„Das Paradigma der Unternehmerischen Universität und der Wettbewerbssteuerung der Hochschule“
Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Ethik der Forschung, Erforschung der Ethik“ an der Universität Siegen, am 27. Januar 2011 von Wolfgang Lieb.
In einem weiteren Vortrag sprach Professor Dr. Richard Münch zum Thema „Die Universität im Wettbewerb um Exzellenz“.
Als ehemaliger Staatssekretär im Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen werde ich freundlicherweise noch öfters einmal zu Festveranstaltungen von Hochschulen eingeladen und habe das Vergnügen den Ansprachen der meist prominenten Redner zu lauschen.
Mir fällt dabei immer wieder auf, dass die Stichworte der Reden meist identisch bzw. austauschbar sind:
Wie aus einem Redenschreibgenerator hört man dabei bis zum Überdruss immer wieder folgende Stichworte:
„Wettbewerb“ und „Autonomie“, „Exzellenz“ „effektives Management“ und dann natürlich noch „Profilierung“, „Stärken stärken, Schwächen abbauen“, „Wirtschaftlichkeit“, „zusätzliche Finanzierungsquellen angesichts knapper öffentlicher Kassen“, „Modularisierung“, „Internationalisierung“ und selbstverständlich darf „Marketing“ nicht fehlen und ganz modern, hört man dann vielleicht noch „Virtualisierung“.
Geradezu mustergültig durchdekliniert wurden diese Begriffe bei einer Veranstaltung unter dem bezeichnenden Titel „CampusInnovation“ an der Uni Hamburg im November 2010 vom ehemaligen Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung CHE Detlef Müller-Böling. Er stellte dort eine Erfolgsbilanz über sein vor nunmehr 10 Jahren erschienenes Buch „Die entfesselte Hochschule“ – sozusagen das Brevier der „unternehmerischen Hochschule“ – auf.
Müller-Böling sprach darüber, dass wir in einer Zeit der größten Umbrüche seit den preußischen Universitätsreformen befänden. Und in der Tat hat in den letzten 10 Jahren ein Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung einer „unternehmerischen Hochschule“ stattgefunden.
Ich will einschränkend und vorneweg feststellen, dass es sich um einen Leitbildwechsel handelte. Und ein Paradigma ist eben nur eine bestimmte Denkweise oder eine bestimmte Art der Weltanschauung, die Raum lässt für unterschiedliche Ausprägungen und verschiedene Umsetzungen in der Realität. Dementsprechend haben die Hochschulreformen der letzten Jahre in den verschiedenen Hochschulgesetznovellierungen der Länder auch recht unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren.
Mit das deutlichste Bekenntnis zur „unternehmerischen Hochschule“ finden wir im nordrhein-westfälischen Hochschul-„Freiheits“-Gesetz.
Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“ rühmt der frühere Siegener Betriebswirtschaftsprofessor und ehemalige nordrhein-westfälische Innovationsminister Andreas Pinkwart in einer ministeriellen Broschüre [PDF – 1.5 MB] das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Gesetz [PDF – 385 KB].
(Wenn ich keine andere Quelle nenne, zitiere ich aus diesem nach wie vor im Internet abrufbaren Aufsatz „Hochschule auf neuen Wegen“)
Der Begriff „Freiheit“ nimmt eine zentrale Rolle bei der Umwälzung des Hochschulwesens ein. Das Pathos der Freiheit ist geradezu das wichtigste Lockmittel für die Betroffenen.
Nun ist es ist aber so, dass kaum ein anderer Begriff in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und auch so oft missbraucht wurde, wie der Begriff der Freiheit.
Man tut also gut daran, wenn von „Freiheit“ die Rede ist, immer auch nach der schon von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit zu fragen.
Wir hatten inzwischen in NRW fast drei Jahre Zeit, der alten Kantsche Frage nach der „Freiheit zu was“ und der „Freiheit von was oder von wem“ in der Praxis nachzugehen.
Um meine These vorwegzunehmen: Die überwiegende Mehrheit der Forschenden und Lehrenden an den Hochschulen und schon gar die Studierenden sind mit der „neuen“ Freiheit verglichen mit ihren früheren Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten wesentlich „unfreier“ geworden als unter der früheren – allerdings durchaus nicht optimalen – akademischen Selbstverwaltung.
In der selbstverwalteten Gruppenuniversität entschieden (vor allem) die Gemeinschaft der Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch die Studierenden – jedenfalls dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und – mit zunehmend flexibilisierten Haushalten – auch über die Verteilung der Ressourcen.
Der Staat legte den Finanzrahmen fest und führte im Wesentlichen nur eine Rechts- und Finanzaufsicht. Eine „Fachaufsicht“ wie heute durch die Hochschulräte wäre gegenüber einer Selbstverwaltungskörperschaft nicht denkbar gewesen und das Schreckbild staatlicher bürokratischer Detailsteuerung ist eher ein Buhmann, der von den „Reformern“ aufgebaut wurde. Man hatte damals allerdings einen Sündenbock zur Verfügung, wenn es zu Knappheiten oder zu Konflikten innerhalb der Hochschule kam und der Bock, das war dann eben das Ministerium.
In der neuen „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Vorurteil natürlich nur „blockiert“ wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es muss nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt gehandelt werden.
Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.
Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind natürlich ausgiebige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ gilt.
Die Hochschule im Wettbewerb bedarf, so Pinkwart; „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder, wie der Minister sagt, „ein modernes Management“, das rasche Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Horizontale, bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung mussten in diesem neuen Leitbild der Hochschulen von vertikalen, top-down-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.
Während der Rektor einer Hochschule früher der „primus inter pares“ war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen sozusagen einen genialischen Unternehmensführer oder ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft, das von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) durchentscheiden kann.
Man braucht dazu sozusagen einen Chief Executive Officer als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (So in § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG geregelt.)
Die Qualität einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community, – also aus ihrem ´kulturellen Kapital` -, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“. Und die Qualität eines wissenschaftlichen Studiums lässt sich aus den Benchmarks von Hochschulrankings ableiten. Die Qualität der Forschung aus den Drittmitteleinwerbungen – also aus ganz handfestem Kapital.
Dabei soll die einzelne Hochschule „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“.
Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft einiger weniger Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der Upper Class und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.
Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat oder die Politik aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
Das Parlament ist allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) gewährt und er hat die „Finanzierungssicherheit bis zum Ende (!) der Legislaturperiode“ zur garantieren.
Die Hochschulen werden statt den Gesetzen des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen Gesetzen des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.
Die Professorinnen und Professoren sollen sich quasi als Ich-AG begreifen und dementsprechend ein leistungsabhängiges Einkommen beziehen. Die Studierenden sollen den Status von „Kunden“ erhalten und Bildung als Dienstleistung einkaufen.
Die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit wird als Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert.
Denkt jeder Hochschullehrer und jede Hochschule an sich, so ist an alle gedacht. So lautet das markt- und betriebswirtschaftliche Credo.
An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als rahmensetzende Organe wurde der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als (so wörtlich) „Fachaufsicht“ vorgesetzt.
Dieser sog. Hochschulrat „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“
Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Dieses Findungsgremium entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.
Pinkwart meint mit diesem förmlichen Auswahlverfahren – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – sei (Zitat) „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.
Was Pinkwart verschweigt ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die gesamte fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten und schon gar nicht einer demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig ist. Die Mitglieder können bislang selbst bei einer persönlichen Verfehlung noch nicht einmal abberufen oder abgewählt werden.
Dieses Defizit räumen inzwischen sogar die wichtigsten Propagandisten der Einrichtung von Hochschulräten – nämlich das bertelsmannsche CHE und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – ein.
In einem im September 2010 herausgegebenen „Handbuch Hochschulräte“ [PDF – 2.8 MB] wird z.B. inzwischen die gesetzliche Regelung einer Abberufung von Hochschulratsmitgliedern verlangt. Es wird zugegeben, dass die Haftung der Mitglieder ungeklärt ist. Die Ehrenamtlichkeit konfligiere mit den zumeist weitreichenden Kompetenzen der Hochschulräte, deshalb sollten diese für einen „individuellen Versicherungsschutz“, etwa einer „Directors and Officers Versicherung“, wie das für das Management von Unternehmen üblich ist, Sorge tragen und die Hochschulen sollen die entsprechenden Versicherungsbeiträge übernehmen.
Und – weil in der neuen Hochschulwelt natürlich alles evaluiert werden muss – sollten sich die Hochschulräte einer „externen Evaluation“ stellen. Außerdem soll das Ministerium externen Hochschulratsmitgliedern zu Beginn ihrer Tätigkeit einen Leitfaden (so wörtlich) „in Form eines „Starter-Kits-für Hochschulräte“ zur Verfügung stellen.
Eine angemessene Vergütung soll die Hochschule den Hochschulratsmitgliedern auch anbieten.
Bis auf solche eher kosmetischen, teilweise eher kabarettreifen Korrekturen, wird jedoch an Hochschulräten als zentrales Steuerungselement der Hochschulen festgehalten.
Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler nach ihren ganz persönlichen oder ihren politischen oder ökonomischen Interessen.
Man stelle sich einmal umgekehrt den Aufstand der Wirtschaft vor, wenn per Gesetz entschieden würde, im Aufsichtsrat eines Unternehmens müsste eine Mehrheit von externen Wissenschaftlern oder von beliebigen Repräsentanten der Gesellschaft das Sagen haben.
Der Hochschulrat hat die „Fachaufsicht“ über die Hochschule!
Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:
- Er wählt die Mitglieder des Präsidiums.
- Er stimmt dem Hochschulentwicklungsplan zu.
- Er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu.
