Schlagwort:
Reformpolitik

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Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaats.

Thesen zur Sozialpolitik der Großen Koalition.
“Sozialpolitik paradox – großzügig und kleinkariert” – so betitelt Christoph Butterwegge seine Bilanz der Großen Koalition nach einem Jahr. Der Kölner Politikwissenschaftler und Armutsforscher legt die dritte Auflage seines Erfolgsbuches „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ vor, in dem er eine umfassende, aktuelle, kritische und vor allem faktenreiche Bestandsaufnahme der deutschen Sozialpolitik und zudem eine erste kritische Zwischenbilanz der Regierung Merkel/Müntefering zieht. Zentrale These des Autors:

Der Sozialstaat wird seit Mitte der 1970er Jahre restrukturiert und demontiert, obwohl er weder Verursacher der damaligen Weltwirtschaftskrise oder der bis heute dauernden Beschäftigungskrise war, noch aus seinem Um- bzw. Abbau irgendein Nutzen für die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entwicklung des Landes erwächst.

Gemeinsam mit Norbert Blüm und Oskar Lafontaine präsentierte Christoph Butterwegge die Neuauflage. Von Christoph Butterwegge.

Das Jahresgutachten des Sachverständigenrats trägt alle Anzeichen des Sektierertums

„Widerstreitende Interessen – ungenutzte Chancen“, schon der Titel zum diesjährigen Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung offenbart ein bedenkliches Demokratie- und Gesellschaftsverständnis.
Es gehört nun mal zu den Ausgangsbedingungen jeder Gesellschaft, dass es widerstreitende Interessen gibt, das gilt zumal in einer Gesellschaft, in der es eine weit auseinanderklaffende Primärverteilung und einen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen Produktionsmittelbesitzern und Arbeitnehmern gibt. Wolfgang Lieb.

Die hohle Welt der Reformer

Am 5.11. berichtete die Berliner Morgenpost unter der Überschrift „Reformtempo bleibt hoch“ von Bekenntnissen der beiden Koalitionsspitzen Merkel und Beck zu den Reformen. (Siehe unten) Man könnte auch von Durchhalteparolen sprechen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil man an diesen Äußerungen zeigen kann, dass die Reformer in einer eigenen Welt hohler Phrasen leben und Glaubensbekenntnisse den Bezug zur Realität ersetzen. Sich dessen bewusst zu bleiben ist wichtig, weil man sonst immer wieder zum Opfer der gleichgerichteten Parolen wird. Typisch dafür ist auch die erstaunlich wohlwollende Aufnahme von Gerhard Schröders Buch und damit seines Versuchs, die Reformpolitik als notwendig und erfolgreich darzustellen und ihr und sein Scheitern zu übertünchen. Albrecht Müller.

Richtungswechsel Makroökonomie an der Zeit

Als Böcklerimpuls 15/2006 erschien ein interessanter Hinweis auf einen Beitrag des Wirtschaftswissenschaftlers Dieter Vesper vom Berliner DIW. Seit Jahren versuche der Fiskus, den Haushalt zu konsolidieren – ohne nachhaltigen Erfolg. Haupthindernis sei das bislang schwache Wirtschaftswachstum. Damit die Konjunktur jetzt nicht wieder abgewürgt werde, sei eine andere Finanzpolitik nötig, so Vesper.
Ich weise darauf hin, weil in der öffentlichen Debatte, und in der Politik sowieso, die Notwendigkeit und Bedeutung einer guten Makropolitik völlig unterschätzt und ausgeblendet wird. Albrecht Müller.

Ursula Engelen Kefer: Rüttgers Vorstoß, die Dauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer bis auf 24 Monate zu verlängern, ist reiner Populismus.

Anstelle populistischer Effekthascherei sollte alles getan werden, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Letzteres darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und einer falschen Wirtschaftspolitik gleichfalls nicht für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können. Ein Beitrag der ehemaligen Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit und früheren DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer.

