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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 24. Januar 2008 um 9:19 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung: Das hatten wir auf den NachDenkSeiten schon beim Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.1.2007 vermutet.
Anmerkung WL: „Die konjunkturelle Grunddynamik steht zunehmend auf binnenwirtschaftlichem Fundament, während die außenwirtschaftlichen Impulse nachlassen“, heißt es in dem Bericht. Wie allerdings der prognostizierte Rückgangs des Exportwachstums von real 8,3 (2007) auf 5,8 % (2008) durch eine Steigerung des Konsums von preisbereinigt –0,3 (2007) auf 1,1 % (2008) ausgeglichen werden können soll, bleibt das große Geheimnis der Bundesregierung.
Zusammengefasst lässt sich auch angesichts dieser Vorgänge nur einmal mehr feststellen, dass eine Verbesserung der sozialen Situation immer offensichtlicher nur über eine Änderung der bestehenden Europäischen Verträge zu erreichen ist. Alle Illusionen über Alternativen hierzu verdunsten zunehmend angesichts der Geschwindigkeit, mit der die neoliberale Dampfwalze trotz lauter werdenden Gegenstimmen die letzten Refugien der in 150 Jahren erkämpften sozialen Menschenrechte niederwalzt und derzeit dabei sogar noch an Fahrt gewinnt.
Quelle: restless-in-europe.de
Anmerkung Orlando Pascheit: “‘Working poor’ kein Massenphänomen in Deutschland” und “Mindestlohndebatte geht an der Realität” vorbei, so titelt das DIW seine Pressemitteilung zum jüngsten Wochenbericht. Das wirkt sehr zynisch und bemüht.
Wer hat denn je behauptet, ‘working poor’ seien ein Massenphänomen. Diese vom DIW selbst und niemandem sonst behauptete These kann man natürlich leicht zerlegen. Ein rhetorischer Trick. Das wäre ja noch schöner, wenn ‘working poor’ in Deutschland ein Massenphänomen wäre. Zum Glück sind wir noch nicht so weit, aber sieben Prozent aller Vollzeitbeschäftigten unter einem Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro, das trifft doch sehr viele, ganz real. Ab wann lohnt sich denn eine Mindestlohndebatte? In der Logik des DIW könnte man auch sagen, 8% Arbeitslose seien kein Massenphänomen, was soll’s.
Hinzu kommt:
Die Studie des DIW steht in klarem Gegensatz zu Berechnungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Nach deren Berechnungen verdiente 2006 jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte weniger als 7,50 Euro brutto in der Stunde. Vor allen aber, und das verschweigt das DIW wohlweislich: Der Niedriglohnbereich expandiert. Das IAQ kommt im Vergleich zu 2004 zu einem ein Anstieg von 10,7 Prozent. Stattdessen rechnet das DIW herum, wie viel Prozent der Vollzeitbeschäftigten mit solch geringem Einkommen in einem Haushalt leben, in dem keine weiteren Erwerbseinkommen zur Verfügung stehen. Was soll das, es ist bestimmt nicht die Ehefrau von Herrn Ackermann, die irgendwo für 5 € putzt.
Die Bundesregierung ist verpflichtet, alle drei Jahre in einem Bericht einen umfassenden Überblick über sämtliche Daten zur Pflegeversicherung zu geben. Der 159-seitige “Vierte Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung” enthält Daten vor allem über die Jahre 2004 bis 2006, aber auch über die neuesten Entwicklungen. Danach hatte die die Pflegeversicherung Ende 2006 ein Finanzpolster von etwa 3,5 Milliarden Euro. Bei Einnahmen von 18,49 Milliarden Euro und Ausgaben von 18,03 Milliarden Euro erwirtschaftete die Pflegekasse den Angaben zufolge im Jahr 2006 einen Überschuss von 450 Millionen Euro, der im Wesentlichen auf einmalige Zusatzeinnahmen aufgrund des Vorziehens der Beitragsfälligkeit zurückgehe. Von den Gesamtausgaben entfielen der Regierung zufolge 95 Prozent auf die Leistungsausgaben und 5 Prozent auf die Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Bei der privaten Pflege-Pflichtversicherung verzeichnet der Bericht für 2006 Einnahmen in Höhe von 2,89 Milliarden Euro, Ausgaben von 2,52 Milliarden Euro und einen Überschuss von 360 Millionen Euro. Von den Leistungsausgaben 2006 seien 48 Prozent in die vollstationäre Pflege, 23,1 Prozent ins Pflegegeld und 17,3 Prozent in Pflegesachleistungen geflossen. Weiter heißt es in der Unterrichtung, dass in Deutschland Ende 2005 rund 11.000 ambulante Pflegedienste zugelassen gewesen seien, die insgesamt 472.000 Pflegebedürftige betreuten. Die Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor habe zu diesem Zeitpunkt bei rund 214.000 gelegen. Ende 2005 habe es gut 10.400 zugelassene voll- bzw. teilstationäre Pflegeheime gegeben. Insgesamt seien 676.000 Pflegebedürftige in den Einrichtungen betreut worden, davon 644.000 in vollstationärer Dauerpflege. Im Vergleich zu 2001 ist der Anteil der stationär versorgten Pflegebedürftigen laut Bericht um 11,9 Prozent gestiegen, die Zahl der vollstationär Dauerversorgten erhöhte sich um zwölf Prozent. In den Heimen seien insgesamt 546.000 Personen beschäftigt gewesen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen aufgrund der demographischen Entwicklung deutlich zunehmen wird. Sie verweist auf Annahmen der “Rürup-Kommission”, die davon ausgeht, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung von derzeit 1,97 auf 3,4 Millionen im Jahr 2040 ansteigen wird. Mit der im Rahmen der Reform der Pflegeversicherung (16/7439) vorgesehenen Beitragssatzanhebung von 0,25 Punkten auf 1,95 Prozent (bzw. 2,2 Prozent für Kinderlose) reiche die Finanzierung bis Ende 2014/Anfang 2015 aus, heißt es. Der “rechnerisch notwendige Beitragssatz könnte bis 2030 eine Größenordnung von etwa 2,3” Prozent erreichen.
