so lange es menschliche Gesellschaften gibt) immer sein, ob wir in Zukunft „reich“ genug sind, dass künftig Unternehmen und Arbeitnehmer Erträge erwirtschaften können (oder aber eben Rentenbeiträge verkraften können), die Alten (nicht mehr Erwerbstätigen) eine angemessene Versorgung ermöglichen.
Wenn Sie die Argumente gegen eine Kapitaldeckung der Altersvorsorge im Detail nochmals nachlesen wollen, dann schauen Sie einfach in die Beiträge in unserer Rubrik Sachfragen zum Thema Rente, Privatvorsorge.
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