Rezension: Klaus Dörre/Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Universität
Eine interessante Studie legten die beiden Soziologen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vor. Sie untersuchten die Gretchenfrage, ob die „unternehmerische Hochschule“ tatsächlich unternehmerisch erfolgreich ist.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Das Konzept der unternehmerischen Universität „mag geeignet sein, das Personalmangement an den Hochschulen zu verbessern und die Ressourcenverteilung transparenter zu gestalten. Doch angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulsystems und aufgrund nicht intendierter Effekte für kollektive Arbeitsprozesse, die Innovation überhaupt erst ermöglichen, kann eine allzu nahtlose Umsetzung des Leitbildes der unternehmerischen Universität alte Innovationsblockaden verstärken oder ganz neue erzeugen.“ (S. 137) Von Wolfgang Lieb
Die empirische Untersuchung legt ihren Fokus zwar auf akademische „Ausgründungen“ (Spin-offs) von drei regional besonders innovationsfreundlich geltenden Hochschulen, nämlich in Dortmund, Chemnitz und Halle, doch lassen sich die Erfahrungen und Ergebnisse über den engeren Untersuchungsgegenstand ausweiten.
Wie Jede Spielart innovativer Arbeit setzten erfolgreiche Unternehmensgründungen organisatorische Freiräume und Gratisressourcen voraus. Innovationsprozesse setzten keineswegs umwälzende Entdeckungen voraus, es komme vielmehr darauf an, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse anzuwenden und nutzbar zu machen. Das „Anwendungskapital“ liege überwiegend bei den Angehörigen des wissenschaftlichen Mittelbaus und der Studierenden. Diesen Entrepreneurs sei gemeinsam, dass es sich i.d.R. „nicht um Vollblutforscher“ handelte, sondern sie nutzten die universitären Ressourcen (etwa Doktoranden- oder Mitarbeiterstellen) um vorhandenes Wissen praktisch werden zu lassen. (S.139) Professoren spielten bei solchen Gründerinitiativen keineswegs die Hauptrolle. Es seien vor allem die „Visible Scientists“ (gesellschaftlich sichtbare Wissenschaftler), die als Mentoren und Unterstützer fungieren, also solche Professoren, die viele Forschungsgelder akquirieren, in der Öffentlichkeit präsent seien, viele Doktoranden betreuen, Fachkongresse besuchen, internatonale Netzwerke pflegen und dazu noch in den Hochschulgremien den Wandel managen. Durch Ausgründungen verspräche sich diese Gruppe von Hochschullehrern zusätzliche Anerkennung. Gerade dieser Wissenschaftlertypus, der „auf vielen Hochzeiten“ tanze, stehe mit den bürokratischen Abläufen innerhalb der Universitäten auf Kriegsfuß, er gehöre zu den vermeintlichen Gewinnern des Steuerungsmodells der unternehmerischen Universität und wittere hier seine Chancen.
Das Innovationsgeschehen sei jedoch ein „kollektiver Arbeitsprozess“ an dem in hohem Maße gerade Nicht-Professoren beteiligt seien. (S. 142) Oftmals säßen die potenziellen Unternehmensgründer auf prekären Beschäftigungsverhältnissen, also auf befristeten, auf Teilzeitstellen, die schlecht entlohnt und mit geringer akademischer Anerkennung verbunden seien. Man sei auf dem Weg in einen „akademischen Kapitalismus“ nach amerikanischem Vorbild, der vor allem auf die vertikale Differenzierung der Hochschullandschaft angelegt und in der Exzellenzinitiative vorgezeichnet sei. Es gebe dabei nicht nur „symbolische Gewinner“ sondern umgekehrt auch eine „Verliererdynamik“. Im Ergebnis würden sich früher oder später in peripheren Regionen auch vornehmlich periphere Universitäten befinden. (S. 148) Bei einer solchen Abwärtsdynamik würden auch die „Wissenschafts-Anwendungsnetzwerke“ solcher peripherer Hochschulen ihre Innovationskraft verlieren.
Der neue Steuerungsmodus erzeuge nicht intendierte Effekte, die destruktive auf die kollektiven Arbeitsprozesse zurückwirkten. Selbst die „Visible Scientists“ würden sich dabei künftig schwer tun, Freiräume für Wissenschafts-Anwendungsnetzwerke zu garantieren. „Nutzenkalküle, die auf eine Einschränkung von „Kreativitätszonen“ hinauslaufen, würden alle denkbaren positiven Effekte des Neuen Steuerungsmodells für akademische Ausgründungen rasch zunichte machen, denn die kapitalschwachen Unternehmensgründer aus dem Mittelbau wären gar nicht in der Lage, sich die nötigen Ressourcen ohne professorale Unterstützung zu erschließen.“ Mit Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge und der damit einher gehenden Verschulung steige möglicherweise die Gefahr von Innovationsblockaden zusätzlich. (S. 146)
Die Autoren gelangen zu folgender Schlussfolgerung: „Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“ ( S. 153) Denn Innovationen entstünden innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhten auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung vor. Durch Verschulung des Studiums und strikte Effizienzorientierung gerieten gerade jene assoziativen Arbeitsformen, Freiräume und Vertrauensbeziehungen unter Druck, die eine zentrale Bedingung erfolgreicher Ausgründungen und – ökonomisch messbarer – Innovationen seien. (S. 153) Innovativ seien hingegen vor allem solche Räume, die neben Talenten und technologischer Kompetenz auch über eine von ermöglichender Toleranz geprägte Kultur verfügten. (S. 164)
„Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtige geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem.