Quelle 1: hib – heute im bundestag Nr. 020 (kann nach Registrierung kostenlos abgerufen werden)
Quelle 2: Vierter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung [PDF – 792 KB]
Zeitlich passend zu diesem Bericht der Bundesregierung:
INSM: Der Pflegerenditor
Die demografische Entwicklung führt das System der sozialen Pflegeversicherung (SPV) zwangsläufig in die Krise. Die Folge: Höhere Beiträge, magere Renditen und große Versorgungslücken – so das Ergebnis einer aktuellen DIA-Studie, die heute in Berlin vorgestellt wird. Mit dem aktuellen INSM-Pflegerechner kann jeder Bürger seine individuelle Rendite, die Deckungslücke und notwendige Zusatzprämie für eine kapitalgedeckte Eigenvorsorge in der Pflegeversicherung ermitteln.
“Ohne grundlegende Reformen wird das System der sozialen Pflegeversicherung (SPV) in den kommenden Jahrzehnten zusammenbrechen” konstatieren die Autoren der aktuellen DIA-Studie, Professor Dr. Bernd Raffelhüschen und Dr. Jasmin Häcker vom Forschungszentrum Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Die Ursachen dafür sehen sie im erst 1995 eingeführten Umlageverfahren, das aufgrund des tief greifenden demographischen Wandels zum Kollaps führen wird. So ergibt sich aus den Daten des Statistischen Bundesamts (2006), dass im Jahr 2050 auf 100 Erwerbstätige 58,8 Rentner und 26,4 pflegebedürftige Menschen entfallen werden. Zum Vergleich: 2005 standen 100 Erwerbstätigen 30,5 Menschen über 65 Jahre und 7,1 Pflegebedürftige gegenüber.
DIA-Sprecher Bernd Katzenstein empfiehlt zur Lösung des Problems eine Versicherungspflicht. “Notwendig ist eine private Versicherungspflicht für die Pflegeversicherung, deren Prämien als Sonderausgaben von der Einkommensteuerschuld abzuziehen sein muss.”
Quelle 1: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
Quelle 2: Deutsches Institut für Altersvorsorge
Anmerkungen: So ein ähnliches Recheninstrument gibt es auch schon beim hier beauftragten Deutschen Institut für Altersvorsorge, als dessen wissenschaftlicher Berater Prof. Meinhard Miegel längere Zeit geführt wurde. Den Hintergrund des Instituts erfahren wir auf dessen eigener Internetseite.
Quelle 3: Deutsches Institut für Altersvorsorge
Quelle 4: Deutsches Institut für Altersvorsorge
An der Studie war natürlich auch der Versicherungsvertreter mit Professorentitel Bernd Raffelhüschen beteiligt. Hintergrundinformationen zu diesem „Experten“ und seinem Institut gibt es hier:
Quelle 5: Nachdenkseiten vom 10.10.2007 / Punkt 5
Anmerkung WL: Die Meldung der INSM ist ein Musterbeispiel für die Professionalität der PR-Arbeit dieser Arbeitgeber-Lobbyorganisation. Am selben Tag, an dem der Bundestag mit dem Rentenbericht der Bundesregierung an die Öffentlichkeit geht, versucht die INSM mit ihren demografischen Katastrophenmeldungen, die natürlich viel reißerischer sind, die öffentliche Debatte zu überlagern. Wir werden sehen, ob es wieder einmal gelingt. Beiden Veröffentlichungen ist gemeinsam, dass sie wieder auf die demografische Entwicklung abheben, der Unterschied ist (bisher) nur, dass die Bundesregierung von einer moderaten Anhebung des Beitragssatzes ausgeht, während die INSM einen Systemwechsel zur zwangsweisen privaten Versicherung fordert.
