Online-Angebote der Rundfunksender – Gebühren-Millionen für die Selbstzensur
Nach dem auf Betreiben der kommerziellen Fernsehsender von den europäischen Wettbewerbshütern erzwungenen 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag dürfen Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nur kurze Zeit im Netz stehen. Soll ein solches Informationsangebot länger als sieben Tage zugänglich sein, bedarf es eines höchst bürokratischen und Millionen Euro an Kosten verursachenden Test –Verfahrens. Damit wird nicht nur der freie Zugang zu Informationen auf dem Altar einer zweifelhaften Wettbewerbsideologie geopfert, der Missbrauch von Gebührenmillionen für diese Selbstzensur durch den „Markt“ ist aber auch schon deshalb absurd, weil das Internet – zum Glück – nichts vergisst. Wolfgang Lieb
Am 1. Juni 2009 ist der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag [PDF – 220 KB] in Kraft getreten. Darin sollte die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote geregelt werden. In der Debatte um diesen Staatsvertrag habe ich von einer „Zensur durch den Markt“ gewarnt, weil damit von ARD, ZDF und DLF selbst auf konkrete Sendungen bezogene Materialien und Quellen in der Regel nur noch 7 Tage über das Internet abgerufen werden können – bei Großveranstaltungen (z.B. Fußball) sogar nur noch 24 Stunden.
Telemedienangebote, die länger als diese Wochenfrist im Netz verbreitet werden sollen, müssen die Barriere eines sog. Dreistufentestes überwinden. Dieser Dreistufentest ist jenseits seiner Zensurproblematik nach meiner Meinung ein Bürokratiemonster und vor allem ein lukratives Geschäftsfeld für die Zunft der Medienberater.
Inzwischen haben die Rundfunkanstalten sogar die Hälfte ihres bis zum Inkrafttreten dieses Staatsvertrages schon vorhandenen Telemedienangebots aus dem Netz genommen. Wer solche Informationen jemals als Quelle genutzt hat, bekommt jetzt die 404 oder die Not Found-Fehlermeldung.
Und das alles im Namen einer von der Europäischen Union gegenüber der Rundfunkfreiheit des Grundgesetzes als höherrangig eingestuften Wettbewerbsfreiheit im Interesse vor allem der Telemedienangebote der privaten Verleger und der kommerziellen Rundfunkveranstalter.
(Über die Informationsqualität und den Informationsgehalt der Internet-Angebote der Kommerzsender will ich mich an dieser Stelle einmal höflich ausschweigen. Und wie besorgt müssen eigentlich die Print-Verleger um die Qualität ihrer eigenen Angebote sein, dass sie den Wettbewerb mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern so sehr fürchten.)
Ich sehe in dem gesamten Selektionsverfahren von vorhandenen und möglichen Informationsangeboten eine Verletzung der grundgesetzlich und durch die Menschenrechtskonvention geschützten passiven Informationsfreiheit, also dem freien Zugang zu Informationen.
Nach einer schwierigen und arbeitsintensiven Einarbeitungsphase und – wegen erheblicher Mängel und Unschärfen im Staatsvertrag selbst – ständigem Streit mit der Verlegerseite, etwa über die Auslegung des Begriffs „presseähnliche“ Veröffentlichungen, haben sich die Rundfunkräte auf dieses aufwändige Auswahlverfahren gestürzt. („Gestürzt“ wird man das wohl nennen dürfen, weil die „Gremien“ dadurch erstmals die Chance sahen, eine eigene Entscheidungsmacht gegenüber den allmächtigen Intendanten zugeschoben bekommen zu haben.)
Die ersten Erfahrungen mit dem „Dreistufentest“ liegen inzwischen vor. Die Professorin für Soziologie Erika Bock-Rosenthal war als langjähriges Rundfunkratsmitglied beim WDR mit diesem Test intensiv befasst. Sie bündelt ihre Erfahrungen wie folgt:
- Mit dem „Dreistufentest“ sei der Beihilfestreit mit der Europäischen Union (Rundfunkgebühren gelten für die EU-Kommission grundsätzlich gegenüber kommerziellen Anbietern als wettbewerbswidrige Beihilfen) auf die Rundfunkgremien verlagert worden.
- Das Gewicht der Rundfunkratsgremien gegenüber den Rundfunkanstalten sei deutlich erhöht worden. Bei Internetangeboten gebe es nun eine Gleichstellung der Gremien gegenüber den Intendanten.