Wenn man diesen Thesen der Autoren folgt, könnte man sagen: Glücklicherweise sind die „Kräfte der Beharrung“ stark genug. Auf der Diskursebene dominiere zwar die Einführung von Marktmechanismen in das Wissenschaftssystem. Es finde eine „kapitalistische Landnahme“ der Universitäten statt, der mit der Übernahme der „Gesamtheit von Glaubenssätzen“ des „kapitalistischen Geistes“ verbunden sei. Die Hochschulen konkurrierten in Quasi-Märkten um finanzielle Ressourcen und symbolischem Gewinn. Dem entsprächen Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarungen, die Fakultäten, Institute und einzelne Professoren zu einem Wettbewerb um knappe Mittel und Reputation anreizen sollen.
Andererseits werde die Universität durch ein Nebeneinander von marktförmigem Wettbewerb, modifizierten Hierarchien, überkommenen ständischen Elementen und neuartigen Konzentrationsprozessen von Macht und Ressourcen geprägt, (S. 145) die unternehmerische Universität werde deshalb in den „diversen Arenen des akademischen Feldes allenfalls in modifizierter Gestalt verwirklicht“ (S. 151).
Die tatsächlichen Machtverhältnisse an den Universitäten blieben in mancherlei Hinsicht unverändert (S. 154) Und daran, dass die Mehrzahl derjenigen, die Spin-offs maßgeblich vorantreiben, aus eher schwachen Statusgruppen stammten, habe sich im Gefolge der „unternehmerischen Universität“ nichts geändert.
Im Ergebnis produziere die Konkurrenz der Universitäten Gebilde, in denen Marktorientierung, zäher Bürokratismus und das altbekannte Bedienen von Partialinteressen eine Wahlverwandtschaft eingingen. Die Steuerung der Universitäten durch demokratisch nicht legitimierte Hochschulräte, in denen häufig wirtschaftliche und politische Partialinteressen dominierten, sei nur ein Indiz für eine solche (Fehl-) Entwicklung. (S. 157)
Aber auch den vermeintlichen Gewinner der neuen Steuerungsmethoden werde es durch die „Zusatzarbeit“ für Exzellenzwettbewerbe und durch das Management mittels diverser Rating- und Rankinganforderungen letztlich erschwert, ihre wissenschaftlichen Ansprüche in Forschung und Lehre praktisch werden zu lassen, denn die Arbeit von Wissenschaftlern mutiere mehr und mehr zur bloßen Managementtätigkeit. (S. 155) „Eine gestaltende Akzeptanz vermeintlicher organisatorischer Schwäche (Nischenorganisationen), bei gleichzeitiger Relativierung und Eingrenzung ständischer, intransparenter Machtstrategien würde die Innovationsfähigkeit der Universitäten vermutlich eher stärken, als jede administrative Durchsetzung wettbewerbsorientierter Leistungskriterien dies könnte.“ (S. 157) Positiv wäre dies aber letztendlich nur, „wenn die Schaffung von Kreativitätszonen nicht länger an die Willkür professoraler Machtausübung gebunden würde, sondern als legitimer Anspruch auf allen Ebenen akademischer Arbeitsprozesse und von Angehörigen aller universitärer Gruppen eingeklagt werden könnte.“ (S. 157)
Am Ende ihrer Studie fragen die Autoren nach demokratischen Alternativen zur unternehmerischen Universität.
Obwohl die unternehmerische Universität aus alles andere als ein positives Modernisierungsideal verkörpere, wäre es aus Sicht von Dörre und Neis fatal, auf die Wiederherstellung alter Verhältnisse zu hoffen. Denn auch in den alten Verhältnissen seien Kreativitäts- als auch Beschäftigungsbedingungen alles andere als rosig gewesen. Außerdem hätten sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Universitäten irreversibel verändert.
Einem alternativen hochschulpolitischen Ansatz müsse die „basale“ Erkenntnis zugrunde liegen, „dass das Unternehmen Universität auf Arbeit beruht“ (S. 159) und zwar auf der Arbeit aller ihrer Mitglieder. Die Steuerung von innovativen Prozessen müsse erstens von einem weiten, weder ökonomisch noch technologisch verkürzten Innovationsbegriff ausgehen und zweitens auf die Förderung kreativer und zugleich kollektiver Arbeitsprozesse zielen. (S. 160).
Dazu gehöre zunächst, dass die Unterfinanzierung des Wissenschaftssystems als wichtigste Innovationsbremse benannt werde. Der Wettbewerb innerhalb eines gedeckelten Budgets erzeuge nämlich nur Gewinner und Verlierer.
Die Schaffung von mindestens 4.000 Professuren, könnte dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Karriereoptionen schaffen und u.a. den „brain drain“ ins Ausland reduzieren.