Sie brauchen sich nur mal die Zahlen anschauen: Gesetzliche Pflegeversicherung: Einnahmen rd. 18,5 Mrd. Euro. Private Pflegeversicherung: Einnahmen knapp 3 Mrd. Euro. Das wäre doch schön für die Versicherungswirtschaft, wenn sie diese 18,5 Mrd. Euro bei sich als zusätzlichen Umsatz verbuchen könnte. Oder?
Die Politik nach Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes haben wir auf den NachDenkSeiten oft kritisiert. Hier nur noch einmal in Kurzform:
Die Lebenserwartung stieg zwischen 1900 und 2000 um über 30 Jahre. Sie wird bis zum Jahr 2050 um weitere sechs bis neun Jahre zunehmen. Auch das ist viel. Aber ist es dramatisch?
1950 waren noch 30,5% der Bevölkerung unter 20 Jahren, 1995 nur noch 21,6%. In 45 Jahren hat also eine dramatische „Vergreisung” stattgefunden. Haben Sie das gemerkt? Hat Sie das gestört?
Es wird einmal mehr der alte Täuschungsversuch unternommen und ausschließlich auf die Zunahme der Älteren abgestellt: Es wird aber so sein und so bleiben, dass immer die arbeitsfähige Generation nicht nur die Rentner, sondern auch die Kinder- und Jugendgeneration ernähren und aushalten muss.
Dann sieht die Rechnung der zu Versorgenden aber so aus:
Auf 100 Menschen mittleren Alters zwischen 20 und 60 Jahren kamen 2001 eine Gesamtlast von 82 Menschen im Rentner- und im Kindes-/Jugendalter, 2050 werden es vermutlich 112 sein – also keine dramatische Verdoppelung, wie immer behauptet wird, wenn nur die so genannte Altenlast berechnet wird.
Wenn man unterstellt, dass man sich bis 2050 auch faktisch der formalen Altersgrenze von 65 Jahren nähert, dann wird die Relationsverschiebung völlig undramatisch. Während heute
100 Arbeitende für 82 junge und alte Personen sorgen müssen, werden sie dann für 85 jüngere und alte Personen sorgen müssen.
Doch selbst wenn unsere These, das demographisches Problem sei zweitrangig, nicht stimmen würde, selbst wenn es also ein demographisches Problem gäbe – wieso hilft dann eine von der INSM geforderte (zwangsweise) Privatvorsorge dieses zu lösen? Werden bei Umstellung vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren mehr Kinder geboren und wenig später arbeitsfähig?
Auch bei Umstellung auf die Privatvorsorge wird immer die arbeitsfähige Generation zum einen die Rentner- und zum anderen die Kinder-/Jugend-Generation versorgen, ernähren, aushalten müssen.
Was Clement so in Rage bringt, dass er de facto zum Wahlboykott der eigenen Partei aufruft, gehört für die hessischen Sozialdemokraten zu den Eckpfeilern eines möglichen Regierungsprogramms. Ypsilanti und Scheer wollen die Aufhebung der “Haftungs- und Steuerprivilegien” von Atomkraftwerksbetreibern zum Gegenstand einer Bundesratsinitiative machen und damit neue Antworten auf zwei zentrale Fragen finden: Wer kommt bei einem Unfall für die Schäden auf, wenn die Haftungsobergrenze von 2,5 Milliarden Euro, mit der alle 17 deutschen Atomreaktoren zusammen versichert sind, überschritten wird? Und wie kann der Gesetzgeber verhindern, dass die Betreiber ihre steuerfreien Reserven, die eigentlich zur Entsorgung des atomaren Mülls und zum Rückbau der Anlagen verwendet werden sollen, für “beliebige investive Zwecke” gebrauchen? Scheer hat für beide Fälle Vorschläge entwickelt. Er will den Betreibergesellschaften für jeden einzelnen Mailer eine Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro vorschreiben und die erwähnten Geldreserven in Höhe von geschätzten 30 Milliarden Euro in einem Rückstellungsfonds deponieren. Von hier aus dürften sie dann ausschließlich zweckgebunden und nicht mehr dazu verwendet werden, allerorten Stadtwerke und Konkurrenzunternehmen aufzukaufen.
Dass diese Ideen bei den großen Energiekonzernen auf wenig Gegenliebe stoßen, versteht sich von selbst, und so erklärt sich auch das ungewöhnliche Verhalten des Genossen Clement, der seit seinem Abschied aus Berlin eine Reihe interessanter neuer Beschäftigungen gefunden hat.
Quelle: Telepolis
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