- Die Qualität der Telemedienangebote der Rundfunkanstalten habe sich verbessert. (Wer entscheidet eigentlich über die Qualität von Informationen?)
- Es gebe einen Zuwachs an Markttransparenz und Marktkenntnis.
- Die Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seien nunmehr rechtlich unbestritten und es sei eine relative Ruhe im dualen Rundfunksystem (dem Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medienanbietern) eingetreten.
- Der Konflikt mit den Brüsseler EU-Behörden sei zur Ruhe gekommen.
Die Kosten für diesen „Nutzen“ werden bei ARD, ZDF und DLF zusammengerechnet mit 6 Millionen Euro geschätzt. Dabei ist die „ehrenamtliche“ Arbeit der von den Rundfunkräten gebildeten Arbeitsgruppen, die für einzelne Mitglieder zu einem Vollzeit-Job ausuferte, natürlich nicht eingerechnet. Jedenfalls nicht transparent kalkulierbar ist auch der Aufwand, der von den Rundfunkanstalten intern betrieben werden musste – etwa bei der Löschung des Bestandes der schon vorhandenen und der laufenden Telemedienangebote und vor allem auch für die fachliche Zuarbeit für diese Gremien, die sich mit dem Dreistufentest beschäftigten. Dieser Aufwand ist schwer einzuschätzen, aber ganz sicher dürften aber für die Rundfunkanstalten weitere Millionenbeträge angefallen sein.
Kritisch merkt Professorin Bock-Rosenthal unter anderem an, dass die Kosten für die gutachterliche Beratung durch unabhängige Sachverständige, die ja für die „marktlichen Auswirkungen“ der Telemedienangebote der Rundfunkanstalten sogar obligatorisch vorgeschrieben sind, sehr hoch seien. Wobei gerade die marktlichen Gutachten völlig überschätzt worden seien. Letzteres ist für nicht weiter erstaunlich, weil damit die absurde Erwartung verbunden war, dass vorhergesagt werden können soll, welche negativen ökonomischen Auswirkungen die privaten Anbieter treffen würden, wenn das Angebot der Rundfunksender auf den „Markt“ geht.
Als nicht netzadäquat wird auch die Verweildauer der aktuellen Angebote kritisiert. Das staatsvertragliche Löschungsgebot ist ja schon deshalb unterlaufen, weil man viele von den Rundfunkanstalten längst gelöschte Angebote, ohne große Probleme bei anderen Netzanbietern z.B. auf YouTube wieder finden kann. Zum Glück vergisst das Internet nichts.
Es sei schon deshalb fraglich, ob dieses ganze Verfahren angesichts der medialen und technischen Entwicklungen zukunftsfähig ist.
Bei den kommerziellen Fernsehsendern und vor allem auch von der damit verbandelten Verlegerseite gab es Anfang April massive Kritik, weil das ZDF dem privaten Konkurrenten Sat1 ab 2012 die Übertragungsrechte für die Fußball-Champions-League weggeschnappt hat. 50 Millionen pro Jahr für Fußballübertragungen sei ein Missbrauch von Gebührengeldern, wetterten die werbefinanzierten Sender und ihre Betreiber. Man mag da geteilter Meinung sein. Aber einen Aufschrei, dass bisher aus Gebühren mindestens 6 Millionen, vermutlich aber eher ein zweistelliger Millionenbetrag missbraucht worden ist, um Zeitungsverleger und Kommerzsender vor einem Informations-Wettbewerb zu schützen, hat man nicht gehört. Gebührenmillionen für nichts anderes, als ein schon finanzierte Internetangebot der Rundfunkanstalten wieder zu löschen oder bestenfalls in einem aufwändigen bürokratischen Verfahren durchzukämpfen, dass solche Angebote länger als sieben Tage im Netz bleiben dürfen – ein unsinnigerer Missbrauch von Gebührengeldern ist kaum vorstellbar.
Anmerkung: Meine Informationen stützen sich auf einen exzellenten Vortrag von Professorin Bock-Rosenthal auf einem Treffen des „Initiativkreis Öffentlicher Rundfunk“ (IÖR) vom 5. April in Köln. Ich möchte die Referentin allerdings keinesfalls für meine Interpretation in Anspruch nehmen.