Die Traumwelt maßgeblicher Journalisten: Die Pluralität unseres Medienangebots

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Es ist immer wieder erstaunlich, wie rosig Journalisten ihre eigene Welt sehen. Und wie schnell und konsequent sie ihren politischen Einfluss missachten, weil es offenbar zu ihrem Selbstverständnis gehört, den Einfluss von Medieninterventionen auf politische Entscheidungen klein zu schreiben. Das letzte Beispiel betrifft Obama und die Niederlage der Demokraten in den USA. Zwei andere Beispiele habe ich hautnah selbst erlebt. Albrecht Müller

Heute erschien bei Spiegel online ein Kommentar von Gregor Peter Schmitz zu den US-Kongresswahlen. Er war überschrieben mit: „Abrechnung mit Mr. Perfect“. Der Einstieg lautete folgendermaßen:

„Barack Obama hat das Wahldebakel der Demokraten zu verantworten. Der scheinbar große Kommunikator hat kein Gespür für die Stimmung im Land entwickelt. Jetzt muss er sich neu erfinden, wie einst Vorgänger Bill Clinton. Doch kann er das?“

Die zitierte „Stimmung im Land“ erscheint in diesem Kommentar als etwas, was sich halt so ergeben hat, als etwas objektives, weshalb der Kommentator Barack Obama empfiehlt, sich in die Mitte rückend dieser Stimmung anzupassen, so wie Bill Clinton dies getan habe.

Dass diese Stimmung auch (!) ein Ergebnis einer massiven Kampagne ist, die von einem Medienunternehmer, von Murdocs Konzern, gesteuert ist und das Land bewusst nach rechts rückt, erfahren die Leser dieses Kommentars nicht. Dabei wäre es für Gregor Peter Schmitz nicht allzu schwer gewesen, seinen Kommentar etwas differenzierter zu schreiben. Er hätte die Szene beobachten müssen oder auch nur einen recht aufschlussreichen Essay des amerikanischen Ökonomen Krugman lesen müssen.

Krugman skizziert anders als der Spiegel Online-Journalist die sonderbaren Erscheinungen des zurückliegenden Wahlkampfes. Er skizziert in seinem Beitrag „Fox News bezahlt US-Republikaner“ den Einfluss Murdocs auf die Karrieren republikanischer Politiker, auf die TeaParty und das Engagement seines Medienimperiums. Von Pluralität kann keine Rede sein und von einer objektiv zustande gekommenen Stimmung gegen Obama auch nicht. Obamas Fehler jedenfalls reichen für diese Niederlage nicht aus.

Aber die Existenz solcher einseitigen und sich nicht gegenseitig aufhebenden und balancierenden Kampagnen passt nicht in das Weltbild der deutschen Journalisten. Es gibt sie noch, ein paar kritische Journalisten. Es gibt sogar noch ein paar, die kritisch dem eigenen Milieu und Berufsstand gegenüber sind. Aber auch jenseits des rechtskonservativen Milieus deutscher Medienschaffender herrscht ein anderer Glaube. Man glaubt an Pluralität und hilfsweise an die Vorstellung, wie in einer Pendelbewegung hebe die eine Kampagne die andere in ihrer Wirkung auf.

Am 30. April dieses Jahres war ich auf einem Kongress von Medienjournalisten in Leipzig, um darüber zu referieren, was Medienjournalismus leisten müsste. Am 6. Mai konnten Sie dieses Referat in den NachDenkSeiten nachlesen. In der Zeitschrift Message, Internationale Zeitschrift für Journalismus, Ausgabe 3-2010, die Mitveranstalter des Kongresses war, wurde eine Kurzfassung abgedruckt. Meine vergleichsweise harmlose und freundliche Leistungsanforderung durfte aber in diesem Heft offensichtlich nicht alleine stehen. Das hat vermutlich etwas damit zu tun, dass selbst meine harmlose Kritik unter den anwesenden Journalisten und Medienwissenschaftlern Empörung auslöste. Also wurde der Journalist Hans Leyendecker, leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, und der angesehene Medienwissenschaftler und frühere Medienjournalist Volker Lilienthal um Stellungnahmen zu meinem Text gebeten. Leider gibt es diese Texte nicht als Dateien. Deshalb bin ich darauf angemessen, einige markante Bemerkungen zu zitieren:

Hans Leyendecker:
„Es hängt bei vielen Themen oft von der Position des Betrachters ab, ob es sich um eine Kampagne oder um Aufklärung handelt.“
„Die Themen, die Müller offenkundig interessieren, verraten nicht viel über den Zustand der Medien.“ – Anmerkung AM: Prüfen Sie die Bedeutung dieser Aussage selbst, indem Sie die NachDenkSeiten verfolgen oder die oben verlinkte Rede nachlesen.
„Die Begriffe ‚Pressekonzentration“, ‚BildKampagne’, ‚Spiegel-Kampagne’klingen irgendwie verbraucht. Nur mal ein Hinweis zum Thema Pressekonzentration: der WAZ-Konzern dominiert im Ruhrgebiet, was oft und gern beklagt wird. Aber wäre ein Blatt wie die Westfälische Rundschau noch auf dem Markt, wenn ein kleiner Provinzverleger allein das Sagen hätte? … Das Blatt bleibt nicht trotz WAZ-Konzentration, sondern wegen der WAZ-Konzentration auf dem Markt.“ – Anmerkung AM: So harmlos kann man das Problem der Konzentration der Medien in NRW sehen. Aber wohl nur, wenn man die Freundschaft zum Chef der WAZ Bodo Hombach pflegen will.