- Er nimmt zum Rechenschaftsbericht des Präsidiums Stellung.
- Er nimmt Stellung zu Angelegenheiten der Forschung, Kunst, Lehre und des Studiums, die die gesamte Hochschule oder zentrale Einrichtungen betreffen oder von grundsätzlicher Bedeutung sind.
- Er entlastet das Präsidium.
Am Wichtigsten sind dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat. Müller-Böling, der Chef des Bertelsmann CHE und spiritus rector des hiesigen Hochschulfreiheitsgesetzes hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet:
Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“
Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer Hochschule und habe so seit 6 Jahren Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:
Mit vielen anderen Hochschulratsmitgliedern, mit denen ich gesprochen habe, bin ich zur festen Überzeugung gelangt: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit den ihm per Gesetz übertragenen Kompetenzen schlicht überfordert.
Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder Interessensbezug ab oder: man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidenten.
In der überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als zumindest jedes externe Mitglied des Hochschulrates.
Viele Präsidenten entwickeln sich dadurch zu Alleinherrschern bzw. zu patriarchalischen Unternehmerpersönlichkeiten.
Im wirklichen Leben sieht das nämlich so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen des Hochschulrats der Präsident versucht, dessen externen Vorsitzenden in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird dann im Hochschulrat meistens ohne große Diskussion „durchgewinkt“. Für eigene Vorschläge fehlt in aller Regel schon der notwendige Unterbau an Mitarbeitern. So kann der Präsident jeden Widerstand oder jeden seiner Position entgegenstehenden Beschluss der hochschulinternen Gremien aushebeln.
Pinkwarts Vorstellung war die: Der Hochschulrat „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.
De facto gibt es jedoch fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, „Impulse“ vor allem aus der Wirtschaft, genauer der Groß- und Finanzwirtschaft, der IHKs oder bestenfalls noch örtlicher Unternehmer.
Nach Erhebung der Bochumer Nachbaruniversität [PDF – 481 KB] rekrutieren sich die Mitglieder externer Hochschulräte über die gesamte Republik mit jeweils einem runden Drittel aus der Wirtschaft und der Wissenschaft, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren. Während an Universitäten die Großunternehmen eindeutig dominieren, werden insbesondere an Fachhochschulen, aber auch bei privaten und technischen Hochschulen die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen mit regionalem Bezug wichtiger. (Nienhüser/Jakob von der Universität Essen kommen in einer neueren Studie (HM 3/2008) zu ganz ähnlichen Ergebnissen: „Es sind besonders diejenigen Personen in Hochschulräten vertreten, die für die Hochschule wichtige Ressourcen kontrollieren bzw. denen man eine entsprechende Ressourcenkontrolle zuschreibt“)
Was aber noch entscheidender ist: Unter den Hochschulratsvorsitzenden liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter bei 47 Prozent, von diesen sind 80 Prozent Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieder. Kein Wunder, dass das Handelsblatt ziemlich triumphierend titelte: „Manager erobern die Kontrolle an den Unis“.
Ein rundes Fünftel der externen Hochschulratsmitglieder kommt aus Politik, Verwaltung oder von anderen Interessengruppen. Nur rund ein Zehntel kommt aus sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens. Gewerkschaftliche Mitglieder sind in den bundesdeutschen Hochschulräten mit nur 3% marginal vertreten und damit ihrem gesellschaftspolitischen Stellenwert als Sozialpartner entsprechend deutlich unterrepräsentiert.
Nach Angaben des NRW-Ministeriums aus dem Jahre 2008 waren Nordrhein-Westfalen 67 der 146 externen Hochschulratsmitglieder an allen öffentlich-rechtlichen Universitäten und Fachhochschulen „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft. Es ist also nicht übertrieben, wenn man sagt, dass die „unternehmerischen Hochschulen“ von Unternehmensführern maßgeblich gesteuerte Hochschulen geworden sind.
Die nordrhein-westfälischen Hochschulen wurden also vom Staat und dem Parlament weitgehend „befreit“ zugunsten einer Art Ständeherrschaft, in der ein „Stand“ einen überwiegenden Einfluss hat.
Aufgrund der beachtlichen Fluktuation der Hochschulräte mögen sich die Zahlen etwas verändert haben, doch das Übergewicht der Wirtschaftsvertreter dürfte erhalten geblieben sein.
An der hiesigen Uni setzt sich der Hochschulrat – vorsichtig gesagt – relativ atypisch zusammen. Erstens ist der derzeitige wohl vorübergehende Vorsitzende ein hochschulinternes Mitglied, was nach der Gesetzeslage gar nicht zulässig ist. Das liegt wohl auch daran, dass es nur noch zwei der vier externen Mitglieder gibt. Ich höre, dass auch Claus Leggewie, der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts, dieses Amt aufgegeben hat oder aufgeben will. Als externe Mitglieder gehören dem Hochschulrat derzeit die Präsidentin am Landgericht Siegen, Dagmar Lange und Axel Barten an.
Herr Barten ist ein unternehmerischer Multifunktionär, er ist nicht nur geschäftsführender Gesellschafter der Achenbach Buschhütten GmbH in Kreuztal sondern ist oder war er u.a. auch noch beratendes Mitglied im Vorstand des Siegener Bezirksverein des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Beiratsmitglied der 7. Internationalen Metallurgie-Fachmesse, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der Siegerländer Metallindustriellen e.V. (VdSM) und im Vorstand der NRW-Arbeitgeberverbände. Er war bis 2007 drei Jahre lang Chairman der EUnited Metallurgy, einer Brüsseler Lobbyvereinigung der Metallindustrie. Er saß zusammen mit dem NRW-Innovationsminister Pinkwart, vormals Professor gleichfalls in Siegen, im Beirat einer sog. „Innovations-Allianz“, zu der sich 23 nordrhein-westfälische Hochschulen und Fachhochschulen zusammengeschlossen haben.
Darüber hinaus ist er Mitglied der „Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaft, der Informatik, der Ingenieurwissenschaften und er Mathematik e.V.“ (ASIIN) und setzt sich dort als Vertreter der Berufspraxis vor allem für Fragen der „Employability“, also die Ausrichtung der Studiengänge auf die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen ein.
Wie stark Bartens Einfluss im Hochschulrat war, konnten die Siegener Hochschulangehörigen im Jahr 2008 erleben, als er (damals noch Vorsitzender des Hochschulrats) der Universität einen Präsidenten „nahelegen“ wollte, mit dem er zusammen im Vorstand einer Akkreditierungsagentur saß. Die Vorgänge vor zwei Jahren haben deutlich gemacht, dass nach der hiesigen Rechtslage der Hochschulrat seinen ausgewählten Kandidaten für die Leitung der Hochschule mit einer 2/3-Mehrheit gegen den Willen des Senats der Hochschule hätte durchsetzen können. Bei diesem Konflikt kam es zum ersten Mal zu einem offen ausgetragenen Zusammenstoß der Kulturen zwischen der etablierten Selbstverwaltung und der Konzeption einer von einem Top-Down-Management gesteuerten „unternehmerischen“ Hochschule.
Die Frage, ob die in Nordrhein-Westfalen mögliche Durchsetzung eines Rektors/Präsidenten seitens des Hochschulrats gegen das Votum des Senats verfassungskonform ist, wurde Gegenstand einer Dissertation an der Universität: Der Verfasser, Thomas Horst, kommt zum Ergebnis, dass nach Art. 5 Abs. 3 GG der Gesetzgeber in allen wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten verpflichtet ist, einen hinreichenden Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit zu garantieren und dass die im Hochschulgesetz NRW eingeräumte Möglichkeit der Überstimmung des Senats durch den Hochschulrat als verfassungswidrig zu beurteilen ist. Darüber hinaus sieht dieses Rechtsgutachten in der Tatsache, dass sich die externen Hochschulratsmitglieder durch den Stichentscheid des nach dem Gesetz zwangsläufig aus dem Kreis der Externen zu bestimmenden Hochschulratsvorsitzenden gegen die internen Mitglieder durchsetzen können, die in der Landesverfassung NRW in Art. 16 Abs. 1 verankerte Garantie der Selbstverwaltung als verletzt an.
Die Bochumer Soziologen sehen in ihrer Studie in den Hochschulräten eine „Privatisierung der Organisationsverantwortung“ zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule. Es zeige sich darüber hinaus in der tatsächlichen Zusammensetzung der Hochschulräte eine Erosion der klassischen Verbändebeteiligung.
Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte das Kernelement einer „funktionelle Privatisierung“ der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen. Nachdem die Versuche in Deutschland, private Hochschulen aufzubauen, sowohl in der Quantität als auch an der Qualität – zumal in der Forschungsqualität – keinen durchschlagenden Erfolg hatten, wurde nunmehr von den Verfechtern der „unternehmerischen Hochschule“ die öffentlichen Hochschulen von innen heraus privatisiert.
D.h. sie werden wie private Hochschulen organisiert und sollen auch wie private Unternehmen auf dem Ausbildungs- und Forschungsmarkt agieren. Der einzige Unterschied zu „echten“ privaten Hochschulen ist, dass diese „unternehmerischen“ Hochschulen zu 80 bis 90 Prozent vom Steuerzahler finanziert werden. Die zusätzliche, ergänzende private Finanzierung steuert also den ganz überwiegend staatlich finanzierten Apparat. Bildlich gesprochen: Der Schwanz wackelt mit dem Hund.
Das dürfte aber gerade der Idealfall der Apologeten der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen sein: Der Staat finanziert und Private lenken.