Unterhalb der Professuren müssten durch „gute“, nicht prekäre Arbeitsplätze gerade die Gruppe der Mitarbeiter stärken, die das Gros der unsichtbaren Entrepreneurs stellen.
Was an außeruniversitären Forschungseinrichtungen längst üblich sei, werde auch an den Hochschulen dringend benötigt, nämlich die Beschäftigung spezieller Wissenschaftskoordinatoren.
Zudem müsse der wachsende Arbeitbelastung überdurchschnittlich aktiver Mitglieder der academic workforce durch eine Politik „regulierter Flexibilität“ entgegengesteuert werden, also konkret durch Lehrdeputatsreduktionen oder zusätzliche Freisemester und einem flexiblen Stellenpool mit dem entstehende Lücken kompensiert werden könnten.
Die Relevanz der Arbeitsbedingungen für die Leistungs- und Innovationsfähigkeit von Hochschulen müsse endlich Eingang in die politische Debatte finden. Das Ziel müsse ein spezieller „Index Gute Arbeit“ für Hochschulen sein.
Die Universitätsleitungen müssten die unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen früh und nachhaltig in die Gestaltung von Veränderungsprozessen einbeziehen, wenn tatsächlich durchgreifende Reformen ermöglicht werden sollen.
Im Gegensatz zum vorgespiegelten Leitbild der unternehmerischen Hochschulen seien die Rechte der Beschäftigten einer Universität im Vergleich zu denen der Belegschaft eines Industrieunternehmens deutlich begrenzt.
Die Empfehlung der Autoren lautet: „Mut zum Experiment, zur Äußerung abweichender, kritischer, ja anstößiger Gedanken“. Dieser Mut sollte – die Einhaltung unverzichtbarer Qualitätsstandards vorausgesetzt – von Hochschulen und Forschungsförderung belohnt werden.
Eine solche Ausrichtung müsse keineswegs im Gegensatz zu einer Hochschulpolitik stehen, die sich explizit das Ziel setzt, auch ökonomisch messbare Innovationen wie etwa akademische Ausgründungen zu fördern. „Denn auch hier gilt das Innovationsparadoxon. Neues entsteht nur, wenn der Mut zu abweichenden Ideen gefördert und Freiräume garantiert werden, in denen solche Ideen überhaupt entstehen können.“ (S. 164)
Das klinge zwar nach Wunschkatalog, ja nach utopischem Überschuss, aber ein solches zur unternehmerischen Hochschule alternatives Programm, könnte das einlösen, was die unternehmerische Universität nur verspreche zu leisten: „Die nachhaltige Förderung kreativer Arbeit und damit von Innovationsprozessen, die nicht nur die Universität, sondern auch der Region und der Gesellschaft insgesamt zugutekommen.“ (S. 165)
Anmerkung: Dass die unternehmerische Universität den Konstitutionsbedingungen von wissenschaftlicher Arbeit nicht entspricht, das haben wir auf den NachDenkSeiten des Öfteren thematisiert. Interessant ist, dass diese Kritik mit dieser Arbeit am konkreten Beispiel von unternehmerischen Ausgründungen aus der Hochschule nun auch empirisch belegt wird. Der Effizienzbegriff einer von einem Management gesteuerten, am Markt operierenden Hochschule
mag – in Grenzen – betriebswirtschaftliche Effizienz und Ressourcentransparenz ermöglichen, aber eben gerade nicht das, was der Ökonom Schumpeter mit „schöpferischer Zerstörung“ als Antriebskraft ökonomischen Fortschritts beschreibt.
Die Finanzkrise ist das drastischste Beispiel, wo das Effizienzversprechen des Marktparadigmas in einer Katastrophe endete. Das Versagen der marktgesteuerten Hochschule, wird sich leider vermutlich erst in Jahren oder gar Jahrzehnten erweisen. Und leider wird auf diesem Feld kein „Rettungsschirm“ helfen.
Die Arbeit von Dörre und Neis ist insofern wichtig, weil sie die eher ideologische (Überbau-)Kritik auf einen theoriegeleiteten empirischen Grund stellt. So feingliedrig die Kritik der Autoren am Leitbild der unternehmerischen Universität auch ist, sie dürfte gerade deshalb das Freiheits- und Autonomiepathos nicht aus den Köpfen vieler Professoren und vor allem der Hochschulleiter treiben. Gerade weil das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ so eindimensional, um nicht zu sagen schlicht und deshalb so eingängig ist. Die Arbeit an einem alternativen Leitbild einer innovativen und kreativen Hochschule, die wissenschaftlichen Fortschritt befördert, muss also noch fortgesetzt und zu einem Gesamtbild gefügt werden. Einem Bild das in den Köpfen der Hochschulmitglieder wieder die Faszination auf Neues auslöst, ohne die Wissenschaft als ausgelagerte Werkbank zur betrieblichen Nutzenmehrung verkümmert.
Bibliografische Angaben:
Klaus Dörre, Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Hochschule, Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, 2010, 177 Seiten ISBN 978-3-8360-8716-2. Preis 14.90 Euro.
Die Studie wurde gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung.