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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 11. Juli 2008 um 9:12 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Auf eine drastische Verschlechterung der Konjunktur ließen am Mittwoch Meldungen schließen, wonach die deutschen Exporteure im Mai 3,2 Prozent weniger verkauften als im Vormonat. Dies war der größte Einbruch innerhalb eines Monats seit Februar 2005.
Quelle: FTD
Anmerkung AM: Das wäre eigentlich nicht lesenswert. Aber es ist ein so typisches Belegstück für Meinungsmache und die Kritiklosigkeit unserer Journalisten, dass ein Hinweis doch lohnt. „Furioser“ Jahresauftakt? Wo war der denn? Und dann Kaffeesatzleserei der Offiziellen und der so genannten Experten.
Die US-Autoindustrie steckt in der größten Krise seit Gründung der Big Three. Die Absatzzahlen sinken dramatisch, die Marktanteile der Hersteller schrumpfen, die Aktienkurse fallen. Seit Jahren währt die Dauermisere, nun wird sie existenzbedrohend. 300.000 Jobs gingen seit 1999 verloren, ganze Fabriken wurden geschlossen. Die einst übermächtige Position auf dem Weltmarkt scheint für GM, Ford und Chrysler unwiederbringlich verloren. Und die Konkurrenz aus Europa und Asien mit ihren zuverlässigen, sparsamen Autos steht bereit, die Lücke zu füllen. 1980 stammten drei Viertel der in den USA verkauften Autos aus Detroit, im Juni 2008 waren es nur noch 46,4 Prozent.
Quelle: FTD
Dies hat jetzt die US-Börsenaufsicht SEC aufgedeckt. Sie veröffentlichte einen 37-seitigen Bericht, in dem zum Teil auch anonymisierte interne E-Mails zitiert werden. Darin mokieren sich die Analysten über ihre eigenen Ratings. Man schaffe ein “Monster“, schrieb zum Beispiel ein hochrangiger Analyst an einen Kollegen im eigenen Hause über sogenannte Collateralised Debt Obligations (CDOs). Bei diesen werden oft strukturierte Anleihen nochmals umverpackt. “Hoffentlich sind wir alle reich und in Rente, wenn dieses Kartenhaus zusammenfällt“, schrieb der Analyst.
Quelle: Handelsblatt
Anmerkung AM: Das haben wir schon immer vermutet. Natürlich wussten die Kenner, was gespielt wird. Die Kenner sind reich geworden. Und wir als Steuerzahler zahlen dafür. So will es auch unser Finanzminister und sein famoser neuer Staatssekretär, Jörg Asmussen, ehemals Leiter der Abteilung „Finanzmarktpolitik“.
Der Energiekonzern RWE will dafür sogar sein Atomkraftwerk Biblis A im kommenden Jahr für vier Monate vom Netz nehmen. Bei dieser „Revision“, die offiziell zur Überprüfung des technischen Zustands der Anlage dient, wird kein Strom produziert. Da sich die Laufzeit der AKW an der produzierten Strommenge orientiert, könnte Biblis A durch diese Verzögerung bis 2010 am Netz bleiben. Die nächste Bundestagswahl findet im Herbst 2009 statt. Danach könnte eine potentielle kernernergiefreundliche Mehrheit von Union und FDP den Atomausstieg rückgängig machen.
Quelle: Die Welt
Bedeutet das wirklich, dass mit einer “Milliarden-Ersparnis für Wirtschaft und Verbraucher” zu rechnen sei, wie “Bild” behauptet (und “Focus Online” weiterverbreitet)?
Nicht unbedingt. Wie der “Klima-Lügendetektor” berichtet, räume sogar “RWI-Experte” Frondel auf Nachfrage ein, dass “die Erzeugungskosten erstmal nichts mit dem Endpreis des Stroms zu tun” hätten. Die errechnete Ersparnis falle vielmehr bei den Stromkonzernen an und müsse von denen natürlich nicht an die Verbraucher weitergegeben werden – was Frondel “so auch nie gesagt” haben will, offenbar nicht mal zu “Bild”. Der “Klima-Lügendetektor” schließt aber nicht mal aus, dass Frondel in seinem “Bild”-O-Ton mit “uns” ohnehin nicht “Wirtschaft und Verbraucher” (also uns) gemeint hat, sondern bloß seine unsere Energiewirtschaft.
Quelle: BILDblog
Als die verstrahlte Suppe 2005 bei Sicherungsarbeiten in den maroden Salzkammern entdeckt wurde, entschlossen sich die Helmholtz-Leute, die Lauge einfach tiefer auf die 950-Meter-Sohle zu pumpen – ohne Genehmigung, ein Anruf beim Landesbergamt sollte genügen. Das Umweltministerium in Hannover wurde nach eigenen Angaben nicht über die Strahlenbelastung unterrichtet.