„Demokratie-Verdruss“ oder unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie bei uns?

In verschiedenen Medien finden sich Meldungen und Kommentare über den angeblichen Demokratie-Verdruss der Deutschen, insbesondere im Osten, den der Deutschlandtrend von Infratest dimap (veröffentlicht am 3.11.) festgestellt habe. Die Aufregung ist groß. Das fordert geradezu heraus zu einer Kommentierung. Denn erstens steckt in Meldungen über einen angeblichen Demokratie-Verdruss eine beachtliche Neigung zur Manipulation oder einfach nur unendlich viel Leichtfertigkeit bei der Interpretation. Zweitens: Dass man sich über die Unzufriedenheit der Menschen mit dem Funktionieren der Demokratie wundert, wundert mich. Die Unzufriedenheit ist leicht zu erklären. Manche üblichen Erklärungsversuche übersehen nahe liegende Ursachen. Albrecht Müller.

Wieder ein Bertelsmann Standort-Ranking. Die Botschaft: Es geht Deutschland dank der „Reformanstrengungen“ nicht mehr ganz so schlecht, aber die „Reform“- Dosis muss noch erhöht werden.

Das neue Standort-Ranking [PDF – 1 MB] ist nur eine neue Variante der früheren: Man nimmt vor allem solche Messgrößen, bei denen Deutschland schlecht da steht, und logischerweise landet man dann im Ländervergleich ziemlich weit hinten. Angesichts der Vielzahl der „Reformen“, die inzwischen durchgesetzt worden sind, durfte Deutschland jetzt natürlich nicht mehr das Schlusslicht abgeben, sonst müsste Bertelsmann ja eingestehen, dass der bisherige „Reform“-Kurs nichts gebracht hat. Also lässt man unser Land in der Tabelle leicht aufrücken, als Ansporn und Hebel für weitergehende „Reformen“. Wolfgang Lieb.

Gerhard S. Mittelmaß

Ich habe mir jetzt die Mühe gemacht, den Auszug aus Schröders Buch im „Spiegel“ zu lesen. Es geht dabei vor allem um die Entstehungsgeschichte der Agenda 2010 und um die Gründe für Schröders Neuwahlbegehren. Wenn ich diesem Rechtfertigungsstück glaube, dann muss ich feststellen, dass wir einen Bundeskanzler hatten, der keine Ahnung von den einfachsten gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen hatte und den Bezug zur Wirklichkeit verloren hatte. Es folgen Anmerkungen zu einzelnen Textteilen.

Und wieder endet eine Woche mit erstaunlichen Vorgängen

  1. Edmund Stoiber (CSU) beklagt die Reformblockade durch die SPD.
  2. Die Bundesregierung und einige Landesregierungen fordern den Einstieg des Bundes bei der Airbus-Mutter EADS.
  3. Über 100 Millionen für Spitzenuniversitäten aus der so genannten Exzellenzinitiative sollen in den Süden fließen, nach München und nach Karlsruhe.

Statistisches Bundesamt: Gesetzliche Sozialversicherungen erzielen 8,5 Milliarden Euro Überschuss – Ein weiteres Beispiel für den falschen Ansatz der „Reformen“

Eine geringe Zunahme an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und eine Umstellung des Beitragseinzugs bescherten allein der Rentenkasse im ersten Halbjahr 2006 einen Überschuss von 5 Milliarden Euro, meldet jetzt das Statistische Bundesamt. Das zeigt einmal mehr, dass die Vielzahl der Renten-„Reformen“ von Rot-Grün und Großer Koalition nur an Symptomen kurierten. Hätte man eine vergleichbare politische Energie auf eine vernünftige Beschäftigungspolitik gerichtet, dann hätte sich das ganze Gerede von der demografischen Entwicklung und dem dadurch bedingten Niedergang der gesetzlichen Rente als das entpuppt, was es von Anfang an war, nämlich eine gezielte Verunsicherungskampagne zur Durchsetzung einer privaten Altersvorsorge.