Die These von der „funktionellen Privatisierung“ der staatlichen Hochschulen vertrete ich nun schon seit mehreren Jahren und das hat mir bei den Befürwortern der „unternehmerischen Hochschulen“ manche Kritik eingebracht. Zum Glück habe ich vor Kurzem Unterstützung von unverdächtiger Seite erhalten. In einer im Oktober 2010 erschienenen Studie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Kooperation mit McKinsey & Company wird die derzeitige Landschaft privater Hochschulen untersucht. Schon im Vorwort heißt es dort:
„Bund und Länder haben die staatlichen Hochschulen in die Freiheit entlassen und sie weitgehend in die Lage versetzt, sich nach ihren eigenen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Hochschulen verändert. Bisherige Alleinstellungsmerkmale, die den privaten Hochschulen vermeintliche Wettbewerbsvorteile ermöglichten, werden nun mit staatlichen Hochschulen geteilt.“
Auch eine im November 2010 veröffentlichte international vergleichende Untersuchung des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg (HoF) mit dem Titel „Hochschulprivatisierung und akademische Freiheit“ kommt zum Ergebnis: dass „die Differenz zwischen staatlicher und privater Hochschulträgerschaft…an Bedeutung verliert“.
Neben dem Begriff der „Freiheit“ ist das Tarnwort „Autonomie“ die zweite Parole gewesen, mit der die Hochschulen ihre Tür für die „unternehmerische Hochschule“ freiwillig geöffnet haben.
Nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes zum einen jedem, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will – also auch Studierenden – zunächst ein subjektives, individuelles Freiheitsrecht.
Zum anderen leitet das Gericht aus diesem subjektiven Grundrecht mittelbar eine institutionelle Garantie der Universität ab. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert in dem Bemühen um Wahrheit entfalten können, ist die Wissenschaft selbst – wie es das Bundesverfassungsgericht formulierte – zu einem von staatlicher Bevormundung freien Bereich autonomer Verantwortung der einzelnen Wissenschaftler und der in ihr tätigen Universität erklärt worden.
Die institutionelle Autonomie gegenüber dem Staat hat ihre Begründung darin, dass die staatlich finanzierten Hochschulen einen Ort bieten sollten, an dem sich frei von staatlichen oder politischen Interessen die Gesellschaft selbst zum Gegenstand ihres kritischen Denkens macht. Hochschulen sollten, wie Parsons das ausdrückte, als „Treuhänder der Gesellschaft“ fungieren. Und um das leisten zu können sollten sich von den Verhältnissen und Interessen, die sie ja gerade aufklären sollen, unabhängig sein. Das ist der eigentliche Sinn der Hochschulautonomie.
Das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ wechselt diesen auf die individuelle Wissenschaftsfreiheit und nur mittelbar als „institutionelle Garantie“ auch auf die Hochschule bezogenen Autonomiebegriff und verengt ihn auf die Institution Hochschule, ja noch mehr auf eine autokratische Hochschulleitung.
Die Hochschule als „autonomes“ Unternehmen soll einerseits vom Staat weitgehend befreit sein, aber andererseits soll das individuelle Freiheitsrecht zu freier Forschung und Lehre freiwillig den Zwängen des Wettbewerbs überantwortet werden.
Nämlich eben einer Freiheit des Wettbewerbs um die Einwerbung von über die staatliche Grundfinanzierung hinausgehenden Drittmitteln und von privat aufgebrachten Studiengebühren. An der Einwerbung von Geld soll sich also künftig vor allem wissenschaftliche Qualität und gute Ausbildung messen, vor allem aber auch die Entwicklung von wissenschaftlichen Fragestellungen bestimmt werden.
Damit kein Missverständnis aufkommt, ich wende mich nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft – zumal an einer von der Allgemeinheit getragenen Hochschule – ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort – pathetisch gesagt – auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.
Pinkwarts Bild vom Wettbewerb ist aber nicht das Bild vom Wettstreit um Wahrheit: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsförderer und Auftraggeber, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden.
So ist inzwischen z.B. die Drittmittelquote allein von 2005 bis 2008 an den Hochschulen von 20,1 % auf über ein Viertel (25,1%) gestiegen. Davon sollen an der TU München knapp die Hälfte (45%) direkt von der Wirtschaft kommen [PDF – 77 KB].
Nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft sollen die Hochschulen in NRW 2008 annähernd 278 Millionen an Studiengebühren eingenommen haben, das entspräche rund 7 Prozent des Landes-Hochschulbudgets.
In Diskussionen wird meiner Kritik an der „unternehmerischen Hochschule“ häufig entgegengehalten, meine Beschreibung sei zwar nicht falsch, aber was spräche denn gegen dieses Leitbild, wenn es zu mehr Effizienz, zu mehr Wirtschaftlichkeit und zu mehr Qualität der Hochschule führe.
Diesem Einwand lässt sich auf einer eher theoretischen Ebene und zum Glück inzwischen auch empirisch entgegentreten.
Die Frage ist zunächst, ob der Wettbewerb um zusätzliche Finanzmittel den Funktionsprinzipien oder den „professionskulturellen Verhältnissen“ [PDF – 157 KB] einer freien Wissenschaft gerecht wird.
Dazu möchte ich zunächst einige Erwägungen anstellen:
- Man wird wohl kaum bestreiten können, dass hinter dem Wettbewerb das Motiv des Eigennutzes steht, in einer weitgehend von der Gesellschaft finanzierten Wissenschaft sollte jedoch das Gemeinnützige im Vordergrund stehen. Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Wissenschaft nicht zur Mehrung des geldwerten Nutzens für den einzelnen Wissenschaftler oder für das Unternehmen Hochschule, sondern es gewährleistet – so das Bundesverfassungsgericht – „eine letztlich dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dienende Wissenschaft“.
- Wettbewerb lebt von der Konkurrenz, komplexe und teure Wissenschaft setzt aber gerade auch Kooperation voraus. Haben nicht gerade kleinkariertes Konkurrenzdenken und mangelnde vor allem auch interdisziplinäre Kooperation, die Tendenz verstärkt anspruchsvolle Wissenschaft aus der Hochschule heraus in Großforschungseinrichtungen zu verlagern?
- Wettbewerb misst sich am Anderen. Seine Antriebskräfte sind also eher extrinsische Motive. Kommt aber bei einem Wettbewerb, zumal um Finanzmittel nicht gerade die intrinsische Motivation, also die Begeisterung für die Entdeckung des Neuen oder der Wahrheit zu kurz?
- Wettbewerb schielt auf den kurzfristigen Erfolg, schadet Wettbewerb also nicht einer ergebnisoffenen oder einer notwendig auf längere Frist und nicht auf kurzfristige Verwertungsbedürfnisse angelegten Grundlagenforschung, auf die doch gerade eine öffentlich finanzierte Hochschulforschung angelegt sein sollte?
- Wettbewerb schafft äußere, fremdbestimmte Zwänge, die Wissenschaftsfreiheit als subjektives und individuelles Grundrecht an einer Hochschule garantiert aber gerade Selbstbestimmung oder wenigstens Mitbestimmung oder Selbstverwaltung innerhalb der in einer Hochschule organisierten Wissenschaft. Es geht in der Hochschule um professionelle Arbeitsbündnisse und nicht um tauschförmige Beziehungen.
- Es wird geradezu als Kult gepflegt, dass im unternehmerischen Wettbewerb immer auch autoritäre Entscheidungen der „Unternehmensführer“ verlangt und erwartet werden. Beim Wettstreit in der Wissenschaft, wetteifern aber letztlich nicht ganze Hochschulen untereinander, sondern die einzelnen Forscher und Forschergruppen mit anderen Wissenschaftlern – und zwar weltweit, wenn es gute Forschung sein soll. Unter diesem Widerspruch leidet übrigens auch die Exzellenzinitiative, was Richard Münch so eindrucksvoll darstellt.
- Wettbewerb hält Ungleichheit aus, er setzt geradezu Gewinner und Verlierer voraus. Die Stärkeren setzen sich gegen die Schwächeren durch, da hilft die schärfste Profilbildung nichts. Wettbewerb als Steuerungsprinzip zwischen den Hochschulen führt also notwendig zur Ungleichheit unter den Hochschulen und zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft, wie schon vorhin beschrieben. Die Entwicklung in Deutschland läuft also auf die Herausbildung einiger weniger sog. Elite-Universitäten und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Quantität und Qualität hinaus.
Die relativ kleine Universität Siegen, wird – auch wenn sie jetzt jährlich eine Million für ein „Forschungszentrum“ zugeschossen bekommt – niemals mit den großen Wettbewerbern mithalten können. Es gab ja schon früher einmal Diskussionen über eine Umwandlung dieser Universität, ja sogar über eine Schließung angesichts der mächtigen Konkurrenz jenseits der Berge im Hessischen oder im Ruhrgebiet. Wenn dieser Trend mit „symbolischen Gewinnern“ und einer umgekehrten „Verliererdynamik“ (Dörre/Neis) anhält, werden wir im Ergebnis in peripheren Regionen eben vornehmlich auch periphere Universitäten finden.
Der „akademische Kapitalismus“ betrifft aber nicht nur die Forschung, sondern vor allem auch den Wettbewerb um die Studierenden. Wir bekommen sozusagen einen „Bayern-München-Effekt“ unter den Hochschulen: Die „Bayern“ kaufen etwa den armen Mainzern oder nicht so finanzkräftigen Freiburgern die „Stars“ ab, sie bauen damit ihre Spitzenposition in der Tabelle aus und die anderen steigen eben ab. Was man beim Fußball noch hinnehmen könnte, weil da nur private Vereine oder die Hoffnungen von Fußball-Fans betroffen sind, führt auf dem Feld der Hochschulen zu einem weiteren Verlust an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland, zu einem Verlust an allgemeiner Studienqualität in der Breite und das zu Lasten von hunderttausenden von Studierenden, die aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht an einer Eliteuniversität studieren können.