Quelle: FR
Anmerkung: Das ist aus dem Beschluss des Hamburger Parteitags der SPD zur Privatisierung unter der Bedingung „stimmrechtsloser Volksaktien“ geworden. Kein Wort des SPD-Verkehrsministers Tiefensee, kein Protest des Parteivorstandes ist zu hören, kein Bezirk der SPD verlangt die Einberufung eines Parteitags. So lässt sich die SPD an der Nase herumführen und wundert sich, dass sie nicht mehr ernst genommen wird.
Angetreten waren die Protagonisten eines eigenen europäischen Satellitennavigationssystems einst mit der Aussage, dass bei Galileo nur zivile Nutzungszwecke vorgesehen seien. Doch spätestens mit der Dienste-Festlegung Ende 2004 war mit der naiven Annahme, das Militär könne bei Galileo außen vor gelassen werden, Schluss.
Quelle: Heise newsticker
Nach Darstellung Schmidts verschafft die Verschiebung der Beitragsparität zulasten der Versicherten den Arbeitgebern ein jährliches Extra von 4,5 Milliarden Euro. “Ich bin gern bereit, eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung für diesen Bereich vorzuschlagen, damit Ihre Angaben künftig zutreffen”, lautet ihre ironische Offerte. Sie sei “sicher, dass ich dafür schnell die Zustimmung der Versicherten erhielte”.
Quelle: FR
Anmerkung: Ach, liebe Ministerin Schmidt, selbst wenn Sie die Beitragsparität voll aufgeben würden, glauben Sie wirklich daran Herr Hundt damit zufrieden wäre. Haben Sie immer noch nicht verstanden, dass die Senkung der „Lohnnebenkosten“ kein objektiver Sachzwang, sondern schlicht ein Interessenkonflikt bzw. eine Umverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist.
Anmerkung: Das ist die übliche Manipulation mit den sog. impliziten Schulden. Diese Irreführung betreibt Professor Raffelhüschen, der nicht nur Vorstandsmitglied der wirtschaftsliberalen Stiftung Marktwirtschaft sondern als Wissenschaftler auftretender Lobbyist für die Privatversicherer ist, regelmäßig.
Dazu schrieb Albrecht Müller schon 2004:
Stimmungsmache mit sogenannten impliziten Schulden
Das Thema Schulden ist angstbesetzt. Um so schlimmer, dass diese Ängste auch mit sehr unlauteren Behauptungen geschürt werden. So rechnen der frühere haushaltspolitische Sprecher der Grünen Oswald Metzger und andere inzwischen auch die Leistungsversprechen der Sozialversicherungen zu den Schulden. Sie nennen dieses Leistungsversprechen »die implizite Verschuldung«. Mit den 1,3 Billionen Euro »explizite Schulden« kommen sie dann auf die gigantische Zahl von 5,7 Billionen Euro.
Diese Addition klingt einleuchtend, ist es aber nicht. Die erworbenen Leistungsversprechen sind keine Schulden. Es handelt sich in einem einigermaßen intakten System von Sozialversicherungen und privaten Versicherungen um Ansprüche, die die späteren Leistungsempfänger durch Prämien- beziehungsweise Beitragszahlungen erworben haben. Ihre Beiträge werden im Umlageverfahren für Leistungen an die Älteren beziehungsweise – im Falle von Krankenversicherungen – an die jeweils gerade Kranken ausgezahlt. Jene, die später dann mit der Rente oder im Krankheits- und Pflegefall eine Leistung in Anspruch nehmen, haben ihren Beitrag zum System früher geleistet. Und jene, die schon früher Leistungsempfänger waren, haben wieder eine Generation früher ihre Beiträge geleistet. Dieses System kann gestört werden, wenn nicht für eine ausreichende Auslastung der Volkswirtschaft gesorgt wird und so zu wenig Beiträge eingezahlt werden oder wenn sogenannte versicherungsfremde Leistungen auf den Beitragszahlern abgeladen werden, wie dies im Zuge der deutschen Vereinigung geschehen ist. Aber dieser Mangel der vergangenen Jahre rechtfertigt weder die fundamentale Kritik am System selbst noch die übertreibende Addition zu den Schulden. Das ist reine Demagogie.
Quelle: Elf Mythen, den Komplex Schulden, Staatsquote und Sozialstaat betreffend
Dass der Spiegel – offenbar übernommen von der Nachrichtenagentur Reuters – diese Demagogie einer marktliberalen Propagandaorganisation wie der Stiftung Marktwirtschaft, vorgestellt von einem einschlägig bekannten Propagandisten für die Privatversicherung wie Professor Raffelhüschen kommentarlos abdruckt, zeigt entweder, dass den Journalisten im Spiegel jede journalistische Kompetenz fehlt oder dass sie Mittäter sind.