Aussagen von Volker Lilienthal:
„Ob die behaupteten Instrumentalisierungen der Medien, ob deren Einbindung in ‚strategisch geplante Kampagnen’ (These 5) bewiesen werden kann, erscheint höchst fragwürdig.“ – AM: beachtlich!
„Moderne Journalisten lassen sich nicht mehr in solch durchschaubarer Weise steuern. Auch steht die faktische Pluralität unseres Medienangebotes, innerhalb dessen eine politische Tendenz durch Widerspruch konterkariert wird, dagegen.“

Beide Autoren sind nicht dem rechtskonservativen Lager zuzuordnen. Beide Autoren haben ein Bild von unserer Medienlandschaft, über das man sich nur wundern kann. Wenn Sie sich mit einer kritischen Sicht auseinander setzen wollen, dann stöbern Sie in den NDS, in unserem kritischen Jahrbuch oder nutzen Sie das einschlägige Kapitel 21 von „Meinungsmache“ über das Verschwinden kritischer Medien.

Interessant ist nicht nur die Behauptung, wir lebten in einer pluralen Medienwelt. Interessant ist auch die Behauptung, die Lage habe sich in den letzten Jahren verbessert. Genau die gleiche These begegnete mir im Gespräch mit Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen im Deutschlandfunk am vergangenen Freitag. Siehe hier:

Wie Kampagnenjournalismus unsere Gesellschaft prägt
Moderation: Christian Floto
In den berüchtigten Berliner Kuschelkreisen kommen sich Politik, Verbände und Medien nahe. In diesen Runden, als Hintergrundgespräche getarnt, werden Politiker und Lobbyisten los, was die Journalisten später zu Papier bringen sollen. ….
Quelle 1: dradio.de
Quelle 2: dradio.de

Nachtrag:
Zur Situation in den USA kam gerade noch eine interessante Mail eines NachDenkSeiten-Nutzers an. Wir geben sie einfach wieder:

Was in den USA im Fernseh- und Radiojournalismus (“talk radio”) vonstatten geht, ist unglaublich. Objektive Berichterstattung wird zunehmend durch sog. Meinungsberichterstattung abgelöst.
 
Der schlimmste und zugleich einer der erfolgreichsten unter diesen TV- und Radio-Moderatoren ist neben dem Radio-Einpeitscher Rush Limbaugh derzeit sicher Glenn Beck, der auf Fox News eine der meist gesehenden Sendungen des Senders moderiert. Das Format kombiniert Meinungsjournalismus mit dem Appeal der Personality-Shows und dem Duktus der Fernseh-Prediger. Beck predigt in endlosen Wiederholungsschleifen seine Lehre von den zerstörerischen Kräften des Wohlfahrtsstaates und der Rückführung der Fürsorge auf private Wohltätigkeit.
 
Ein Eindruck seiner Sendung vom 2.11.: Beck ruft die Wähler wie ein Jahrmarktschreier dazu auf, noch schnell zur Wahl zu gehen; er macht Vorwürfe an Menschen, die nicht wählen gehen; er geht später die USA Staat für Staat durch und sagt, wie sich die Arbeitslosigkeit seit der Wahl Obamas vergrößert hat oder die Zwangsversteigerungen zahlenmäßig in die Höhe geschnellt sind; er ruft offen zur Wahl der republikanischen Kandidaten auf. Neben seinem Lieblingsthema des Minimalstaates agitiert er auch gegen liberale Einwanderungsgesetze.
 
Wie geht Beck vor? Er macht sich zu einem Sprecher der tea-party-Bewegung. Dabei beruft er sich auf die allgemeine Politikerverdrossenheit und agitiert geschickt gegen die ruling class (“die da oben”) im Allgemeinen; er möchte also nicht in dem Geruch stehen, nur einseitig die Demokraten abzulehnen. Bei seinen Wahlempfehlungen ruft er dann aber dezidiert für die Wahl der republikanischen Kandidaten auf… Zu beobachten sind die dramatischen Vereinfachungen und Verfälschungen, die eigentlich nur für Comedy-Formate und Satire passten: Die zaghafte progressive Sozialdemokratie eines Obama und seiner umstrittenen “health care reform” wird im besten Fall mit den Reizbegriffen des Sozialismus/Kommunismus, im schlimmsten Fall dem Nationalsozialismus identifiziert. Die Technik dieser “Meinungsmache”: Durch die ständige Wiederholung des Tabubruchs grenzenloser Demagogie (in allen Varianten: Obama = Satan) und die dezidiert religiös-binäre Metaphorik (gut/böse; Himmel/Hölle) nimmt das Publikum als Selbstverständlichkeit an, was eigentlich kein Mensch mit Schulabschluss glauben dürfte.
 
Gegen diese rechte TV-Meinungsberichterstattung und die zahlreichen rechtskonservativen Sendungen im talk-radio-Format haben linksprogressive Formate sich nicht etablieren können. “Air America” musste zuletzt Insolvenz anmelden.
 
Zu alledem siehe FAZ und dradio.de.
 
Von Glenn Beck kann man sich einmal selbst ein Bild machen, um eine Vorstellung von diesem ungemein erfolgreichen Meinungsjournalismus zu bekommen:
Quelle: YouTube (Sendung vom 2.11.2010)
 
Beste Grüße,
Andreas G.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!