Wir verlieren also eines der weltweit anerkannten Qualitätssiegel der deutschen Hochschullandschaft: eine zwar nicht gleichartige, aber eine qualitativ relativ hochwertige und gleichwertige Breite.
Deutschland liegt zwar im – übrigens durchaus anzweifelbaren – Vergleich der Spitzenhochschulen nicht unter den ersten 50, aber in der Zahl der qualitativ hochstehenden Hochschulen auf den vordersten Rängen; unsere Stärke war – international anerkannt – die relativ hohe Qualität in der Breite.
Schon heute ist ein guter Bachelor-Abschluss keine Eintrittskarte in ein Masterstudium einer Elite-Uni mehr und schon heute wissen die Personalchefs nicht mehr viel mit den Abschlusszertifikaten der unterschiedlichen Hochschulen anzufangen.
Waren die letzten Argumente gegen eine Hochschulsteuerung vor allem über den Wettbewerb eher theoretischer Natur, so lässt sich inzwischen das „Dilemma der unternehmerischen Universität“ auch empirisch belegen. Die Soziologen Klaus Dörre und Mathias Neis von der Friedrich-Schiller Universität Jena untersuchten die Gretchenfrage, ob die „unternehmerische Hochschule“ tatsächlich unternehmerisch erfolgreich ist.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Das Konzept der unternehmerischen Universität „mag geeignet sein, das Personalmangement an den Hochschulen zu verbessern und die Ressourcenverteilung transparenter zu gestalten. Doch angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulsystems und aufgrund nicht intendierter Effekte für kollektive Arbeitsprozesse, die Innovation überhaupt erst ermöglichen, kann eine allzu nahtlose Umsetzung des Leitbildes der unternehmerischen Universität alte Innovationsblockaden verstärken oder ganz neue erzeugen.“ (S. 137)
Die Verfasser der Studie kommen zu folgender Schlussfolgerung: „Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“ (S. 153) Denn Innovationen entstünden innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhten auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung voraus.
„Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtige geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem.
Aus vielen Veranstaltungen an Hochschulen, an denen ich teilgenommen habe und aus vielen Gesprächen mit Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern weiß ich, dass sich an den Hochschulen nach anfänglicher Euphorie über die neue Freiheit und die Versprechungen von Autonomie inzwischen viel Unmut und Frust angesammelt hat. Viele sehen den professionskulturellen Charakter ihre Arbeit gestört oder schon als verletzt an.
Beim Bologna-Prozess wurde – angefangen von Bundesbildungsministerin Schavan, über den Wissenschaftsrat, ja sogar bis zur HRK – „Korrekturbedarf“ inzwischen anerkannt.
Ganze Fakultätentage lehnen eine Teilnahme an den CHE-Rankings ab, es gibt Resolutionen von Fachbereichen gegen das unternehmerische Hochschulmanagement.
Leider rekrutiert sich der Widerstand – wie etwa vom Hochschulverband – vielfach aus der konservativen Seite, die eine Rückkehr zur alten Ordinarien-Universität erträumt.
Der Unmut einzelner Hochschulangehörigen dringt aber nur wenig an die Öffentlichkeit, denn Ansprechpartner für die Öffentlichkeit sind eben die Hochschulleitungen oder die Präsidenten der Hochschulen. Warum sollten gerade diese sich gegen eine Reform wenden, die ihnen viel Macht eingeräumt hat?
Einen erneuten Paradigmenwechsel herbeizuführen ist eine schwierige Herausforderung.
Hochschullehrer sind Einzelkämpfer, die Erfahrung von solidarischer Kraft ist ihnen historisch unbekannt. Die Hochschulen waren politisch leider schon immer eine leichte Verfügungsmasse der politisch Mächtigen oder des Zeitgeistes. Außerdem hat sich an den Hochschulen eine „Froschperspektive“ des politischen Denkens breit gemacht. Selbst fortschrittlichere Hochschullehrer und schon gar die Hochschulleitungen greifen z.B. in ihrer Not nur allzu gern nach dem Strohhalm der Studiengebühren oder privater Drittmittel. Sie haben vor der nunmehr seit den 70er Jahren mit dem sog. Öffnungsbeschluss beginnenden staatlichen „Unterfinanzierung“ resigniert und ihre Hoffnungen auf eine angemessene staatliche Finanzierung weitgehend aufgegeben. Das Politikum, dass nämlich die knappen öffentlichen Kassen auch etwas mit dem Steuersenkungswahn und der Aushungerung des Staates der letzten Dekaden zu tun hat, wird gar nicht mehr gesehen. „Starve the beast“, hungert den Staat aus, war ja der Kampfruf der Chicago Boys, also der Reaganomics und des Thatcherismus.