Deutschland wird das EU-Ziel zur Steigerung der Abiturienten-Zahlen bis zum Jahr 2010 verfehlen. Der Anteil junger Bundesbürger mit Abitur sinkt nach neuesten Zahlen der EU-Kommission statt wie geplant zu steigen. Unter den 20- bis 24-Jährigen des Jahres 2007 hatten nach Angaben der Brüsseler Behörde bloß 72,5 Prozent die Schule mit dem Abitur oder einem gleichwertigen Abschluss verlassen – ein Minus von 2,2 Punkten verglichen mit dem Jahr 2000. EU-Ziel ist hingegen eine Steigerung auf 85 Prozent.
Lichtblick: Lese-Fähigkeit verbessert
EU-weit sei der Anteil der Abiturienten in dieser Altersgruppe von 76,6 Prozent im Jahr 2000 auf zuletzt 78,1 Prozent gestiegen, teilte die Kommission mit. Von insgesamt fünf Bildungszielen werden die 27 EU-Staaten zusammengenommen nur die angestrebte Steigerung der Studienabschlüsse in mathematisch-technisch-naturwissenschaftlichen Fächern erreichen. Insgesamt verschlechtert hat sich hingegen die Lesefähigkeit der 15-Jährigen. Auf diesem Gebiet ist Deutschland einer der wenigen Mitgliedstaaten, in dem sich die Lage bessert.
Quelle: Kölnische Rundschau
Die Wiesbadener Behörde hatte Mitte Juni mit nur sechs zu fünf Stimmen das Gebührengesetz der CDU für legal erklärt. Sozial Schwächere könnten durch Darlehen ihre akademische Ausbildung bestreiten, hieß es in der Urteilsbegründung. Ungeachtet dieses Votums beschloss die Landtagsmehrheit aus SPD, Grünen und Linken die Abschaffung der Hochschulgebühr von 500 Euro pro Semester.
Mit der Karlsruher Verfügung können nun alle Studierenden bis jetzt gezahlte Gebühren versuchen einzuklagen.
Quelle: FR
Siehe zu diesem Urteil:
Studiengebührenurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs: Chancengleichheit durch Verschuldung
Dazu:
Studenten reichen in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein
“Politische Urteile gehören auf den Prüfstand.” Mit diesen Worten haben heute zwei Vertrauensleute der hessischen Verfassungsklage gegen Studiengebühren eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Mehrheitsentscheidung des hessischen Staatsgerichtshofes erhoben.
Quelle: Linkszeitung
Laut FAZ nennen die Autoren nennen Haubl und Katharina Liebsch ein von Ärzten wie von Patienten und Angehörigen geteiltes “objektivistisches Vorurteil” als Gründe für den Anstieg. Verdrängt werde die Frage nach Nebenwirkungen, wie sie etwa in Studien zur Häufung von Chromosomenschäden nach Ritalin-Einnahme aufgeworfen werde – ein Befund, dem andere Studien allerdings inzwischen widersprochen haben.
Quelle: FAZ (leider nur gegen Gebühr)
Anmerkung Georg Lind: Es ist erschreckend, wie einseitig das Problem der so genannten Aufmerksamkeitsstörung bei Kindern behandelt wird:
Was mich immer wieder wundert: Bei meinen häufigen, jahrelangen Beobachtungen von Schülern in gut gemachtem Unterricht habe ich noch nie auch nur Anzeichnen von Aufmerksamkeitsstörung entdecken können. Auch in meinen Seminaren kommt das so gut wie nie vor (in meinen Vorlesungen schon eher). Klar: Schüler und Studenten hängen auch mal ihren eigenen Gedanken nach, wenn etwas für sie Wichtiges anliegt. Auch kommt es in gutem Unterricht vor, dass Kinder angestrengt über das nachdenken, was sie in der Schule gerade erlebt oder gelernt haben, und alles andere um sich herum vergessen und nicht mehr ansprechbar sind.
Ist es das, was manchen Lehrer stört, das DENKEN? Wollen diese Lehrer immer nur, dass die Kinder zuhörer, aber nie, dass sie das Gehörte auch verarbeiten, also verstehen und anwenden lernen? Geht man also mit Ritalin letzen Endes gegen das Denken vor? Ich will nicht ausschließen, dass Umweltgifte und Lebenshetze der Modernen in Kindern Störungen verursacht, die in meiner Erfahrungswelt (noch) nicht so häufig vorkommen, dass ich sie bemerken konnte. Aber ich bestehe darauf, dass das Problem “Aufmerksamkeitsstörungen” ohne Scheuklappen und Tunnelblick angegangen wird. Es wird dann vermutlich erkennbar, dass wir an der Verbesserung des Unterrichts und indirekt an der Verbesserung der Lehrerbildung ansetzen müssen. Wenn Lehrer wüssten, wie Lernen wirklich funktioniert, würde, so meine Überzeugung, bald kein Geld mehr mit Ritalin zu verdienen sein.
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