“Die gelähmte Republik” – ein Phantom

Die Phoenix-Runde “Die gelähmte Republik” vom 4.10.2006 ist jetzt auch online abrufbar.
Phoenix hat in dieser Sendung die immer wieder bemühte Behauptung aufgegriffen, wir litten unter einer Reformblockade, Deutschland sei gelähmt. Siehe dazu auch den Tagebucheintrag vom 6.10.: „Die Ausreden der Reformer werden immer bunter“.
Ich wies in der Sendung darauf hin, dass man von einer politischen Lähmung wahrlich nicht sprechen kann. Von Kohl über Schröder bis zu Merkel sind eine Reihe von Entscheidungen für so genannte Reformen getroffen worden, meist solche, die man besser nicht getroffen hätte. Das Problem ist, dass die getroffenen Reformerentscheidungen anders als erwartet keine positiven Folgen haben. Im Gegenteil. Sie haben in vielfältiger Weise geschadet.

Die Ausreden der Reformer werden immer bunter

Die Reformer haben seit langem das Problem, dass ihre Reformen die versprochenen Wirkungen nicht haben. Das gilt zum Beispiel für die vielen Steuersenkungen und Steuerreformen von Kohl über Schröder bis zu Merkel, es gilt für die vielen Entscheidungen zum Abbau von Sozialstaatlichkeit wie zum Beispiel Hartz I bis IV und die damit verbundene Agenda 2010. Die Reformer haben die Wirkungslosigkeit häufig damit übertüncht, dass sie beklagten, die Reformen seien nicht weit genug gegangen. Und sie empfahlen, die Dosis zu erhöhen. Oder sie haben die Schuld für das Versagen bei den Opfern gesucht. Typisch dafür war der Angriff des früheren Wirtschaftsministers Clement auf die Hartz IV-Empfänger. Sie wurden von ihm vor einem Jahr schon, als das Scheitern von Hartz IV erkennbar war, als Abzocker gebrandmarkt.
Immer wieder haben die Reformer ihre Erfolglosigkeit auf die angebliche Blockade durch unser politisches System und die geltende Verfassung geschoben. Der Föderalismus war schuld. Deshalb beschlossen sie eine Föderalismusreform und fordern noch eine weitergehende. Zum Thema Blockade gibt es jetzt neue Variationen der Strategie von Ausreden und Alibis.

Die Neoliberalen forcieren ihre Agitation. Oder: Viel Spaß in Ghana

Ein Freund der NachDenkSeiten schreibt uns: „Just in der Woche, in der Sie ihre Seite überarbeiten, fanden einige, meiner Meinung nach, wirklich kranke und gefährliche Artikel ihren Weg in die Öffentlichkeit.“ Leider hat er recht. Die Agitation wird forciert. Je mehr sichtbar werden könnte, dass die durchgedrückten Reformen das versprochene Ergebnis nicht bringen, um so mehr wird der Misserfolg der angeblich mangelnden Reformbereitschaft zugeschrieben und gefordert, die Dosis zu erhöhen. Typisch dafür: Hartz IV.
Ein jetzt immer wiederkehrendes Motiv der Agitation ist die Behauptung, es gebe keine Mehrheit für Reformen, weil die meisten Wähler vom Sozialstaat profitierten. So bei Sinn, von Petersdorff und Steingart nachzulesen. Das ist der helle Wahnsinn, wenn man bedenkt, welche massiven Reformen alleine mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen bei uns durchgesetzt und umgesetzt worden sind.
Mit Steingart werde ich mich gründlicher auseinandersetzen in einem Beitrag, der vermutlich morgen in den NachDenkSeiten steht. Einige andere einschlägige Beispiele, die unser Freund auflistete, folgen hier. Vorweg aber ein wirklich bemerkenswerter Beitrag von Andreas Hoffmann in der Süddeutschen Zeitung über die permanente Miesmache: „Viel Spaß in Ghana!“