Unverkennbar ist auch die überwiegende Mehrheit der Hochschulangehörigen auf den wirtschaftsliberalen Mainstream eingeschwenkt. Die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, wo diese Lehre nahezu unisono verkündet wird, haben da ganze Arbeit geleistet. Vor allem die „visible scientists“ haben sich schon eingerichtet als Unternehmensführer auf dem Wissenschaftsmarkt; sie holen Geld ab, wo es auch immer zu holen ist. Über die soziale Auslese-Funktion etwa von Studiengebühren und ihre bildungspolitische Bedeutung wird kaum noch nachgedacht. Die Hochschulen sind ja ohnehin überfüllt, warum sollte man sich da auch noch Sorgen machen, um diejenigen, die wegen dieser Geldbarriere vor den Hörsälen bleiben.
Die Hochschulen als alleiniger Adressat und Träger für einen Leitbildwechsel werden also nicht ausreichen, um einen Paradigmenwechsel herbeizuführen.
Das kann man am Beispiel der Einführung und der Abschaffung von Studiengebühren studieren:
Wäre es allein nach den Hochschulen gegangen, so hätten sie dieses „Doping“ niemals absetzen wollen. Nachdem Regierungswechsel in NRW mosern bis heute die Landesrektorenkonferenz und mit ihr die meisten Rektoren an dem Vorhaben der dortigen Landesregierung herum, die Studiengebühren wieder abzuschaffen, obwohl eine weitgehende Kompensation der Mittel zugesagt wurde.
Ich höre auch, dass die Präsidenten der Hochschulen z.B. Widerstand gegen eine von der neuen Landesregierung in Aussicht genommene demokratische Eingrenzung der Machtbefugnisse Hochschulräte leisten.
Zu einem wirklichen Leitbildwechsel im Hochschulsystem wird es letztlich erst dann kommen, wenn gleichzeitig auch einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel stattfindet. Der Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung ist ja keineswegs ein Spezifikum der Hochschulreformen der letzten Jahre. Dieser Umbruch ist Ausfluss des zur Vorherrschaft gelangten gesellschaftlichen Denkens, das mit den Schlagworten Deregulierung, Privatisierung, Wettbewerb und einer dramatischen Zurückdrängung des Staates zusammengefasst werden kann. Dieses Weltbild hat ja nicht nur die Wirtschaft durchdrungen, sondern es hat sich auch in nahezu allen anderen gesellschaftlichen Bereichen / von der Sozialpolitik (z.B. der kapitalgedeckten privaten Vorsorge) über die Kulturpolitik bis hinein eben auch in die Bildungspolitik durchgesetzt. Wir erleben es bei der Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge oder bei der finanziellen Ausblutung des Staates.
Ohne einen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel, weg vom mit „neoliberal“ nur unzulänglich umschriebenen Weltbild, wird es auch keinen erfolgreichen Leitbildwechsel an den Hochschulen geben. Und wie die politischen Mehrheitsverhältnisse derzeit noch aussehen, liegt für einen solchen Wechsel noch ein längerer Weg vor uns.
Aber das heißt aus meiner Sicht nicht, dass die Hochschulangehörigen ihre Hände in den Schoß legen und abwarten sollten, bis eine neue Reform-Welle über sie von außen hereinschwabt. Die Mitglieder der Hochschulen sollten von denjenigen lernen, die ihnen die „unternehmerische Universität“ übergestülpt haben. Der verstorbene Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn hat sich mit seiner Stiftung deshalb so stark auf dem Feld der Hochschulpolitik engagiert, weil er der der festen Überzeugung war, dass die Hochschulen – wie er vielfach hervorhob – ein „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ sind. Deshalb hat er die erste deutsche private Hochschule Witten-Herdecke zunächst als „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen finanziert und als er erkannt hat, dass dieser Weg für einen Paradigmenwechsel nicht gangbar ist, hat er über seinen Think-Tank CHE eben die staatlichen Hochschulen „funktionell“ privatisiert.
Alle, die an den Hochschulen mit dem herrschenden Leitbild der „unternehmerischen Universität“ unzufrieden sind und unter den herrschenden Bedingungen leiden, sollten also nicht abwarten, bis sich der politische Wind wieder gedreht hat, sie sollten vielmehr die Hochschulen als einen Schlüssel betrachten, den Wechsel sowohl an den Hochschulen als auch in der Gesellschaft voranzutreiben.
Mir ist klar, dass ein solches Engagement angesichts von Prüfungs-, Evaluierungs- oder Akkreditierungs-Stress und angesichts des permanenten Drucks, neue Forschungsanträge an Land zu ziehen, von Vielen unter Ihnen als Zumutung angesehen wird. Aber einen anderen Weg, damit Sie wieder zu ihrer originären Aufgabe zurückfinden können, nämlich guter Lehre und freier Wissenschaft, sehe ich leider nicht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld und freue mich auf das Gespräch mit Ihnen.